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Die höchste politische Bewusstheit, den grössten Reichtum an Entwicklungsformen findet man vereinigt in der Geschichte von Florenz, welches in diesem Sinne wohl den Namen des ersten modernen Staates der Welt verdient. Hier treibt ein ganzes Volk das, was in den Fürstenstaaten die Sache einer Familie ist. Der wunderbare florentinische Geist, scharf raisonnierend und künstlerisch zugleich, gestaltet den politischen und sozialen Zustand unaufhörlich um und beschreibt und richtet ihn ebenso unaufhörlich. So wurde Florenz die Heimat der politischen Doktrinen und Theorien, der Experimente und Sprünge, aber auch mit Venedig die Heimat der Statistik und allein und vor allen Staaten der Welt die Heimat der geschichtlichen Darstellung im neuern Sinne. Der Anblick des alten Roms und die Kenntnis seiner Geschichtschreiber kam hinzu, und Giovanni Villani gesteht1), dass er beim Jubiläum des Jahres 1300 die Anregung zu seiner grossen Arbeit empfangen und gleich nach der Heimkehr dieselbe begonnen habe; allein wie manche unter den 200 000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich gewesen sein und haben doch die Geschichte ihrer Städte nicht geschrieben! Denn nicht jeder konnte so trostvoll beifügen: »Rom ist im Sinken, meine Vaterstadt aber im Aufsteigen und zur Ausführung grosser Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und soweit ich noch die Ereignisse erleben werde.« Und ausser dem Zeugnis von seinem Lebensgange erreichte Florenz durch seine Geschichtschreiber noch etwas Weiteres: einen grösseren Ruhm als irgendein anderer Staat von Italien2).
Nicht die Geschichte dieses denkwürdigen Staates, nur einige Andeutungen über die geistige Freiheit und Objektivität, welche durch diese Geschichte in den Florentinern wach geworden, sind hier unsere Aufgabe.
Um das Jahr 1300 beschrieb Dino Compagni die städtischen Kämpfe seiner Tage. Die politische Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charaktere der Führer, genug, das ganze Gewebe von nähern und entferntern Ursachen und Wirkungen sind hier so geschildert, dass man die allgemeine Superiorität des florentinischen Urteilens und Schilderns mit Händen greift. Und das grösste Opfer dieser Krisen, Dante Alighieri, welch ein Politiker, gereift durch Heimat und Exil! Er hat den Hohn über das beständige Aendern und Experimentieren an der Verfassung in eherne Terzinen gegossen3), welche sprichwörtlich bleiben werden, wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat seine Heimat mit Trotz und mit Sehnsucht angeredet, dass den Florentinern das Herz beben musste. Aber seine Gedanken dehnen sich aus über Italien und die Welt, und wenn seine Agitation für das Imperium, wie er es auffasste, nichts als ein Irrtum war, so muß man bekennen, dass das jugendliche Traumwandeln der kaum geborenen politischen Spekulation bei ihm eine poetische Grösse hat. Er ist stolz, der erste zu sein, der diesen Pfad betritt4), allerdings an der Hand des Aristoteles, aber in seiner Weise sehr selbständig. Sein Idealkaiser ist ein gerechter, menschenliebender, nur von Gott abhängender Oberrichter, der Erbe der römischen Weltherrschaft, welche eine vom Recht, von der Natur und von Gottes Ratschluss gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreises sei nämlich eine rechtmässige, ein Gottesurteil zwischen Rom und den übrigen Völkern gewesen, und Gott habe dieses Reich anerkannt, indem er unter demselben Mensch wurde und sich bei seiner Geburt der Schatzung des Kaisers Augustus, bei seinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog usw. Wenn wir diesen und andern Argumenten nur schwer folgen können, so ergreift Dantes Leidenschaft immer. In seinen Briefen5) ist er einer der frühsten aller Publizisten, vielleicht der frühste Laie, der Tendenzschriften in Briefform auf eigene Hand ausgehen liess. Er fing damit beizeiten an; schon nach dem Tode Beatrices erliess er ein Pamphlet über den Zustand von Florenz »an die Grossen des Erdkreises«, und auch die spätern offenen Schreiben aus der Zeit seiner Verbannung sind an lauter Kaiser, Fürsten und Kardinäle gerichtet. In diesen Briefen und in dem Buche »von der Vulgärsprache« kehrt unter verschiedenen Formen das mit so vielen Schmerzen bezahlte Gefühl wieder, dass der Verbannte auch ausserhalb der Vaterstadt eine neue geistige Heimat finden dürfe in der Sprache und Bildung, die ihm nicht mehr genommen werden könne, und auf diesen Punkt werden wir noch einmal zurückkommen.
Den Villani, Giovanni sowohl als Matteo, verdanken wir nicht sowohl tiefe politische Betrachtungen als vielmehr frische, praktische Urteile und die Grundlage zur Statistik von Florenz, nebst wichtigen Angaben über andere Staaten6). Handel und Industrie hatten auch hier neben dem politischen Denken das staatsökonomische geweckt. Ueber die Geldverhältnisse im Grossen wusste man nirgends in der Welt so genauen Bescheid, anzufangen von der päpstlichen Kurie zu Avignon, deren enormer Kassenbestand (25 Millionen Goldgulden beim Tode Johanns XXII.) nur aus so guten Quellen7) glaublich wird. Nur hier erhalten wir Bescheid über kolossale Anleihen z. B.: des Königs von England bei den florentinischen Häusern Bardi und Peruzzi, welche ein Guthaben von 1 365 000 Goldgulden - eigenes und Kompagnie-Geld - einbüssten (1338) und sich dennoch wieder erholten8). Das Wichtigste aber sind die auf den Staat bezüglichen Angaben9) aus jener nämlichen Zeit: die Staatseinnahmen (über 300 000 Goldgulden) und Ausgaben; die Bevölkerung der Stadt (hier noch sehr unvollkommen nach dem Brodkonsum in bocche, d. h. Mäulern, berechnet auf 90 000), und die des Staates; der Ueberschuss von 300-500 männlichen Geburten unter den 5800-6000 alljährlichen Täuflingen des Battistero10); die Schulkinder, von welchen 8000 bis 10 000 lesen, 1000-1200 in sechs Schulen rechnen lernten; dazu gegen 600 Schüler, welche in vier Schulen in (lateinischer) Grammatik und Logik unterrichtet wurden. Es folgt die Statistik der Kirchen und Klöster, der Spitäler (mit mehr als 1000 Betten im ganzen); die Wollen-Industrie, mit äusserst wertvollen Einzelangaben; die Münze, die Verproviantierung der Stadt, die Beamtenschaft u. a. m.11) Anderes erfährt man beiläufig, wie z. B. bei der Einrichtung der neuen Staatsrenten (monte) im Jahr 1353 u. f. auf den Kanzeln gepredigt wurde, von den Franziskanern dafür, von den Dominikanern und Augustinern dagegen12); vollends haben in ganz Europa die ökonomischen Folgen des schwarzen Todes nirgends eine solche Beachtung und Darstellung gefunden, noch finden können wie hier13). Nur ein Florentiner konnte uns überliefern: wie man erwartete, dass bei der Wenigkeit der Menschen alles wohlfeil werden sollte, und wie statt dessen Lebensbedürfnisse und Arbeitslohn auf das Doppelte stiegen; wie das gemeine Volk anfangs gar nicht mehr arbeiten, sondern nur gut leben wollte; wie zumal die Knechte und Mägde in der Stadt nur noch um sehr hohen Lohn zu haben waren; wie die Bauern nur noch das allerbeste Land bebauen mochten und das geringere liegen liessen usw.; wie dann die enormen Vermächtnisse für die Armen, die während der Pest gemacht wurden, nachher zwecklos erschienen, weil die Armen teils gestorben, teils nicht mehr arm waren. Endlich wird einmal bei Gelegenheit eines grossen Vermächtnisses, da ein kinderloser Wohltäter allen Stadtbettlern je sechs Denare hinterliess, eine umfassende Bettelstatistik14) von Florenz versucht.
Diese statistische Betrachtung der Dinge hat sich in der Folge bei den Florentinern auf das Reichste ausgebildet; das Schöne dabei ist, dass sie den Zusammenhang mit dem Geschichtlichen im höhern Sinne, mit der allgemeinen Kultur und mit der Kunst in der Regel durchblicken lassen. Eine Aufzeichnung vom Jahr 142215) berührt mit einem und demselben Federzug die 72 Wechselbuden rings um den Mercato nuovo, die Summe des Barverkehrs (2 Millionen Goldgulden), die damals neue Industrie des gesponnenen Goldes, die Seidenstoffe, den Filippo Brunellesco, der die alte Architektur wieder aus der Erde hervorgräbt, und den Lionardo Aretino, Sekretär der Republik, welcher die antike Literatur und Beredsamkeit wieder erweckt; endlich das allgemeine Wohlergehen der damals politisch ruhigen Stadt und das Glück Italiens, das sich der fremden Soldtruppen entledigt hatte. Jene oben (S. 99 f.) angeführte Statistik von Venedig, die fast aus demselben Jahre stammt, offenbart freilich einen viel grössern Besitz, Erwerb und Schauplatz; Venedig beherrscht schon lange die Meere mit seinen Schiffen, während Florenz (1422) seine erste eigene Galeere (nach Alessandria) aussendet. Allein wer erkennt nicht in der florentinischen Aufzeichnung den höhern Geist? Solche und ähnliche Notizen finden sich hier von Jahrzehnd zu Jahrzehnd, und zwar schon in Uebersichten geordnet, während anderwärts im besten Falle einzelne Aussagen vorhanden sind. Wir lernen das Vermögen und die Geschäfte der ersten Medici approximativ kennen; sie gaben an Almosen, öffentlichen Bauten und Steuern von 1434-1471 nicht weniger als 663 755 Goldgulden aus, wovon auf Cosimo allein über 400 000 kamen16), und Lorenzo magnifico freut sich, dass das Geld so gut ausgegeben sei. Nach 1478 folgt dann wieder eine höchst wichtige und in ihrer Art vollständige Uebersicht17) des Handels und der Gewerbe der Stadt, darunter mehrere, welche halb oder ganz zur Kunst gehören: die Gold- und Silberstoffe und Damaste; die Holzschnitzerei und Marketterie (Intarsia); die Arabeskenskulptur in Marmor und Sandstein; die Porträtfiguren in Wachs; die Goldschmiede- und Juwelierkunst. Ja das angeborene Talent der Florentiner für die Berechnung des ganzen äussern Daseins zeigt sich auch in ihren Haus-, Geschäfts- und Landwirtschaftsbüchern, die sich wohl vor denen der übrigen Europäer des 15. Jahrhunderts um ein namhaftes auszeichnen mögen. Mit Recht hat man angefangen, ausgewählte Proben davon zu publizieren18); nur wird es noch vieler Studien bedürfen, um klare allgemeine Resultate daraus zu ziehen. Jedenfalls gibt sich auch hier derjenige Staat zu erkennen, wo sterbende Väter testamentarisch19) den Staat ersuchten, ihre Söhne um 1000 Goldgulden zu büssen, wenn sie kein regelmässiges Gewerbe treiben würden.
Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts besitzt dann vielleicht keine Stadt der Welt eine solche Urkunde wie die herrliche Schilderung von Florenz bei Varchi ist20). Auch in der beschreibenden Statistik wie in so manchen andern Beziehungen wird hier noch einmal ein Muster hingestellt, ehe die Freiheit und Grösse dieser Stadt zu Grabe geht21).
Neben dieser Berechnung des äussern Daseins geht aber jene fortlaufende Schilderung des politischen Lebens einher, von welcher oben die Rede war. Florenz durchlebt nicht nur mehr politische Formen und Schattierungen, sondern es gibt auch unverhältnismässig mehr Rechenschaft davon als andere freie Staaten Italiens und des Abendlandes überhaupt. Es ist der vollständigste Spiegel des Verhältnisses von Menschenklassen und einzelnen Menschen zu einem wandelbaren Allgemeinen. Die Bilder der grossen bürgerlichen Demagogien in Frankreich und Flandern, wie sie Froissart entwirft, die Erzählungen unserer deutschen Chroniken des 14. Jahrhunderts sind wahrlich bedeutungsvoll genug, allein an geistiger Vollständigkeit, an vielseitiger Begründung des Herganges sind die Florentiner allen unendlich überlegen. Adelsherrschaft, Tyrannis, Kämpfe des Mittelstandes mit dem Proletariat, volle, halbe und Scheindemokratie, Primat eines Hauses, Theokratie (mit Savonarola), bis auf jene Mischformen, welche das mediceische Gewaltfürstentum vorbereiteten, alles wird so beschrieben, dass die innersten Beweggründe der Beteiligten dem Lichte bloss liegt22).
Endlich fasst Macchiavelli in seinen florentinischen Geschichten (bis 1492) seine Vaterstadt vollkommen als ein lebendiges Wesen und ihren Entwicklungsgang als einen individuell naturgemässen auf; der erste unter den Modernen, der dieses so vermocht hat. Es liegt ausser unserm Bereich, zu untersuchen, ob und in welchen Punkten Macchiavell willkürlich verfahren sein mag, wie er im Leben des Castruccio Castracane - einem von ihm eigenmächtig kolorierten Tyrannentypus - notorischer Weise getan hat. Es könnte in den Storie fiorentine gegen jede Zeile irgend etwas einzuwenden sein und ihr hoher, ja einziger Wert im ganzen bliebe dennoch bestehen. Und seine Zeitgenossen und Fortsetzer: Jacopo Pitti, Guicciardini, Segni, Varchi, Vettori, welch ein Kranz von erlauchten Namen! Und welche Geschichte ist es, die diese Meister schildern! Die letzten Jahrzehnde der florentinischen Republik, ein unvergesslich grosses Schauspiel, sind uns hier vollständig überliefert. In dieser massenhaften Tradition über den Untergang des höchsten, eigentümlichsten Lebens der damaligen Welt mag der eine nichts erkennen als eine Sammlung von Kuriositäten ersten Ranges, der andere mit teuflischer Freude den Bankerott des Edeln und Erhabenen konstatieren, ein Dritter die Sache als einen grossen gerichtlichen Prozess auseinanderlegen - jedenfalls wird sie ein Gegenstand nachdenklicher Betrachtung bleiben bis ans Ende der Tage.
Das Grundunglück, welches die Sachlage stets von neuem trübte, war die Herrschaft von Florenz über unterworfene, ehemals mächtige Feinde wie die Pisaner, was einen beständigen Gewaltzustand zur notwendigen Folge hatte. Das einzige, freilich sehr heroische Mittel, das nur Savonarola hätte durchführen können und auch nur mit Hülfe besonders glücklicher Umstände, wäre die rechtzeitige Auflösung Toskanas in eine Föderation freier Städte gewesen; ein Gedanke, der erst als weit verspäteter Fiebertraum einen patriotischen Lucchesen23) (1548) auf das Schafott bringt. Von diesem Unheil und von der unglücklichen Guelfensympathie der Florentiner für einen fremden Fürsten und der daherigen Gewöhnung an fremde Interventionen hängt alles weitere ab. Aber wer muss nicht dieses Volk bewundern, das unter der Leitung seines heiligen Mönches in einer dauernd erhöhten Stimmung das erste italienische Beispiel von Schonung der besiegten Gegner gibt? während die ganze Vorzeit ihm nichts als Rache und Vertilgung predigt! Die Glut, welche hier Patriotismus und sittlich-religiöse Umkehr in ein Ganzes schmilzt, sieht von weitem wohl bald wieder wie erloschen aus, aber ihre besten Resultate leuchten dann in jener denkwürdigen Belagerung von 1529-1530 wieder neu auf. Wohl waren es »Narren«, welche diesen Sturm über Florenz heraufbeschworen, wie Guicciardini damals schrieb, aber schon er gesteht zu, dass sie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weisen wären dem Unheil ausgewichen, so hat dies keinen andern Sinn als dass sich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände seiner Feinde hätte liefern sollen. Es hätte dann seine prächtigen Vorstädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der grössten Erinnerungen ärmer.
Die Florentiner sind in manchen grossen Dingen Vorbild und frühster Ausdruck der Italiener und der modernen Europäer überhaupt, und so sind sie es auch mannigfach für die Schattenseiten. Wenn schon Dante das stets an seiner Verfassung bessernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beständig seine Lage wechselt, um seinen Schmerzen zu entrinnen, so zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieses Staatslebens. Der grosse moderne Irrtum, dass man eine Verfassung machen, durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produzieren könne24), taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf, und auch Macchiavell ist davon nicht frei gewesen. Es bilden sich Staatskünstler, welche durch künstliche Verlegung und Verteilung der Macht, durch höchst filtrierte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zustand begründen, gross und klein gleichmässig zufriedenstellen oder auch täuschen wollen. Sie exemplieren dabei auf das Naivste mit dem Altertum und entlehnen zuletzt auch ganz offiziell von dort die Parteinamen, z. B. ottimati, aristocrazia,25) usw. Seitdem erst hat sich die Welt an diese Ausdrücke gewöhnt und ihnen einen konventionellen, europäischen Sinn verliehen, während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache bezeichneten oder dem Spiel des Zufalls entstammten. Wie sehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache! Von allen jedoch, die einen Staat meinten konstruieren zu können26), ist Macchiavell ohne Vergleich der Grösste. Er fasst die vorhandenen Kräfte immer als lebendige, aktive, stellt die Alternativen richtig und grossartig und sucht weder sich noch andere zu täuschen. Es ist in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch schreibt er ja nicht für das Publikum, sondern entweder für Behörden und Fürsten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falscher Genialität, auch nicht im falschen Ausspinnen von Begriffen, sondern in einer starken Phantasie, die er offenbar mit Mühe bändigt.
Seine politische Objektivität ist allerdings bisweilen entsetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber sie ist entstanden in einer Zeit der äussersten Not und Gefahr, da die Menschen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben noch die Billigkeit voraussetzen konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieselbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unserem Jahrhundert an der Arbeit gesehen haben, keinen besondern Eindruck. Macchiavell war wenigstens imstande, seine eigene Person über den Sachen zu vergessen. Ueberhaupt ist er ein Patriot im strengsten Sinne des Wortes, obwohl seine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles direkten Enthusiasmus bar und ledig sind und obwohl ihn die Florentiner selber zuletzt als einen Verbrecher ansahen27). Wie sehr er sich auch, nach der Art der meisten, in Sitte und Rede gehen liess - das Heil des Staates war doch sein erster und letzter Gedanke. Sein vollständigstes Programm über die Einrichtung eines neuen florentinischen Staatswesen ist niedergelegt in der Denkschrift an Leo X.28), verfasst nach dem Tode des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (+ 1519), dem er sein Buch vom Fürsten gewidmet hatte. Die Lage der Dinge ist eine späte und schon total verdorbene, und die vorgeschlagenen Mittel und Wege sind nicht alle moralisch; aber es ist höchst interessant zu sehen, wie er als Erbin der Medici die Republik, und zwar eine mittlere Demokratie einzuschieben hofft.
Ein kunstreicheres Gebäude von Konzessionen an den Papst, die speziellen Anhänger desselben und die verschiedenen florentinischen Interessen ist gar nicht denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzugehen. Zahlreiche andere Prinzipien, Einzelbemerkungen, Parallelen, politische Perspektiven usw. für Florenz finden sich in den Discorsi, darunter Lichtblicke von erster Schönheit; er erkennt z. B. das Gesetz einer fortschreitenden, und zwar stossweise sich äussernden Entwicklung der Republiken an und verlangt, dass das Staatswesen beweglich und der Veränderung fähig sei, indem nur so die plötzlichen Bluturteile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem ähnlichen Grunde, nämlich um Privatgewalttaten und fremde Intervention (»den Tod aller Freiheit«) abzuschneiden, wünscht er gegen verhasste Bürger eine gerichtliche Anklage (accusa) eingeführt zu sehen, an deren Stelle Florenz von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meisterhaft charakterisiert er die unfreiwilligen, verspäteten Entschlüsse, welche in Republiken bei kritischen Zeiten eine so grosse Rolle spielen. Dazwischen einmal verführt ihn die Phantasie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches seine Leute besser wähle als irgend ein Fürst und sich »mit Zureden« von Irrtümern abbringen lasse29). In betreff der Herrschaft über Toscana zweifelt er nicht, dass dieselbe seiner Stadt gehöre, und hält (in einem besondern Discorso) die Wiederbezwingung Pisas für eine Lebensfrage; er bedauert, dass man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe stehen lassen; er gibt sogar im allgemeinen zu, italienische Republiken müssten sich lebhaft nach aussen bewegen und vergrössern dürfen, um nicht selber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und sich Pisa, Siena und Lucca von jeher tödlich verfeindet, während das »brüderlich behandelte« Pistoja sich freiwillig untergeordnet habe30).
Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im 15. Jahrhundert noch existierten, mit diesem einzigen Florenz auch nur in Parallele setzen zu wollen, welches bei weitem die wichtigste Werkstätte des italienischen, ja des modernen europäischen Geistes überhaupt war. Siena litt an den schwersten organischen Uebeln, und sein relatives Gedeihen in Gewerben und Künsten darf hierüber nicht täuschen. Aeneas Sylvius31) schaut von seiner Vaterstadt aus wahrhaft sehnsüchtig nach den »fröhlichen« deutschen Reichsstädten hinüber, wo keine Konfiskationen von Habe und Erbe, keine gewalttätigen Behörden, keine Faktionen das Dasein verderben32). Genua gehört kaum in den Kreis unserer Betrachtung, da es sich an der ganzen Renaissance vor den Zeiten des Andrea Doria kaum beteiligte, weshalb der Rivierese in Italien als Verächter aller höhern Bildung33) galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen so wilden Charakter und waren von so heftigen Schwankungen der ganzen Existenz begleitet, dass man kaum begreift, wie die Genuesen es anfingen, um nach allen Revolutionen und Okkupationen immer wieder in einen erträglichen Zustand einzulenken. Vielleicht gelang es, weil alle, die sich beim Staatswesen beteiligten, fast ohne Ausnahme zugleich als Kaufleute tätig waren34). Welchen Grad von Unsicherheit der Erwerb im Grossen und der Reichtum aushalten können, mit welchem Zustand im Innern der Besitz ferner Kolonien verträglich ist, lehrt Genua in überraschender Weise.
Lucca bedeutet im 15. Jahrhundert nicht viel. Aus den ersten Jahrzehnden desselben, da die Stadt unter der Halbtyrannis der Familie Guinigi lebte, ist ein Gutachten des lucchesischen Geschichtschreibers Giovanni di Ser Cambio erhalten, welches für die Lage solcher Herrscherhäuser in Republiken überhaupt als sprechendes Denkmal gelten kann35). Der Autor erörtert: die Grösse der Verteilung der Söldnertruppen in Stadt und Gebiet; die Vergebung aller Aemter an ausgewählte Anhänger; die Verzeichnung aller Waffen im Privatbesitz und Entwaffnung der Verdächtigen; die Aufsicht über die Verbannten, welche durch Drohung mit gänzlicher Konfiskation dazu angehalten werden, die ihnen zum Exil angewiesenen Orte nicht zu verlassen; die Beseitigung gefährlicher Rebellen durch heimliche Gewalttat; die Nötigung ausgewanderter Kaufleute und Gewerbleute zur Rückkehr; die möglichste Beseitigung der weitern Bürgerversammlung (consiglio generale) durch eine nur aus Anhängern bestehende Kommission von 12 oder 18; die Einschränkung aller Ausgaben zugunsten der unentbehrlichen Söldner, ohne welche man in beständiger Gefahr leben würde und die man bei guter Laune halten muss (i soldati si faccino amici, confidanti e savî); endlich wird die gegenwärtige Not, zumal der Verfall der Seidenindustrie, aber auch aller andern Gewerbe sowie des Weinbaues zugegeben und zur Aushülfe vorgeschlagen ein hoher Zoll auf auswärtige Weine und ein vollständiger Zwang der Landschaft (contado), mit Ausnahme der Lebensmittel alles in der Stadt zu kaufen. Der merkwürdige Aufsatz würde auch für uns eines umständlichen Kommentars bedürfen; hier möge er nur erwähnt sein als einer von den vielen Belegen für die Tatsache, dass in Italien eine zusammenhängende politische Reflexion viel früher entwickelt war als im Norden.
In Venedig galt z. B. der Doge Andrea Vendramin (1476) mit 170 000 Ducati für sehr reich. (Malipiero l. c. VII, II, p. 666.)
In den 1460er Jahren heisst der Patriarch von Aquileia, Lod. Patavino, »fast der reichste aller Italiener« mit 200 000 Dukaten. (Gasp. Veronens., Vita Pauli II, bei Mut. III, II, Col. 1027.) Anderswo fabelhafte Angaben.
Antonio Grimani (S. 95) liess sich die Erhebung seines Sohnes Domenico zum Kardinal 30 000 Dukaten kosten. Er selbst wurde bloss an Barschaft auf 100 000 Dukaten geschätzt. (Chron.Venetum, Mut. XXIV, Col. 125.)
Ueber das Getreide im Handel und im Marktpreis zu Venedig s. bes. Malipiero l. c. VII, II, p. 709, s. (Notiz von 1498.)
Schon um 1522 gilt nicht mehr Venedig, sondern Genua nächst Rom als die reichste Stadt Italiens. (Nur glaublich durch die Autorität eines Franc. Vettori; s. dessen Storia, im Archiv. stor. Append. Tom. VI, p. 343.) Bandello, Parte II, Nov. 34 und 42, erwähnt den reichsten genuesischen Kaufmann seiner Zeit, Ansaldo Grimaldi.
Zwischen 1400 und 1580 nimmt Franc. Sansovino ein Sinken des Geldwertes auf die Hälfte an. (Venezia, fol. 151, bis.)
In der Lombardei glaubt man ein Verhältnis der Getreidepreise um die Mitte des 15. zu denjenigen der Mitte unseres Jahrhunderts annehmen zu müssen wie 3 zu 8. (Sacco di Piacenza, im Archiv. stor. append. Tom. V, Nota des Herausgebers Scarabelli.)
In Ferrara gab es zur Zeit des Herzogs Borso reiche Leute bis 50 und 60 000 Ducati. (Diario Ferrarese, Mur. XXIV, Col. 207, 214, 218; eine fabelhafte Angabe Col. 187.)
Für Florenz kommen Angaben ganz exzeptioneller Art vor, welche nicht zu durchschnittlichen Schlüssen fuhren. So jene Anleihen fremder Fürsten, die wohl nur auf ein oder wenige Häuser lauten, faktisch aber grosse Kompagniegeschäfte waren. So auch jene enorme Besteuerung unterliegender Parteien; wie z. B. von 1430 bis 1453 von 77 Familien 4 875 000 Goldgulden bezahlt wurden. (Varchi III, p. 115, s.)
Das Vermögen des Giovanni Medici betrug bei dessen Tode (1428) 179 221 Goldgulden, aber von seinen beiden Söhnen Cosimo und Lorenzo hinterliess der letztere allein bei seinem Tode (1440) bereits 235 137. (Fabroni, Laur. Med., Adnot. 2.)
Von dem allgemeinen Schwung des Erwerbes zeugt es z. B., dass schon im 14. Jahrhundert die 44 Goldschmiedebuden auf Ponte vecchio dem Staat 800 Goldgulden Jahresmiete eintrugen. (Vasari II, 114, V. di Taddeo Gaddi.) - Das Tagebuch des Buonaccorso Pitti (bei Delécluze, Florence et ses vicissitudes, vol. II.) ist voll Zahlenangaben, welche indes nur im allgemeinen die hohen Preist aller Dinge und den geringen Geldwert beweisen.
Für Rom geben natürlich die Einnahmen der Kurie, da sie europäisch waren, gar keinen Maßstab; auch ist den Angaben über päpstliche Schätze und Kardinalsvermögen wenig zu trauen. Der bekannte Bankier Agostino Chigi hinterliess (1520) eine Gesamthabe im Werte von 800 000 Ducati. (Lettere pittoriche, I. Append. 48.)
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