Wenn die
Uhr "Da Vinci" in Italien gewöhnlich "Leonardo" genannt wird, dann hat
das einen einfachen Grund. Der Chronograph mit dem ingeniösen ewigen
Kalender kommt eben nicht "aus Vinci", er ist vielmehr eine Reverenz an das
Universalgenie der Renaissance. Aber Leonardo stammt aus Vinci. Darauf ist
das Städtchen an den Hängen des Monte Albano heute mächtig
stolz.
Hügel
auf Hügel, Rebstock an Rebstock, Olivenhain neben Olivenhain, dazwischen
Wald, kurvige Straßen, schattige Chausseen und ein bißchen Verkehr.
Toskana. Man kennt diese gottgesegnete Landschaft wenigstens aus den Erzählungen
begeisterter Ferienhausbesitzer: "...ein alter Bauernhof mit einer traumhaften
Aussicht, mussten wir natürlich erst zurecht machen, war alles ein Abenteuer,
die Behörden, ich sage Ihnen..."
In so einem Bauernhaus kam auch Leonardo da Vinci auf die Welt, am 15. April
1452. Der Hof liegt nur ein paar Kilometer oberhalb von Vinci, und Vinci wiederum
ungefähr 30 Kilometer westlich von Florenz, an der Straße von Empoli
nach Pistoia. Ein bescheidenes Gehöft, drei dunkle Kammern, Stall fürs
Vieh, kleine Scheune. Daß hier Leonardo geboren sein muß, erkennt
man am Erfrischungsstand neben dem Parkplatz. Im Haus selber dokumentieren
einige Wandtafeln das Leben seines berühmtesten Hausbewohners. Einige
Dutzend vollgeschriebene Gästebücher im Regal verraten etwas vom
Interesse, das die Welt dem Renaissance-Genie entgegenbringt.
Gut, daß die Leute wissen, wer Leonardo ist, wenn sie nach Vinci kommen.
Sonst müßten sie nach einem zufälligen Blick auf die beiden
riesigen Edelstahltanks der industriell nüchtern konfektionierten Weinkellerei
"Cantine Leonardo da Vinci" vor dem Ortseingang annehmen, es sei ein Markenname
wie - nun, sagen wir - Bayer Leverkusen. Die Winzergenossenschaft ist nicht
die einzige, die sich mit dem großen Namen schmückt. An der Piazza
Leonardo gibt es zum Beispiel die Bar Leonardo.
Ein praktischer
Halt, um sich einzustimmen auf das Museo Leonardiano vis-à-vis in dem
alten Kastell.
Aber eigentlich muß man keine Angst haben. Dieses, korrekt wäre
eigentlich: dieser Museo ist nicht so riesig wie sonst die Museen, die das
Erbe Leonardos hüten. Man läuft sich nicht die Füße wund
wie im Louvre; und man muß sich auch nicht dem stummen Verdacht vorwurfsvoll
blickender Wärter aussetzen, mal wieder ein Säure-Attentat zu planen.
Man muß nicht einmal damit rechnen, hilflos in einer riesigen Menschenschlange
zu stecken und mitleidlos an den Kunstwerken vorbeigeschoben zu werden.
Um die Wahrheit zu sagen, man muß überhaupt nicht mit Kunstwerken
rechnen. Zumindest nicht mit Originalen. Das Museo Leonardiano hütet
keine Bilder Leonardos. Die hängen alle in der Alten Pinakothek, im Louvre,
in der National Gallery, in den Sammlungen der Queen oder sonstwo, aber nicht
in Vinci. Dort widmet man sich einer Facette aus dem Wirken Leonardos, die
vielleicht weniger das menschliche Urbedürfnis des Muß-man-mal-gesehen-haben
befriedigt, aber nicht minder bedeutend ist: seinen Erfindungen und seinen
Ingenieur-Arbeiten im Dienste der Sforza und Borgia.
17 Jahre verbrachte Leonardo in Mailand am Hofe Ludovico Sforzas. Erst die
Niederlage des Herzogs nach der französischen Belagerung Mailands (August
1499 bis April 1500) bereitete der innigen Beziehung zwischen dem Künstler
und seinem Mäzen ein jähes Ende. Sforza galt als Mann von gewaltigem
Kunstverständnis und einer nicht weniger gewaltigen Selbsteinschätzung,
die in dem berühmten Satz gipfelte: "Der Papst ist mein Kaplan, (Kaiser)
Maximilian mein Condottiere, Venedig mein Kanzler und Frankreich mein Kurier."
Er schmorte nach seinem Sturz in einem französischen Verließ, aus
dem ihn erst der Tod erlöste.
Leonardo hatte sich über Mantua und Venedig nach Florenz geflüchtet,
wo er von 1466 an aufgewachsen und 1472 in die Malergilde aufgenommen worden
war. 1502/1503 begleitete er den energischen Cesare Borgia, den Sohn Papst
Alexanders VI., auf dessen Feldzügen in Mittelitalien, vor allem der
Toskana, die der Arrondierung des Kirchenstaates dienten und der die Nachwelt
Leonardos Landkarten der Toskana verdankt, "eines der frühesten Zeugnisse
der modernen Kartographie", wie ein Fachmann schreibt.
Auf diese technisch-naturwissenschaftlichen Leistungen Leonardos, die nur
in einigen Skizzenbüchern überliefert und der Öffentlichkeit
kaum bekannt sind, konzentriert sich das Museum in Vinci mit liebevoll angefertigten
Rekonstruktionen.
Angesichts
der zahllosen Erfindungen zieht der Besucher stumm und staunend durch die
Ausstellung. Flugkörper, mechanische Flügel und ein helikopterähnliches
Fluggerät sind dort ebenso zu bewundern wie das Uhrwerk mit Anzeige der
Mondphase, des Sonnenstands und natürlich der Stunden und Minuten aus
dem Turm von Chiaravalle. Daß sich Leonardo auch ausführlich mit
Werkregulierungen und Hemmungen beschäftigte, beweisen einige gut dokumentierte
Modelle in der Ausstellung.
Was den Uhrenkenner interessieren wird, ist seine "Wig-Wag", ein Getriebe,
das oszillierende Bewegungen in rotierende umsetzt. Mit Richtungswechslern
in Getrieben hat sich Leonardo auch schon beschäftigt.
Weiter zu bewundern sind: Geschwindigkeitsmesser für Wind und Wasser,
ein Neigungsmesser und ein Hygrometer, ein Feuchtigkeitsmesser, bestehend
aus einer kleinen Balkenwaage mit Rohbaumwolle auf der einen Schale und einem
Maßgewicht auf der anderen. Wird die Baumwolle feucht, neigt sich die
Schale. So einfach kann eine Erfindung sein.
Daß sich da Vinci auch ernsthaft mit der Konstruktion eines Velos befaßte,
weiß selbst die Wissenschaft erst seit ein paar Jahren. Der Entwurf
dafür fand sich nach einer Restauration des "Codex Atlanticus" auf einer
bisher verklebten Rückseite. Wie sich Leonardo das Velo gedacht hatte,
zeigt das 1:1 Modell im ersten Stockwerk des Museums, in dem auch ein Nachbau
seiner Flugmaschine zu bewundern ist.
Seit kurzem gibt es übrigens noch ein Leonardo-Museum im Kastell von
Vinci: "Il Museo ideale Leonardo da Vinci di arte utopia e culturale della
terra". Eingerichtet wurde es unten im Gewölbe, zu dem auch zwei alte
Weinkeller gehören, und mit Unterstützung der Armand Hammer Stiftung
für Leonardo- Studien. Gedacht ist es eigentlich als imaginäres
Museum, als Ort der lebendigen Begegnung und um mit Leonardo zwanglos Bekanntschaft
zu schliessen.
Über mangelndes Interesse der Nachwelt könnte sich Leonardo da Vinci
eigentlich nicht beklagen. Angehörige aller Völker schlendern durch
die Räume, darunter viele Italiener, für die Leonardo eine Art Dürer
und Leibniz in Personalunion ist. Aber auch Besucher aus Fernost zieht es
an den Geburtsort Leonardos. Insgesamt hält sich der Andrang jedoch in
erträglichen Grenzen.
Man gönnt sich noch einen gedankenverlorenen Blick auf den schlanken
Kirchturm vis-à-vis. In der Kirche unten steht noch das Taufbecken,
in dem der uneheliche Sprössling eines Notars von der Erbsünde befreit
und nach dem Heiligen Leonhard benannt wurde. Man schaut ein letztes Mal über
die olivenbestandenen Bergkuppen
hinweg zum silberblauen Horizont, macht sich einen kleinen Gedanken über
die Konditionierung des Menschen durch Landschaft und Umgebung, steigt gemächlich
wieder herab und mustert kurz den Souvenir-Laden. "Io sono un genio" heißt
es auf einem T-Shirt mit dem Kopf Leonardos. So ist es.
Alle
Rechte an den Texten hat wahrscheinlich das Historische Museum Schottenstift
in Wien. Für jegliche Veröffentlichungen waren die Texte als Pressedokumentation
kostenlos im Internet verfügbar.
Jegliche Leonardo da Vinci Bilder in ansprechender Größe findest Du hier:
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