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Ernst Haeckel - Die Natürliche Schöpfungsgeschichte 1868

Vierzehnter Vortrag.

Schöpfungsperioden und Schöpfungsurkunden.

(siehe Inhaltsverzeichnis.. )

Meine Herren! Von dem umgestaltenden Einfluß, welchen die Abstammungslehre auf alle Wissenschaften ausüben muß, wird wahrscheinlich nächst der Anthropologie kein anderer Wissenschaftszweig so sehr betroffen werden, als der beschreibende Theil der Naturgeschichte, die systematische Zoologie und Botanik. Die meisten Naturforscher, die sich bisher mit der Systematik der Thiere und Pflanzen beschäftigten, sammelten, benannten und ordneten die verschiedenen Arten dieser Naturkörper mit einem ähnlichen Interesse, wie die Alterthumsforscher und Ethnographen die Waffen und Geräthschaften der verschiedenen Völker sammeln. Viele erhoben sich selbst nicht über denjenigen Grad der Wißbegierde, mit dem man Wappen, Briefmarken und ähnliche Curiositäten zu sammeln, zu etikettiren und zu ordnen pflegt. In ähnlicher Weise wie diese Sammler an der Formenmannichfaligkeit, Schönheit oder Seltsamheit der Wappen, Briefmarken u. s. w. ihre Freude finden, und dabei die erfinderische Bildungskunst der Menschen bewundern, in ähnlicher Weise ergötzen sich die meisten Naturforscher an den mannichfaltigen Formen der Thiere und Pflanzen, und erstaunen über die reiche Phantasie des Schöpfers, über seine unermüdliche Schöpfungsthätigkeit und über die seltsame Laune, in welcher er neben so vielen schönen, nützlichen und guten Organismen auch eine Anzahl häßlicher, unnützer und schlechter Formen gebildet habe.

Diese kindliche Behandlung der systematischen Zoologie und Botanik wird durch die Abstammungslehre gründlich vernichtet. An die Stelle des oberflächlichen und spielenden Interesses, mit welchem die Meisten bisher die organischen Gestalten betrachteten, tritt das weit höhere Interesse des erkennenden Verstandes, welcher in der Formverwandtschaft der Organismen ihre wahre Blutsverwandtschaft erblickt. Das natürliche System der Thiere und Pflanzen, welches man früher entweder nur als Namenregister zur übersichtlichen Ordnung der verschiedenen Formen oder als Sachregister zum kurzen Ausdruck ihres Aehnlichkeitsgrades schätzte, erhält durch die Abstammungslehre den ungleich höheren Werth eines wahren Stammbaumes der Organismen. Diese Stammtafel muß uns den genealogischen Zusammenhang der kleineren und größeren Gruppen enthüllen. Sie muß zu zeigen versuchen, in welcher Weise die verschiedenen Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten des Thier- und Pflanzenreichs, den verschiedenen Zweigen, Aesten und Astgruppen ihres Stammbaums entsprechen. Jede weitere und höher stehende Kategorie oder Gruppenstufe des Systems (z.B. Klasse, Ordnung) umfaßt eine Anzahl von größeren und stärkeren Zweigen des Stammbaums, jede engere und tiefer stehende Kategorie (z. B. Gattung, Art) nur eine kleinere und schwächere Gruppe von Aestchen. Nur wenn wir in dieser Weise das natürliche System als Stammbaum betrachten, können wir den wahren Werth desselben erkennen. (Gen. Morph. II., S. XVII, 397).

Indem wir an dieser genealogischen Auffassung des organischen Systems, welcher ohne Zweifel allein die Zukunft gehört, festhalten, können wir uns jetzt zu einer der wesentlichsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der "natürlichen Schöpfungsgeschichte" wenden, nämlich zur wirklichen Construction der organischen Stammbäume. Lassen Sie uns sehen, wie weit wir vielleicht schon jetzt im Stande sind, alle verschiedenen organischen Formen als die divergenten Nachkommen einer einzigen oder einiger wenigen gemeinschaftlichen Stammformen nachzuweisen. Wie können wir uns aber den wirklichen Stammbaum der thierischen und pflanzlichen Formengruppen aus den dürftigen und fragmentatischen bis jetzt darüber gewonnenen Erfahrungen construiren? Die Antwort hierauf liegt schon zum Theil in demjenigen, was wir früher über den Parallelismus der drei Entwickelungsreihen bemerkt haben, über den wichtigen ursächlichen Zusammenhang, welcher die paläontologische Entwickelung der ganzen organischen Stämme mit der embryologischen Entwickelung der Individuen und mit der systematischen Entwickelung der Gruppenstufen verbindet.

Zunächst werden wir uns zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe an die Phylogenie oder die paläontologische Entwickelungsgeschichte zu wenden haben. Denn wenn wirklich die Descendenztheorie wahr ist, wenn wirklich die versteinerten Reste der vormals lebenden Thiere und Pflanzen von den ausgestorbenen Urahnen und Vorfahren der jetzigen Organismen herrühren, so müßte uns eigentlich ohne Weiteres die Kenntniß und Vergleichung der Versteinerungen den Stammbaum der Organismen aufdecken. So einfach und einleuchtend nach dem theoretisch entwickelten Princip Ihnen dies erscheinen wird, so außerordentlich schwierig und verwickelt gestaltet sich die Aufgabe, wenn man sie wirklich in Angriff nimmt. Ihre praktische Lösung würde schon sehr schwierig sein, wenn die Versteinerungen einigermaßen vollständig erhalten wären. Das ist aber keineswegs der Fall. Vielmehr ist die handgreifliche Schöpfungsurkunde, welche in den Versteinerungen begraben liegt, über alle Maaßen unvollständig. Daher erscheint es jetzt vor Allem nothwenig, diese Urkunde kritsich zu prüfen, und den Werth, welchen die Versteinerungen für die Entwickelungsgeschichte der organischen Stämme besitzen, zu bestimmen. Da ich Ihnen die allgemeine Bedeutung der Versteinerungen als "Denkmünzen der Schöpfung" bereits früher erörtert habe, als wir Cuvier's Verdienste um die Petrefactenkunde betrachteten, so können wir jetzt sogleich zur Untersuchung der Bedingungen und Verhältnisse übergehen, unter denen die organischen Körperreste versteinert und so für uns in mehr oder weniger kenntlicher Form erhalten wurden.

In der Regel finden wir Versteinerungen oder Petrefacten nur in denjenigen Gesteinen eingeschlossen, welche schichtenweise als Schlamm im Wasser abgelagert wurden, und welche man deshalb neptunisch, geschichtete oder sedimentäre Gesteine nennt. Die Ablagerung solcher Schichten konnte natürlich erst beginnen, nachdem im Verlaufe der Erdgeschichte die Verdichtung des Wasserdampfes zu tropfbarflüssigem Wasser erfolgt war. Seit diesem Zeitpunkt, welchen wir im letzten Vortrage bereits betrachtet hatten, begann nicht allein das Leben auf der Erde, sondern auch eine ununterbrochene und höchst wichtige Umgestaltung der erstarrten anorganischen Erdrinde. Das Wasser begann seitdem jene außerordentlich wichtige mechanische Wirksamkeit, durch welche die Erdoberfläche fortwährend, wenn auch langsam, umgestaltet wird. Ich darf wohl als bekannt voraussetzen, welchen außerordentlich bedeutenden Einfluß in dieser Beziehung noch jetzt das Wasser in jedem Augenblick ausübt. Indem es als Regen niederfällt, die obersten Schichten der Erdrinde durchsickert und von den Erhöhungen in die Vertiefungen herabfließt, löst es verschiedene mineralische Bestandtheile des Bodens chemisch auf und spült mechanisch die locker zusammen hängenden Theilchen ab. An den Bergen herabfließend führt das Wasser den Schutt derselben in die Ebene oder lagert ihn als Schlamm im stehenden Wasser ab. So arbeitet es beständig an einer Erniedrigung der Berge und Ausfüllung der Thäler.

Ebenso arbeitet die Brandung des Meeres ununterbrochen an der Zerstörung der Küsten und an der Auffüllung des Meeresbodens durch die herabgeschlämmten Trümmer. So würde schon die Thätigkeit des Wassers allein, wenn sie nicht durch andere Umstände wieder aufgewogen würde, mit der Zeit die ganze Erde nivelliren. Es kann keinen Zweifel unterliegen, daß die Gebirgsmassen, welche alljährlich als Schlamm dem Meere zugeführt werden und sich auf dessen Boden absetzen, so bedeutend sind, daß im Verlauf einer längeren oder kürzeren Periode, vielleicht von wenigen Millionen Jahren, die Erdoberfläche vollkommen geebnet und von einer zusammenhängenden Wasserschale umschlossen werden würde. Das dies nicht geschieht, verdanken wir der fortdauernden vulkanischen und plutonischen Gegenwirkung des feurigflüssigen Erdinnern. Diese Reaction des geschmolzenen Kerns gegen die feste Rinde bedingt ununterbrochen wechselnde Hebungen und Senkungen an den verschiedensten Stellen der Erdoberfläche. Meistens geschehen diese Hebungen und Senkungen sehr langsam und allmählich; allein indem sie Jahrtausende hindurch fortdauern, bringen sie durch Summirung der kleinen Einwirkungen nicht minder großartige Resultate hervor, wie die entgegenwirkende und nivellirende Thätigkeit des Wassers.

Indem die Hebungen und Senkungen der verschiedenen Erdtheile im Laufe von Jahrmillionen vielfach mit einander wechseln, kömmt bald dieser bald jener Theil der Erdoberfläche über oder untern den Spiegel des Meeres. Es giebt vielleicht keinen Oberfächentheil der Erdrinde, der nicht in Folge dessen schon wiederholt über und unter dem Meeresspiegel gewesen wäre. Durch diesen vielfachen Wechsel erklärt sich die Mannichfaltigkeit und die verschiedene Zusammensetzung der zahlreichen neptunischen Gesteinsschichten, welche sich an den meisten Stellen in beträchtlicher Dicke über einander abgelagert haben. In den verschiedenen Geschichtsperioden, während deren die Ablagerung statt fand, lebte eine mannichfach verschiedene Bevölkerung von Thieren und Pflanzen. Wenn die Leichen derselben auf den Boden der Gewässer herabsanken, drückten sie ihre Körperform in dem weichen Schlamme ab, und unverwesliche Theile, harte Knochen, Zähne, Schalen u. s. w. wurden unzerstört in demselben eingeschlossen. Sie blieben in dem Schlamm, der sich zu neptunischem Gestein verdichtete, erhalten und dienten nun als Versteinerungen zur Charakteristik der betreffenden Schichten. Durch sorgfältige Vergleichung der verschiedenen über einander gelagerten Schichten und der in ihnen enthaltenen Versteinerungen ist es so möglich geworden, sowohl das relative Alter der Schichten und Schichtengruppen zu bestimmen, als auch die Hauptmomente der Phylogenie oder der Entwickelungsgeschichte der Thier- und Pflanzenstämme empirisch festzustellen.

Die verschiedenen über einander abgelagerten Schichten der neptunischen Gesteine, welche in sehr mannichfaltiger Weise aus Kalk, Thon und Sand zusammengesetzt sind, haben die Geologen gruppenweise in ein ideales System zusamengestellt, welches dem ganzen Zusammenhang der organischen Erdgeschichte entspricht, d. h. desjenigen Theiles der Erdgeschichte, während dessen organisches Leben existirte. Wie die sogenannte "Weltgeschichte" in größere und kleinere Perioden zerfällt, welche den zeitweiligen Entwickelungszustand der bedeutendsten Völker charakerisirt und durch hervorragende Ereignisse von einander abgegrenzt werden, so theilen wir auch die unendlich längere organische Erdgeschichte in eine Reihe von größeren oder kleineren Perioden ein. Jede dieser Perioden ist durch eine charakteristische Flora und Fauna, durch die besonders starke Entwickelung einer bestimmten Pflanzen- oder Thiergruppe ausgezeichnet, und jede ist von der vorhergehenden und folgenden Periode durch einen auffallenden Wechsel in der Zusammensetzung der Thier- und Pflanzenbevölkerung getrennt.

Für die nachfolgende Uebersicht des historischen Entwickelungsganges, den die großen Thier und Pflanzenstämme genommen haben, ist es nothwendig, zunächst hier die systematische Classification der neptunischen Schichtengruppen und der denselben entsprechenden größeren und kleineren Geschichtsperioden anzugeben.

Wie Sie sogleich sehen werden, sind wir im Stande, die ganze Masse der über einanderliegenden Sedimentgesteine in fünf oberste Hauptgruppen oder Terrains, jedes Terrain in mehrere untergeordnete Schichtengruppen oder Systeme und jedes System von Schichten wiederum in noch kleinere Gruppen oder Formationen einzutheilen; endlich kann auch jede Formation wieder in Etagen oder Unterformationen, und jede von diesen wiederum in noch kleinere Lagen, Bänke u. s. w. eingetheilt werden. Jedes der fünf großen Terrains wurde während eines großen Hauptabschnittes der Erdgeschichte, während eines Zeitalters abgelagert; jedes System während einer kürzeren Periode, jede Formation während einer noch kürzeren Epoche u. s. w. Indem wir so die Zeiträume der organischen Erdgeschichte und die während derselben abgelagerten neptunischen und versteinerungsführenden Erdschichten in ein gegliedertes System bringen, verfahren wir genau wie die Historiker, welche die Völkergeschichte in die drei Hauptabschnitte des Alterthums, des Mittelalters und der Neuzeit, und jeden dieser Abschitte wieder in untergeordnete Perioden und Epochen eintheilen. Wie aber der Historiker durch diese scharfe systematische Eintheilung und durch die bestimmte Abgrenzung der Perioden durch einzelne Jahreszahlen nur die Uebersicht erleichtern und keineswegs den ununterbrochenen Zusammenhang der Ereignisse und der Völkerentwickelung leugnen will, so gilt ganz dasselbe auch von unserer systematischen Eintheilung, Specification oder Classification der organischen Erdgeschichte. Auch hier geht der rothe Faden der zusammenhängenden Entwickelung überall ununterbrochen hindurch. Wir verwahren uns also ausdrücklich gegen die Anschauung, als wollten wir durch unsere scharfe Abgrenzung der größeren und kleineren Schichtengruppen und der ihnen entsprechenden Zeiträume irgendwie an Cuvier's Lehre von den Erdrevolutionen und von den wiederholten Neuschöpfungen der organischen Bevölkerung anknüpfen. Das diese irrige Lehre durch Lyell längst gründlich widerlegt ist, habe ich Ihnen bereits früher bezeigt. (S. 48, 99).

Die fünf großen Hauptabschnitte der organischen Erdgeschichte oder der paläontologischen Entwickelungsgeschichte bezeichnen wir als primordiales, primäres, secundäres, tertiäres und quartäres Zeitalter. Jedes ist durch die vorwiegende Entwickelung bestimmter Thier- und Pflanzengruppen in demselben bestimmt charakterisirt, und wir könnten demnach auch die fünf Zeitalter einerseits durch die natürlichen Hauptgruppen des Pflanzenreichs, andrerseits durch die verschiedenen Klassen des Wirbelthierstammes anschaulich bezeichnen. Dann wäre das erste oder primordiale Zeitalter das der Tange und Rohrherzen, das zweite oder secundäre Zeitalter das der Farne und Fische, das dritte oder tertiäre Zeitalter das der Nadelwälder und Schleicher, das vierte oder tertiäre Zeitalter das der Laubwälder und Säugethiere, endlich das fünfte oder quartäre Zeitalter dasjenige des Menschen und seiner Cultur. Die Abschnitte oder Perioden, welche wir in jedem der fünf Zeitalter unterscheiden, werden durch die verschiedenen Systeme von Schichten bestimmt, in die jedes der fünf großen Terrains zerfällt. Lassen Sie uns jetzt noch einen flüchtigen Blick auf die Reihe dieser Systeme und zugleich auf die charakteristische Bevölkerung der fünf großen Zeitalter werfen.

Den ersten und längsten Hauptabschnitt der organischen Erdgeschichte bildet die Primordialzeit oder das Zeitalter der Tangwälder, das auch das archolithische oder archozoische Zeitalter genannt wird. Es umfaßt den ungeheuren Zeitraum von der ersten Urzeugung, von der Entstehung des ersten irdischen Organismus, bis zum Ende der silurischen Schichtenbildung.Während dieses unermeßlichen Zeitraumes, welcher wahrscheinlich viel länger war, als alle übrigen vier Zeiträume zusammengenommen, lagerten sich die drei mächtigsten von allen neptunischen Schichtensystemen ab, nämlich zu unterst das laurentische, darüber das cambrische und daürber das silurische System. Die ungefähre Dicke oder Mächtigkeit dieser drei Systeme zusammengenommen beträgt siebzigtausend Fuß.

Davon kommen ungefährt 30,000 auf das laurentische, 18,000 auf das cambrische und 22,000 auf das silurische System. Die durchschnittliche Mächtigkeit aller vier übrigen Terrains, des primären, secondären, tertiären und quartären zusammengenommen, mag dagegen etwa höchstens 60,000 Fuß betragen, und schon hieraus, abgesehen von vielen anderen Gründen, ergiebt sich, daß die Dauer der Primordialzeit wahrscheinlich viel länger war, als die Dauer der folgenden Zeitalter bis zur Gegenwart zusammengenommen. Viele Millionen von Jahrtausenden müssen zur Ablagerung solcher Schichtenmassen erforderlich gewesen sein. Leider befindet sich der bei weitem großte Theil der primordialen Schichtengruppen in dem sogleich zu erörternden metamorphischen Zustande, und dadurch sind die in ihnen enthaltenen Versteinerungen, die ältesten und wichtigsten von allen, größtentheils verstört und unkenntlich geworden. Nur aus einem Theile der cambrischen und silurischen Schichten sind Petrefacten in größerer Menge und in kenntlichem Zustande erhalten worden. Die älteste von allen deutlich erhaltenen Versteinerungen, das später noch zu beschreibende "kanadische Morgenwesen" (Eozoon canadense) ist in den untersten laurentischen Schichten (in der Ottawaformation) gefunden worden.

Trotzdem die primordialen oder archolithischen Versteinerungen uns nur zum bei weitem kleinsten Theile in kenntlichem Zustande erhalten sind, besitzen dieselben dennoch den Werth unschätzbarer Documente für diese älteste und dunkelste Zeit der organischen Erdgeschichte. Zunächst scheint daraus hervorzugehen, daß während dieses ganzen ungeheuren Zeitraums nur Wasserbewohner existirten. Wenigstens ist bis jetzt unter allen archolithischen Petrefacten noch kein einziges gefunden worden, welches man mit Sicherheit auf einen landbewohnenden Organismus beziehen könnte.

Alle Pflanzenreste, die wir aus der Primordialzeit besitzen, gehören zu der niedrigsten von allen Pflanzengruppen, zu der im Wasser lebenden Klasse der Tange oder Algen. Diese bildeten in dem warmen Urmeere der Primordialzeit mächtige Wälder, von deren Formenreichthum und Dichtigkeit uns noch heutigen Tages ihre Epigonen, die Tangwälder des atlantischen Sargassomeeres eine ungefähre Vorstellung geben mögen. Die colossalen Tangwälder der archolithischen Zeit ersetzten damals die noch gänzlich fehlende Waldvegetation des Festlandes. Gleich den Pflanzen lebten auch alle Thiere, von denen man Reste in den archolithischen Schichten gefunden hat, im Wasser.Von den Gliederfüßern finden sich nur Krebsthiere, noch keine Spinnen und Insecten.

Von den Wirbelthieren sind nur sehr wenige Fischreste bekannt, welche sich in den jüngsten von allen primordialen Schichten, in der obersten Silurformation vorfinden. Dagegen müssen die kopflosen Wirbelthiere, welche wir Rohrherzen oder Leptocardier nennen, und aus denen sich die Fische erst entwickeln konnten, massenhaft während der Primordialzeit gelebt haben. Daher können wir sie sowohl nach den Rohrherzen als nach den Tangen benennen. Die Primärzeit oder das Zeitalter der Farnwälder, der zweite Hauptabschnitt der organischen Erdgeschichte, welchen man auch das paläolitische oder paläozoische Zeitalter nennt, dauerte vom Ende der silurischen Schichtenbildung bis zum Ende der permischen Schichtenbildung. Auch dieser Zeitraum war von sehr langer Dauer und zerfällt wiederum in drei Perioden, während deren sich drei mächtige Schichtensysteme ablagerten, nämlich zu unterst das devonische System oder der alte rothe Sandstein, darüber das carbonische oder Steinkohlensystem, und darüber das permische System oder der neue rothe Sandstein und der Zechstein. Die durchschnittliche Dicke dieser drei Systeme zusammengenommen mag etwa 42,000 Fuß betragen, woraus sich schon die ungeheure Länge der für ihre Bildung erforderlichen Zeiträume ergiebt.

Die devonischen und permischen Formationen sind vorzüglich reich an Fischresten, sowohl an Urfischen, als an Schmelzfischen. Aber noch fehlen in der primären Zeit gänzlich die Knochenfische. In der Steinkohle finden sich die ältesten Reste von landbewohnenden Thieren, und zwar sowohl von Gliederfüßern (Spinnen und Insecten) als Wirbelthieren (Amphibien). Im permischen System kommen zu den Amphibien noch die höher entwickelten Schleicher oder Reptilien, und zwar unseren Eidechsen nahverwandte Formen (Proterosaurus etc.). Trotzdem können wir das primäre Zeitalter das der Fische nennen, weil diese wenigen Amphibien und Reptilien ganz gegen die ungeheure Menge der paläolithischen Fische zurücktreten. Ebenso wie die Fische unter den Wirbelthieren, so herrschen unter den Pflanzen während dieses Zeitraums die Farnpflanzen oder Filicinen vor, und zwar sowohl echte Farnkräuter und Farnbäume (Geopteriden), als Schaftfarne (Calamophyten) und Schuppenfarne (Lepidophyten). Diese landbewohnenden Farne oder Filicinen bildeten die Hauptmasse der dichten paläolithischen Inselwälder, deren fossile Reste uns in den ungeheuer mächtigen Steinkohlenlagern des carbonischen Systems, und in den schwächeren Kohlenlagern des devonischen und permischen Systems erhalten sind. Sie berechtigen uns, die Primärzeit eben sowohl das Zeitalter der Farne, als das der Fische zu nennen.

Der dritte große Hauptabschnitt der paläontologischen Entwickelungsgeschichte wird durch die Secundärzeit oder das Zeitalter der Nadelwälder gebildet, welches auch das mesolithische oder mesozoische Zeitalter genannt wird. Es reicht vom Ende der permischen Schichtenbildung bis zum Ende der Kreideschichtenbildung, und zerfällt abermals in drei große Perioden. Die währenddessen abgelagerten Schichtensysteme sind zu unterst das Triassystem, in der Mitte das Jurasystem, und zu oberst das Kreidesystem. Die durchschnittliche Dicke dieser drei Systeme zusammengenommen bleibt schon weit hinter derjenigen der primären Systeme zurück und beträgt im Ganzen nur ungefährt 15,000 Fuß. Die Secundärzeit wird demnach wahrscheinlich nicht halb so lang als die Primärzeit gewesen sein. Wie in der Primärzeit die Fische, so herrschen in der Secundarzeit die Schleicher oder Reptilien über alle übrigen Wirbelthiere vor. Zwar entstanden während dieses Zeitraums die ersten Vögel und Säugethiere; auch lebten damals wichtige Amphibien, und zu den zahlreich vorhandenen Urfischen und Schmelzfischen der älteren Zeit gesellten sich die ersten Knochenfische. Allein die ganz charakteristische und überwiegende Wirbelthierklasse der Secundärzeit bildeten die höchst mannichfaltig entwickelten Reptilien. Neben solchen Schleichern, welche den heute noch lebenden Eidechsen, Krokodilen und Schildkröten sehr nahe standen, wimmelte es in der mesolitischen Zeit überall von abenteuerlich gestalteten Drachen, welche Meer, Land und Luft belebten.

Insbesondere sind die merkwürdigen fliegenden Eidechsen oder Pterosaurier, die schwimmenden Seedrachen oder Halisaurier und die colossalen Landdrachen oder Dinosaurier der Secundärzeit ganz eigenthümlich, da sie weder vorher noch nachher lebten. Wie man demgemäß die Secundärzeit auch das Zeitalter der Schleicher oder Reptilien nennen könnte, so könnte sie andrerseites auch das Zeitalter der Nadelwälder, oder genauer der Gymnospermen oder Nacktsamenpflanzen heißen. Denn diese Pflanzengruppe, vorzugsweise durch die beiden wichtigen Klassen der Nadelhölzer oder Coniferen und der Palmfarne oder Cycadeen vertreten, setzte während der Secundärzeit ganz überwiegend den Bestand der Wälder zusammen. Die farnartigen Pflanzen trqten dagegen zurück und die Laubhölzer entwickelten sich erst gegen Ende des Zeitalters, in der Kreidezeit. Viel kürzer und weniger eigenthümlich als diese drei ersten Zeitalter war der vierte Hauptabschnitt der organischen Erdgeschichte, die Tertiärzeit oder das Zeitalter der Laubwälder. Dieser Zeitraum, welche auch cenolithisches oder cenozoisches Zeitalter heißt, erstreckte sich vom Ende der Kreideschichtenbildung bis zum Ende der pliocenen Schichtenbildung. Die während dessen abgelagerten Schichten erreichen nur ungefähr eine mittlere Mächtigkeit von 3000 Fuß und bleiben demnach weit hinter den drei ersten Terrains zurück. Auch sind die drei Systeme, welche man in dem tertiären Terrain unterschiedet, nur schwer von einander zu trennen. Das älteste derselben heißt eocenes oder alttertiäres, das mittlere miocenes oder mitteltertiäres und das jüngste pliocenes oder neutertiäres System.

Die gesammte Bevölkerung der Tertiärzeit nähert sich im Ganzen und im Einzelnen schon viel mehr derjenigen der Gegenwart, als es in den vorhergehenden Zeitaltern der Fall war. Unter den Wirbelthieren überwiegt von nun an die Klasse der Säugethiere bei weitem alle übrigen. Ebenso herrscht in der Pflanzenwelt die formenreiche Gruppe der Decksamenpflanzen oder Angiospermen vor, deren Laubhölzer die charakteristischen Laubwälder der Tertiärzeit bildeten. Die Abtheilung der Angiospermen besteht aus den beiden Klassen der Einkeimblättrigen oder Monocotyledonen und der Zweikeimblättrigen oder Dicotyledonen. Zwar hatten sich Angiospermen aus beiden Klassen schon in der Kreidezeit gezeigt, und Säugethiere treten schon in der Jurazeit oder selbst in dem jüngsten Abschnitt der Triaszeit auf. Allein beide Gruppen, Säugethiere und Decksamenpflanzen, erreichen ihre eigentliche Entwickelung und Oberherrschaft erst in der Tertiärzeit, so daß man diese mit vollem Rechte danach benennen kann.

Den fünften und letzten Hauptabschnitt der organischen Erdgeschichte bildet die Quartärzeit oder Culturzeit, derjenige, gegen die Länge der vier übrigen Zeitalter verschwindend kurze Zeitraum, den wir gewöhnlich in komischer Selbstüberhebung die "Weltgeschichte" zu nennen pflegen. Da die Ausbildung des Menschen und seiner Cultur, welche mächtiger als alle früheren Vorgänge auf die organische Welt umgestaltend einwirkte, dieses Zeitalter charakterisirt, so könnte man dasselbe auch die Menschenzeit, das anthropolitische oder anthropozoische Zeitalter nennen. Es könnte auch das Zeitalter der Culturwälder oder der Gärten heißen, weil selbst auf den niedrigeren Stufen der menschlichen Cultur ihr umgestaltender Einfluß sich bereits in der Benutzung der Wälder und ihrer Erzeugnisse, und somit auch in der Physiognomie der Landschaft bemerkbar macht. Geologisch können wir den Beginn dieses Zeitalters, welches bis zur Gegenwart reicht, durch das Ende der pliocenen Schichtenablagerung bezeichnen. Die neptunischen Schichten, welche während des verhältnismaßig kurzen quartären Zeitraums abgelagert wurden, sind an den verschiedenen Stellen der Erde von sehr verschiedener, meist aber von sehr geringer Dicke. Man bringt dieselben in zwei verschiedene Systeme, von denen man das ältere als diluvial oder pleistocen, das neuere als alluvial oder recent bezeichnet.

Der biologische Charakter der Quartärzeit liegt wesentlich in der Entwickelung und Ausbreitung des menschlichen Organismus und seiner Cultur. Weit mehr als jeder andere Organismus hat der Mensch umgestaltend, zerstörend und neubildend auf die Thier- und Pflanzenbevölkerung der Erde eingewirkt. Aus diesem Grunde, - nicht weil wir dem Menschen im Uebrigen eine privilegirte Ausnamestellung in der Natur einräumen - können wir mit vollem Rechte die Ausbreitung des Menschen mit seiner Cultur als Beginn eines besonderen letzten Hauptabschnitts der organischen Erdgeschichte bezeichnen. Wahrscheinlich fand allerdings die körperliche Entwickelung des Urmenschen aus menschenähnlichen Affen bereits in der jüngeren oder pliocenen, vielleicht sogar schon in der mittleren oder miocenen Tertiärzeit statt. Allein die eigentliche Entwickelung der menschlichen Sprache, welche wir als den wichtigsten Hebel für die Ausbildung der eigenthümlichen Vorzüge des Menschen und seiner Herrschaft über die übrigen Organismen betrachten, fällt wahrscheinlich erst in jenen Zeitraum, welchen man aus geologischen Gründen als pleistocene oder diluviale Zeit von der vorhergehenden Pliocenperiode trennt. Jedenfalls ist derjenige Zeitraum, welcher seit der Entwickelung der menschlichen Sprache bis zur Gegenwart verfloß, mag derselbe auch viele Jahrtausende und vielleicht Hunderttausende von Jahren in Anspruch genommen haben, verschwindend gering gegen die unermeßliche Länge der Zeiträume, welche vom Beginn des organischen Lebens auf der Erde bis zur Entstehung des Menschengeschlechts verflossen.

Man hat viele Versuche gemacht, die Zahl der Jahrtausende, welche diese Zeiträume zusammensetzen, annähernd zu berechnen. Man verglich die Dicke der Schlammschichten, welche erfahrungsgemäß während eines Jahrhunderts sich absetzen, und welche nur wenige Linien oder Zolle beträgt, mit der gesammten Dicke der geschichteten Gesteinsmassen, deren ideales System wir soeben überblickt haben. Diese Dicke mag im Ganzen durchschnittlich 130,000 Fuß betragen, und hiervon kommen 70,000 auf das primäre oder paläolithische 15,000 auf das secundäre oder mesolithische und endlich nur 3000 auf das tertiäre oder cenolithische Terrain. Die sehr geringe und nicht annähernd bestimmbare Dicke des quartären oder anthropolithischen Terrains kommt dabei gar nicht in Betracht.

Die Dicke der Schlammschichten, welche während eines Jahrhunderts sich in der Gegenwart ablagern, und welche man als Basis jenes einfachen Rechenexempels benutzt, ist an den verschiedenen Stellen der Erde unter den ganz verschiedenen Bedingungen, unter denen überall die Ablagerung stattfindet, natürlich ganz verschieden. Sie ist sehr gering auf dem Boden des hohen Meeres, in den Betten breiter Flüsse mit kurzem Laufe, und in Sandseen, welche sehr dürftige Zuflüsse erhalten. Sie ist verhältnismäßig bedeutend an Meeresküsten mit starker Brandung, am Ausfluß großer Ströme mit langem Lauf und in Landseen mit starken Zuflüssen. An der Mündung des Missisippi, welcher sehr bedeutende Schlammassen mit sich fortführt, würden in 100,000 Jahren nur etwa 600 Fuß abgelagert werden. Auf dem Grunde des offenen Meeres, weit von den Küsten entfernt, werden sich während dieses Zeitraums nur wenige Fuß Schlamm absetzen. Selbst an den Küsten, wo verhältnismäßig viel Schlamm abgelagert wird, mag die Dicke der dadurch während eines Jahrhunderts gebildeten Schichten, wenn sie nachher sich zu festem Gesteine verdichtet haben, doch nur wenige Zolle oder Linien betragen.

Jedenfalls aber bleiben alle auf dieses Verhältniß gegründeten Berechnungen ganz unsicher, und wir können uns auch nicht einmal annähernd die ungeheure Länge der Zeiträume vorstellen, welche zur Bildung jener neptunischen Schichtensysteme erforderlich waren. Nur relative, nicht absolute Zeitmaße sind hier anwendbar. Man würde übrigens auch vollkommen fehlgehen, wenn man die Mächtigkeit jener Schichtensysteme allein als Maßstab für die inzwischen wirklich verflossene Zeit der Erdgeschichte betrachten wollte. Denn Hebungen und Senkungen der Erdrinde haben beständig mit einander gewechselt, und aller Wahrscheinlichkeit nach entspricht der mineralogische und paläontologische Unterschied, den man zwischen je zwei auf einanderfolgenden Schichtensystemen und zwischen je zwei Formationen derselben wahrnimmt, einem beträchtlichen Zeitraum von vielen Jahrtausenden, während dessen die betreffende Stelle der Erdrinde über das Wasser gehoben war. Erst nach Ablauf dieser Zwischenzeit, als eine neue Senkung diese Stelle wieder unter Wasser brachte, fand die Ablagerung einer neuen Bodenschicht statt. Da aber inzwischen die anorganischen und organischen Verhältnisse an diesem Orte eine beträchtliche Umbildung erfahren haben, mußte die neugebildete Schlammschicht aus verschiedenen Bodenbestandtheilen zusammengesetzt sein und verschiedene Versteinerungen einschließen.

Die auffallenden Unterschiede, die zwischen den Versteinerungen zweier übereinander liegenden Schichten so häufig stattfinden, sind einfach und leicht nur durch die Annahme zu erklären, daß derselbe Punkt der Erdoberfläche wiederholten Senkungen und Hebungen ausgesetzt wurde. Noch gegenwärtig finden solche wechselnde Hebungen und Senkungen, welche wir der Reaction des feuerflüssigen Erdkerns gegen die erstarrte Rinde zuschreiben, in weiter Ausdehnung statt. So steigt z. B. die Küste von Schweden und ein Theil von der Westküste Südamerikas beständig langsam empor, während die Küste von Holland und einer Theil der Ostküste Südamerikas langsam untersinkt. Das Steigen wie das Sinken geschieht nur sehr langsam und beträgt im Jahrhundert bald nur einige Linien, bald einige Zoll oder höchstens einige Fuß. Wenn aber diese Bewegung hunderte von Jahrtausenden hindurch ununterbrochen andauert, wird sie fähig, die höchsten Gebirde zu bilden.

Offenbar haben ähnliche Hebungen und Senkungen, wie sie an jenen Stellen noch heute zu finden sind, während des ganzen Verlaufs der organischen Erdgeschichte ununterbrochen an verschiedenen Stellen mit einander gewechselt. Nun ist es aber für die Beurtheilung unserer paläontologischen Schöpfungsurkunde außerordentlich wichtig, sich klar zu machen, daß bleibende Schichten sich bloß während langsamer Senkungen des Bodens unter Wasser ablagern können, nicht aber während andauernder Hebung. Wenn der Boden langsam mehr und mehr unter den Meeresspiegel versinkt, so gelangen die abgelagerten Schlammschichten in immer tieferes und ruhigeres Wasser, wo sie sich ungestört zu Gestein verdichten können. Wenn sich dagegen umgekehrt der Boden langsam hebt, so kommen die soeben abgelagerten Schlammschichten, welche Reste von Pflanzen und Thieren umschließen, sogleich wieder in den Bereich des Wogenspiels, und werden durch die Kraft der Brandung alsbald nebst den eingeschlossenen organischen Resten zerstört. Aus diesem einfachen, aber sehr gewichtigen Grunde können also nur während einer andauernden Senkung des Bodens sich reichlichere Schichten ablagern, in denen die organischen Reste erhalten bleiben. Wenn je zwei verschiedene übereinander liegende Formationen oder Schichten mithin zwei verschiedenen Senkungsperioden entsprechen, so müssen wir zwischen diesen letzteren einen langen Zeitraum der Hebung annehmen, von dem wir gar Nichts wissen, weil uns keine fossilen Reste von den damals lebenden Thieren und Pflanzen aufgewahrt werden konnten. Offenbar verdienen aber diese spurlos dahingegangenen größeren und kleineren Hebungszeiträume nicht geringere Berücksichtigung als die damit abwechselnden größeren und kleineren Senkungszeiträume, von deren organischer Bevölkerung uns die versteinerungsführenden Schichten eine ungefähre Vorstellung geben.

Wahrscheinlich waren die ersteren von nicht geringerer Dauer als die letzteren. Man kann diese sehr wichtigen versteinerungslosen Hebungszeiträume ganz passend ihrem relativen Alter nach dadurch bezeichnen, daß man vor den Namen des darauf folgenden versteinerungsbildenden Senkungszeitraums das Wörtchen "Ante" (Vor) setzt. So z. B. würde die lange Hebungsperiode, welche zwischen Ablagerung der jüngsten silurichen und der ältesten devonischen Schichten verfloß, als Antedevonperiode zu bezeichnen sein, die lange Hebungszeit, welche zwischen Bildung der jüngsten Trias- und der ältesten Juraschichten verfloß, als Antejuraperiode u. s. w. Offenbar ist die gehörige Berücksichtigung dieser Zwischenzeiten oder "Anteperioden", von denen wir keine Versteierungen besitzen, von der größten Wichtigkeit, wenn man die historische Bedeutung der Versteinerungsurkunden mit der richtigen Kritik beurtheilen will. Schon hieraus wird sich Ihnen ergeben, wie unvollständig unsere Urkunde nothwendig sein muß, um so mehr, da sich theoretisch erweisen läßt, daß gerade während der Hebungszeiträume das Thier- und Pflanzenleben an Mannichfaltigkeit zunehmen mußte. Denn indem neue Strecken Landes über das Wasser gehoben werden, bilden sich neue Inseln. Jede neue Insel ist aber ein neuer Schöpfungsmittelpunkt, weil die zufällig dorthin verschlagenen Thiere und Pflanzen auf dem neuen Boden im Kampf um's Dasein reiche Gelegenheit finden, sich eigenthümlich zu entwickeln, und neue Arten zu bilden. Gerade die Bildung neuer Arten hat offenbar während dieser Zwischenzeiten, aus denen uns leider keine Versteinerungen erhalten bleiben konnten, vorzugsweise stattgefunden, während umgekehrt bei der langsamen Senkung des Bodens eher Gelegenheit zum Aussterben zahlreicher Arten, und zu einem Rückschritt in der Artenbildung gegeben war. Auch die Zwischenformen zwischen den alten und den neu sich bildenden Species werden vorzugsweise während jeder Hebungszeiträume gelebt haben, und konnten daher ebenfalls keine fossilen Reste hinterlassen.

Die Anzahl der Schöpfungsperioden und ihrer untergeordneten Zeitabschnitte, welche die Geologie bisher unterschied, wird durch die gehörige Berücksichtigung der Anteperioden verdoppelt. Während man gewöhnlich in der organischen Erdgeschichte nur die Senkungszeiträume berücksichtigte, und diese nach den darin gebildeten Schichtensystemen benannte, müssen wir nun zwischen je zwei Senkungsperioden eine Hebungsperiode oder Anteperiode einschalten. So erhalten wir die nachstehende Reihe von Geschichtsperioden, welche die Gesammtheit des organischen Lebens auf der Erde umfassen (S. 306). Das gegenüberstehende System der versteinerungsführenden Erdschichten nennt Ihnen außer den vorher angeführten Schichtensystemen auch die untergeordneten Schichtengruppen oder Formationen, in welche man die ersteren einzutheilen pflegt. Uebersicht der paläontologischen Perioden oder der größeren Zeitabschnitte der organischen Erdgeschichte.

{Tabelle 306+307}

Zu den sehr bedeutenden und empfindlichen Lücken der paläontologischen Schöpfungsurkunde, welche durch die Anteperioden bedingt werden, kommen noch viele andere Umstände hinzu, welche den hohen Werth derselben außerordentlich verringern. Dahin gehört vor Allem der metamorphische Zustand der ältesten Schichtengruppen, grade derjenigen, welche die Reste der ältesten Flora und Fauna, der Stammformen aller folgenden Organismen enthalten, und dadurch von ganz besonderem Interesse sein würden. Grade diese Gesteine, und zwar der größere Theil der primordialen oder archolithischen Schichten, fast das ganze laurentische und ein großer Theil des cambrischen Systems enthalten gar keine kenntlichen Reste mehr, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese Schichten durch den Einfluß des feuerflüssigen Erdinnern nachträglich wieder verändert oder metamorphosirt worden sind. Durch die Hitze des glühenden Erdkerns sind diese tiefsten neptunischen Rindenschichten in ihrer ursprünglichen Schichtenstructur gänzlich verändert und in einen krytallinischen Zustand überführt worden. Dabei ging aber die Form der darin eingeschlossenen organischen Reste ganz verloren. Nur hie und da wurde sie durch einen glücklichen Zufall erhalten, wie es bei dem ältesten bekannten Petrefacten, bei dem Eozoon canadense aus den untersten laurentischen Schichten der Fall ist. Jedoch können wir aus den Lagern von krystallinischen Kohle (Graphit) und krystallinischem Kalk (Marmor), welche sich in den metamorphischen Primordialgesteinen eingelagert finden, mit Sicherheit auf die frühere Anwesenheit von versteinerten Pflanzen- und Thierresten in denselben schließen. Außerordentlich unvollständig wird unsere Schöpfungsurkunde durch den Umstand, daß erst ein sehr kleiner Theil der Erdoberfläche genauer geologisch untersucht ist, vorzugsweise England, Deutschland und Frankreich. Dagegen wissen wir nur sehr Wenig von den übrigen Theilen Europas, von Rußland, Spanien, Italien, der Türkei. Hier sind uns nur einzelne Stellen der Erdrinde aufgeschlossen; der bei weitem größte Theil derselben ist uns unbekannt. Dasselbe gilt von Nordamerika und von Ostindien. Hier sind wenigstens einzelne Strecken untersucht. Dagegen vom größten Theile Asiens, des umfangrechsten aller Welttheile, wissen wir fast Nichts, - von Afrika fast Nichts, ausgenommen das Kap der guten Hoffnung und die Mittelmeerküste, - von Neuholland fast Nichts, von Südamerika nur sehr wenig. Sie sehen also, daß erst ein ganz kleines Stück, wohl kaum der zehntausendste Theil von der gesammten Erdoberfläche paläontologisch erforscht ist. Wir können daher wohl hoffen, bei weiterer Ausbreitung der geologischen Untersuchungen, denen namentlich die Anlage von Eisenbahnen und Bergwerken sehr zu Hilfe kommen wird, noch einen Theil wichtiger Versteinerungen aufzufinden.

Ein Fingerzeig dafür ist uns durch die merkwürdigen Versteinerungen gegeben, die man an den wenigen, genauer untersuchten Punkten von Afrika und Asien, in den Kapgegenden und am Himalaya aufgefunden hat. Eine Reihe von ganz neuen und sehr eigenthümlichen Thierformen ist uns dadurch bekannt geworden. Freilich müssen wir andrerseits erwägen, daß der ausgedehnte Boden der jetzigen Meere vorläufig für die paläontologischen Forschungen ganz unzugänglich ist, und daß wir den größten Theil der hier seit uralten Zeiten begrabenen Versteinerungen entweder niemals oder im besten Fall erst nach Verlauf vieler Jahrtausende werden kennen lernen, wenn durch allmähliche Hebungen der gegenwärtige Meeresboden mehr zu Tage getreten sein wird. Wenn Sie bedenken, daß die ganze Erdoberfläche zu ungefähr drei Fünftheilen aus Wasser und nur zu zwei Fünftheilen aus Festland besteht, so können Sie ermessen, daß auch in dieser Beziehung die paläontologische Urkunde eine ungeheure Lücke enthält.

Nun kommen aber noch eine Reihe von Schwierigketien für die Paläontologie hinzu, welche in der Natur der Organismen selbst begründet sind. Vor allen ist hier hervorzuheben, daß in der Regel nur harte und feste Körpertheile der Organismen auf den Boden des Meeres und der süßen Gewässer gelangen und hier in Schlamm eingeschlossen und versteinert werden können. Es sind also namentlich die Knochen und Zähne der Wirbelthiere, die Kalkschalen der Weichthiere und Sternthiere, die Chitinskelte der Gliederthiere, die Kalkskelete der Corallen, ferner die holzigen, festen Theile der Pflanzen, die einer solchen Versteinerung fähig sind. Die weichen und zarten Theile dagegen, welche bei den allermeisten Organismen den bei weitem größten Theil des Körpers bilden, gelangen nur selten unter so günstigen Verhältnissen in den Schlamm, daß sie versteinern, oder daß ihre äußere Form deutlich in dem erhärtenden Schlamme sich abdrückt. Nun bedenken Sie, daß ganze große Klassen von Organismen, wie z. B. die Medusen, die nackten Mollusken, welche keine Schale haben, ein großer Theil der Gliederthiere, fast alle Würmer und selbst die niedersten Wirbelthiere gar keine festen und harten, versteinerungsfähigen Körpertheile besitzen. Ebenso sind gerade die wichtigsten Pflanzentheile, die Blüthen, meistens so weich und zart, daß sie sich nicht in kenntlicher Form converviren können. Von allen diesen wichtigen Organismen werden wir naturgemäß auch gar keine versteinerten Reste zu finden erwarten können. Ferner sind die Jugendzustände fast aller Organismen so weich und zart, daß sie gar nicht versteinerungsfähig sind. Was wir also von Versteinerungen in den neptunischen Schichtensystemen der Erdrinde vorfinden, das sind nur selten ganze Körper, vielmehr meistens einzelne Bruchstücke. Sodann ist zu berücksichtigen, daß die Meerbewohner in einem viel höheren Grade Aussicht haben, ihre todten Körper in den abgelagerten Schlammschichten versteinert zu erhalten, als die Bewohner der süßen Gewässer und des Festlandes.

Die das Land bewohnenden Organismen können in der Regel nur dann versteinert werden, wenn ihre Leichen zufällig ins Wasser fallen und auf dem Boden in erhärtenden Schlammschichten begraben werden, was von mancherlei Bedingungen abhängig ist. Daher kann es uns nicht Wunder nehmen, daß die bei weitem größte Mehrzahl von Versteinerungen Organismen angehört, die im Meere lebten, und daß von den Landbwohnern verhältnißmäßig nur sehr wenige im fossilen Zustand erhalten sind. Welche Zufälligkeiten hierbei ins Spiel kommen, mag Ihnen allein der Umstand beweisen, daß man von vielen fossilen Säugethieren, insbesondere von fast allen Säugethieren der Secundärzeit, weiter Nichts kennt, als den Unterkiefer. Dieser Knochen ist erstens verhältnißmäßig fest und löst sich zweitens sehr leicht von dem todten Kadaver, das auf dem Wasser schwimmt, ab.

Während die Leiche vom Wasser fortgetrieben und zerstört wird, fällt der Unterkiefer auf den Grund des Wassers hinab und wird hier vom Schlamm umschlossen. Daraus erklärt sich allein die merkwürdige Thatsache, daß in einer Kalkschicht des Jurasystems bei Oxford in England, in den Schiefern von Stonesfield, bis jetzt die Unterkiefer von zahlreichen Beutelthieren gefunden worden sind, den ältesten Säugethieren, welche wir kennen. Von dem ganzen übrigen Körper derselben war auch nicht ein Knochen mehr vorhanden. Ferner sind in dieser Beziehung auch die Fußspuren sehr lehrreich, welche sich in großer Menge in verschiedenen ausgedehnten Sandsteinlagern, z. B. in dem Rothen Sandstein von Connecticut in Nordamerika, finden. Diese Fußtritte rühren offenbar von Wirbelthieren, wahrscheinlich von Reptilien her, von deren Körper selbst uns nicht die geringste Spur erhalten geblieben ist. Die Abdrücke, welche ihre Füße im Schlamm hinterlassen haben, verrathen uns allein die vormalige Existenz von diesen uns sonst ganz unbekannten Thieren.

Welche Zufälligkeiten außerdem noch die Grenzen unserer paläontologischen Kenntnisse bestimmen, können Sie daraus ermessen, daß man von sehr vielen wichtigen Versteinerungen nur ein einziges oder nur ein paar Exemplare kennt. Es ist noch nicht zehn Jahre her, seit wir mit dem unvollständigen Abdruck eines Vogels aus dem Jurasystem bekannt wurden, dessen Kenntniß für die Phylogenie der ganzen Vögelklasse von der allergrößten Wichtigkeit war. Alle bisher bekannten Vögel stellten eine sehr einförmig organisirte Gruppe dar, und zeigten keine auffallenden Uebergangsbildungen zu anderen Wirbelthierklassen, auch nicht zu den nächstverwandten Reptilien. Jener fossile Vogel aus dem Jura dagegen besaß keinen gewöhnlichen Vogelschwanz, sondern einen Eidechsenschwanz, und bestätigte dadurch die aus anderen Gründen vermuthete Abstammung der Vögel von den Eidechsen. Durch dieses einzige Petrefact wurde also nicht nur unsere Kenntniß von dem Alter der Vogelklasse, sondern auch von ihrer Blutsverwandtschaft mit den Reptilien wesentlich erweitert. Ebenso sind unsere Kenntnisse von anderen Thiergruppen oft durch die zufällige Entdeckung einer einzigen Versteinerung wesentlich umgestaltet worden. Da wir aber wirklich von sehr vielen wichtigen Petrefacten nur sehr wenige Exemplare oder nur Bruckstücke kennen, so muß auch aus diesem Grunde die paläontologische Urkunde höchst unvollständig sein. Eine weitere und sehr empfindliche Lücke derselben ist durch den Umstand bedingt, daß die Zwischenformen, welche die verschiedenen Arten verbinden, in der Regel nicht erhalten sind, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dieselben nach dem Princip der Divergenz des Characters im Kampfe um's Dasein ungünstiger gestellt waren, als die am meisten divergirenden Varietäten, die sich aus einer und derselben Stammform entwickelten. Die Zwischenglieder sind im Ganzen immer rasch ausgestorben und haben sich nur selten vollständig erhalten. Die am stärksten divergirenden Formen dagegen konnten sich längere Zeit hindurch als selbstständige Arten am Leben erhalten, sich in zahlreichen Individuen ausbreiten und demnach auch leichter versteinert werden. Dadurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß nicht in vielen Fällen auch die verbindenen Zwischenformen der Arten sich so vollständig versteinert erhielten, daß sie noch gegenwärtig die systematischen Paläontologen in die größte Verlegenheit versetzen und endlose Streitigkeiten über die Grenzen der Arten hervorrufen.

Wenn Sie die hier angeführten Verhältnisse erwägen, deren Reihe sich leicht noch vermehren ließe, so werden Sie sich nicht darüber wundern, daß der natürliche Schöpfungsbericht oder die Schöpfungsurkunde lückenhaft und unvollständig ist. Aber dennoch haben die wirkliche gefundenen Versteinerungen den größten Werth. Ihre Bedeutung für die natürliche Schöpfungsgeschichte ist nicht geringer als die Bedeutung welche die berühmte Inschrift von Rosette und das Decret des Kanopus für die Völkergeschichte, für die Archäologie und Philologie besitzen. Wie es durch diese beiden uralten Inschriften möglich wurde, die Geschichte des alten Egyptens außerordentlich zu erweitern, und die ganze Hieroglyphenschrift zu entziffern, so genügen uns in vielen Fällen einzelne Knochen eines Thieres oder unvollständige Abdrücke einer niederen Thier- oder Pflanzenform, um die wichtigsten Anhaltspunkte für die Geschichte einer ganzen Gruppe und die Erkenntniß ihres Stammbaums zu gewinnen.

Von der Unvollkommenheit des geologischen Schöpfungsberichtes sagt Darwin, in Uebereinstimmung mit Lyell, dem größten aller jetzt lebenden Geologen: "Der natürliche Schöpfungsbericht, wie ihn die Paläontologie liefert, ist eine Geschichte der Erde, unvollständig erhalten und in wechselnden Dialecten geschrieben, wovon aber nur der letzte, blob auf einige Theile der Erdoberfläche sich beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Bande ist nur hie und da ein kurzes Kapitel erhalten, und von jeder Seite sind nur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr oder weniger verschieden in der ununterbrochenen Reihenfolge der einzelnen Abschnitte, mag den anscheinend plötzlich wechselnden Lebensformen entsprechen, welche in den unmittelbar auf einander liegenden Schichten unserer weit von einander getrennten Formationen begraben liegen."

Wenn Sie diese außerordentliche Unvollkommenheit der paläontologischen Urkunde sich beständig vor Augen halten, so wird es Ihnen nicht wunderbar erscheinen, daß wir noch auf so viele unsichere Hypothesen angewiesen sind, wenn wir wirklich den Stammbaum der verschiedenen organischen Gruppen entwerfen wollen. Jedoch besitzen wir glücklicher Weise außer den Versteinerungen auch noch andere Urkunden für die Stammesgeschichte der Organismen, welche in vielen Fällen von nicht geringerem und in manchen sogar von viel höherem Werthe sind als die Petrefacten. Die bei weitem wichtigste von diesen andren Schöpfungsurkunden ist ohne Zweifel die Ontogenie oder die Entwickelungsgeschichte des organischen Individuums (Embryologie und Metamorphologie). Diese wiederholt uns kurz in großen, markigen Zügen das Bild der Formenreihe, welche die Vorfahren des betreffenden Individuums von der Wurzel ihres Stammes an durchlaufen haben. Indem wir diese paläontologische Entwickelungsgeschichte der Vorfahren als Stammesgeschichte oder Phylogenie bezeichneten, konnten wir den höchst wichtigen Satz aussprechen: "Die Ontogenie ist eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung oder Recapitulation der Phylogenie. Indem jedes Thier und jedes Gewächs vom Beginn seiner individuellen Existenz an eine Reihe von ganz verschiedenen Formzuständen durchläuft, deutet es uns in schneller Folge und in allgemeinen Umrissen die lange und langsam wechselnde Reihe von Formzuständen an, welche seine Ahnen seit den ältesten Zeiten durchlaufen haben (Gen. Morph. II. 6, 110, 300).

Allerdings ist die Skizze, welche uns die Ontogenie der Organismen von ihrer Phylogenie giebt, in den meisten Fällen mehr oder weniger verwischt, und zwar um so mehr, je mehr die Anpassung im Laufe der Zeit das Uebergewicht über die Vererbung erlangt hat, und je mächtiger das Gesetz der abgekürzten Vererbung und das Gesetz der wechselbezüglichen Anpassung eingewirkt hat. Allein dadurch wird der hohe Werth nicht vermindert, welchen die wirklich treu erhaltenen Züge jener Skizze besitzen. Besonders für die Erkenntniß der frühesten

Entwickelungszustände ist die Ontogenie von ganz unschätzbarem Werthe, weil gerade von den ältesten Entwickelungszuständen der Stämme und Klassen uns gar keine versteinerten Reste erhalten worden sind und auch schon wegen der weichen und zarten Körperbeschaffenheit derselben nicht erhalten bleiben konnten. Keine Versteinerung könnte uns von der unschätzbar wichtigen Thatsache berichten, welche die Ontogenie uns erzählt, daß die ältesten gemeinsamen Vorfahren aller verschiedenen Thier- und Pflanzenarten ganz einfache Zellen, gleich den Eiern waren. Keine Versteinerung könnte uns die unendlich werthvolle durch die Ontogenie festgestellte Thatsache beweisen, daß durch einfache Vermehrung, Gemeindebildung und Arbeitstheilung jener Zellen die unendlich mannichfaltigen Körperformen der vielzelligen Organismen entstanden. So hilft uns die Ontogenie über viele und große Lücken der Paläontologie hinweg.

Zu den unschätzbaren Schöpfungsurkunden der Paläontologie und Ontogenie gesellen sich nun drittens die nicht minder wichtigen Zeugnisse für die Blutsverwandtschaft der Organismen, welche uns die vergleichende Anatomie liefert. Wenn äußerlich sehr verschiedene Organismen in ihrem inneren Bau nahezu übereinstimmen, so können Sie daraus mit Sicherheit schließen, daß diese Uebereinstimmung ihren Grund in der Anpassung hat. Betrachten Sie z. B. vergleichend die Gliedmaaßen oder Extremitäten der verschiedenen Säugethiere, den Arm des Menschen, den Flügel der Fledermaus, den zum Graben eingerichteten Vorderfuß des Maulwurfs, und die zum Springen Klettern und Laufen dienenden Vorderfüße anderer Säugethiere. Wenn Sie nun finden, daß allen diesen äußerst verschiedenen Bildungen dieselben Knochen in derselben Zahl, gegenseitigen Lagerung und Verbindung zu Grunde liegen, so werden Sie hierin den wichtigsten Beweis für ihre wirkliche Blutsverwandtschaft finden. Es ist ganz undenkbar, daß irgend eine andere Ursache als die gemeinschaftliche Vererbung von gemeinsamen Stammeltern diese wunderbare Homologie oder Gleichheit im wesentlichen inneren Bau bei so verschiedener äußerer Form verursacht habe. Und wenn Sie nun im System von den Säugethieren weiter hinuntersteigen, und finden, daß sogar bei den Vögeln die Flügel, bei den Reptilien und Amphibien die Vorderfüße, wesentlich in derselben Weise aus denselben Knochen zusammengesetzt sind, wie die Arme des Menschen und Vorderbeine der übrigen Säugethiere, so können Sie schon daraus auf die gemeinsame Abstammung aller dieser Wirbelthiere mit voller Sicherheit schließen. Der Grad der inneren Formverwandtschaft enthüllt Ihnen hier, wie überall, den Grad der Blutsverwandtschaft.


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