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Vor allem geniesst die Ruinenstadt Rom1) selber jetzt eine andere Art von Pietät als zu der Zeit, da die Mirabilia Romae und das Geschichtswerk des Wilhelm von Malmesbury verfasst wurden. Die Phantasie des frommen Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers2) tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Historikers und Patrioten. In diesem Sinne wollen Dantes Worte3) verstanden sein: Die Steine der Mauern von Rom verdienten Ehrfurcht, und der Boden, worauf die Stadt gebaut ist, sei würdiger, als die Menschen sagen. Die kolossale Frequenz der Jubiläen lässt in der eigentlichen Literatur doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als besten Gewinn vom Jubiläum des Jahres 1300 bringt Giovanni Vilani (S. 102) seinen Entschluss zur Geschichtschreibung mit nach Hause, welchen der Anblick der Ruinen von Rom in ihm geweckt. Petrarca gibt uns noch Kunde von einer zwischen klassischem und christlichem Altertum geteilten Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Colonna auf die riesigen Gewölbe der Diocletiansthermen hinaufgestiegen4); hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille, mitten in der weiten Rundsicht redeten sie zusammen, nicht von Geschäften, Hauswesen und Politik, sondern, mit dem Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geschichte, wobei Petrarca mehr das Altertum, Giovanni mehr die christliche Zeit vertrat; dann auch von der Philosophie und von den Erfindern der Künste. Wie oft seitdem bis auf Gibbon und Niebuhr hat diese Ruinenwelt die geschichtliche Kontemplation geweckt.
Dieselbe geteilte Empfindung offenbart auch noch Fazio degli Uberti in seinem um 1360 verfassten Dittamondo, einer fingierten visionären Reisebeschreibung, wobei ihn der alte Geograph Solinus begleitet wie Virgil den Dante. So wie sie Bari zu Ehren des S. Nicolaus, Monte Gargano aus Andacht zum Erzengel Michael besuchen, so wird auch in Rom die Legende von Araceli und die von S. Maria in Trastevere erwähnt, doch hat die profane Herrlichkeit des alten Rom schon merklich das Uebergewicht; eine hehre Greisin in zerrissenem Gewand - es ist Roma selber - erzählt ihnen die glorreiche Geschichte und schildert umständlich die alten Triumphe5); dann führt sie die Fremdlinge in der Stadt herum und erklärt ihnen die sieben Hügel und eine Menge Ruinen - che comprender potrai, quanto fui bella! -
Leider war dieses Rom der avignonesischen und schismatischen Päpste in bezug auf die Reste des Altertums schon bei weitem nicht mehr, was es einige Menschenalter vorher gewesen war. Eine tödliche Verwüstung, welche den wichtigsten noch vorhandenen Gebäuden ihren Charakter genommen haben muss, war die Schleifung von 140 festen Wohnungen römischer Grossen durch den Senator Brancaleone um 1258; der Adel hatte sich ohne Zweifel in den besterhaltenen und höchsten Ruinen eingenistet gehabt6). Gleichwohl blieb noch immer unendlich viel mehr übrig, als was gegenwärtig aufrechtsteht, und namentlich mögen viele Reste noch ihre Bekleidung und Inkrustation mit Marmor, ihre vorgesetzten Säulen u. a. Schmuck gehabt haben, wo jetzt nur der Kernbau aus Backsteinen übrig ist. An diesen Tatbestand schloss sich nun der Anfang einer ernsthaften Topographie der alten Stadt an. In Poggios Wanderung durch Rom7) ist zum erstenmal das Studium der Reste selbst mit dem der alten Autoren und mit dem der Inschriften (welchen er durch alles Gestrüpp hindurch8) nachging) inniger verbunden, die Phantasie zurückgedrängt, der Gedanke an das christliche Rom geflissentlich ausgeschieden. Wäre nur Poggios Arbeit viel ausgedehnter und mit Abbildungen versehen! Er traf noch sehr viel mehr Erhaltenes an als achtzig Jahre später Rafael. Er selber hat noch das Grabmal der Caecilia Metella und die Säulenfronte eines der Tempel am Abhang des Kapitols zuerst vollständig und dann später bereits halbzerstört wiedergesehen, indem der Marmor noch immer den unglückseligen Materialwert hatte, leicht zu Kalk gebrannt werden zu können; auch eine gewaltige Säulenhalle bei der Minerva unterlag stückweise diesem Schicksal. Ein Berichterstatter vom Jahre 1443 meldet die Fortdauer dieses Kalkbrennens, »welches eine Schmach ist; denn die neuern Bauten sind erbärmlich, und das Schöne an Rom sind die Ruinen9)«. Die damaligen Einwohner in ihren Campagnolenmänteln und Stiefeln kamen den Fremden vor wie lauter Rinderhirten, und in der Tat weidete das Vieh bis zu den Banchi hinein; die einzige gesellige Reunion waren die Kirchgänge zu bestimmten Ablässen; bei dieser Gelegenheit bekam man auch die schönen Weiber zu sehen.
In den letzten Jahren Eugens IV. (+ 1447) schrieb Blondus von Forlì seine Roma instaurata, bereits mit Benützung des Frontinus und der alten Regionenbücher, sowie auch (scheint es) des Anastasius. Sein Zweck ist schon bei weitem nicht bloss die Schilderung des Vorhandenen, sondern mehr die Ausmittelung des Untergegangenen. Im Einklang mit der Widmung an den Papst tröstet er sich für den allgemeinen Ruin mit den herrlichen Reliquien der Heiligen, welche Rom besitze.
Mit Nicolaus V. (1447-1455) besteigt derjenige neue monumentale Geist, welcher der Renaissance eigen war, den päpstlichen Stuhl. Durch die neue Geltung und Verschönerung der Stadt Rom als solcher wuchs nun wohl einerseits die Gefahr für die Ruinen, andererseits aber auch die Rücksicht für dieselben als Ruhmestitel der Stadt. Pius II. ist ganz erfüllt von antiquarischem Interesse, und wenn er von den Altertümern Roms wenig redet, so hat er dafür denjenigen des ganzen übrigen Italiens seine Aufmerksamkeit gewidmet und diejenigen der Umgebung der Stadt in weitem Umfange zuerst genau gekannt und beschrieben10). Allerdings interessieren ihn als Geistlichen und Kosmographen antike und christliche Denkmäler und Naturwunder gleichmässig, oder hat er sich Zwang antun müssen, als er z. B. niederschrieb: Nola habe grössere Ehre durch das Andenken des St. Paulinus als durch die römischen Erinnerungen und durch den Heldenkampf des Marcellus? Nicht dass etwa an seinem Reliquienglauben zu zweifeln wäre, allein sein Geist ist schon offenbar mehr der Forscherteilnahme an Natur und Altertum, der Sorge für das Monumentale, der geistvollen Beobachtung des Lebens zugeneigt. Noch in seinen letzten Jahren als Papst, podagrisch und doch in der heitersten Stimmung, lässt er sich auf dem Tragsessel über Berg und Tal nach Tusculum, Alba, Tibur, Ostia, Falerii, Ocriculum bringen und verzeichnet alles, was er gesehen; er verfolgt die alten Römerstrassen und Wasserleitungen und sucht die Grenzen der antiken Völkerschaften um Rom zu bestimmen. Bei einem Ausflug nach Tibur mit dem grossen Federigo von Urbino vergeht die Zeit beiden auf das angenehmste mit Gesprächen über das Altertum und dessen Kriegswesen, besonders über den trojanischen Krieg: selbst auf seiner Reise zum Kongress von Mantua (1459) sucht er, wiewohl vergebens, das von Plinius erwähnte Labyrinth von Clusium und besieht am Mincio die sogenannte Villa Virgils. Dass derselbe Papst auch von den Abbreviatoren ein klassisches Latein verlangte, versteht sich beinahe von selbst; hat er doch einst im neapolitanischen Krieg die Arpinaten amnestiert als Landsleute des M. T. Cicero, sowie des C. Marius, nach welchen noch viele Leute dort getauft waren. Ihm allein als Kenner und Beschützer konnte und mochte Blondus seine Roma triumphans zueignen, den ersten grossen Versuch einer Gesamtdarstellung des römischen Altertums.
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