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Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien

Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch.
Vierter Abschnitt: Die Entdeckung der Welt und des Menschen - Entdeckung der landschaftlichen Schönheit

Allein ausser dem Forschen und Wissen gab es noch eine andere Art, der Natur nahezutreten, und zwar zunächst in einem besondern Sinne. Die Italiener sind die frühsten unter den Modernen, welche die Gestalt der Landschaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenommen und genossen haben1).

Diese Fähigkeit ist immer das Resultat langer, komplizierter Kulturprozesse, und ihr Entstehen lässt sich schwer verfolgen, indem ein verhülltes Gefühl dieser Art lange vorhanden sein kann, ehe es sich in Dichtung und Malerei verraten und damit seiner selbst bewusst werden wird. Bei den Alten z. B. waren Kunst und Poesie mit dem ganzen Menschenleben gewissermassen fertig, ehe sie an die landschaftliche Darstellung gingen, und diese blieb immer nur eine beschränkte Gattung, während doch von Homer an der starke Eindruck der Natur auf den Menschen aus zahllosen einzelnen Worten und Versen hervorleuchtet. Sodann waren die germanischen Stämme, welche auf dem Boden des römischen Reiches ihre Herrschaften gründeten, von Hause aus im höchsten Sinne ausgerüstet zur Erkenntnis des Geistes in der landschaftlichen Natur, und wenn sie auch das Christentum eine Zeitlang nötigte, in den bisher verehrten Quellen und Bergen, in See und Wald das Antlitz falscher Dämonen zu ahnen, so war doch dieses Durchgangsstadium ohne Zweifel bald überwunden. Auf der Höhe des Mittelalters, um das Jahr 1200, existiert wieder ein völlig naiver Genuss der äussern Welt und gibt sich lebendig zu erkennen bei den Minnedichtern der verschiedenen Nationen2). Dieselben verraten das stärkste Mitleben in den einfachsten Erscheinungen, als da sind der Frühling und seine Blumen, die grüne Heide und der Wald. Aber es ist lauter Vordergrund ohne Ferne, selbst noch in dem besondern Sinne, dass die weitgereisten Kreuzfahrer sich in ihren Liedern kaum als solche verraten. Auch die epische Poesie, welche z. B. Trachten und Waffen so genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oertlichkeit skizzenhaft, und der grosse Wolfram von Eschenbach erweckt kaum irgendein genügendes Bild von der Szene, auf welcher seine handelnden Personen sich bewegen. Aus den Gesängen würde vollends niemand erraten, dass dieser dichtende Adel aller Länder tausend hochgelegene, weitschauende Schlösser bewohnte oder besuchte und kannte. Auch in jenen lateinischen Dichtungen der fahrenden Kleriker (S. 204) fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landschaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer so glühenden Farbenpracht geschildert, wie sie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergibt. Oder existiert noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italienischen Dichter des 12. Jahrhunderts?

Immortalis fieret
Ibi manens homo;
Arbor ibi quaelibet
Suo gaudet pomo;
Viae myrrha, cinnamo
Fragrant, et amomo -
Coniectari poterat
Dominus ex domo3) etc.

Für Italiener jedenfalls ist die Natur längst entsündigt und von jeder dämonischen Einwirkung befreit. San Francesco von Assisi preist in seinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen. Aber die festen Beweise für eine tiefere Wirkung grosser landschaftlicher Anblicke auf das Gemüt beginnen mit Dante. Er schildert nicht nur überzeugend in wenigen Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde u. dgl., sondern er besteigt hohe Berge in der einzig möglichen Absicht, den Fernblick zu geniessen4); vielleicht seit dem Altertum einer der ersten, der dies getan hat. Boccaccio lässt mehr erraten, als dass er es schilderte, wie ihn die Landschaft ergreift, doch wird man in seinen Hirtenromanen5) die wenigstens in seiner Phantasie vorhandene mächtige Naturszenerie nicht verkennen. Vollständig und mit grösster Entschiedenheit bezeugt dann Petrarca, einer der frühsten völlig modernen Menschen, die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele. Der lichte Geist, welcher zuerst aus allen Literaturen die Anfänge und Fortschritte des malerischen Natursinnes zusammengesucht und in den »Ansichten der Natur« selber das höchste Meisterwerk der Schilderung vollbracht hat, Alexander von Humboldt, ist gegen Petrarca nicht völlig gerecht gewesen, so dass uns nach dem grossen Schnitter noch eine kleine Aehrenlese übrigbleibt.

Petrarca war nämlich nicht bloss ein bedeutender Geograph und Kartograph - die frühste Karte von Italien6) soll er haben entwerfen lassen - er wiederholte auch nicht bloss, was die Alten gesagt hatten7), sondern der Anblick der Natur traf ihn unmittelbar. Der Naturgenuss ist für ihn der erwünschteste Begleiter jeder geistigen Beschäftigung; auf der Verflechtung beider beruht sein gelehrtes Anachoretenleben in Vaucluse und anderswo, seine periodische Flucht aus Zeit und Welt8). Man würde ihm Unrecht tun, wenn man aus seinem noch schwachen und wenig entwickelten Vermögen des landschaftlichen Schilderns auf einen Mangel an Empfindung schliessen wollte. Seine Beschreibung des wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere zum Beispiel, die er deshalb am Ende des VI. Gesanges der »Africa« einlegt, weil sie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern besungen worden9), ist allerdings eine blosse Aufzählung. Aber derselbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit von Felsbildungen und weiss überhaupt die malerische Bedeutung einer Landschaft von der Nutzbarkeit zu trennen10). Bei seinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt der plötzliche Anblick einer grossartigen Landschaft so auf ihn, dass er ein längst unterbrochenes Gedicht wieder fortsetzt11). Die wahrste und tiefste Aufregung aber kömmt über ihn bei der Besteigung des Mont Ventoux unweit Avignon12). Ein unbestimmter Drang nach einer weiten Rundsicht steigert sich in ihm aufs höchste, bis endlich das zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp, der Römerfeind, den Hämus besteigt, den Entscheid gibt. Er denkt: was an einem königlichen Greise nicht getadelt werde, sei auch bei einem jungen Manne aus dem Privatstande wohl zu entschuldigen. Planloses Bergsteigen war nämlich in seiner Umgebung etwas Unerhörtes, und an die Begleitung von Freunden oder Bekannten war nicht zu denken. Petrarca nahm nur seinen jüngern Bruder und vom letzten Rastort aus zwei Landleute mit. Am Gebirge beschwor sie ein alter Hirte, umzukehren; er habe vor fünfzig Jahren dasselbe versucht und nichts als Reue, zerschlagene Glieder und zerfetzte Kleider heimgebracht; vorher und seitdem habe sich niemand mehr des Weges unterstanden. Allein sie dringen mit unsäglicher Mühe weiter empor, bis die Wolken unter ihren Füssen schweben, und erreichen den Gipfel. Eine Beschreibung der Aussicht erwartet man nun allerdings vergebens, aber nicht weil der Dichter dagegen unempfindlich wäre, sondern im Gegenteil, weil der Eindruck allzu gewaltig auf ihn wirkt. Vor seine Seele tritt sein ganzes vergangenes Leben mit allen Torheiten; er erinnert sich, dass es heut zehn Jahre sind, seit er jung aus Bologna gezogen, und wendet einen sehnsüchtigen Blick in der Richtung gen Italien hin; er schlägt ein Büchlein auf, das damals sein Begleiter war, die Bekenntnisse des heiligen Augustin - allein siehe, sein Auge fällt auf die Stelle im zehnten Abschnitt: »Und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig daherrauschende Ströme und den Ozean und den Lauf der Gestirne und verlassen sich selbst darob.« Sein Bruder, dem er diese Worte vorliest, kann nicht begreifen, warum er hierauf das Buch schliesst und schweigt.

Einige Jahrzehnde später, um 1360, schildert Fazio degli Uberti in seiner gereimten Kosmographie13) (S. 208) die weite Aussicht vom Gebirge Alvernia zwar nur mit der Teilnahme des Geographen und Antiquars, doch deutlich als eine wirklich von ihm gesehene. Er muss aber noch viel höhere Gipfel erstiegen haben, da er Phänomene kennt, die sich erst mit mehr als 10 000 Fuss über Meer einstellen, das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen sein mythischer Gefährte Solinus durch einen Schwamm mit einer Essenz Hülfe schafft. Die Besteigungen des Parnasses und des Olymp14), von welchen er spricht, mögen freilich blosse Fiktionen sein.


  1. Es ist kaum nötig, auf die berühmte Darstellung dieses Gegenstandes im zweiten Bande von Humboldts Kosmos zu verweisen. Zurück
     
  2. Hieher gehören bei Humboldt a. a. O. die Mitteilungen von Wilhelm Grimm. Zurück
     
  3. Carmina Burana p. 162, de Phyllide et Flora, str. 66. Zurück
     
  4. Man wird schwer erraten, was er sonst auf dem Gipfel der Bismantova, im Gebiet von Reggio, könnte zu tun gehabt haben. Purgat. IV, 26. Schon die Präzision, womit er alle Teile seines Jenseits zu verdeutlichen sucht, beweist vielen Raum- und Formensinn. - Wie sich früher an Berggipfel die Lüsternheit nach dort befindlichen Schätzen und zugleich abergläubischer Schrecken anknüpfte, zeigt anschaulich Chron. Novaliciense, II, 5 (bei Pertz, Scriptt. VII und Monumenta hist. patriae, Scriptt. III). Zurück
     
  5. Ausser der Schilderung von Bajae in der Fiammetta, von dem Hain im Ameto usw. ist eine Stelle de Genealogia Deor. XIV, 11 von Bedeutung, wo er eine Anzahl landschaftlicher Einzelheiten, Bäume, Wiesen, Bäche, Herden, Hütten usw. aufzählt und beifügt, diese Dinge animum mulcent; ihre Wirkung sei, mentem in se colligere. Zurück
     
  6. Libri, Hist. des Sciences math. II, p. 249. Zurück
     
  7. Obwohl er sich gern auf sie beruft, z. B.: de vita solitaria, bes. p. 241, wo er die Beschreibung einer Weinlaube aus S. Augustin zitiert. Zurück
     
  8. Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses, quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quae ante sunt, cum Apostolo extendens et praeterita oblivisci nitor et praesentia non videre. Vergl. VI, 3, p. 665. Zurück
     
  9. Jacuit sine carmine sacro. - Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558. Zurück
     
  10. Er unterscheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Levante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate conspicuos. Ueber das Gestade von Gaeta vgl. de remediis utriusque fort. I, 54. Zurück
     
  11. De orig. et vita, p. 3: subito loci specie percussus. Zurück
     
  12. Epist. famil. IV, 1, p. 624. Zurück
     
  13. Il Dittamondo, III, cap. 9. Zurück
     
  14. Dittamondo, III, cap. 21. IV, cap. 4. - Papencordt, Geschichte der Stadt Rom, S. 426, sagt, dass Kaiser Karl IV. vielen Sinn für schöne Gegenden gehabt habe und zitiert hiezu Pelzel, Karl IV. S. 456. (Die beiden andern Zitate, die er anführt, sagen dies nicht.) Es wäre möglich, dass dergleichen dem Kaiser durch seinen Umgang mit den Humanisten angeflogen wäre. Zurück

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