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Ernst Haeckel - Die Natürliche Schöpfungsgeschichte 1868Dreizehnter Vortrag. Entwickelungstheorie des Weltalls, der Erde und ihrer ersten Organismen. Urzeugung. Plastidentheorie. Meine Herren! Durch unsere bisherigen Betrachtungen haben wir vorzugsweise die Frage zu beantworten versucht, durch welche Ursachen neue Arten von Thieren und Pflanzen aus bestehenden Arten hervorgegangen sind. Wir haben diese Frage nach Darwin's Theorie dahin beantwortet, daß die natürliche Züchtung im Kampf um's Dasein, d. h. die Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungsgesetze völlig genügend ist, um die unendliche Mannichfaltigkeit der verschiedenen, scheinbar zweckmäßig nach einem Bauplane organisirten Thiere und Pflanzen mechanisch zu erzeugen. Inzwischen wird sich Ihnen schon wiederholt die Frage aufgedrängt haben: Wie entstanden aber nun die ersten Organismen, oder der eine ursprüngliche Stammorganismus, von welchem wir alle übrigen ableiten? Diese Frage hat Lamarck2) durch die Hypothese der Urzeugung oder Archigonie beantwortet. Darwin dagegen geht über dieselbe hinweg, indem er ausdrücklich hervorhebt, daß er "Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe." Am Schlusse seines Werkes spricht er sich darüber bestimmter in folgenen Worten aus: "Ich nehme an, daß wahrscheinlich alle organischen Wesen, die jemals auf dieser Erde gelebt, von irgend einer Urform abstammen, welcher das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden ist." Außerdem beruft sich Darwin zur Beruhigung derjenigen, welche in der Descendenztheorie den Untergang der "sittlichen Weltordnung" erblicken, auf einen berühnten Schriftsteller und Geistlichen, welcher ihm geschrieben hatte: "Er habe allmählich einsehen gelernt, daß es eine ebenso erhabene Vorstellung von der Gottheit sei, zu glauben, daß sie nur einige wenige der Selbstentwicklung in andere und nothwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, als daß sie immer wieder neue Schöpfungsakte nöthig gehagt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seien." Diejenigen, denen der Glaube an eine übernatürliche Schöpfung ein Gemüthsbedürfniß ist, können sich bei dieser Vorstellung beruhigen. Sie können jenen Glauben mit der Descendenztheorie vereinbaren; denn sie können in der Erschaffung eines einzigen ursprünglichen Organismus, der die Fähigkeit besaß, alle übrigen durch Vererbung und Anpassung aus sich zu entwickeln, wirklich weit mehr Erfindungskraft und Weisheit des Schöpfers bewundern, als in der unabhängigen Erschaffung der verschiedenen Arten. Wenn wir uns in dieser Weise die Entstehung der ersten irdischen Organismen, von denen alle übrigen abstammen, durch die zweckmäßige und planvolle Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers erklären wollten, so würden wir damit auf eine wissenschaftliche Erkenntniß derselben verzichten, und aus dem Gebiete der wahren Wissenschaft auf das gänzlich getrennte Gebiet der dichtenden Glaubenschaft hinübertreten. Wir würden durch diese Annahme eines übernatürlichen Schöpfungsaktes einen Sprung in das Unbegreifliche thun. Ehe wir uns zu diesem letzten Schritte entschließen und damit auf eine wissenschaftliche Erkenntniß jenes Vorgangs verzichten, sind wir jedenfalls zu dem Versuche verpflichtet, denselben durch eine mechanische Hypothese zu beleuchten. Wir müssen jedenfalls untersuchen, ob denn wirklich jener Vorgang so wunderbar ist, und ob wir uns keine haltbare Vorstellung von einer ganz natürlichen Entstehung jenes ersten Stammorganismus machen können. Auf das Wunder der Schöpfung würden wir dann gänzlich verzichten können. Es wird hierbei nothwendig sein, zunächst etwas weiter auszuholen und die natürliche Schöpfungsgeschichte der Erde und, noch weiter zurückgehend, die natürliche Schöpfungsgeschichte des ganzen Weltalls in ihren allgemeinen Grundzügen zu betrachten. Es wird Ihnen Allen wohl bekannt sein, daß aus dem Bau der Erde, wie wir ihn gegenwärtig kennen, die Vorstellung abgeleitet und bis jetzt noch nicht widerlegt ist, daß das Innere unserer Erde sich in einem feurigflüssigen Zustande befindet, und daß die aus verschiedenen Schichten zusammengesetzte feste Rinde, auf deren Oberfläche die Organismen leben, nur eine sehr dünne Kruste oder Schale um den feurigflüssigen Kern bildet. Zu dieser Anschauung sind wir durch verschiedene übereinstimmende Erfahrungen und Schlüsse gelangt. Zunächst spricht dafür die Erfahrung, daß die Temperatur der Erdrinde nach dem Inneren hin stetig zunimmt. Je tiefer wir hinabsteigen, desto höher steigt die Wärme des Erdbodens, und zwar in dem Verhältniß, daß auf jede 100 Fuß Tiefe die Temperatur ungefähr um einen Grad zunimmt. In einer Tiefe von 6 Meilen würde demnach bereits eine Hitze von 1500o herrschen, hinreichend, um die meisten festen Stoffe unserer Erdrinde in geschmolzenem feuerflüssigen Zustande zu erhalten. Diese Tiefe ist aber erst der 286ste Theil des ganzen Erddurchmessers (1717 Meilen). Wir wissen ferner, daß Quellen, die aus beträchtlicher Tiefe hervorkommen, eine sehr hohe Temperatur besitzen, und zum Theil selbst das Wasser im kochenden Zustande an die Oberfläche befördern. Sehr wichtige Zeugen sind endlich die vulkanischen Erscheinungen, das Hervorbrechen feurigflüssiger Gesteinsmassen durch einzelne berstende Punkte der Erdrinde hindurch. Alle diese Erscheinungen führen uns mit großer Sicherheit zu der wichtigen Annahme, daß die feste Erdrinde nur einen ganz geringen Bruchtheil, noch lange nicht den tausendsten Theil von dem ganzen Durchmesser der Erdkugel bildet, und daß diese sich noch heute größtentheils in geschmolzenem oder feuerflüssigem Zustande befindet. Wenn wir nun auf Grund dieser Annahme über die einstige Entwickelungsgeschichte des Erdballs nachdenken, so werden wir folgerichtig noch einen Schritt weiter geführt, nämlich zu der Annahme, daß in früherer Zeit die ganze Erde ein feurigflüssiger Körper, und daß die Bildung einer dünnen erstarrten Rinde auf der Oberfläche dieses Balls erst ein späterer Vorgang war. Erst allmählich, durch Ausstrahlung der inneren Gluthitze an den kalten Weltraum, verdichtete sich die Oberfläche des glühenden Erdballs zu einer dünnen Rinde. Daß die Temperatur der Erde früher allgemein eine viel höhere war, wird durch viele Erscheinungen bezeugt. Unter anderen spricht dafür die gleichmäßige Vertheilung der Organismen in früheren Zeiten der Erdgeschichte. Während bekanntlich jetzt den verschiedenen Erdzonen und ihren mittleren Termperaturen verschiedene Bevölkerungen von Thieren und Pflanzen entsprechen, war dies früher entschieden nicht der Fall, und wir sehen aus der Vertheilung der Versteinerungen in den älteren Zeiträumen, daß erst sehr spät, in einer verhältnißmaßig neuen Zeit der organischen Erdgeschichte (im Beginn der sogenannten cenolithischen oder Tertiärzeit), eine Sonderung der Zonen und dem entsprechend auch ihrer organischen Bevölkerung stattfand. Während der ungeheuer langen Primär und Secundärzeit lebten tropische Pflanzen, welche einen sehr hohen Temperaturgrad bedürfen, nicht allein in der heutigen heißen Zone unter dem Aequator, sondern auch in der heutigen gemäßigten und kalten Zonen. Auch viele andere Erscheinungen haben eine allmähliche Abnahme der Temperatur des Erdkörpers im Ganzen, und insbesondere eine erst spät eingetretene Abkühlung der Erdrinde von den Polen her kennen gelehrt. In seinen ausgezeichneten "Untersuchungen über die Entwickelungsgesetze der organischen Welt" hat der vortreffliche Bronn19) die zahlreichen geologischen und paläontologischen Beweise dafür zusammengestellt. Auf diese Erscheinungen einerseits und auf die mathematisch- astronomischen Erkenntnisse vom Bau des Weltgebäudes andrerseits gründet sich nun die Theorie, daß die ganze Erde vor undenklicher Zeit, lange vor der ersten Entstehung von Organismen auf derselben, ein feuerflüssiger Ball war. Diese Theorie aber steht wiederum in Uebereinstimmung mit der bewunderungswürdigen Theorie von der Entstehung des Weltgebäudes und speciell unseres Planetensystems, welche auf Grund von mathematischen und astronomischen Thatsachen 1755 unser kritischer Philosoph Kant22) aufstellte, und welche später die berühmten Mathematiker Laplace und Herschel ausführlicher begründeten. Diese Kosmogenie oder Entwickelungstheorie des Weltalls steht noch heute in fast allgemeiner Geltung; sie ist durch keine bessere ersetzt worden, und Mathematiker, Astronomen und Geologen ersten Ranges haben dieselbe durch mannichfaltige Beweise immer fester unterstützt. Wir müssen sie daher, gleich der Lamarck-Darwin'schen Theorie, so lange annehmen, bis sie durch eine bessere ersetzt wird. Die Kosmogenie Kant's behauptet, daß das ganze Weltall in unvordenklichen Zeiten ein gasförmiges Chaos bildete. Alle Materien, welche auf der Erde und anderen Weltkörpern gegenwärtig in verschiedenen Dichtigkeitszuständen, in festem, festflüssigem, tropfbarflüssigem und elastisch flüssigem oder gasförmigem Aggregatzustande sich gesondert finden, bildeten ursprünglich zusammen eine einzige gleichartige, den Weltraum gleichmäßig erfüllende Masse, welche in Folge eines außerordentlich hohen Temperaturgrades in gasförmigem oder luftförmigem, äußerst dünnem Zustande sich befand. Die Millionen von Weltkörpern, welche gegenwärtig auf die verschiedenen Sonnensysteme vertheilt sind, existirten damals noch nicht. Sie entstanden erst in Folge einer allgemeinen Drehbewegung oder Rotation, bei welcher sich eine Anzahl von festen Massengruppen mehr als die übrige gasförmige Masse verdichteten, und nun auf letztere als Anziehungsmittelpunkte wirkten. So entstand eine Scheidung des chaotischen Urnebels oder Weltgases in eine Anzahl von rotirenden Nebelbällen, welche sich mehr und mehr verdichteten. Auch unser Sonnensystem war ein solcher riesiger gasförmiger Luftball, dessen Theilchen sich sämmtlich um einen gemeinsamen Mittelpunct, den Sonnenkern, herumdrehten. Der Nebelball selbst nahm durch Rotationsbewegung, gleich allen übrigen, eine Sphäroidform oder abgeplattete Kugelgestalt an. Während die Centripetalkraft die rotirenden Theilchen immer näher an den festen Mittelpunkt des Nebelballs heranzog, und so diesen mehr und mehr verdichtete, war umgekehrt die Centrifugalkraft bestrebt, die peripherischen Theilchen immer weiter von jenem zu entfernen und sie abzuschleudern. An dem Aequatorialrande der an beiden Polen abgeplatteten Kugel war diese Centrifugalkraft am stärksten, und sobald sie bei weiter gehender Verdichtung das Uebergewicht über die Centripetalkraft erlangte, löste sich hier eine ringförmige Nebelmasse von dem rotirenden Balle ab. Diese Nebelringe zeichneten die Bahnen der zukünftigen Planeten vor. Allmählich verdichtete sich die Nebelmasse des Ringes zu einem Planeten, der sich um seine eigene Axe drehte und zugleich um den Centralkörper rotirte. In ganz gleicher Weise aber wurden von dem Aequator der Planetenmasse, sobald die Centrifugalkraft wieder das Uebergewicht über die Centripetalkraft gewann, neue Nebelringe abgeschleudert, welche in gleicher Weise um die Planeten, wie diese um die Sonne sich bewegten. Auch diese Nebelringe verdichteten sich wieder zu rotirenden Bällen. So entstanden die Monde, von denen nur einer um die Erde, aber vier um den Jupiter, sechs um den Uranus sich bewegen. Der Ring des Saturnus stellt uns noch heute einen Mond in jenem früheren Entwickelungsstadium dar. Indem bei immer weiter schreitender Abkühlung sich diese einfachen Vorgänge der Verdichtung und Abschleuderung vielfach wiederholten, entstanden die verschiedenen Sonnensysteme, die Planeten, welche sich rotirend um ihre centrale Sonne, und die Trabanten oder Monde, welche sich drehend um ihren Planeten bewegten. Der anfängliche gasförmige Zustand der rotirenden Weltkörper ging allmählich durch fortschreitenden Abkühlung und Verdichtung in den feurigflüssigen oder geschmolzenden Aggregatzustand über. Durch den Verdichtungsvorgang selbst wurden große Mengen von Wärme frei, und so gestalteten sich die rotirenden Sonnen, Planeten und Monde bald zu glühenden Feuerbällen, gleich riesigen geschmolzenen Metalltropfen, welche Licht und Wärme ausstrahlten. Durch den damit verbundenen Wärmeverlust verdichtete sich wiederum die geschmolzene Masse an der Oberfläche der feuerflüssigen Bälle und so entstand eine dünne feste Rinde, welche einen feurigflüssigen Kern umschloß. In allen diesen Beziehungen wird sich unsere mütterliche Erde nicht wesentlich verschieden von den übrigen Weltkörpern verhalten haben. Gleich allen anderen großen Hypothesen und Theorien, welche die Wissenschaft gefördert und den Gesichtskreis der menschlichen Erkenntniß erweitert haben, zeichnet sich auch Kant's Kosmogenie, welche man die kosmologische Gastheorie nennen könnte, durch große Einfachheit aus. Die einfachen Vorgänge der Verdichtung rotirender Massen und der Hüllenbildung an ihrer erstarrenden Oberfläche führen zur Bildung der geformten Weltkörper. Wir werden dadurch lebhaft an die biologische Plasmatheorie erinnert. Das Plasma oder Protoplasma der neueren Biologie, der "Urschleim" der älteren Naturphilosophie, jene festflüssige, eiweißartige Kohlenstoffverbindung, aus welcher alles Leben hervorgegangen ist, bewirkte die erste Entwickelung desselben auch wesentlich durch die beiden Vorgänge der Verdichtung und Hüllenbildung. Die gleichartige festflüssige Plasmasubstanz, welche einzig und allein den Körper der ersten Organismen bildete, und ihn bei den Moneren (S. 142) noch heute ganz allein bildet, ist vergleichbar der zähflüssigen Planetensubstanz, welche alle verschiedenen Elemente oder Grundstoffe der jugendlichen Erde, wie der übrigen glühenden Weltkörper noch ungesondert enthielt. Durch Verdichtung entstanden an bestimmten Stellen in dem Urmeere, welches die dazu erforderlichen Stoffe gelöst enthielt, die ersten Moneren. Späterhin bildeten sich durch centrale Verdichtung in dem homogenen Plasmakörper dieser Urorganismen die ersten Kerne (Nuclei), und durch diesen Gegensatz von Plasma und Kern entstanden die ersten wirklichen Zellen. Aber diese Zellen waren noch nackte und hüllenlose, kernhaltige Plasmaklumpen. Indem sich die Oberfläche dieser festflüssigen Eiweißklumpen wiederum verdichtete, entstand eine umschließende Membran, und somit durch Hüllenbildung die feste äußere Rinde, welche in dem Leben vieler Zellen eine hervorragende Rolle spielt. Der Makrokosmos der Planeten und der Mikrokosmos der Zellen nahm in gleicher Weise den Ausgangspunkt seiner individuellen Entwickelung von den beiden wichtigen Vorgängen der Verdichtung und der Hüllenbildung. In beiden Fällen geschah die "Schöpfung" der Form nicht durch den launenhaften Einfall eines persönlichen Schöpfers, sondern durch die ureigene Kraft der sich selbst gestaltenden Materie. Anziehung und Abstoßung, Centripetalkraft und Centrifugalkraft, Verdichtung und Verdünnung der materiellen Theilchen sind die einzigen Schöpferkräfte, welche hier die einfachen Fundamente des verwickelten Schöpfungsbaues legten. Für den Zweck dieser Vorträge hat es weiter kein besonderes Interesse, die "natürliche Schöpfungsgeschichte des Weltalls" mit seinen verschiedenen Sonnensystemen und Plantensystemen im Einzelnen zu verfolgen und durch alle verschiedenen astronomischen und geologischen Beweismittel mathematisch zu begründen. Ich begnüge mich daher mit den eben angeführten Grundzügen derselben und verweise Sie bezüglich des Näheren auf Kant's "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels."22) Nur die Bemerkung will ich noch ausdrücklich hinzufügen, daß diese höchst bewunderungswürdige Theorie mit allen uns bis jetzt bekannten allgemeinen Erscheinungsreihen im besten Einklang, und mit keiner einzigen derselben in unvereinbaren Widerspruch steht. Ferner ist dieselbe rein mechanisch oder monistisch, nimmt ausschließlich die ureigenen Kräfte der ewigen Materie für sich in Anspruch, und schließt jeden übernatürlichen Vorgang, jede zweckmäßige und bewußte Thätigkeit eines persönlichen Schöpfers vollständig aus. Kant's kosmologische Gastheorie nimmt daher in der Anorganologie, und insbesondere in der Geologie eine ähnliche herrschende Stellung ein, und krönt in ähnlicher Weise unsere Gesammterkenntniß, wie Lamarck's biologische Descendenztheorie in der ganzen Biologie, und namentlich in der Anthropologie. Beide stützen sich ausschließlich auf mechanische oder bewußtlose Ursachen (Causae efficientes), nirgends auf zweckthätige oder bewußte Ursachen (Causae finales). (Vergl. oben S. 80-83). Beide erfüllen somit alle Anforderungen einer wissenschaftlichen Theorie und werden daher in allgemeiner Geltung bleiben, bis sie durch eine bessere ersetzt werden. Neuerdings sind mehrfache Versuche gemacht worden, Kant's Kosmogenie durch eine andere zu verdrängen; indessen sind diese Versuche bis jetzt so unbefriedigend und mangelhaft, daß sie nicht beanspruchen können, an deren Stelle zu treten. Nach diesem allgemeinen Blick auf die monistische Kosmogenie oder die natürliche Entwickelungsgeschichte des Weltalls lassen Sie uns zu einem winzigen Bruchtheil desselben zurückkehren, zu unserer mütterlichen Erde, welche wir im Zustande einer feurigflüssigen, an beiden Polen abgeplatteten Kugel verlassen haben, deren Oberfläche sich durch Abkühlung zu einer ganz dünnen festen Rinde verdichtet hatte. Die erste Erstarrungskruste wird die ganze Oberfläche des Erdsphäroids als eine zusammenhängende, glatte, dünne Schale gleichmäßig überzogen haben. Bald aber wurde dieselbe uneben und höckerig. Indem nämlich bei fortschreitender Abkühlung der feuerflüssige Kern sich mehr und mehr verdichtete und zusammenzog, und so der ganze Erddurchmesser sich verkleinerte, mußte die dünne starre Rinde, welche der weicheren Kernmasse nicht nachfolgen konnte, über derselben vielfach zusammenbrechen. Es würde zwischen beiden ein leerer Raum entstanden sein, wenn nicht der äußere Atmosphärendruck die zerbrechliche Rinde nach innen hinein gedrückt hätte. Andere Unebenheiten entstanden wahrscheinlich dadurch, daß an verschiedenen Stellen die soeben erstarrte und abgekühlte Rinde selbst sich zusammenzog und Sprünge oder Risse bekam. Der feurigflüssige Kern quoll von Neuem durch diese Sprünge hervor und erstarrte abermals. So entstanden schon frühzeitig mancherlei Erhöhungen und Vertiefungen, welche die ersten Grundlagen der Berge und Thäler wurden. Nachdem die Temperatur des abgekühlten Erdballs bis auf einen gewissen Grad gesunken war, erfolgte ein sehr wichtiger und neuer Vorgang, nämlich die erste Entstehung des Wassers. Das Wasser war bisher nur in Dampfform in der dem Erdball umgebenden Atmosphäre vorhanden gewesen. Offenbar konnte das Wasser sich erst zu tropfbarflüssigem Zustande verdichten, nachdem die Temperatur der Athmosphäre bedeutend gesunken war. Nun begann die weitere Umbildung der Erdrinde durch die Kraft des Wassers. Indem dasselbe beständig in Form von Regen niederfiel, hierbei die Erhöhungen der Erdrinde abspülte, die Vertiefungen durch den abgespülten Schlamm ausfüllte, und diesen schichtenweise ablagerte, bewirkte es die außerordentlich wichtigen neptunischen Umbildungen der Erdrinde, welche seitdem ununterbrochen fortdauerten, und auf welche wir im nächsten Vortrage noch einen näheren Blick werfen werden (Vergl. oben S. 48). Erst nachden die Erdrinde so weit abgekühlt war, daß das Wasser sich zu tropfbarer Form verdichtet hatte, erst als die bis dahin trockene Erdkruste zum ersten Male von flüssigem Wasser bedeckt wurde, konnte die Entstehung der ersten Organismen erfolgen. Denn alle Thiere und alle Pflanzen, alle Organismen überhaupt bestehen zum großen Theile oder zum größten Theile aus tropfbarflüssigem Wasser, welches mit anderen Materien in eigenthümlicher Weise sich verbindet, und diese in den festflüssigen Aggregatzustand versetzt. Wir können also aus diesen allgemeinen Grundzügen der anorganischen Erdgeschichte zunächst die wichtige Thatsache folgern, daß zu irgend einer bestimmten Zeit das Leben auf der Erde seinen Anfang hatte, daß die irdischen Organismen nicht von jeher existirten, sondern in irgend einem bestimmten Zeitpunkte zum ersten Mal entstanden. Wie haben wir uns nun diese Entstehung der ersten Organismen zu denken? Hier ist derjenige Punkt, an welchem die meisten Naturforscher noch heutzutage geneigt sind, den Versuch einer natürlichen Erklärung aufzugeben, und zu dem Wunder einer natürlichen Schöpfung zu flüchten. Mit diesem Schritt treten sie, wie schon vorher bemerkt wurde, außerhalb des Gebiets der naturwissenschaftlichen Erkenntniß und verzichten auf jede wahre Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der Naturgeschichte. Ehe wir muthlos diesen letzten Schritt thun, ehe wir an der Möglichket jeder Erkenntniß dieses wichtigen Vorgangs verzweifeln, wollen wir wenigstens einen Versuch machen, denselben zu begreifen. Lassen Sie uns sehen, ob denn wirklich die Entstehung eines ersten Organismus aus anorganischem Stoffe, die Entstehung eines lebendigen Körpers aus lebloser Materie etwas ganz Undenkbares, außerhalb aller bekannten Erfahrung Stehendes sei. Lassen Sie uns mit einem Worte die Frage nach der Urzeugung oder Archigonie untersuchen. Vor Allem ist hierbei erforderlich, sich die hauptsächlichsten Eigenschaften der beiden Hauptgruppen von Naturkörpern, der sogenannten leblosen oder anorganischen und der belebten oder organischen Körper klar zu machen, und das Gemeinsame einerseits, das Unterscheidende beider Gruppen andrerseits festzustellen. Auf diese Vergleichung der Organismen und Anorgane müssen wir hier um so mehr eingehen, als sie gewöhnlich sehr vernächlässig wird, und als sie doch zu einem richtigen, einheitlichen oder monistischen Verständniß der Gesammtnatur nothwendig ist. Am zweckmäßigsten wird es hierbei sein, die drei Grundeigenschaften jedes Naturkörpers, Stoff, Form und Kraft, gesondert zu betrachten. Beginnen wir zunächst mit dem Stoff. (Gen. Morph. II, 111.) Durch die Chemie sind wir dahin gelangt, sämmtliche uns bekannte Körper zu zerlegen in eine geringe Anzahl von Elementen oder Grundstoffe, nicht weiter zerlegbaren Körpern, z. B. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, ferner die verschiedenen Metalle Kalium, Natrium, Eisen, Gold u. s. w. Man zählt jetzt gegen siebzig solcher Elemente oder Grundstoffe. Die Mehrzahl derselben ist ziemlich unwichtig und selten; nur die Minderzahl ist allgemeiner verbreitet und setzt nicht allein die meisten Anorgane, sondern auch sämmtliche Organismen zusammen. Vergleichen wir nun diejenigen Elemente, welche den Körper der Organismen aufbauen, mit denjenigen, welche in den Anorganen sich finden, so haben wir zunächst die höchst wichtige Thatsache hervorzuheben, daß im Thier- und Pflanzenkörper kein Grundstoff vorkommt, der nicht auch außerhalb desselben in der leblosen Natur zu finden wäre. Es giebt keine besonderen organischen Elemente oder Grundstoffe. Die chemischen und physikalischen Unterschiede, welche zwischen den Organismen und den Anorganen existiren, haben also ihren materiellen Grund nicht in einer verschiedenen Natur der sie zusammensetzenden Grundstoffe, sondern in der verschiedenen Art und Weise, in welcher die letzteren zu chemischen Verbindungen zusammengesetzt sind. Diese verschiedene Verbindungsweise bedingt zunächst gewisse physikalische Eigenthümlichkeiten, insbesondere in der Dichtigkeit der Materie, welche auf den ersten Blick eine tiefe Kluft zwischen beiden Körpergruppen zu begründen scheinen. Die geformten anorganischen oder leblosen Naturkörper, die Krystalle und die amorphen Gesteine, befinden sich in einem Dichtigkeitszustande, den wir den festen nennen, und den wir entgegensetzen dem tropfbarflüssigen Dichtigkeitszustande des Wassers und dem gasförmigen Dichtigkeitszustande der Luft. Es ist Ihnen bekannt, daß diese drei verschiedenen Dichtigkeitsgrade oder Aggregatzustände der Anorgane durchaus nicht den verschiedenen Elementen eigenthümlich, sondern die Folgen eines bestimmten Temperaturgrades sind. Jeder anorganische feste Körper kann durch Erhöhung der Temperatur zunächst in den tropfbarflüssigen oder geschmolzenen, und durch weitere Erhitzung in den gasförmigen oder elastischflüssigen Zustand versetzt werden. Ebenso kann jeder gasförmige Körper durch gehörige Erniedrigung der Temperatur zunächst in den tropfbarflüssigen und weiterhin in den festen Dichtigkeitszustand gebracht werden. Im Gegensatze zu diesen drei Dichtigkeitszuständen der Anorgane befindet sich der lebendige Körper aller Organismen, Thiere sowohl als Pflanzen, in einem ganz eigenthümlichen, vierten Aggregatzustande. Dieser ist weder fest, wie Gestein, noch tropfbarflüssig, wie Wasser, vielmehr hält er zwischen diesen beiden Zuständen die Mitte, und kann daher als der festflüssige oder gequollene Aggregatzustand bezeichnet werden. In allen lebenden Körpern ohne Ausnahme ist eine gewisse Menge Wasser mit fester Materie in ganz eigenthümlicher Art und Weise verbunden, und eben durch diese charakteristische Verbindung des Wassers mit der organischen Materie entsteht jener weiche, weder feste noch flüssige, Aggregatzustand, welcher für die mechanische Erklärung der Lebenserscheinungen von der größten Bedeutung ist. Die Ursache desselben liegt wesentlich in den physikalischen und chemischen Eigenschaften eines einzigen unzerlegbaren Grundstoffs, des Kohlenstoffs. Von allen Elementen ist der Kohlenstoff für uns bei weitem das wichtigste und interessanteste, weil bei allen uns bekannten Thier- und Pflanzenkörpern dieser Grundstoff die größte Rolle spielt. Er ist dasjenige Element, welches durch seine eigenthümliche Neigung zur Bildung verwickelter Verbindungen mit den anderen Elementen die größte Mannichfaltigkeit in der chemischen Zusammensetzung, und daher auch in den Formen und Lebenseigenschaften der Thier- und Pflanzenkörper hervorruft. Der Kohlenstoff zeichnet sich ganz besonders dadurch aus, daß er sich mit den andern Elementen in unendlich mannichfaltigen Zahlen- und Gewichtsverhältnissen verbinden kann. Es entstehen zunächst durch Verbindung des Kohlenstoffs mit drei andern Elementen, dem Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (zu denen sich meist auch noch Schwefel und häufig Phosphor gesellt), jene äußerst wichtigen Verbindungen, welche wir als das erste und unentbehrlichste Substrat aller Lebenserscheinungen kennen gelernt haben, die eiweißartigen Verbindungen oder Albuminkörper (Proteinstoffe). Schon früher (S. 142) haben wir in den Moneren Organismen der allereinfachsten Art kennen gelernt, deren ganzer Körper in vollkommen ausgebildetem Zustande aus weiter Nichts besteht, als aus einem festflüssigen eiweißartigen Klümpchen, Organismen, welche für die Lehre von der ersten Entstehung des Lebens von der allergrößten Bedeutung sind. Aber auch die meisten übrigen Organismen sind zu einer gewissen Zeit ihrer Existenz, wenigstens in der ersten Zeit ihres Lebens als Eizellen oder Keimzellen, im Wesentlichen weiter Nichts als einfache Klümpchen eines solchen eiweißartigen Bildungsstoffes, dem Plasma oder Protoplasma. Sie sind dann von dem Moneren nur dadurch verschieden, daß im Inneren des eiweißartigen Körperchens sich der Zellenkern (Nucleus) von dem umgebenden Zellstoff (Protoplasma) gesondert hat. Wie wir schon früher zeigten, sind Zellen von ganz einfacher Beschaffenheit die Staatsbürger, welche durch ihr Zusammenwirken und ihre Sonderung den Körper auch der vollkommensten Organismen, einen republikanischen Zellenstaat, aufbauen (S. 246). Die entwickelten Formen und Lebenserscheinungen des letzteren werden lediglich durch die Thätigkeit jener eiweißartigen Körperchen zu Stande gebracht. Es darf als einer der größten Triumpfe der neueren Biologie insbesondere der Gewebelehre angesehen werden, daß wir jetzt im Stande sind, das Wunder der Lebenserscheinungen auf diese Stoffe zurückzuführen, daß wir die unendlich mannichfaltigen und verwickelten physikalischen und chemischen Eigenschaften der Eiweißkörper als die eigentliche Ursache der organischen oder Lebenserscheinungen nachgewiesen haben. Alle verschiedenen Formen der Organismen sind zunächst und unmittelbar das Resultat der Zusammensetzung aus verschiedenen Formen von Zellen. Die unendlich mannichfaltigen Verschiedenheiten in der Form, Größe und Zusammensetzung der Zellen sind aber erst allmählich durch die Arbeitstheilung und Vervollkommnung der einfachen gleichartigen Plasmaklümpchen entstanden, welche ursprünglich allein den Zellenleib bildeten. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, daß auch die Grunderscheinungen des organischen Lebens, Ernährung und Fortpflanzung, ebenso in ihren höchst zusammengesetzten wie in ihren einfachsten Aeußerungen, auf die materielle Beschaffenheit jenes eiweißartigen Bildungsstoffes, des Plasma, zurückzuführen sind. Aus jenen beiden haben sich die übrigen Lebensthätigkeiten erst allmählich hervorgebildet. So hat denn gegenwärtig die allgemeine Erklärung des Lebens für uns nicht mehr Schwierigkeit als die Erklärung der physikalischen Eigenschaften der anorganischen Körper. Alle Lebenserscheinungen und Gestaltungsprocesse der Organismen sind ebenso unmittelbar durch die chemische Zusammensetzung und den physikalischen Zustand der organischen Materie bedingt, wie die Lebenserscheinungen der anorganischen Krystalle, d. h. die Vorgänge ihres Wachsthums und ihrer specifischen Formbildung, die unmittelbaren Folgen ihrer chemischen Zusammensetzung und ihres physikalischen Zustandes sind. Die letzten Ursachen bleiben uns freilich in beiden Fällen gleich verborgen. Wenn Gold und Kupfer im tesseralen, Wismuth und Antimon im hexagonalen, Jod und Schwefel im rhombischen Krystallsystem krystallisieren, so ist uns dies im Grunde nicht mehr und nicht weniger räthselhaft, als jeder elementare Vorgang der organischen Formbildung, jede Selbstgestaltung der organischen Zelle. Auch in dieser Beziehung können wir gegenwärtig den fundamentalen Unterschied zwischen Organismen und anorganischen Körpern nicht mehr festhalten, von welchem man früher allgemein überzeugt war. Betrachten wir zweitens die Uebereinstimmungen und Unterschiede, welche die Formbildung der organischen und anorganischen Naturkörper uns darbietet (Gen. Morph. I, 130). Als Hauptunterschied in dieser Beziehung sah man früher die einfache Structur der letzteren, den zusammengesetzten Bau der ersteren an. Der Körper aller Organismen sollte aus ungleichartigen oder heterogenen Theilen zusammengesetzt sein, aus Werkzeugen oder Organen, welche zum Zweck des Lebens zusammenwirken. Dagegen sollten auch die vollkommensten Anorgane, die Krystalle, durch und durch aus gleichartiger oder homogener Materie bestehen. Dieser Unterschied erscheint sehr wesentlich. Allein er verliert alle Bedeutung dadurch, daß wir in den letzten Jahren die höchst merkwürdigen und wichtigen Moneren kennen gelernt haben15). (Vergl. oben S. 142-144). Der ganze Körper dieser einfachsten von allen Organismen, ein festflüssiges, formloses und structurloses Eiweißklümpchen, besteht in der That nur aus einer einzigen chemischen Verbindung, und ist ebenso vollkommen einfach in seiner Structur, wie jeder Krystall, der aus einer einzigen anorganischen Verbindung, z. B. einem Metallsalze, oder aus einem einzigen Elemente, z. B. Schwefel oder Blei besteht. Ebenso wie in der inneren Structur oder Zusammensetzung, hat man auch in der äußeren Form durchgreifende Unterschiede zwischen den Organismen und Anorganen finden wollen, insbesondere in der mathematisch bestimmbaren Krystallform der letzteren. Allerdings ist die Krystallisation vorzugsweise eine Eigenschaft der sogenannten Anorgane. Die Krystalle werden begrenzt von ebenen Flächen, welche in geraden Linien und unter bestimmten meßbaren Winkeln zusammenstoßen. Die Thier- und Pflanzengestalt dagegen schein auf den ersten Blick keine derartige geometrische Bestimmung zuzulassen. Sie ist meistens von gebogenen Flächen und krummen Linien begrenzt, welche unter veränderlichen Winkeln zusammenstoßen.Allein wir haben in neuerer Zeit in den Radiolarien23) und in vielen anderen Protisten eine große Anzahl von niederen Organismen kennen gelernt, bei denen der Körper in gleicher Weise, wie bei den Krystallen, auf eine mathematisch bestimmbare Grundform sich zurückführen läßt, bei denen die Gestalt im Ganzen wie im Einzelnen durch geometrisch bestimmbare Flächen, Kanten und Winkel begrenzt wird. In meiner allgemeinen Grundformenlehre oder Promorphologie habe ich hierfür die ausführlichen Beweise geliefert, und zugleich ein allgemeines Formensystem aufgestellt, dessen ideale stereometrische Grundformen ebenso gut die realen Formen der anorganischen Krystalle wie der organischen Individuen zu erklären (Gen. Morph. II, 375-574). Außerdem giebt es übrigens auch vollkommen amorphe Organismen, wie die Moneren, Amöben u. s. w., welche jeden Augenblick ihre Gestalt wechseln, und bei denen man ebenso wenig eine bestimmte Grundform nachweisen kann, als es bei den formlosen oder amorphen Anorganen, bei den nicht krystallisirten Gesteinen, Niederschlägen u. s. w. der Fall ist. Wir sind also nicht im Stande, irgend einen principiellen Unterschied in der äußeren Form oder in der inneren Structur der Anorgane und Organismen aufzufinden. Wenden wir uns drittens an die Kräfte oder an die Bewegungserscheinungen dieser beiden verschiedenen Körpergruppen (Gen. Morph. I, 140). Hier stoßen wir auf die größten Schwierigkeiten. Die Lebenserscheinungen, wie sie die meisten Menschen nur von hoch ausgebildeten Organismen, von vollkommneren Thieren und Pflanzen kennen, erscheinen so räthselhaft, so wunderbar, so eigenthümlich, daß die Meisten der bestimmten Ansicht sind, in der anorganischen Natur komme gar nichts Aehnliches oder nur entfernt damit Vergleichbares vor. Man nannte ja eben deshalb die Organismen belebte und die Anorgane leblose Naturkörper. Daher erhielt sich bis in unser Jahrhundert hinein, selbst in der Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Lebenserscheinungen beschäftigt, in der Physiologie, die irrthümliche Ansicht, daß die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Materie nicht zur Erklärung der Lebenserscheinungen ausreichten. Heutzutage, namentlich seit dem letzten Jahrzehnt, darf diese Ansicht als völlig überwunden angesehen werden. In der Physiologie wenigstens hat sie nirgends mehr eine Stätte. Es fällt heutzutage keinem Physiologen mehr ein, irgend welche Lebenserscheinungen als das Resultat einer wunderbaren Lebenskraft aufzufassen, einer besonderen zweckmäßig thätigen Kraft, welche außerhalb der Materie steht, und welche die physikalisch-chemischen Kräfte gewissermaßen nur in ihren Dienst nimmt. Die heutige Physiologie ist zu der streng monistischen Ueberzeugung gelangt, daß sämmtliche Lebenserscheinungen, und vor allen die beiden Grunderscheinungen der Ernährung und Fortpflanzung, rein physikalisch-chemische Vorgänge, und ebenso unmittelbar von der materiellen Beschaffenheit des Organismus abhängig sind, wie alle physikalischen und chemischen Eigenschaften oder Kräfte eines jeden Krystalles lediglich durch seine materielle Zusammensetzung bedingt werden. Da nun derjenige Grundstoff, welcher die eigenthümliche materielle Zusammensetzung der Organismen bedingt, der Kohlenstoff ist, so müssen wir alle Lebenserscheinungen, und vor allen die beiden Grunderscheinungen der Ernährung und Fortpflanzung, in letzter Linie auf die chemisch- physikalischen Eigenschaften des Kohlenstoffs zurückführen. Diese allein, und namentlich der festflüssige Aggregatzustand und die eigenthümliche Zersetzbarkeit der höchst zusammengesetzten eiweißartigen Kohlenstoffverbindungen, sind die mechanischen Ursachen jener eigenthümlichen Bewegungserscheinungen, durch welche sich die Organismen von den Anorganen unterscheiden, und die man im engeren Sinne das "Leben" zu nennen pflegt. Um diesen höchst wichtigen Satz richtig zu würdigen, ist es vor Allem nöthig, diejenigen Bewegungserscheinungen scharf in's Auge zu fassen, welche beiden Gruppen von Naturkörpern gemeinsam sind. Unter diesen steht obenan das Wachsthum. Wenn sie irgend eine anorganische Salzlösung langsam verdampfen lassen, so bilden sich darin Salzkrystalle, welche bei weiter gehender Verdunstung des Wassers langsam an Größe zunehmen. Dieses Wachsthum erfolgt dadurch, daß immer neue Theilchen aus dem flüssigen Aggregatzustande in den festen übergehen und sich an den bereits gebildeten festen Krystallkern nach bestimmten Gesetzen anlagern. Durch solche Anlagerung oder Apposition der Theilchen entstehen die mathematisch bestimmten Krystallformen. Ebenso durch Aufnahme neuer Theilchen geschieht auch das Wachsthum der Organismen. Der Unterschied ist nur der, daß beim Wachsthum der Organismen in Folge ihres festflüssigen Aggregatzustandes die neu aufgenommenen Theilchen in's Innere des Organismus vorrücken (Intussusception), während die Anorgane nur durch Apposition, durch Ansatz neuer, gleichartiger Materie von außen her zunehmen. Indeß ist dieser wichtige Unterschied des Wachsthums durch Intussusception und durch Apposition augenscheinlich nur die nothwendige und unmittelbare Folge des verschiedenen Dichtigkeitszustandes oder Aggregatzustandes der Organismen und der Anorgane. Ich kann hier an dieser Stelle leider nicht näher die mancherlei höchst interessanten Parallelen und Analogien verfolgen, welche sich zwischen der Bildung der vollkommensten Anorgane, der Krystalle, und der Bildung der einfachsten Organismen, der Moneren und der nächst verwandten Formen, vorfinden. Ich muß Sie in dieser Beziehung auf die eingehende Vergleichung der Organismen und der Anorgane verweisen, welche ich im fünften Capitel meiner generellen Morphologie durchgeführt habe (Gen. Morph. I, 111- 166). Dort habe ich ausführlich bewiesen, daß durchgreifende Unterschiede zwischen den organischen und anorganischen Naturkörpern weder in Bezug auf Form und Structur, noch in Bezug auf Stoff und Kraft existiren, daß die wirklich vorhandenen Unterschiede von der eigenthümlichen Natur des Kohlenstoffs abhängen, und daß keine unübersteigliche Kluft zwischen organischer und anorganischer Natur existirt. Besonders einleuchtend erkennen Sie diese höchst wichtige Thatsache, wenn Sie die Entstehung der Formen bei den Krystallen und bei den einfachsten organischen Individuen vergleichend untersuchen. Auch bei der Bildung der Krystallindividuen treten zweierlei verschiedene, einander entgegenwirkende Bildungstriebe in Wirksamkeit. Die innere Gestaltungskraft oder der innere Bildungstrieb, welcher der Erblichkeit der Organismen entspricht, ist bei dem Krystalle der unmittelbare Ausfluß seiner materiellen Constitution oder seiner chemischen Zusammensetzung. Die Form des Krystalles, soweit sie durch diesen inneren, ureigenen Bildungstrieb bestimmt wird, ist das Resultat der specifisch bestimmten Art und Weise, in welcher sich die kleinsten Theilchen der krystallisirenden Materie nach verschiedenen Richtungen hin gesetzmäßig an einander lagern. Dieser selbstständigen inneren Bildungskraft, welche der Materie selbst unmittelbar anhaftet, wirkt eine zweite formbildende Kraft geradezu entgegen. diese äußere Gestaltungskraft oder den äußeren Bildungstrieb können wir bei den Krystallen ebenso gut wie bei den Organismen als Anpassung bezeichnen. Jedes Krystallindividuum muß sich während seiner Entstehung ganz ebenso wie jedes organische Individuum den umgebenden Einflüssen und Existenzbedingungen der Außenwelt unterwerfen und anpassen. In der That ist die Form und Größe eines jedes Krystalles abhängig von seiner gesammten Umgebung, z. B. von dem Gefäß, in welchem die Krystallisation stattfindet, von der Temperatur und von Luftdruck, unter welchem der Krystall sich bildet, von der Anwesenheit oder Abwesenheit ungleichartiger Körper u. s. w. Die Form jedes einzelnen Krystalles ist daher ebenso wie die Form jedes einzelnen Organismus das Resultat der Gegenwirkung zweier einander gegenüber stehender Factoren, des inneren Bildungstriebes, der durch die chemische Constitution der eigenen Materie gegeben ist, und des äußeren Bildungstriebes, welcher durch Einwirkung der umgebenden Materie bedingt ist. Beide in Wechselwirkung stehende Gestaltungskräfte sind im Organismus obenso wie im Krystall rein mechanischer Natur, unmittelbar an dem Stoffe des Körpers haftend. Wenn man das Wachsthum und die Gestaltung der Organismen als einen Lebensprozeß bezeichnet, so kann man dasselbe eben so gut von dem sich bildenden Krystall behaupten. Die teleologische Naturbetrachtung, welche in den organischen Formen zweckmäßig eingerichtete Schöpfungsmaschinen erblickt, muß folgerichtiger Weise dieselben auch in den Krystallformen anerkennen. Die Unterschiede, welche sich zwischen den einfachsten organischen Individuen und den anorganischen Krystallen vorfinden, sind durch den festen Aggregatzustand der ersteren bedingt. Im Uebrigen sind die bewirkenden Ursachen der Form in beiden vollständig dieselben. Ganz besonders klar drängt sich Ihnen diese Ueberzeugung auf, wenn Sie die höchst merkwürdigen Erscheinungen von dem Wachsthum, der Anpassung und der "Wechselbeziehung oder Correlation der Theile" bei den entstehenden Krystallen mit den entsprechenden Erscheinungen bei der Entstehung der einfachsten organischen Individuen (Moneren und Zellen) vergleichen. Die Analogie zwischen Beiden ist so groß, daß wirklich keine scharfe Grenze zu ziehen ist. In meiner generellen Morphologie habe ich hierfür eine Anzahl von schlagenden Thatsachen angeführt (Gen. Morph. I, 146, 156, 158). Wenn Sie diese "Einheit der organischen und anorganischen Natur", diese wesentliche Uebereinstimmung der Organismen und Anorgane in Stoff, Form und Kraft sich lebhaft vor Augen halten, wenn Sie sich daran erinnern, daß wir nicht im Stande sind, irgend welche fundamentalen Unterschiede zwischen diesen beiderlei Körpergruppen festzustellen (wie sie früherhin allgemein angenommen wurden), so verliert die Frage von der Urzeugung sehr viel von der Schwierigkeit, welche sie auf den ersten Blick zu haben scheint. Es wird uns dann die Entwickelung des ersten Organismus aus anorganischer Materie als ein viel leichter denkbarer und verständlicher Proceß erscheinen, als es bisher der Fall war, wo man jene künstliche absolute Scheidewand zwischen organischer oder belebter und anorganischer oder lebloser Natur aufrecht erhielt. Bei der Frage von der Urzeugung oder Archigonie, die wir jetzt bestimmter beantworten können, erinnern Sie sich zunächst daran, daß wir unter diesem Begriff ganz allgemein die elternlose Zeugung eines organischen Individuums, die Entstehung eines Organismus unabhängig von einem elterlichen oder zeugenden Organismus verstehen. In diesem Sinne haben wir früher die Urzeugung (Archigonia) der Elternzeugung oder Fortpflanzung (Tocogonia) entgegengesetzt (S. 141). Bei der letzteren entsteht das organische Individuum dadurch, daß ein größerer oder geringerer Theil von einen bereits bestehenden Organismus sich ablöst und selbstständig weiter wächst (Gen. Morph. II, 32). Von der Urzeugung, welche man auch oft als freiwillige oder ursprüngliche Zeugung bezeichnet (Generatio spontanea, aequivoca, primaria etc.), müssen wir zwei wesentlich verschiedene Arten unterscheiden, nämlich die Autogenie und die Plasmogonie. Unter Autogonie verstehen wir die Entstehung eines einfachsten organischen Individuums in einer anorganischen Bildungsflüssigkeit, d. h. in einer Flüssigkeit, welche die zur Zusammensetzung des Organismus erforderlichen Grundstoffe in einfachen und festen Verbindungen gelöst enthält (z. B. Kohlensäure, Ammoniak, binäre Salze u. s. w.). Plasmogonie dagegen nennen wir die Urzeugung dann, wenn der Organismus in einer organischen Bildungsflüssigkeit entsteht, d. h. in einer Flüssigkeit, welche jene erforderlichen Grundstoffe in Form von verwickelten und lockeren Kohlenstoffverbindunen gelöst enthält (z. B. Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten etc. ) (Gen. Morph. I, 174; II, 33). Der Vorgang der Autogonie sowohl als der Plasmogonie ist bis jetzt noch nicht direct mit voller Sicherheit beobachtet. In älterer und neuerer Zeit hat man über die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Urzeugung sehr zahlreiche und zum Theil auch interessante Versuche angestellt. Allein diese Experimente beziehen sich fast sämmtlich nicht auf die Autogonie, sondern auf die Plasmogonie, auf die Entstehung eines Organismus aus bereits gebildeter organischer Materie. Offenbar hat aber für unsere Schöpfungsgeschichte dieser letztere Vorgang nur ein untergeordnetes Interesse. Es kommt für uns vielmehr darauf an, die Frage zu lösen: "Giebt es eine Autogonie?" Ist es möglich, daß ein Organismus nicht aus vorgebildeter organischer, sondern aus rein anorganischer Materie entsteht?" Daher können wir hier auch ruhig alle jene zahlreichen Experimente, welche sich nur auf die Plasmogonie beziehen, welche in dem letzten Jahrzehnt mit besonderem Eifer betrieben worden sind, und welche meist ein negatives Resultat hatten, bei Seite lassen. Denn angenommen auch, es würde dadurch die Wirklichkeit der Plasmagonie streng bewiesen, so wäre damit noch nicht die Autogonie erklärt. Die Versuche über Autogonie haben bis jetzt ebenfalls kein sicheres positives Resultat geliefert. Jedoch müssen wir uns von vorn herein auf das Bestimmteste dagegen verwahren, daß durch diese Experimente die Unmöglichkeit der Urzeugung überhaupt nachgewiesen sei. Die allermeisten Naturforscher, welche bestrebt waren, diese Frage experimentell zu entscheiden, und welche bei Anwendung aller möglichen Vorsichtsmaßregeln unter ganz bestimmten Verhältnissen keine Organismen entstehen sahen, stellten auf Grund dieser negativen Resultate sofort die Behauptung auf: "Es ist überhaupt unmöglich, daß Organismen von selbst, ohne elterliche Zeugung, entstehen." Diese leichtfertige und unüberlegte Behauptung stützten sie einfach und allein auf das negative Resultat ihrer Experimente, welche doch weiter Nichts beweisen konnten, als daß unter diesen und jenen, höchst künstlichen Verhältnissen, wie sie durch die Experimentatoren geschaffen wurden, kein Organismus sich bildete. Man kann auf keinen Fall aus jenen Versuchen, welche meistens unter den unnatürlichsten Bedingungen, in höchst künstlicher Weise angestellt wurden, den Schluß ziehen, daß die Urzeugung überhaupt unmöglich sei. Die Unmöglichkeit eines solchen Vorganges kann überhaupt niemals bewiesen werden. Denn wie können wir wissen, daß in jener ältesten unvordenklichen Urzeit nicht ganz andere Bedingunen, als gegenwärtig, existirten, welche eine Urzeugung ermöglichten? Ja, wir können sogar mit voller Sicherheit positiv behaupten, daß die allgemeinen Lebensbedingungen der Primordialzeit gänzlich von denen der Gegenwart verschieden gewesen sein müssen. Denken Sie allein an die Thatsache, daß die ungeheuren Massen von Kohlenstoff, welche wir gegenwärtig in den primären Steinkohlengebirgen abgelagert finden, erst durch die Thätigkeit des Pflanzenlebens in feste Form gebracht, und die mächtig zusammengepreßten und verdichteten Ueberreste von zahllosen Pflanzenleichen sind, die sich im Laufe vieler Millionen Jahre anhäuften. Allein zu der Zeit, als auf der abgekühlten Erdrinde nach der Entstehung des tropfbarflüssigen Wassers zum ersten Male Organismen durch Urzeugung sich bildeten, waren jene unermeßlichen Kohlenstoffquantitäten in ganz anderer Form vorhanden, wahrscheinlich größtentheils in Form von Kohlensäure in der Atmosphäre vertheilt. Die ganze Zusammensetzung der Atmosphäre war also außerordentlich von der jetzigen verschieden. Ferner waren, wie sich aus chemischen, physikalischen und geologischen Gründen schließen läßt, der Dichtigkeitsgrad und die elektrischen Verhältnisse der Athmosphäre nothwendiger Weise ganz andere. Ebenso war auch jedenfalls die chemische und physikalische Beschaffenheit des Urmeeres, welches damals als eine ununterbrochene Wasserhülle die ganz Erdoberfläche im Zusammenhang bedeckte, ganz eigenthümlich. Temperatur, Dichtigkeit, Salzgehalt u. s. w. müssen sehr von denen der jetzigen Meere verschieden gewesen sein. Es bleibt also auf jeden Fall für uns, wenn wir auch sonst Nichts weiter davon wissen, die Annahme wenigstens nicht bestreitbar, daß zu jener Zeit unter ganz anderen Bedingungen eine Urzeugung möglich gewesen sei, die heutzutage vielleicht nicht mehr möglich ist. Nun kommt aber hinzu, daß durch die neueren Fortschritte der Chemie und Physiologie das Räthselhafte und Wunderbare, das zunächst der viel bestrittene und doch nothwendige Vorgang der Urzeugung an sich zu haben scheint, größtentheils oder eigentlich ganz zerstört worden ist. Es ist erst vierzig Jahre her, daß noch sämmtliche Chemiker behaupteten, wir seien nicht im Stande, irgend eine zusammengesetzte Kohlenstoffverbindung oder eine sogenannte "organische Verbindung" künstlich in unseren Laboratorien herzustellen. Nur die mystische "Lebenskraft" sollte diese Verbindungen zu Stande bringen können. Als daher 1828 Wöhler in Göttingen zum ersten Male dieses Dogma thatsächlich widerlegte, und auf künstlichem Wege aus rein anorganischen Körpern (Cyan- und Ammoniakverbindungen) den rein "organischen" Harnstoff darstellte, war man im höchsten Grade erstaunt und überrascht. In der neueren Zeit ist es nun durch die Fortschritte der synthetischen Chemie gelungen, derartige "organische" Kohlenstoffverbindungen rein künstlich in großer Mannichfaltigkeit in unseren Laboratorien aus anorganischen Substanzen herzustellen, z. B. Alkohol, Essigsäure, Ameisensäure u. s. w. Selbst viele höchst verwickelte Kohlenstoffverbindungen werden jetzt künstlich zusammengesetzt, so daß alle Aussicht vorhanden ist, auch die am meisten zusammengesetzten und zugleich die wichtigsten von allen, die Eiweißverbindungen oder Plasmakörper, früher oder später künstlich in unseren chemischen Werkstätten zu erzeugen. Dadurch ist aber die tiefe Kluft zwischen organischen und anorganischen Körpern, die man früher allgemein festhielt, größtentheils beseitigt, und für die Vorstellung der Urzeugung der Weg gebahnt. Von noch größerer, ja von der allergrößten Wichtigkeit für die Hypothese der Urzeugung sind endlich die höchst merkwürdigen Moneren, jene schon vorher mehrfach erwähnten Lebewesen, welche nicht nur die einfachsten beobachteten, sondern auch überhaupt die denkbar einfachsten von allen Organismen sind15). Schon früher, als wir die einfachsten Erscheinungen der Fortpflanzung und Vererbung untersuchten, habe ich Ihnen diese wunderbaren "Organismen ohne Organ" beschrieben. Wir kennen jetzt schon sechs verschiedene Gattungen solcher Moneren, von denen einige im süßen Wasser, andere im Meere leben (vergl. oben S. 142-144). In vollkommen ausgebildetem und frei beweglichem Zustande stellen sie sämmtlich weiter Nichts dar, als ein structurloses Klümpchen einer eiweißartigen Kohlenstoffverbindung. Nur durch die Art der Fortpflanzung und Entwickelung, sowie der Nahrungsaufnahme sind die einzelnen Gattungen und Arten ein wenig verschieden. Durch die Entdeckung dieser Organismen, die von der allergrößten Bedeutung ist, verliert die Annahme einer Urzeugung den größten Theil ihrer Schwierigkeiten. Denn da denselben noch jede Organisation, jeder Unterschied ungleichartiger Theile fehlt, da alle Lebenserscheinungen von einer und derselben gleichartigen und formlosen Materie vollzogen werden, so können wir uns ihre Entstehung durch Urzeugung sehr wohl denken. Geschieht dieselbe durch Plasmagonie, ist bereits lebensfähiges Plasma vorhanden, so braucht dasselbe bloß sich zu individualisiren, in gleicher Weise, wie bei der Krystallbildung sich die Mutterlauge der Krystalle individualisirt. Geschieht dagegen die Urzeugung der Moneren durch wahre Autogonie, so ist dazu noch erforderlich, daß vorher jenes lebensfähige Plasma, jener Urschleim, aus einfacheren Kohlenstoffverbindungen sich bildet. Da wir jetzt im Stande sind, in unseren chemischen Laboratorien ähnliche zusammengesetzte Kohlenstoffverbindungen künstlich herzustellen, so liegt durchaus kein Grund für Annahme vor, daß nicht auch in der freien Natur sich Verhältnisse finden, unter denen ähnliche Verbindungen entstehen können. Sobald man früherhin die Vorstellung der Urzeugung zu fassen suchte, scheiterte man sofort an der organischen Zusammensetzung auch der einfachsten Organismen, welche man damals kannte. Erst seitdem wir mit den höchst wichtigen Moneren bekannt geworden sind, erst seitdem wir in ihnen Organismen kennen gelernt haben, welche gar nicht aus Organen zusammengesetzt sind, welche bloß aus einer einzigen chemischen Verbindung bestehen, und dennoch wachsen, sich ernähren und fortpflanzen, ist jene Hauptschwierigkeit gelöst, und die Hypothese der Urzeugung hat dadurch denjenigen Grad von Wahrscheinlichkeit gewonnen, welche sie berechtigt, die Lücke zwischen Kant's Kosmogenie und Lamarck's Descendenztheorie auszufüllen. Nur solche homogene, noch gar nicht differenzirte Organismen, welche in ihrer gleicherartigen Zusammensetzung aus einerlei Theilchen den organischen Krystallen gleichstehen, konnten durch Urzeugung entstehen, und konnten die Ureltern aller übrigen Organismen werden. Bei der weiteren Entwickelung derselben haben wir als den wichtigsten Vorgang zunächst die Bildung eines Kernes (Nucleus) in dem structurlosen Eiweißklümpchen anzusehen. Diese können wir uns rein physikalisch durch Verdichtung der innersten, centralen Eiweißtheilchen vorstellen. Die dichtere centrale Masse, welche anfangs allmählich in das peripherische Plasma überging, sonderte sich später ganz von diesem ab und bildete so ein selbstständiges rundes Eiweißkörperchen, den Kern. Durch diesen Vorgang ist aber bereits aus dem Moner eine Zelle geworden. Daß nun die weitere Entwickelung aller übrigen Organismen aus einer solchen Zelle keine Schwierigkeit hat, muß Ihnen aus den bisherigen Vorträgen klar geworden sein. Denn jedes Thier und jede Pflanze ist im Beginn ihres individuellen Lebens eine einfache Zelle. Der Mensch so gut, wie jedes andere Thier, ist anfangs weiter Nichts, als eine einfache Eizelle, ein einziges Schleimklümpchen, worin sich ein Kern befindet. Ebenso wie der Kern der organischen Zellen durch Sonderung in der inneren oder centralen Masse der ursprünglichen gleichartigen Plasmaklümpchen entstand, so bildete sich die erste Zellhaut oder Membran an deren Oberfläche. Auch diesen einfachen, aber höchst wichtigen Vorgang können wir, wie oben schon bemerkt, einfach physikalisch erklären, entweder durch einen chemischen Niederschlag oder eine physikalische Verdichtung in der oberflächlichsten Rindenschicht, oder durch eine Ausscheidung. Eine der ersten Anpassungsthätigkeiten, welche die durch Urzeugung entstandenen Moneren ausübten, wird die Verdichtung einer äußeren Rindenschicht gewesen sein, welche als schützende Hülle das weichere Innere gegen die angreifenden Einflüsse der Außenwelt abschloß. War aber erst durch Verdichtung der homogenen Moneren im Inneren ein Zellkern, an der Obrfläche eine Zellhaut entstanden, so waren damit alle die fundamentalen Formen der Bausteine gegeben, aus denen durch Zusammensetzung sich erfahrungsgemäß der Körper sämmtlicher Organismen aufbaut. Wie schon früher erwähnt, beruht unser ganzes Verständniß des Organismus wesentlich auf der von Schleiden und Schwann vor dreißig Jahren aufgestellten Zellentheorie. Danach ist jeder Organismus entweder eine einfache Zelle oder eine Gemeinde, ein Staat von eng verbundenen Zellen. Die gesammten Formen und Lebenserscheinungen eines jeden Organismus sind das Gesammtresultat der Formen und Lebenserscheinungen aller einzelnen ihn zusammensetzenden Zellen. Durch die neueren Fortschritte der Zellenlehre ist es nöthig geworden, die Elementarorganismen, oder die organischen "Individuen erster Ordnung", welche man gewöhnlich als "Zellen" bezeichnet, mit dem allgemeineren und passenderen Namen der Bildnerinnen oder Plastiden zu belegen. Wir unterscheiden unter diesen Bildnerinnen zwei Hauptgruppen, nämlich Cytoden und echte Zellen. Die Cytoden sind kernlose Plasmastücke, gleich den Moneren (S. 144, Fig. 1). Die Zellen dagegen sind Plasmastücke, welche einen Kern oder Nucleus enthalten (S. 145, Fig. 2). Jede dieser beiden Hauptformen von Plastiden zerfällt wieder in zwei untergeordnete Formgruppen, je nachdem sie eine äußere Umhüllung (Haut, Schale oder Membran) besitzen oder nicht. Wir können demnach allgemein folgende Stufenleiter von vier verschiedenen Plastidenarten unterscheiden, nämlich: 1. Urcytoden (S. 144, Fig. 1B); 2. Hüllcytoden; 3. Urzellen (S. 145, Fig. 2B); 4. Hüllzellen (S. 145, Fig. 2A) (Gen. Morph. I, 269-289). Was das Verhältniß dieser vier Plastidenformen zur Urzeugung betrifft, so ist folgendes das Wahrscheinlichste: 1. die Urzytoden (Gymnocytoda), nackte Plasmastücke ohne Kern, gleich den heute noch lebenden Moneren, sind die einzigen Plastiden, welche unmittelbar durch Urzeugung entstanden; 2. die Hüllcytoden (Lepocytoda), Plasmastücke ohne Kern, welche von einer Hülle (Membran oder Schale) umgeben sind, entstanden aus den Urcytoden entweder durch Verdichtung der oberflächlichen Plasmaschichten oder durch Ausscheidung einer Hülle; 3. die Urzellen (Gymnocyta) oder nacke Zellen, Plasmastücke mit Kern, aber ohne Hülle, entstanden aus den Urcytoden durch Verdichtung der innersten Plasmatheile zu einem Kerne oder Nucleus, durch Differenzirung von centralem Kerne und peripherischem Zellstoff; 4. die Hüllzellen (Lepocyta) oder Hautzellen, Plasmastücke mit Kern und mit äußerer Hülle (Membran oder Schale), entstanden entweder aus den Hüllcytoden durch Bildung eines Kernes oder aus den Urzellen durch Bildung einer Membran. Alle übrigen Formen von Bildnerinnen oder Plastiden, welche außerdem noch vorkommen, sind erst nachträglich durch natürliche Züchtung, durch Abstammung mit Anpassung, durch Differenzirung und Umbildung aus jenen vier Grundformen entstanden. Durch diese Plastidentheorie, durch diese Ableitung aller verschiedenen Plastidenformen und somit aller aus ihnen zusammengesetzten Organismen von den Moneren, kommt ein einfacher und natürlicher Zusammenhang in die gesammte Entwickelungstheorie. Die Entstehung der ersten Moneren durch Urzeugung erscheint uns als ein einfacher und nothwendiger Vorgang in dem Entwickelungsproceß des Erdkörpers. Wir geben zu, daß dieser Vorgang, so lange er noch nicht direct beobachtet oder durch das Experiment wiederholt ist, eine reine Hypothese bleibt. Allein ich wiederhole, daß diese Hypothese für den ganzen Zusammenhang der natürlichen Schöpfungsgeschichte unentbehrlich ist, daß sie an sich durchaus nichts Gezwungenes und Wunderbares mehr hat, und daß sie keinenfalls jemals positiv widerlegt werden kann. Wenn Sie die Hypothese der Urzeugung nicht annehmen, so müssen Sie an diesem einzigen Punkte der Entwickelungstheorie zum Wunder einer übernatürlichen Schöpfung Ihre Zuflucht nehmen. Der Schöpfer muß dann den ersten Organismus oder die wenigen ersten Organismen, von denen alle übrigen abstammen, jedenfalls einfachste Moneren oder Urcytoden, als solche geschaffen und ihnen die Fähigkeit beigelegt haben, sich in mechanischer Weise weiter zu entwickeln. Ich überlasse es einem Jeden von Ihnen, zwischen dieser Vorstellung und der Hypothese der Urzeugung zu wählen. Mir scheint die Vorstellung, daß der Schöpfer an diesem einzigen Punkte willkürlich in den gesetzmäßigen Entwickelungsgang der Materie eingegriffen habe, der im Uebrigen ganz ohne seine Mitwirkung verläuft, ebenso unbefriedigend für das gläubige Gemüth, wie für den wissenschaftlichen Verstand zu sein. Nehmen wir dagegen für die Entstehung der ersten Organismen die Hypothese der Urzeugung an, welche aus den oben erörterten Gründen, insbesondere durch die Entdeckung der Moneren, ihre frühere Schwierigkeit verloren hat, so gelangen wir zur Herstellung eines ununterbrochenen natürlichen Zusammenhangs zwischen der Entwickelung der Erde und der von ihr geborenen Organismen, und wir erkennen auch in dem letzten noch zweifelhaften Punkte die Einheit der gesammten Natur und die Einheit ihrer Entwickelungsgesetze (Gen. Morph. I, 164). Entwickelungsgesetze der organischen Stämme und Individuen. Phylogenie und Ontogenie Schöpfungsperioden und Schöpfungsurkunden
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