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Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien

Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch.
Fünfter Abschnitt: Die Geselligkeit und die Feste - Stellung der Frau

Zum Verständnis der höhern Geselligkeit der Renaissance ist endlich wesentlich zu wissen, dass das Weib dem Manne gleich geachtet wurde. Man darf sich ja nicht irre machen lassen durch die spitzfindigen und zum Teil boshaften Untersuchungen über die vermutliche Inferiorität des schönen Geschlechtes, wie sie bei den Dialogenschreibern hin und wieder vorkommen, auch nicht durch eine Satire wie die dritte des Ariosto1), welcher das Weib wie ein gefährliches grosses Kind betrachtet, das der Mann zu behandeln wissen müsse, während es durch eine Kluft von ihm geschieden bleibt. Letzteres ist allerdings in einem gewissen Sinne wahr; gerade weil das ausgebildete Weib dem Manne gleichstand, konnte in der Ehe das, was man geistige und Seelengemeinschaft oder höhere Ergänzung nennt, nicht so zur Blüte gelangen wie später in der gesitteten Welt des Nordens.

Vor allem ist die Bildung des Weibes in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe wie beim Manne. Es erregt den Italienern der Renaissance nicht das geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen Unterricht auf Töchter und Söhne gleichmässig wirken zu lassen (S. 246); da man ja in dieser neuantiken Kultur den höchsten Besitz des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen. Wir sahen, bis zu welcher Virtuosität selbst Fürstentöchter im lateinischen Reden und Schreiben gelangten (S. 252, 259). Andere mussten wenigstens die Lektüre der Männer teilen, um dem Sachinhalt des Altertums, wie er die Konversation grossenteils beherrschte, folgen zu können. Weiter schloss sich daran die tätige Teilnahme an der italienischen Poesie durch Canzonen, Sonette und Improvisation, womit seit der Venezianerin Cassandra Fedele (Ende des 15. Jahrhunderts) eine Anzahl von Damen berühmt wurden2); Vittoria Colonna kann sogar unsterblich heißen. Wenn irgend etwas unsere obige Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem völlig männlichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte zeigen eine so entschiedene, präzise Fassung, sind von dem zarten Halbdunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, daß man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und bestimmte äussere Andeutungen das Gegenteil besagten.

Denn mit der Bildung entwickelt sich auch der Individualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähnliche Weise wie in den Männern, während ausserhalb Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und selbst die Fürstinnen, noch sehr wenig persönlich hervortreten. Ausnahmen wie Isabeau von Baiern, Margarethe von Anjou, Isabella von Castilien usw. kommen auch nur unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, ja gleichsam nur gezwungen zum Vorschein. In Italien haben schon während des ganzen 15. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herrscher und vorzüglich die der Condottieren fast alle eine besondere, kenntliche Physiognomie, und nehmen an der Notorietät, ja am Ruhme ihren Anteil (S. 163 [Anm. 4]). Dazu kömmt allmählich eine Schar von berühmten Frauen verschiedener Art (S. 180), wäre auch ihre Auszeichnung nur darin zu finden gewesen, dass in ihnen Anlage, Schönheit, Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmonisches Ganzes bildeten3). Von einer aparten, bewussten »Emanzipation« ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand. Die Frau von Stande musste damals ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben. Derselbe Hergang in Geist und Herz, welcher den Mann vollkommen macht, sollte auch das Weib vollkommen machen. Aktive literarische Tätigkeit verlangt man nicht von ihr, und wenn sie Dichterin ist, so erwartet man wohl irgendeinen mächtigen Klang der Seele, aber keine speziellen Intimitäten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das Publikum dachten diese Frauen nicht; sie mussten vor allem bedeutenden Männern imponieren4) und deren Willkür in Schranken halten.

Das Ruhmvollste, was damals von den grossen Italienerinnen gesagt wird, ist, dass sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüt hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Heldengedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um zu wissen, dass es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt. Der Titel einer »virago«, den unser Jahrhundert für ein sehr zweideutiges Kompliment hält, war damals reiner Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza, Gemahlin, dann Witwe des Girolamo Riario, dessen Erbe Forlì sie zuerst gegen die Partei seiner Mörder, dann später gegen Cesare Borgia mit allen Kräften verteidigte; sie unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer Landsleute und den Namen der »prima donna d'Italia«5). Eine heroische Ader dieser Art erkennt man noch in verschiedenen Frauen der Renaissance, wenn auch keine mehr solchen Anlass fand, sich als Heldin zu betätigen. Isabella Gonzaga (S. 70 f.) verrät diesen Zug ganz deutlich.

Frauen dieser Gattung konnten denn freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen lassen wie die des Bandello, ohne dass darunter die Geselligkeit Schaden litt. Der herrschende Genius der letztern ist nicht die heutige Weiblichkeit, d. h. der Respekt vor gewissen Voraussetzungen, Ahnungen und Mysterien, sondern das Bewußtsein der Energie, der Schönheit und einer gefährlichen, schicksalsvollen Gegenwart. Deshalb geht neben den gemessensten Weltformen ein Etwas einher, das unserm Jahrhundert wie Schamlosigkeit vorkömmt6), während wir nur eben das Gegengewicht, nämlich die mächtige Persönlichkeit der dominierenden Frauen des damaligen Italiens uns nicht mehr vorstellen können.

Dass alle Traktate und Dialoge zusammengenommen keine entscheidende Aussage dieser Art enthalten, versteht sich von selbst, so weitläufig auch über die Stellung und die Fähigkeiten der Frauen und über die Liebe debattiert wird.

Was dieser Gesellschaft im allgemeinen gefehlt zu haben scheint, war der Flor junger Mädchen7), welche man sehr davon zurückhielt, auch wenn sie nicht im Kloster erzogen wurden. Es ist schwer zu sagen, ob ihre Abwesenheit mehr die grössere Freiheit der Konversation oder ob umgekehrt letztere jene veranlaßt hat.

Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilen einen scheinbaren Aufschwung, als wollte sich das Verhältnis der alten Athener zu ihren Hetären erneuern. Die berühmte römische Kurtisane Imperia war ein Weib von Geist und Bildung und hatte bei einem gewissen Domenico Campana Sonette machen gelernt, trieb auch Musik8). Die schöne Isabella de Luna, von spanischer Herkunft, galt wenigstens als amüsant, war übrigens aus Gutherzigkeit und einem entsetzlich frechen Lästermaul wunderlich zusammengesetzt9). In Mailand kannte Bandello die majestätische Caterina di San Celso10), welche herrlich spielte und sang und Verse rezitierte. Und so weiter. Aus allem geht hervor, dass die berühmten und geistreichen Leute, welche diese Damen besuchten und zeitweise mit ihnen lebten, auch geistige Ansprüche an sie stellten, und dass man den berühmten Buhlerinnen mit der grössten Rücksicht begegnete; auch nach Auflösung des Verhältnisses suchte man sich ihre gute Meinung zu bewahren11), weil die vergangene Leidenschaft doch einen bedeutenden Eindruck für immer zurückgelassen hatte. Im ganzen kommt jedoch dieser Umgang in geistigem Sinne nicht in Betracht neben der erlaubten, offiziellen Geselligkeit, und die Spuren, welche er in Poesie und Literatur zurückläßt, sind vorherrschend skandalöser Art. Ja man darf sich billig wundern, dass unter den 6800 Personen dieses Standes, welche man zu Rom im Jahre 1490 - also vor dem Eintreten der Syphilis - zählte12), kaum irgendein Weib von Geist und höherm Talent hervortritt; die oben genannten sind erst aus der nächstfolgenden Zeit. Die Lebensweise, Moral und Philosophie der öffentlichen Weiber, namentlich den raschen Wechsel von Genuss, Gewinnsucht und tieferer Leidenschaft, sowie die Heuchelei und Teufelei einzelner im spätern Alter schildert vielleicht am besten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu seinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in seinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr sein eigenes Inneres als das jener unglücklichen Klasse, wie sie wirklich war.

Die Maitressen der Fürsten, wie schon oben (S. 80) bei Anlaß des Fürstentums erörtert wurde, sind der Gegenstand von Dichtern und Künstlern und daher der Mit- und Nachwelt persönlich bekannt, während man von einer Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitresse Friedrichs des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von Agnes Sorel eine eher fingierte als wahre Minnesage übrig hat. Anders verhält es sich dann schon mit den Geliebten der Könige der Renaissance, Franz I. und Heinrich II.


  1. An Annibale Maleguccio, sonst auch als fünfte und sechste bezeichnet. Zurück
     
  2. Wogegen die Beteiligung der Frauen an den bildenden Künsten nur äusserst gering ist. Zurück
     
  3. So muss man z. B. bei Vespasiano Fiorentino (Mai, Spicileg. rom. XI, p. 593, s.) die Biographie der Alessandra de' Bardi auffassen. Der Autor ist, beiläufig gesagt, ein grosser laudator temporis acti und man darf nicht vergessen, dass fast hundert Jahre vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, schon Boccaccio den Decamerone schrieb. Zurück
     
  4. Ant. Galateo, epist. 3, an die junge Bona Sforza, die spätere Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sapere, quoniam ad imperandum viris nata es ... Ita fac, ut sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admirentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc. Auch sonst ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.) Zurück
     
  5. So heisst sie in dem Hauptbericht Chron. venetum bei Murat. XXIV, Col. 128, s. Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981 und Arch. stor. Append. II, p. 250. Zurück
     
  6. Und es zu Zeiten auch ist. - Wie sich die Damen bei solchen Erzählungen zu benehmen haben, lehrt der Cortigiano, L. III, fol. 107. Dass schon die Damen, welche bei seinen Dialogen zugegen waren, sich gelegentlich mussten zu benehmen wissen, zeigt z. B. die starke Stelle L. II, Fol. 100. - Was von dem Gegenstück des Cortigiano, der Donna di palazzo gesagt wird, ist deshalb nicht entscheidend, weil diese Palastdame bei weitem mehr Dienerin der Fürstin ist als der Cortigiano Diener des Fürsten. - Bei Bandello I, Nov. 44, erzählt Bianca d'Este die schauerliche Liebesgeschichte ihres eignen Ahns Niccolò von Ferrara und der Parisina. Zurück
     
  7. Wie sehr die gereisten Italiener den freien Umgang mit den Mädchen in England und den Niederlanden zu würdigen wussten, zeigt Bandello II, Nov. 42 und IV, Nov. 27. Zurück
     
  8. Paul. Jov. de rom. piscibus, cap. 5. - Dandello, Parte III, Nov. 42. - Aretin, im Ragionamento del Zoppino, p. 327, sagt von einer Buhlerin: sie weiss auswendig den ganzen Petrarca und Boccaccio und zahllose schöne lateinische Verse aus Virgil, Horaz, Ovid und tausend andern Autoren. Zurück
     
  9. Bandello II, 51. IV, 16. Zurück
     
  10. Bandello IV, 8. Zurück
     
  11. Ein sehr bezeichnendes Beispiel hievon bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 7. Zurück
     
  12. Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es sind nur die öffentlichen Weiber, nicht die Konkubinen mitgerechnet. Die Zahl ist übrigens im Verhältnis zur vermutlichen Bevölkerung von Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler. Zurück

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