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Ganz unvermeidlich bemächtigte sich der Humanismus auch der Geschichtschreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieser Historien mit den frühern Chroniken, namentlich mit so herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der Villani wird man dies laut beklagen. Wie abgeblasst und konventionell zierlich erscheint neben diesen alles, was die Humanisten schreiben, und zwar z. B. gerade ihre nächsten und berühmtesten Nachfolger in der Historiographie von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie unablässig plagt den Leser die Ahnung, dass zwischen den livianischen und den cäsarischen Phrasen eines Facius, Sabellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuanischen Geschichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und selbst eines Giovio (in den Historien) die beste individuelle und lokale Farbe, das Interesse am vollen wirklichen Hergang Not gelitten habe. Das Misstrauen wächst, wenn man inne wird, dass der Wert des Vorbildes Livius selbst am unrechten Orte gesucht wurde, nämlich1) darin, dass er »eine trockene und blutlose Tradition in Anmut und Fülle verwandelt« habe; ja man findet (eben da) das bedenkliche Geständnis, die Geschichtschreibung müsse durch Stilmittel den Leser aufregen, reizen, erschüttern - gerade als ob sie die Stelle der Poesie vertreten könnte. Man fragt sich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge, zu welcher diese nämlichen Humanisten sich bisweilen2) offen bekennen, auf ihre Behandlung derselben einen ungünstigen Einfluss haben musste? Unwillkürlich wendet der Leser den anspruchlosen lateinischen und italienischen Annalisten, die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bologna und Ferrara, mehr Teilnahme und Vertrauen zu, und noch viel dankbarer fühlt man sich den bessern unter den italienisch schreibenden eigentlichen Chronisten verpflichtet, einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Infessura, bis dann mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts die neue glanzvolle Reihe der grossen italienischen Geschichtschreiber in der Muttersprache beginnt.
In der Tat war die Zeitgeschichte unwidersprechlich besser daran, wenn sie sich in der Landessprache erging, als wenn sie sich latinisieren musste. Ob auch für die Erzählung des Längstvergangenen, für die geschichtliche Forschung das Italienische geeigneter gewesen wäre, ist eine Frage, welche für jene Zeit verschiedene Antworten zulässt. Das Lateinische war damals die Lingua franca der Gelehrten lange nicht bloss im internationalen Sinn, z. B. zwischen Engländern, Franzosen und Italienern, sondern auch im interprovinzialen Sinne, d. h. der Lombarde, der Venezianer, der Neapolitaner wurden mit ihrer italienischen Schreibart - auch wenn sie längst toskanisiert war und nur noch schwache Spuren des Dialektes an sich trug - von dem Florentiner nicht anerkannt. Dies wäre zu verschmerzen gewesen bei örtlicher Zeitgeschichte, die ihrer Leser an Ort und Stelle sicher war, aber nicht so leicht bei der Geschichte der Vergangenheit, für welche ein weiterer Leserkreis gesucht werden musste. Hier durfte die lokale Teilnahme des Volkes der allgemeinen der Gelehrten aufgeopfert werden. Wie weit wäre z. B. Blondus von Forlì gelangt, wenn er seine grossen gelehrten Werke in einem halbromagnolischen Italienisch verfasst hätte? Dieselben wären einer sichern Obskurität verfallen schon um der Florentiner willen, während sie lateinisch die allergrösste Wirkung auf die Gelehrsamkeit des ganzen Abendlandes ausübten. Und auch die Florentiner selbst schrieben ja im 15. Jahrhundert lateinisch, nicht bloss weil sie humanistisch dachten, sondern zugleich um der leichtern Verbreitung willen.
Endlich gibt es auch lateinische Darstellungen aus der Zeitgeschichte, welche den vollen Wert der trefflichsten italienischen haben. Sobald die nach Livius gebildete fortlaufende Erzählung, das Prokrustesbett so mancher Autoren, aufhört, erscheinen dieselben wie umgewandelt. Jener nämliche Platina, jener Giovio, die man in ihren grossen Geschichtswerken nur verfolgt, soweit man muss, zeigen sich auf einmal als ausgezeichnete biographische Schilderer. Von Tristan Caracciolo, von dem biographischen Werke des Facius, von der venezianischen Topographie des Sabellico usw. ist schon beiläufig die Rede gewesen, und auf andere werden wir noch kommen.
Die lateinischen Darstellungen aus der Vergangenheit betrafen natürlich vor allem das klassische Altertum. Was man aber bei diesen Humanisten weniger suchen würde, sind einzelne bedeutende Arbeiten über die allgemeine Geschichte des Mittelalters. Das erste bedeutende Werk dieser Art war die Chronik des Matteo Palmieri, beginnend wo Prosper Aquitanus aufhört. Wer dann zufällig die Dekaden des Blondus von Forlì öffnet, wird einigermassen erstaunen, wenn er hier eine Weltgeschichte »ab inclinatione Romanorum imperii« wie bei Gibbon findet, voll von Quellenstudien der Autoren jedes Jahrhunderts, wovon die ersten 300 Folioseiten dem frühern Mittelalter bis zum Tode Friedrichs II. angehören. Und dies während man sich im Norden noch auf dem Standpunkte der bekannten Papst- und Kaiserchroniken und des Fasciculus temporum befand. Es ist hier nicht unsere Sache, kritisch nachzuweisen, welche Schriften Blondus im einzelnen benützt hat, und wo er sie beisammen gefunden; in der Geschichte der neuern Historiographie aber wird man ihm diese Ehre wohl einmal erweisen müssen. Schon um dieses einen Buches willen wäre man berechtigt zu sagen: das Studium des Altertums allein hat das des Mittelalters möglich gemacht; jenes hat den Geist zuerst an objektives geschichtliches Interesse gewöhnt. Allerdings kam hinzu, dass das Mittelalter für das damalige Italien ohnehin vorüber war und dass der Geist es erkennen konnte, weil es nun ausser ihm lag. Man kann nicht sagen, dass er es sogleich mit Gerechtigkeit oder gar mit Pietät beurteilt habe; in den Künsten setzt sich ein starkes Vorurteil gegen seine Hervorbringungen fest, und die Humanisten datieren von ihrem eigenen Aufkommen an eine neue Zeit: »Ich fange an«, sagt Boccaccio3), »zu hoffen und zu glauben, Gott habe sich des italienischen Namens erbarmt, seit ich sehe, daß seine reiche Güte in die Brust der Italiener wieder Seelen senkt, die denen der Alten gleichen, insofern sie den Ruhm auf andern Wegen suchen als durch Raub und Gewalt, nämlich auf dem Pfade der unvergänglich machenden Poesie.« Aber diese einseitige und unbillige Gesinnung schloss doch die Forschung bei den Höherbegabten nicht aus, zu einer Zeit, da im übrigen Europa noch nicht davon die Rede war; es bildete sich für das Mittelalter eine geschichtliche Kritik, schon weil die rationelle Behandlung aller Stoffe bei den Humanisten auch diesem historischen Stoffe zugute kommen musste. Im 15. Jahrhundert durchdringt dieselbe bereits die einzelnen Städtegeschichten insoweit, dass das späte wüste Fabelwerk aus der Urgeschichte von Florenz, Venedig, Mailand usw. verschwindet, während die Chroniken des Nordens sich noch lange mit jenen poetisch meist wertlosen, seit dem 13. Jahrhundert ersonnenen Phantasiegespinsten schleppen müssen.
Den engen Zusammenhang der örtlichen Geschichte mit dem Ruhm haben wir schon oben bei Anlass von Florenz (S. 102 f.) berührt. Venedig durfte nicht zurückbleiben; so wie etwa eine venezianische Gesandtschaft nach einem grossen florentinischen Rednertriumph4) eilends nach Hause schreibt, man möchte ebenfalls einen Redner schicken, so bedürfen die Venezianer auch einer Geschichte, welche mit den Werken des Lionardo Aretino und Poggio die Vergleichung aushalten soll. Unter solchen Voraussetzungen entstanden im 15. Jahrhundert die Dekaden des Sabellico, im 16. die Historia rerum venetarum des Pietro Bembo, beide Arbeiten in ausdrücklichem Auftrag der Republik, letztere als Fortsetzung der erstern.
Die grossen florentinischen Geschichtschreiber zu Anfang des 16. Jahrhunderts (S. 110 f.) sind dann von Hause aus ganz andere Menschen als die Lateiner Giovio und Bembo. Sie schreiben italienisch, nicht bloss weil sie mit der raffinierten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht mehr wetteifern können, sondern weil sie, wie Macchiavelli, ihren Stoff als einen durch lebendige Anschauung5) gewonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wiedergeben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und den meisten übrigen, die möglichst weite und tiefe Wirkung ihrer Ansicht vom Hergang der Dinge am Herzen liegt. Selbst wenn sie nur für wenige Freunde schreiben, wie Francesco Vettori, so müssen sie doch aus innerm Drange Zeugnis geben für Menschen und Ereignisse, und sich erklären und rechtfertigen über ihre Teilnahme an den letztern.
Und dabei erscheinen sie, bei aller Eigentümlichkeit ihres Stiles und ihrer Sprache, doch auf das stärkste vom Altertum berührt und ohne dessen Einwirkung gar nicht denkbar. Sie sind keine Humanisten mehr, allein sie sind durch den Humanismus hindurchgegangen und haben vom Geist der antiken Geschichtschreibung mehr an sich als die meisten jener livianischen Latinisten: es sind Bürger, die für Bürger schreiben, wie die Alten taten.
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