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18. Von der Erneuerung des Geistes
»Ihr sollt erneuert werden an eurem Geiste, der da mens heisset,« das heisst ein Bewusstsein. So spricht Sankt Paulus. Nun sagt Augustin, dass an dem ersten Teil der Seele, das da mens heisst oder Bewusstsein, mit dem Wesen der Seele eine Kraft geschaffen hat, die die Meister einen Verschluss oder Schrein geistlicher Formen oder formloser Bilder heissen. Diese Kraft macht den Vater der Seele gleich durch seine ausfliessende Gottheit, von der er den ganzen Hort seines göttlichen Wesens in den Sohn und in den heiligen Geist mit persönlicher Unterscheidung gegossen hat, wie die Gedächtniskraft der Seele den Kräften der Seele den Schatz der Bilder ausgiesst. Wenn nun die Seele mit dieser Kraft irgendwelche Bildlichkeit schaut, sei es das Bild eines Engels oder ihr eigenes Bild, so ist es gar mangelhaft. Schaut sie Gott wie Gott ist oder wie er Bild ist oder wie er drei ist, es ist mangelhaft. Wenn aber alle[119] Bilder der Seele abgeschieden werden und sie allein das einig Eine schaut, so findet das nackte Wesen der Seele das nackte formlose Wesen göttlicher Einheit, das da ist ein überwesendes Wesen, empfangend, in sich selbst liegend. O Wunder über Wunder, welch edles Empfangen ist das, dass das Wesen der Seele nichts anderes empfangen kann als allein die Einheit Gottes! Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt erneuert werden am Geiste.« Erneuerung befällt alle Kreaturen unter Gott; aber Gott befällt keine Erneuerung, er ist ganz Ewigkeit. Was ist Ewigkeit? Passt auf. Die Eigenheit der Ewigkeit ist, dass Dasein und Jungsein in ihr eins ist, denn die Ewigkeit wäre nicht ewig, wenn sie neu werden könnte und nicht allewege wäre. Nun sage ich: die Seele befällt Erneuerung, insofern sie Seele heisst, denn sie heisst darum Seele, weil sie dem Körper Leben gibt und eine Form des Körpers ist Sie wird auch von der Erneuerung betroffen, insofern sie Geist heisst Darum heisst sie ein Geist, weil sie von hier und von jetzt und von aller Natürlichkeit abgeschieden ist. Aber insofern sie ein Bild Gottes ist und namenlos wie Gott, da tritt keine Erneuerung an sie heran, sondern allein Ewigkeit, wie in Gott. Nun passt auf! Gott ist namenlos, denn von ihm kann niemand etwas sprechen oder verstehen. Darum sagt ein heidnischer[120] Meister: Was wir von der ersten Ursache verstehen oder sprechen, das sind wir mehr selbst, als dass es die erste Ursache wäre, denn sie ist über allem Sprechen und Verstehen. Sage ich nun: Gott ist gut, so ist es nicht wahr, sondern ich bin gut, Gott ist nicht gut. Ich sage mehr: ich bin besser als Gott, denn was gut ist, kann besser werden; was besser werden kann, kann das Allerbeste werden. Nun ist Gott nicht gut, daher kann er nicht besser werden. Und wenn er also nicht besser werden kann, so kann er auch nicht allerbest werden, denn diese drei sind fern von Gott: gut, besser und allerbest, denn er ist über allem. Sage ich ferner: Gott ist weise, so ist es nicht wahr: ich bin weiser als er. Sage ich ferner: Gott ist ein Wesen, so ist es nicht wahr: er ist ein überschwebendes Wesen und eine überwesende Nichtheit. Daher sagt Sankt Augustin: Das Schönste, was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, dass er vor Weisheitsfülle schweigen kann. Daher schweig und schwatze nicht von Gott, denn damit, dass du von ihm schwatzest, lügst du, tust also Sünde. Willst du nun ohne Sünde sein und vollkommen, so schwatze nicht von Gott. Du sollst auch nichts verstehen unter Gott, denn Gott ist über allem Verstehen. Es sagt ein Meister: Hätte ich einen Gott, den ich verstehen könnte, ich wollte ihn nimmer für Gott[121] halten. Verstehst du nun etwas unter ihm, davon ist er nichts, und damit, dass du etwas unter ihm verstehst, kommst du in eine Unverstandsamkeit, und von der Unverstandsamkeit kommst du in eine Tierheit; denn was an den Kreaturen unverständig ist, das ist tierisch. Willst Du nicht tierisch werden, so verstehe nichts von dem ungeworteten Gotte. »Ach, wie soll ich denn tun?« Du sollst ganz und gar entsinken deiner Deinheit und sollst zerfliessen in seine Seinheit und es soll dein Dein in seinem Mein ein Mein werden, so gänzlich, dass du mit ihm ewiglich verstehst seine ungewordene Istigkeit und seine ungenannte Nichtheit.
Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt erneuert werden am Geiste.« Wollen wir nun am Geiste erneuert werden, so müssen die sechs Kräfte der Seele, sowohl die obersten wie die untersten, jede einen goldenen Ring am Finger haben, vergoldet mit dem Golde göttlicher Liebe. Nun achtet auf die niedersten Kräfte, es sind ihrer drei. Die erste heisst Einsicht, rationale; an der sollst du einen goldenen Ring haben, das ist das Licht, auf dass deine Einsicht zu allen Zeiten ohne Zeit mit dem göttlichen Lichte erleuchtet sei. Die andere Kraft heisst die Zürnerin, irascibilis; an der sollst du einen Ring haben, das ist dein Friede. Warum? Darum: wenn in Frieden, dann[122] in Gott; wenn aus Frieden, dann aus Gott. Die dritte Kraft heisst Begehrung: concuspiscibilis; an der sollst du Genügsamkeit haben, damit du dich mit allen Kreaturen, die unter Gott sind, begnügst; aber mit Gott sollst du dich niemals begnügen, denn von Gott kannst du nie genug haben: je mehr Gottes du hast, je mehr begehrst du seiner; denn könntest du dich mit Gott begnügen, so dass Gott vom Genug betroffen würde, so wäre Gott nicht Gott.
Du musst auch an jeder von den obersten Kräften einen goldenen Ring haben. Der obersten Kräfte gibt es auch drei. Die erste heisst eine behaltende Kraft, memoria. Diese Kraft vergleicht man dem Vater in der Dreifaltigkeit. An der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich ein Behalten, damit du alle ewigen Dinge in dir behalten sollst. Die andere heisst Verstand, intellectus. Diese Kraft vergleicht man dem Sohne. An der sollst du auch einen goldenen Ring haben, nämlich Erkenntnis, damit du Gott zu allen Zeiten erkennen sollst. Und zwar wie? Du sollst ihn erkennen ohne Bild, ohne Mittel und ohne Gleichnis. Soll ich aber Gott so unmittelbar erkennen, so muss vollends ich er werden und er ich werden. Ich sage mehr: Gott muss vollends ich werden, und ich vollends Gott, wie völlig eins, dass dies Er und dies Ich ein Ich[123] werden und sind, und in der Istigkeit ewig ein Werk wirken; denn solange dies Er und dies Ich, das heisst Gott und die Seele, nicht ein einziges Hier oder ein einziges Jetzt sind, solange könnte dies Ich mit dem Er niemals zusammenwirken oder eins werden. Die dritte Kraft heisst Wille, voluntas. Diese Kraft vergleicht man dem heiligen Geiste. An der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich die Liebe, damit du Gott lieben sollst. Du sollst Gott lieben ohne Liebheit, dass heisst nicht darum, weil er liebevoll sei, denn Gott ist unliebevoll; er ist über aller Liebe und Liebheit. »Wie soll ich denn Gott lieben?« Du sollst Gott nichtgeistlich lieben, das heisst, deine Seele soll nichtgeistig sein und aller Geistigkeit entkleidet; denn solange die Seele geistförmig ist, hat sie Bilder; solange sie Bilder hat, hat sie nicht Einheit noch Eintracht; solange sie nicht Eintracht hat, liebte sie Gott nicht recht, denn bei rechter Liebe kommt es auf die Eintracht an. Darum soll deine Seele nichtgeistig sein, frei von allem, was Geist ist, und soll geistlos dastehn; denn liebst du Gott, wie er Gott ist, wie er Geist ist, wie er Person ist und wie er Bild ist, das muss alles hinab. »Wie soll ich ihn denn lieben?« Du sollst ihn lieben wie er ist: ein Nichtgott, ein Nichtgeist, eine Nichtperson, ein Nichtbild, sondern: wie[124] er ein blosses, pures, reines Eins ist, gesondert von aller Zweiheit, und in dem Einen sollen wir ewiglich versinken von Nichts zu Nichts. Das walte Gott. Amen.[125]
Quelle:
Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903, S. 118-126.
Lizenz:
Gemeinfrei
Kategorien:
Scholastik
Meister Eckhart (auch Eckhart von Hochheim; * um 1260 in Hochheim oder in Tambach; † vor dem 30. April 1328 in Avignon) war ein einflussreicher spätmittelalterlicher Theologe und Philosoph. Schon als Jugendlicher trat er in den Orden der Dominikaner ein, in dem er später hohe Ämter erlangte. Mit seinen Predigten erzielte er nicht nur bei seinen Zeitgenossen eine starke Wirkung, sondern beeindruckte auch die Nachwelt. Außerdem leistete er einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der deutschen philosophischen Fachsprache. Sein Hauptanliegen war die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequent spirituelle Lebenspraxis im Alltag. Aufsehen erregten seine unkonventionellen, teils provozierend formulierten Aussagen und sein schroffer Widerspruch zu verbreiteten Überzeugungen. Umstritten war beispielsweise seine Aussage, der „Seelengrund“ sei nicht wie alles Geschöpfliche von Gott erschaffen, sondern göttlich und ungeschaffen. Im Seelengrund sei die Gottheit stets unmittelbar anwesend.
Eckhart wird vielfach als Mystiker charakterisiert. In der neueren Forschung wird allerdings verschiedentlich betont, dass der unterschiedlich definierte Begriff „Mystik“ als Bezeichnung für Elemente seiner Lehre problematisch, zumindest erläuterungsbedürftig und nur eingeschränkt verwendbar ist.
Nach langjähriger Tätigkeit im Dienst des Ordens wurde Eckhart erst in seinen letzten Lebensjahren wegen Häresie (Irrlehre, Abweichung von der Rechtgläubigkeit) denunziert und angeklagt. Der in Köln eingeleitete Inquisitionsprozess wurde am päpstlichen Hof in Avignon neu aufgenommen und zu Ende geführt. Eckhart starb vor dem Abschluss des Verfahrens. Da er sich von vornherein dem Urteil des Papstes unterworfen hatte, entging er als Person einer Einstufung als Häretiker, doch Papst Johannes XXII. verurteilte einige seiner Aussagen als Irrlehren und verbot die Verbreitung der sie enthaltenden Werke. Dennoch hatte Eckharts Gedankengut beträchtlichen Einfluss auf die spätmittelalterliche Spiritualität im deutschen und niederländischen Raum.
https://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Eckhart
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Bild: Meister_Eckhart_Fragment_1003.jpg: Georg-August-Universität Göttingen
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