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Meister Eckhart - Predigt 13 - Von der Einheit der Dinge

13. Von der Einheit der Dinge

[87] Als ich heute hierherging, überlegte ich mir, wie ich euch so vernünftig predigen könnte, dass ihr mich wohl verstündet, und ich dachte mir ein Gleichnis aus. Wenn ihr das recht verstehen könntet, so verstündet ihr meinen Sinn und den Grund aller meiner Meinungen, den ich immer predigte. Es war aber das Gleichnis von meinen Augen und von dem Holze. Wenn mein Auge aufgetan wird, so ist es mein Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, wegen des Sehens geht dem Holze weder etwas ab noch etwas zu. Nun merket recht auf. Geschieht aber das, dass mein Auge an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, so dass man sagen kann: Auge-Holz, und das Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz ohne[87] Materie und ganz geistig, wie das Gesicht meiner Augen, so könnte man in Wahrheit sagen, dass in der Wirksamkeit meines Gesichts das Holz und mein Auge aus einem Wesen bestehen. Ist dies wahr von körperlichen Dingen, viel mehr wahr ist es von geistigen Dingen. Ihr sollt wissen, mein Auge hat viel mehr Einheit mit den Augen eines Schafes, das jenseits des Meeres ist, und das ich nie gesehen habe, als mit meinen Ohren, mit denen es doch eins ist im Wesen; und das kommt daher, weil das Auge des Schafes dieselbe Wirksamkeit hat wie mein Auge, und daher spreche ich ihnen mehr Einheit im Wirken zu als meinen Augen und Ohren, denn die sind im Wirken verschieden.
Ich habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist und das ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich allewege in meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar und ohne Hüllen wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung findet statt in der Wirksamkeit der Hineingebärung. Da kann ich wahrlich sagen, dieses Licht hat mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es doch im Wesen eins ist. Denn ihr sollt wissen, dieses Licht ist im Wesen meiner Seele nicht höher im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste[88] Kraft, die von Hunger oder Durst, Frost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt daher, dass das Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen betrachtet, sind sie alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in ihren Werken, dann ist eine viel edler und höher als die andere.
Darum sage ich: wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet: ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten,[89] wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben. Dass wir so vernünftig leben, das walte Gott. Amen.[90]
Quelle:
Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903, S. 87-91.
Lizenz:
Gemeinfrei
Kategorien:
Scholastik

 

 

jup

 

Meister Eckhart (auch Eckhart von Hochheim; * um 1260 in Hochheim oder in Tambach; † vor dem 30. April 1328 in Avignon) war ein einflussreicher spätmittelalterlicher Theologe und Philosoph. Schon als Jugendlicher trat er in den Orden der Dominikaner ein, in dem er später hohe Ämter erlangte. Mit seinen Predigten erzielte er nicht nur bei seinen Zeitgenossen eine starke Wirkung, sondern beeindruckte auch die Nachwelt. Außerdem leistete er einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der deutschen philosophischen Fachsprache. Sein Hauptanliegen war die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequent spirituelle Lebenspraxis im Alltag. Aufsehen erregten seine unkonventionellen, teils provozierend formulierten Aussagen und sein schroffer Widerspruch zu verbreiteten Überzeugungen. Umstritten war beispielsweise seine Aussage, der „Seelengrund“ sei nicht wie alles Geschöpfliche von Gott erschaffen, sondern göttlich und ungeschaffen. Im Seelengrund sei die Gottheit stets unmittelbar anwesend.

Eckhart wird vielfach als Mystiker charakterisiert. In der neueren Forschung wird allerdings verschiedentlich betont, dass der unterschiedlich definierte Begriff „Mystik“ als Bezeichnung für Elemente seiner Lehre problematisch, zumindest erläuterungsbedürftig und nur eingeschränkt verwendbar ist.

Nach langjähriger Tätigkeit im Dienst des Ordens wurde Eckhart erst in seinen letzten Lebensjahren wegen Häresie (Irrlehre, Abweichung von der Rechtgläubigkeit) denunziert und angeklagt. Der in Köln eingeleitete Inquisitionsprozess wurde am päpstlichen Hof in Avignon neu aufgenommen und zu Ende geführt. Eckhart starb vor dem Abschluss des Verfahrens. Da er sich von vornherein dem Urteil des Papstes unterworfen hatte, entging er als Person einer Einstufung als Häretiker, doch Papst Johannes XXII. verurteilte einige seiner Aussagen als Irrlehren und verbot die Verbreitung der sie enthaltenden Werke. Dennoch hatte Eckharts Gedankengut beträchtlichen Einfluss auf die spätmittelalterliche Spiritualität im deutschen und niederländischen Raum.

https://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Eckhart

 

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