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Doch das Altertum hatte noch eine ganz besonders gefährliche Wirkung und zwar dogmatischer Art: es teilte der Renaissance seine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes davon hatte sich in Italien durch das Mittelalter hindurch am Leben erhalten; um so viel leichter lebte jetzt das Ganze neu auf. Dass dabei die Phantasie mächtig mitspielte, versteht sich von selbst. Nur sie konnte den forschenden Geist der Italiener so weit zum Schweigen bringen.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war, wie gesagt, bei den einen durch die Masse des Unrechtes und Unglückes erschüttert; die andern, wie z. B. Dante, gaben wenigstens das Erdenleben dem Zufall und seinem Jammer preis, und wenn sie dabei dennoch einen starken Glauben behaupteten, so kam dies daher, dass sie die höhere Bestimmung des Menschen für das Jenseits festhielten. Sobald nun auch diese Ueberzeugung von der Unsterblichkeit wankte, bekam der Fatalismus das Uebergewicht - oder wenn letzteres geschah, so war ersteres die Folge davon.
In die Lücke trat zunächst die Astrologie des Altertums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen Stellung der Planeten unter sich und zu den Zeichen des Tierkreises erriet sie künftige Ereignisse und ganze Lebensläufe und bestimmte auf diesem Wege die wichtigsten Entschlüsse. In vielen Fällen mag die Handlungsweise, zu welcher man sich durch die Gestirne bestimmen liess, an sich nicht unsittlicher gewesen sein als diejenige, welche man ohnedies befolgt haben würde; sehr oft aber muss der Entscheid auf Unkosten des Gewissens und der Ehre erfolgt sein. Es ist ewig lehrreich zu sehen, wie alle Bildung und Aufklärung gegen diesen Wahn lange Zeit nicht aufkam, weil derselbe seine Stütze hatte an der leidenschaftlichen Phantasie, an dem heissen Wunsch, die Zukunft vorauszuwissen und zu bestimmen, und weil das Altertum ihn bestätigte.
Die Astrologie tritt mit dem 13. Jahrhundert plötzlich sehr mächtig in den Vordergrund des italienischen Lebens. Kaiser Friedrich II. führt seinen Astrologen Theodorus mit sich, und Ezzelino da Romano1) einen ganzen stark besoldeten Hof von Leuten, darunter den berühmten Guido Bonatto und den langbärtigen Sarazenen Paul von Bagdad. Zu allen wichtigen Unternehmungen mussten sie ihm Tag und Stunde bestimmen, und die massenhaften Greuel, welche er verüben liess, mögen nicht geringen Teils auf blosser Deduktion aus ihren Weissagungen beruht haben. Seitdem scheut sich niemand mehr, die Sterne befragen zu lassen; nicht nur die Fürsten, sondern auch einzelne Stadtgemeinden2) halten sich regelmässige Astrologen, und an den Universitäten3) werden vom 14. bis zum 16. Jahrhundert besondere Professoren dieser Wahnwissenschaft, sogar neben eigentlichen Astronomen angestellt. Die Päpste4) bekennen sich grossenteils offen zur Sternbefragung; allerdings macht Pius II. eine ehrenvolle Ausnahme5), wie er denn auch Traumdeutung, Prodigien und Zauber verachtete; aber selbst Leo X. scheint einen Ruhm seines Pontifikates darin zu finden, dass die Astrologie blühe6), und Paul III. hat kein Konsistorium gehalten7), ohne dass ihm die Sterngucker die Stunde bestimmt hätten.
Bei den bessern Gemütern darf man nun wohl voraussetzen, dass sie sich nicht über einen gewissen Grad hinaus in ihrer Handlungsweise von den Sternen bestimmen liessen, dass es eine Grenze gab, wo Religion und Gewissen Einhalt geboten. In der Tat haben nicht nur treffliche und fromme Leute an dem Wahn teilgenommen, sondern sind selbst als Repräsentanten desselben aufgetreten. So Maestro Pagolo von Florenz8), bei welchem man beinahe diejenige Absicht auf Versittlichung des Astrologentums wiederfindet, welche bei dem späten Römer Firmicus Maternus kenntlich wird9). Sein Leben war das eines heiligen Aszeten; er genoss beinahe nichts, verachtete alle zeitlichen Güter und sammelte nur Bücher; als gelehrter Arzt beschränkte er seine Praxis auf seine Freunde, machte ihnen aber zur Bedingung, dass sie beichten mussten. Seine Konversation war der enge aber berühmte Kreis, welcher sich im Kloster zu den Engeln um Fra Ambrogio Camaldolese (S. 540) sammelte, - ausserdem die Unterredungen mit Cosimo dem Aeltern, zumal in dessen letzten Lebensjahren; denn auch Cosimo achtete und benutzte die Astrologie, wenngleich nur für bestimmte, wahrscheinlich untergeordnete Gegenstände. Sonst gab Pagolo nur den vertrautesten Freunden astrologischen Bescheid. Aber auch ohne solche Sittenstrenge konnte der Sterndeuter ein geachteter Mann sein und sich überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehr als im übrigen Europa, wo sie nur an bedeutenden Höfen, und selbst da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Italien irgendein grösseres Haus machte, hielt sich auch, sobald der Eifer für die Sache gross genug war, einen Astrologen, der freilich bisweilen Hunger leiden mochte10). Durch die schon vor dem Bücherdruck stark verbreitete Literatur dieser Wissenschaft war überdies ein Dilettantismus entstanden, der sich soviel als möglich an die Meister des Faches anschloss. Die schlimme Gattung der Astrologen war die, welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünste damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken.
Doch selbst ohne eine solche Zutat ist die Astrologie ein trauriges Element des damaligen italienischen Lebens. Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielseitigen, eigenwilligen Menschen, wenn die blinde Begier, das Künftige zu wissen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles Wollen und Entschliessen auf einmal zur Abdikation zwingt! Dazwischen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünstiges verkünden, raffen sie sich auf, handeln unabhängig und sprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris11), der Weise wird über die Gestirne Meister; - um bald wieder in den alten Wahn zurückzufallen.
Zunächst wird allen Kindern angesehener Familien das Horoskop gestellt, und bisweilen schleppt man sich hierauf das halbe Leben hindurch mit irgendeiner nichtsnutzigen Voraussetzung von Ereignissen, die nicht eintreffen12). Dann werden für jeden wichtigen Entschluss der Mächtigen, zumal für die Stunde des Beginnens, die Sterne befragt. Abreisen fürstlicher Personen, Empfang fremder Gesandten13), Grundsteinlegungen grosser Gebäude hängen davon ab. Ein gewaltiges Beispiel der letztem Art findet sich im Leben des obengenannten Guido Bonatto, welcher überhaupt durch seine Tätigkeit sowohl als durch ein grosses systematisches Werk14) der Wiederhersteller der Astrologie im 13. Jahrhundert heissen darf. Um dem Parteikampf der Guelfen und Ghibellinen in Forlì ein Ende zu machen, beredete er die Einwohner zu einem Neubau ihrer Stadtmauern und zum feierlichen Beginn desselben unter einer Konstellation, die er angab; wenn dann Leute beider Parteien in demselben Moment jeder seinen Stein in das Fundament würfen, so würde in Ewigkeit keine Parteiung mehr in Forlì sein. Man wählte einen Guelfen und einen Ghibellinen zu diesem Geschäfte; der hehre Augenblick erschien, beide hielten ihre Steine in der Hand, die Arbeiter warteten mit ihrem Bauzeug, und Bonatto gab das Signal - da warf der Ghibelline sogleich seinen Stein hinunter, der Guelfe aber zögerte und weigerte sich dann gänzlich, weil Bonatto selber als Ghibelline galt und etwas Geheimnisvolles gegen die Guelfen im Schilde führen konnte. Nun fuhr ihn der Astrolog an: Gott verderbe dich und deine Guelfenpartei mit euerer misstrauischen Bosheit! dies Zeichen wird 500 Jahre lang nicht mehr am Himmel über unserer Stadt erscheinen! In der Tat verdarb Gott nachher die Guelfen von Forlì, jetzt aber (schreibt der Chronist um 1480) sind Guelfen und Ghibellinen hier doch gänzlich versöhnt, und man hört ihre Parteinamen nicht mehr15).
Das Nächste, was von den Sternen abhängig wird, sind die Entschlüsse im Kriege. Derselbe Bonatto verschaffte dem grossen Ghibellinenhaupt Guido da Montefeltro eine ganze Anzahl von Siegen, indem er ihm die richtige Sternenstunde zum Auszug angab; als Montefeltro ihn nicht mehr bei sich hatte16), verlor er allen Mut, seine Tyrannis weiter zu behaupten und ging in ein Minoritenkloster; noch lange Jahre sah man ihn als Mönch terminieren. Die Florentiner liessen sich noch im pisanischen Krieg von 1362 durch ihren Astrologen die Stunde des Auszuges bestimmen17); man hätte sich beinahe verspätet, weil plötzlich ein Umweg in der Stadt befohlen wurde. Frühere Male war man nämlich durch Via di Borgo S. Apostolo ausgezogen und hatte schlechten Erfolg gehabt; offenbar war mit dieser Strasse, wenn man gegen Pisa zu Felde zog, ein übles Augurium verknüpft, und deshalb wurde das Heer jetzt durch Porta rossa hinausgeführt; weil aber dort die gegen die Sonne ausgespannten Zelte nicht waren weggenommen worden, so musste man - ein neues übles Zeichen - die Fahnen gesenkt tragen. Ueberhaupt war die Astrologie vom Kriegswesen schon deshalb nie zu trennen, weil ihr die meisten Condottieren anhingen. Jacopo Caldora war in der schwersten Krankheit wohlgemut, weil er wusste, dass er im Kampfe fallen würde, wie denn auch geschah18); Bartolommeo Alviano war davon überzeugt, dass seine Kopfwunden ihm so gut wie sein Kommando durch Beschluss der Gestirne zuteil geworden19); Niccolò Orsini-Pitigliano bittet sich für den Abschluss seines Soldvertrages mit Venedig (1495) von dem Physikus und Astrologen Alessandro Benedetto20) eine gute Sternenstunde aus. Als die Florentiner den 1. Juni 1498 ihren neuen Condottiere Paolo Vitelli feierlich mit seiner Würde bekleideten, war der Kommandostab, den man ihm überreichte, mit der Abbildung von Konstellationen versehen21), und zwar auf Vitellis eigenen Wunsch.
Bisweilen wird es nicht ganz klar, ob bei wichtigen politischen Ereignissen die Sterne vorher befragt wurden, oder ob die Astrologen nur nachträglich aus Kuriosität die Konstellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick beherrscht haben sollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 38 f.) mit einem Meisterstreich seinen Oheim Bernabò und dessen Familie gefangennahm (1385), standen Jupiter, Saturn und Mars im Hause der Zwillinge - so meldet ein Zeitgenosse22), aber wir erfahren nicht, ob dies den Entschluss zur Tat bestimmte. Nicht selten mag auch politische Einsicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben als der Gang der Planeten23).
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