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Universität Graz - Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften

Gehorsam gefährdet Demokratie

Über Gewalt und Terror berichten die Nachrichten täglich. Arno Gruen beschreibt in einem neuen Buch die Gefahren für die Demokratie. Autoritäre Erziehung, unterwürfiger Gehorsam, Hass und fehlende Selbstliebe, Globalisierung und Zerstörung des sozialen Zusammenhalts ergeben eine bedrohliche Situation.

Gehorsam unterwirft

Arno Gruen, 1923 in Berlin geboren, 1936 in die USA emigriert, Neurologe und Psychotherapeut, praktiziert seit 1979 in der Schweiz. Er hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor. Autoritäre Erziehung, befindet Gruen, hat schlimme Konsequenzen. Ohne ausgleichende Zärtlichkeit der Eltern bleibt ein ungestilltes Bedürfnis nach Zuneigung, das aber nicht eingestanden wird. Gehorsam gegenüber der Autorität verspricht Erlösung, Gewalt wird als Stärke, Mitgefühl als Schwäche erlebt.

Welt als Bedrohung
Wessen Kindheit durch Angst, Bestrafung und Verachtung der eigenen Gefühle geprägt war, scheut vor Neuem, Fremdem und Unbekanntem zurück. Gruen urteilt über Menschen mit solchen Kindheitserfahrungen: Da sie alles Neue als eine Gefahr erleben, entwickeln sie aggressive und gewalttätige Verhaltensformen. Die Welt ist für sie nicht nur bedrohlich, sie empfinden sie auch als ständig lauernde Gefahr, gegen die man sich zur Wehr setzen muss(S. 59).

Arno Gruen: Der Kampf um die Demokratie. Der Extremismus, die Gewalt und der Terror. Verlag Klett-Cotta, 190 Seiten, Stuttgart 2002, - 19,00. ISBN: 3-608-94224-6.

Radikale - rechts und links

Der Autor unterscheidet die Ursachen für rechten und linken Radikalismus. Anhänger des ersten hassen Liebe, Zärtlichkeit und Mitgefühl, weil ihnen diese in der Kindheit vorenthalten wurden. Die Anhänger des zweiten fürchten die Liebe, die sie suchen.

Rechte Radikalisten hassen, meint Gruen, die Liebe, weil sie ihnen von der Mutter vorenthalten wurde. Linke Radikalisten haben Angst, die Mutter könne sie mittels Liebe gebrauchen und ausnutzen. Was beide Gruppen gemeinsam haben: Beide sind von der Liebe abgeschnitten, beide vermeiden sie.

Grausame Menschheit

Die Grausamkeit der Menschen ist nicht neu, auch gesellschaftlich legitimiert wurde sie schon immer. Moderne Technik und Kommunikation erhöhen das Ausmaß der Gewalt und reduzieren die Hemmschwellen. Die Menschen gewöhnen sich durch ständige, umfangreiche Information an Gewalt und verlieren ihr Mitgefühl.

Stärke macht erbarmungslos
Gruen argumentiert gegen die gesellschaftlich akzeptierte Gewalt, die in unserer Kultur allgegenwärtig ist. Er schreibt: Menschen, die nach dem Gesetz des Stärkeren erzogen wurden, die gelernt haben, nur ein gnadenloser Konkurrenzkampf sichere die eigene Unverletzlichkeit, werden in ihrem Leben kein Erbarmen, kein Mitgefühl mit anderen empfinden.

Aggression wird hier zur Destruktivität, weil Hilflosigkeit, die ja durch den Gehorsam verstärkt wurde, als verachtenswerte Schwäche abgelehnt werden muss. Der tägliche Konkurrenzkampf, der ja typisch für unsere Kultur ist, wird so zum Beweis vermeintlicher Stärke, mit der Verletzlichkeit und Hilflosigkeit aus dem Bewusstsein verbannt werden. Zugleich wird die Gewalt, die anderen dabei zugefügt wird, verneint (S. 101 f.).

Hasspotential

Arno Gruen macht auf die Grundverhältnisse unserer individuellen und gesellschaftlichen Existenz aufmerksam. Wer sich selbst nicht liebt, entwickelt kein Mitgefühl für andere. In unserer gewalttätigen Kultur werden wir daraufhin sozialisiert, den eigenen Selbstwert zu gewinnen, indem wir andere erniedrigen und demütigen.

Der Autor stellt fest: Andere niederzumachen wird also zur Quelle des Wohlbefindens. Als Reaktion auf die Unterdrückung des eigenen Seins, der eigenen Wahrnehmungen und Bedürfnisse entwickelt sich in jedem ein gewaltiges Potential an Hass (S.110).

Ausweg

Um aus der Gewaltspirale einen Ausweg zu finden, bedarf es nicht nur einer veränderten Erziehung sondern auch anderer gesellschaftlicher Verhältnisse. Gruen sieht in der Globalisierung, in der Verlagerung von Entscheidungen vom öffentlichen zum privaten Sektor nichts Positives: Der soziale Zusammenhang wird zerstört. Armut, Hunger, Kriege, religiöse Intoleranz, befürchtet Gruen, bleiben bestehen.

Der Psychotherapeut sieht nur einen positiven Ausweg: Er fordert, sich ernsthaft und wahrhaftig den Bedürfnissen der Menschen, ihrer existentiellen Not und ihrem Anspruch auf Würde zu widmen.

Der Fremde in uns
Soeben in 6. Auflage ist ein anderes, wichtiges Buch von Arno Gruen erschienen: Der Fremde in uns. Verlag Klett-Cotta, 238 Seiten, Stuttgart 2002, - 19,00. ISBN: 3-608-94282-3. Beide Bücher ergänzen einander.

Anhand vieler Fallbeispiele beschreibt dieses Buch die Suche der Menschen nach ihren Gefühlen und Empfindungen, nach Selbstwert und Selbstachtung. Gruen empfiehlt dem Drang nach Größe und Besitz Einhalt zu gebieten. Die wahren Möglichkeiten des Menschseins bestehen für ihn in Liebe, Zuneigung, Nähe und Mitgefühl.

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