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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Der Abenteuerliche
Simplicissimus Teutsch - DAS FÜNFTE BUCH
Das 1. Kapitel:
Wie Simplicius ein Pilger wird und mit Herzbrudern wallen gehet
Das 2. Kapitel:
Simplicius bekehrt sich, nachdem er zuvor von dem Teufel erschreckt worden
Das 3. Kapitel:
Wie beide Freund den Winter hinbringen
Das 4. Kapitel:
Wasmaßen Herzbruder und Simplicius abermal in Krieg und wieder daraus kommen
Das 5. Kapitel:
Simplicius läuft botenweis, und vernimmt in Gestalt Mercuri von dem Jove, was er eigentlich wegen des Kriegs und Friedens im Sinn habe
Das 6. Kapitel:
Erzählung eines Possen, den Simplicius im Saurbrunnen angestellt
Das 7. Kapitel:
Herzbruder stirbt, und Simplicius fängt wieder an zu buhlen
Das 8. Kapitel:
Simplicius gibt sich in die zweite Ehe, trifft seinen Knan an und erfährt, wer seine Eltern gewesen
Das 9. Kapitel:
Welchergestalt ihn die Kindswehe angestoßen und wie er wieder zu einem Witwer wird
Das 10. Kapitel:
Relation etlicher Baursleut von dem wunderbaren Mummelsee
Das 11. Kapitel:
Ein unerhörte Danksagung eines Patienten, die bei Simplicio fast heilige Gedanken verursacht
Das 12. Kapitel:
Wie Simplicius mit den Sylphis in das Centrum terrae fährt
Das 13. Kapitel:
Der Prinz über den Mummelsee erzählet die Art und das Herkommen der Sylphorum
Das 14. Kapitel:
Was Simplicius ferner mit diesem Fürsten unterwegs diskurriert, und was er für verwunderliche und abenteurliche Sachen vernommen
Das 15. Kapitel:
Was der König mit Simplicio und Simplicius mit dem König geredet
Das 16. Kapitel:
Etliche neue Zeitungen aus der Tiefe des unergründlichen Meers Mare del Zur oder das friedsame stille Meer genannt
Das 17. Kapitel:
Zurückreis aus dem Mittelteil der Erden, seltsame Grillen, Luftgebäu, Kalender und gemachte Zech ohne den Wirt
Das 18. Kapitel:
Simplicius verzettelt seinen Saurbrunnen an einem unrechten Ort
Das 19. Kapitel:
Etwas wenigs von den ungarischen Wiedertäufern, und ihrer Art zu leben
Das 20. Kapitel:
Hält in sich einen kurzweiligen Spazierweg, vom Schwarzwald bis nach Moskau in Reußen
Das 21. Kapitel:
Wie es Simplicio weiters in der Moskau erging
Das 22. Kapitel:
Durch was für einen nahen und lustigen Weg er wiederum heim zu seinem Knan kommen
Das 23. Kapitel:
Ist gar ein fein kurz Kapitel und gehet nur Simplicium an
Das 24. Kapitel:
Ist das allerletzte, und zeiget an, warum und welchergestalt Simplicius die Welt wieder verlassen
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Das 1. Kapitel
Wie Simplicius ein Pilger wird und mit Herzbruder wallen gehet
Nachdem Herzbruder wieder allerdings erstarkt und an seinen Wunden geheilt war, vertraute er mir, daß er in den höchsten Nöten eine Wallfahrt nach Einsiedeln zu tun gelobt; weil er denn jetzt ohnedas so nahe am Schweizerland wäre, so wollte er solche verrichten und sollte er auch dahin betteln! Das war mir sehr angenehm zu hören, derhalben bot ich ihm Geld und meine Gesellschaft an, ja ich wollte gleich zween Klepper kaufen, auf selbigen die Reis zu verrichten; nicht zwar der Ursach, daß mich die Andacht dazu getrieben, sondern die Eidgenoßschaft, als das einzige Land, darin der liebe Fried noch grünete, zu besehen: So freute mich auch nit wenig, daß ich die Gelegenheit hatte, Herzbrudern auf solcher Reis zu dienen, maßen ich ihn fast höher als mich selbst liebte; er aber schlug beides, meine Hilf und meine Gesellschaft ab, mit Vorwand, seine Wallfahrt müßte zu Fuß und dazu auf Erbsen geschehen; sollte ich nun in seiner Gesellschaft sein, so würde ich ihn nicht allein an seiner Andacht verhindern, sondern auch mir selbst wegen seines langsamen mühseligen Gangs große Ungelegenheit aufladen. Das redete er aber mich von sich zu schieben, weil er sich ein Gewissen machte, auf einer so heiligen Reis von demjenigen Geld zu zehren, das mit Morden und Rauben erobert worden; überdas wollte er mich auch nicht in allzugroße Unkosten bringen und sagte unverhohlen, daß ich bereits mehr bei ihm getan, als ich schuldig gewesen und er zu erwidern getraute; hierüber gerieten wir in ein freundlich Gezänk, das war so lieblich, daß ich dergleichen noch niemals hab hören hadern, denn wir brachten nichts anders vor, als daß jeder sagte, er hätte gegen den andern noch nicht getan, was ein Freund dem andern tun sollte, ja bei weitem die Guttaten, so er vom andern empfangen, noch nit wett gemacht. Solches alles aber wollte ihn noch nicht bewegen, mich für einen Reisgefährten zu gedulden, bis ich endlich merkte, daß er beides an Oliviers Geld und meinem gottlosen Leben ein Ekel hatte, derhalben behalf ich mich mit Lügen und überredet ihn, daß mich mein Bekehrungsvorsatz nach Einsiedeln triebe, sollte er mich nun von einem so guten Werk abhalten und ich darüber sterben, so würde ers schwerlich verantworten können. Hierdurch persuadiert ich ihn, daß er zuließ, den heiligen Ort mit ihm zu besuchen, sonderlich weil ich (wiewohl alles erlogen war) eine große Reu über mein böses Leben von mir scheinen ließ, als ich ihn denn auch überredete, daß ich mir selbst zur Buß aufgelegt hätte, sowohl als er auf Erbsen nach Einsiedeln zu gehen.
Dieser Zank war kaum vorbei, da gerieten wir schon in einen andern, denn Herzbruder war gar zu gewissenhaft; er wollte kaum zugeben, daß ich einen Paß vom Kommandanten nahm, der nach meinem Regiment lautete: "Was", sagte er, "haben wir nit im Sinn, unser Leben zu bessern und nach Einsiedeln zu gehen? und nun siehe um Gottes willen, du willst den Anfang mit Betrug machen und den Leuten mit Falschheit die Augen verkleiben. ›Wer mich vor der Welt verleugnet, den will ich auch vor meinem himmlischen Vater verleugnen‹ sagt Christus! Was sind wir für verzagte Maulaffen? wenn alle Märtyrer und Bekenner Christi so getan hätten, so wären wenig Heilige im Himmel! Lasse uns in Gottes Namen und Schutzempfehlung gehen wohin uns unser heiliger Vorsatz und Begierden hintreiben, und im übrigen Gott walten, so wird uns Gott schon hinführen wo unsere Seelen Ruhe finden." Als ich ihm aber vorhielt, man müßte Gott nicht versuchen, sondern sich in die Zeit schicken und die Mittel gebrauchen, deren wir nicht entbehren könnten, vornehmlich weil das Wallfahrtengehen bei der Soldateska ein ungewöhnlich Ding sei, und wenn wir unser Vorhaben entdeckten, eher für Ausreißer als Pilger gehalten würden, das uns denn große Ungelegenheit und Gefahr bringen könnte, zumalen auch der hl. Apostel Paulus, dem wir noch bei weitem nicht zu vergleichen, sich wunderbarlich in die Zeit und Gebräuch dieser Welt geschickt; ließ er endlich zu, daß ich einen Paß bekam, nach meinem Regiment zu gehen, mit demselben gingen wir bei Beschließung des Tors samt einem getreuen Wegweiser aus der Stadt, als wollten wir nach Rottweil, wandten uns aber kurz durch Nebenweg' und kamen noch dieselbige Nacht über die schweizerische Grenze und den folgenden Morgen in ein Dorf, allda wir uns mit schwarzen langen Röcken, Pilgerstäben und Rosenkränzen montierten und den Boten mit guter Bezahlung wieder zurückschickten.
Das Land kam mir so fremd vor gegen andere teutsche Länder, als wenn ich in Brasilia oder in China gewesen wäre; da sah ich die Leute in dem Frieden handlen und wandlen, die Ställe stunden voll Vieh, die Baurnhöf liefen voll Hühner, Gäns und Enten, die Straßen wurden sicher von den Reisenden gebraucht, die Wirtshäuser saßen voll Leute die sich lustig machten, da war ganz keine Furcht vor dem Feind, keine Sorg vor der Plünderung und keine Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren, ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum, und zwar gegen andere teutsche Länder zu rechnen in lauter Wollust und Freud, also daß ich dieses Land für ein irdisch Paradies hielt, wiewohl es von Art rauh genug zu sein schien. Das machte, daß ich auf dem ganzen Weg nur hin und her gaffte, wenn hingegen Herzbruder an seinem Rosenkranz betete, deswegen ich manchen Filz bekam, denn er wollte haben, ich sollte wie er an einem Stück beten, welches ich aber nicht gewöhnen konnte.
Zu Zürch kam er mir recht hinter die Brief', und dahero sagte er nur die Wahrheit auch am trockensten heraus, denn als wir zu Schaffhausen (allwo mir die Füß von den Erbsen sehr weh taten) die vorig Nacht geherbergt und ich mich den künftigen Tag wieder auf den Erbsen zu gehen fürchtete, ließ ich sie kochen und tat's wieder in die Schuh; deswegen ich denn wohl zu Fuß nach Zürch gelangte, er aber sich gar übel gehub, und zu mir sagte: "Bruder, du hast große Gnad von Gott, daß du unangesehen der Erbsen in den Schuhen dennoch so wohl fortkommen kannst." "Ja", sagte ich, "liebster Herzbruder, ich hab sie gekocht, sonst hätte ich so weit nit darauf gehen können." "Ach daß Gott erbarm", antwortet' er, "was hast du getan? du hättest sie lieber gar aus den Schuhen gelassen, wenn du nur dein Gespött damit treiben willst, ich muß sorgen, daß Gott dich und mich zugleich strafe; halte mir nichts für ungut Bruder, wenn ich dir aus brüderlicher Liebe teutsch heraussage, wie mirs ums Herz ist, nämlich dies, daß ich besorge, wofern du dich nit anderst gegen Gott schickest, es stehe deine Seligkeit in höchster Gefahr; ich versichere dich, daß ich keinen Menschen mehr liebe als eben dich, leugne aber auch nit, daß, wofern du dich nit bessern würdest, ich mir ein Gewissen machen muß, solche Liebe zu kontinuieren." Ich verstummte vor Schrecken, daß ich mich schier nit wieder erholen konnte, zuletzt bekannte ich ihm frei, daß ich die Erbsen nit aus Andacht, sondern allein ihm zu Gefallen in die Schuh getan, damit er mich mit sich auf die Reis genommen hätte. "Ach Bruder", antwortet' er, "ich sehe, daß du weit vom Weg der Seligkeit bist, wenn gleich die Erbsen nit wären, Gott verleihe dir Besserung, denn ohne dieselbe kann unser Freundschaft nicht bestehen."
Von dieser Zeit an folgte ich ihm traurig nach, als einer den man zum Galgen führt, mein Gewissen fing mich an zu drücken, und indem ich allerlei Gedanken machte, stelleten sich alle meine Bubenstück vor Augen, die ich mein Lebtag je begangen, da beklagte ich erst die verlorne Unschuld, die ich aus dem Wald gebracht und in der Welt so vielfältig verscherzt hatte, und was meinen Jammer vermehrte, war dieses, daß Herzbruder nit viel mehr mit mir redete und mich nur mit Seufzen anschaute, welches mir nit anders vorkam, als hätte er meine Verdammnis gewußt und an mir bejammert.
Das 2. Kapitel
Simplicius bekehrt sich, nachdem er zuvor von dem Teufel erschreckt worden
Solchergestalt langten wir zu Einsiedeln an und kamen eben in die Kirch, als ein Priester einen Besessenen exorzisieret'; das war mir nun auch etwas Neues und Seltsams, derowegen ließ ich Herzbrudern knien und beten, solang er mochte, und ging hin, diesem Spektakul aus Vorwitz zuzusehen; aber ich hatte mich kaum ein wenig genähert, da schrie der böse Geist aus dem armen Menschen: "Oho, du Kerl, schlägt dich der Hagel auch her? ich hab vermeint, dich zu meiner Heimkunft bei dem Olivier in unserer höllischen Wohnung anzutreffen, so sehe ich wohl, du läßt dich hier finden, du ehebrecherischer mörderischer Hurenjäger, darfst du dir wohl einbilden, uns zu entrinnen? O ihr Pfaffen, nehmt ihn nur nicht an, er ist ein Gleisner und ärgerer Lügner als ich, er foppt sich nur und spottet beides Gott und der Religion!" Der Exorzist befahl dem Geist zu schweigen, weil man ihm als einem Erzlügner ohnedas nit glaube. "Ja ja", antwortet' er, "fragt dieses ausgesprungenen Mönchs Reisgesellen, der wird euch wohl erzählen können, daß dieser Atheist sich nit gescheuet, die Erbsen zu kochen, auf welchen er hieherzugehen versprochen." Ich wußte nit, ob ich auf dem Kopf oder Fuß stund, da ich dieses alles hörete und mich jedermann ansah; aber der Priester strafte den Geist und machte ihn stillschweigen, konnte ihn aber denselben Tag nicht austreiben. Indessen kam Herzbruder auch herzu, als ich eben vor Angst mehr einem Toten als Lebendigen gleichsah und zwischen Hoffnung und Furcht nit wußte, was ich tun sollte, dieser tröstete mich so gut als er konnte, versicherte daneben die Umstehenden und sonderlich die Patres, daß ich mein Tage nie kein Mönch gewesen, aber wohl ein Soldat, der vielleicht mehr Böses als Gutes getan haben möchte, sagte daneben, der Teufel wäre ein Lügner, wie er denn auch das von den Erbsen viel ärger gemacht hätte, als es an sich selbst wäre; ich war aber in meinem Gemüt dermaßen verwirret, daß mir nicht anders war, als ob ich allbereit die höllische Pein selbst empfände; also daß die Geistlichen genug an mir zu trösten hatten, sie vermahnten mich zur Beicht und Kommunion, aber der Geist schrie abermal aus dem Besessenen: "Ja ja, er wird fein beichten, er weiß nit einmal was beichten ist, und zwar was wollt ihr mit ihm machen, er ist einer ketzerischen Art und uns zuständig, seine Eltern sind mehr wiedertäuferisch als calvinisch gewesen", etc. Der Exorzist befahl dem Geist abermal stillzuschweigen, und sagte zu ihm: "So wird dichs nur desto mehr verdrießen, wenn dir das arme verlorne Schäflein wieder aus dem Rachen gezogen und der Herd Christi einverleibt wird"; darauf fing der Geist so grausam an zu brüllen, daß es schrecklich zu hören war. Aus welchem greulichen Gesang ich meinen größten Trost schöpfte, denn ich gedachte, wenn ich keine Gnad von Gott mehr erlangen könnte, so würde sich der Teufel nicht so übel gehaben.
Wiewohl ich mich damals auf die Beicht nicht gefaßt gemacht, auch mein Lebtag nie in Sinn genommen zu beichten, sondern mich jederzeit aus Scham davor gefürchtet wie der Teufel vorm hl. Kreuz, so empfand ich jedoch in selbigem Augenblick in mir eine solche Reu über meine Sünden und ein solche Begierde zur Buße und mein Leben zu bessern, daß ich alsobald einen Beichtvater begehrte, über welcher jählingen Bekehrung und Besserung sich Herzbruder höchlich erfreuete, weil er wahrgenommen und wohl gewußt, daß ich bisher noch keiner Religion beigetan gewesen, demnach bekannt ich mich öffentlich zu der katholischen Kirchen, ging zur Beicht und kommunizierte nach empfangener Absolution; worauf mir denn so leicht und wohl ums Herz wurde, daß ichs nicht aussprechen kann, und was das Verwunderlichste war, ist dieses, daß mich der Geist in dem Besessenen fürderhin zufrieden ließ, da er mir doch vor der Beicht und Absolution unterschiedliche Bubenstück, die ich begangen gehabt, so eigentlich vorgeworfen, als wenn er auf sonst nichts, als meine Sünden anzumerken, bestellt gewesen wäre; doch glaubten ihm als einem Lügner die Zuhörer nichts, sonderlich weil mein ehrbares Pilgerhabit ein anders vor die Augen stellete.
Wir verblieben vierzehen ganzer Tag an diesem gnadenreichen Ort, allwo ich Gott um meine Bekehrung dankte, und die Wunder so allda geschehen, betrachtete; welches alles mich zu ziemlicher Andacht und Gottseligkeit reizete, doch währete solches auch so lang als es mochte; denn gleichwie meine Bekehrung ihren Ursprung nicht aus Liebe zu Gott genommen, sondern aus Angst und Furcht verdammt zu werden; also wurde ich auch nach und nach wieder ganz lau und träg, weil ich allgemählich des Schreckens vergaß, den mir der böse Feind eingejagt hatte; und nachdem wir die Reliquien der Heiligen, die Ornat' und andere sehenswürdige Sachen des Gotteshauses genugsam beschauet, begaben wir uns nach Baden, alldorten vollends auszuwintern.
Das 3. Kapitel
Wie beide Freund den Winter hinbringen
Ich dingte daselbst ein lustige Stube und Kammer für uns, deren sich sonsten, sonderlich Sommerszeit, die Badgäst zu gebrauchen pflegen, welches gemeiniglich reiche Schweizer sind, die mehr hinzeihen sich zu erlustieren und zu prangen, als einiger Gebrechen halber zu baden; so verdingte ich uns auch zugleich in die Kost, und als Herzbruder sah, daß ichs so herrlich angriff, vermahnete er mich zur Gesparsamkeit und erinnert' mich des langen rauhen Winters, den wir noch zu überstehen hätten; maßen er nicht getraute, daß mein Geld so weit hinauslangen würde; ich würde meinen Vorrat, sagte er, auf den Frühling wohl brauchen, wenn wir wieder von hinnen wollen, viel Geld sei bald vertan, wenn man nur davon und nichts dazu tue: Es stäube hinaus wie der Rauch und verspreche nimmermehr wiederzukommen, etc. Auf solche treuherzige Erinnerung konnte ich Herzbrudern nicht länger verbergen wie reich mein Säckel wäre, und daß ich bedacht uns beiden Guts davon zu tun, sintemal dessen Ankunft und Erwerbung ohnedas alles Segens so unwürdig wäre, daß ich keinen Meierhof daraus zu erkaufen gedächte, und wenn ichs schon nit anlegen wollte, meinen liebsten Freund auf Erden damit zu unterhalten, so wäre doch billig, daß er Herzbruder aus Oliviers Geld vergnügt würde, um diejenige Schmach, die er hiebevor von ihm vor Magdeburg empfangen. Und demnach ich mich in aller Sicherheit zu sein wußte, zog ich meine beiden Skapulier ab, trennete die Dukaten und Pistolen heraus und sagte zu Herzbrudern, er möge nun mit diesem Geld nach seinem Belieben disponieren und solches anlegen und austeilen, wie er vermeine, daß es uns beiden am nützlichsten wäre.
Da er neben meinem Vertrauen das ich zu ihm trug, soviel Geld sah, mit welchem ich auch ohne ihn wohl ein ziemlicher Herr hätte sein können, sagte er: "Bruder, du tust nichts solang ich dich kenne, als deine gegen mich habende Lieb und Treu zu bezeugen! Aber sage mir, womit vermeinst du wohl, daß ichs wieder um dich werde beschulden können? es ist nit nur um das Geld zu tun, denn solches ist vielleicht mit der Zeit wieder zu bezahlen, sondern um deine Lieb und Treu, vornehmlich aber um dein zu mir habendes hohes Vertrauen, so nicht zu schätzen ist; Bruder mit einem Wort, dein tugendhaft Gemüt macht mich zu deinem Sklaven, und was du gegen mich tust, ist mehr zu verwundern als zu wiedergelten möglich; O ehrlicher Simplici, dem bei diesen gottlosen Zeiten, in welchen die Welt voll Untreu steckt, nicht in Sinn kommt, der arme und hochbedürftige Herzbruder möchte mit einem so ansehlichen Stück Geld fortgehen und ihn an seine Statt in Mangel setzen; versicher Bruder, dieses Beweistum wahrer Freundschaft verbindet mich mehr gegen dich als ein reicher Herr, der mir viel Tausend verehrte: Allein bitte ich mein Bruder, bleib selber Herr, Verwahrer und Austeiler über dein Geld, mir ists genug, daß du mein Freund bist!" Ich antwortet: "Was wunderliche Reden sind das, hochgeehrter Herzbruder, er gibt mündlich zu vernehmen, daß er mir verbunden sei, und will doch nicht dafür sein, daß ich unser Geld, beides ihm und mir zu Schaden, nicht unnütz verschwende." Also redeten wir beiderseits gegeneinander läppisch genug, weil je einer in des andern Lieb trunken war. Also wurde Herzbruder zugleich mein Hofmeister, mein Säckelmeister, mein Diener und mein Herr, und in solcher müßigen Zeit erzählte er mir seinen Lebenslauf und durch was Mittel er bei dem Grafen von Götz bekannt und befördert worden, worauf ich ihm auch erzählte, wie mirs ergangen, seit sein Vater sel. gestorben, denn wir uns bisher noch niemal so viel Zeit genommen; und da er hörte, daß ich ein junges Weib zu L. hatte, verwies er mir, daß ich mich nit ebender zu derselbigen als mit ihm in das Schweizerland begeben, denn solches wäre mir anständiger und auch meine Schuldigkeit gewesen. Und demnach ich mich entschuldiget, daß ich ihn als meinen allerliebsten Freund in seinem Elend zu verlassen nit übers Herz bringen können, beredet' er mich, daß ich meinem Weib schrieb und ihr meine Gelegenheit zu wissen machte, mit Versprechen, mich mit ehestem wieder zu ihr zu begeben, tat auch meines langen Ausbleibens halber meine Entschuldigungen, daß ich nämlich allerhand widriger Begegnisse halber, wie gern ich auch gewollt, mich nit ehender bei ihr hätte einfinden können.
Und dieweil Herzbruder aus den gemeinen Zeitungen erfuhr, daß es um den Grafen von Götz wohlstünde, sonderlich daß er mit seiner Verantwortung bei der Kaiserl. Majestät hinauslangen, wieder auf freien Fuß kommen und gar wiederum das Kommando über eine Armee kriegen würde, berichtete er demselben seinen Zustand nach Wien, schrieb auch nach der kurbayrischen Armee wegen seiner Bagage, die er noch dort hatte, und fing an zu hoffen, sein Glück würde wieder grünen, derhalben machten wir den Schluß, künftigen Frühling voneinander zu scheiden, indem er sich zu bemeldtem Grafen, ich aber mich nach L. zu meinem Weib begeben wollte. Damit wir aber denselben Winter nit müßig zubrächten, lernten wir von einem Ingenieur auf dem Papier mehr fortifizieren, als die Könige in Hispanien und Frankreich ins Werk setzen können; daneben kam ich mit etlichen Alchimisten in Kundschaft, die wollten mich, weil sie Geld hinter mir merkten, Gold machen lehren, da ich nur den Verlag dazu hergeben wollte, und ich glaube, sie hätten mich überredt, wenn ihnen Herzbruder nicht abgedankt hätte, denn er sagte: Wer solche Kunst könnte, würde nicht so bettelhaftig dahergehen, noch andere um Geld ansprechen.
Gleichwie nun Herzbruder von hochermeldtem Grafen ein angenehme Wiederantwort und treffliche Promessen von Wien aus erhielt, also bekam ich von L. kein einzigen Buchstaben, unangesehen ich unterschiedliche Posttag in duplo hinschrieb: Das machte mich unwillig und verursachte, daß ich denselben Frühling meinen Weg nit nach Westfalen antrat, sondern von Herzbrudern erhielt, daß er mich mit sich nach Wien nahm, mich seines verhoffenden Glücks genießen zu lassen; also montierten wir uns aus meinem Geld wie zwei Kavalier, beides mit Kleidungen, Pferden, Dienern und Gewehr, gingen durch Konstanz auf Ulm, allda wir uns auf die Donau setzten und von dort aus in acht Tagen zu Wien glücklich anlangten. Auf demselben Weg observierte ich sonst nichts, als daß die Weibsbilder, so an dem Strand wohnen, den Vorüberfahrenden, so ihnen zuschrien, nicht mündlich, sondern schlechthin mit dem Beweistum selbst antworten, davon ein Kerl manch feines Einsehen haben kann.
Das 4. Kapitel
Wasmaßen Herzbruder und Simplicius abermal in Krieg und wieder daraus kommen
Es gehet wohl seltsam in der veränderlichen Welt her! Man pflegt zu sagen: Wer alles wüßte, der würde bald reich. Ich aber sage: Wer sich allweg in die Zeit schicken könnte, der würde bald groß und mächtig. Mancher Schindhund oder Schabhals (denn diese beiden Ehrentitel werden den Geizigen gegeben) wird wohl bald reich, weil er einen und andern Vorteil weiß und gebraucht, er ist aber darum nit groß, sondern ist und verbleibt vielmals von geringerer Aestimation, als er zuvor in seiner Armut war; wer sich aber weiß groß und mächtig zu machen, dem folget der Reichtum auf dem Fuß nach. Das Glück, so Macht und Reichtum zu geben pflegt, blickte mich trefflich holdselig an und gab mir, nachdem ich ein Tag oder acht zu Wien gewesen, Gelegenheit genug an die Hand, ohn einzige Verhinderungen auf die Staffeln der Hoheit zu steigen, ich tats aber nicht, warum? Ich halte, weil mein fatum ein anders beschlossen, nämlich dasjenige, dahin mich meine fatuitas leitete.
Der Graf von der Wahl, unter dessen Kommando ich mich hiebevor in Westfalen bekannt gemacht, war eben auch zu Wien, als ich mit Herzbrudern hinkam; dieser wurde bei einem Bankett, da sich verschiedene Kaiserl. Kriegsräte neben dem Grafen von Götz und andern mehr befanden, als man von allerhand seltsamen Köpfen, unterschiedlichen Soldaten und berühmten Parteigängern redete, auch des Jägers von Soest eingedenk, und erzählte etliche Stücklein von ihm so rühmlich, daß sich teils über einen so jungen Kerl verwunderten und bedaurten, daß der listige hessische Obriste S. A. ihm ein Wehbengel angehängt, damit er entweder den Degen beiseits legen oder doch schwedische Waffen tragen sollte; denn wohlbesagter Graf von der Wahl hatte alles erkundigt, wie derselbige Obrist zu L. mit mir gespielt; Herzbruder, der eben dort stund und mir meine Wohlfahrt gern befördert hätte, bat um Verzeihung und Erlaubnis zu reden und sagte, daß er den Jäger von Soest besser kenne als sonst einen Menschen in der Welt, er sei nit allein ein guter Soldat, der Pulver riechen könnte, sondern auch ein ziemlicher Reuter, ein perfekter Fechter, ein trefflicher Büchsenmeister und Feurwerker, und über dies alles einer der einem Ingenieur nichts nachgeben würde; er hätte nit nur sein Weib, weil er mit ihr so schimpflich hintergangen worden, sondern auch alles was er gehabt zu L. hinterlassen und wiederum Kaiserl. Dienst gesucht, maßen er in verwichener Kampagne sich unter dem Grafen von Götz befunden, und als er von den Weimarischen gefangen worden und von denselben sich wieder zu den Kaiserlichen begeben wollen, neben seinem Kameraden einen Korporal samt sechs Musketierern, die ihnen nachgesetzt und sie wieder zurückführen sollen, niedergemacht und ansehenliche Beuten davongebracht, maßen er mit ihm selbsten nach Wien kommen, des Willens, sich abermal wider der Röm. Kaiserl. Majestät Feinde gebrauchen zu lassen, doch sofern er solche Conditiones haben könnte, die ihm anständig seien, denn keinen gemeinen Knecht begehre er mehr zu agieren.
Damals war diese ansehnliche Kompagnie mit dem lieben Trunk schon dergestalt begeistert, daß sie ihre Kuriosität den Jäger zu sehen contentiert haben wollte, maßen Herzbruder geschickt wurde, mich in einer Kutsche zu holen; derselbe instruiert' mich unterwegs, wie ich mich bei diesen ansehenlichen Leuten halten sollte, weil mein künftig Glück daran gelegen wäre; ich antwortet derhalben als ich hinkam auf alles sehr kurz und apophthegmatisch, also daß man sich über mich zu verwundern anfing, denn ich redete nichts, es müßte denn einen klugen Nachdruck haben; in Summa, ich erschien dergestalt, daß ich jedem angenehm war, weil ich ohnedas vom Herrn Grafen von der Wahl auch das Lob eines guten Soldaten hatte; mithin kriegte ich auch einen Rausch, und glaub wohl, daß ich alsdann auch hab scheinen lassen, wie wenig ich bei Hof gewesen; endlich war dieses das End, daß mir ein Obrister zu Fuß eine Kompagnie unter seinem Regiment versprochen, welches ich denn gar nit ausschlug, denn ich dachte, ein Hauptmann zu sein ist fürwahr kein Kinderspiel! Aber Herzbruder verwies mir den andern Tag meine Leichtfertigkeit und sagte, wenn ich nur noch länger gehalten hätte, so wäre ich noch wohl höher ankommen.
Also wurde ich einer Kompagnie für einen Hauptmann vorgestellt, welche, ob sie zwar mitsamt mir in prima plana ganz komplett, aber nit mehr als sieben Schillergäst hatte, zudem meine Unteroffizier mehrenteils alte Krachwedel, darüber ich mich hintern Ohren kratzte, also wurde ich mit ihnen bei der unlängst hernach vergangenen scharfen Occasion desto leichter gemartscht, in welcher der Graf von Götz das Leben, Herzbruder aber seine Testiculos einbüßte, die er durch einen Schuß verlor; ich bekam meinen Teil in einen Schenkel, so aber gar eine geringe Wunde war. Dannenhero begaben wir uns auf Wien, um uns kurieren zu lassen, weil wir ohnedas unser Vermögen dort hatten; ohne diese Wunden, so zwar bald geheilet, ereignete sich an Herzbrudern ein anderer gefährlicher Zustand, den die Medici anfänglich nit gleich erkennen konnten, denn er wurde lahm an allen vieren, wie ein Cholericus den die Gall verderbt, und war doch am wenigsten selbiger Komplexion noch dem Zorn beigetan, nichtsdestoweniger wurde ihm die Saurbrunnenkur geraten und hierzu der Griesbach an dem Schwarzwald vorgeschlagen.
Also verändert' sich das Glück unversehens, Herzbruder hatte kurz zuvor den Willen gehabt, sich mit einem vornehmen Fräulein zu verheiraten und zu solchem Ende sich zu einem Freiherrn, mich aber zu einem Edelmann machen zu lassen; nunmehr aber mußte er andere Gedanken konzipieren, denn weil er dasjenige verloren, damit er ein neues Geschlecht propagieren wollen, zumalen von seiner Lähme mit einer langwierigen Krankheit bedrohet wurde, in der er guter Freunde vonnöten, machte er sein Testament und setzte mich zum einzigen Erben aller seiner Verlassenschaft, vornehmlich weil er sah, daß ich seinetwegen mein Glück in Wind schlug und meine Kompagnie quittiert', damit ich ihn in Sauerbrunnen begleiten und daselbsten, bis er seine Gesundheit wieder erlangen möchte, auswarten könnte.
Das 5. Kapitel
Simplicius läuft botenweis, und vernimmt in Gestalt Mercuri von dem Jove, was er eigentlich wegen des Kriegs und Friedens im Sinn habe
Als nun Herzbruder wieder reiten konnte, übermachten wir unsere Barschaft (denn wir hatten nunmehr nur einen Säckel miteinander) per Wechsel nach Basel, montierten uns mit Pferden und Dienern und begaben uns die Donau hinauf nach Ulm und von dannen in den obbesagten Sauerbrunnen, weil es eben im Mai und lustig zu reisen war; daselbst dingten wir ein Losament, ich aber ritt nach Straßburg, unser Geld, welches wir von Basel aus dorthin übermacht, nicht allein zum Teil zu empfangen, sondern auch mich um erfahrne Medicos umzusehen, die Herzbrudern Recepta und Badordnung vorschreiben sollten, dieselben begaben sich mit mir und befanden, daß Herzbrudern vergeben worden; und weil das Gift nicht stark genug gewesen, ihn gleich hinzurichten, daß solches ihm in die Glieder geschlagen wäre, welches wieder durch Pharmaca, Antidota, Schweißbäder evakuieret werden müßte, und würde sich solche Kur auf ohngefähr ein Woch oder acht belaufen; da erinnerte sich Herzbruder gleich, wann und durch wen ihm vergeben worden wäre, nämlich durch diejenigen, die gern seine Stell im Krieg betreten hätten; und weil er auch von den Medicis verstund, daß sein' Kur eben keinen Sauerbrunnen erfordert hätte, glaubte er festiglich, daß sein Medicus im Feld durch ebendieselben seine Aemulos mit Geld bestochen worden, ihn so weit hinwegzuweisen; jedoch resolvierte er sich im Sauerbrunnen seine Kur zu vollenden, weil es nicht allein eine gesunde Luft, sondern auch allerhand anmutige Gesellschaften unter den Badgästen hatte.
Solche Zeit mochte ich nicht vergeblich hinbringen, weil ich eine Begierde hatte, dermalen einst mein Weib auch wiederum zu sehen, und weil Herzbruder meiner nicht sonderlich vonnöten, eröffnet ich ihm mein Anliegen, der lobte meine Gedanken, und gab mir den Rat, ich sollte sie besuchen, gab mir auch etliche kostbare Kleinodien, die ich ihr seinetwegen verehren und sie damit um Verzeihung bitten sollte, daß er ein Ursach gewesen sei, daß ich sie nit ehender besucht. Also ritt ich nach Straßburg und machte mich nicht allein mit Geld gefaßt, sondern erkundigte auch, wie ich meine Reis anstellen möchte, daß ich am sichersten fortkäme, befand aber daß es so alleinig zu Pferd nit geschehen könne, weilen es zwischen so vielen Garnisonen der beiderseits kriegenden Teile von den Parteien ziemlich unsicher war; erhielt derowegen einen Paß für einen Straßburger Botenläufer und machte etliche Schreiben an mein Weib, ihre Schwester und Eltern, als wenn ich ihn damit nach L. schicken wollte, stellte mich aber als wenn ich wieder andern Sinns worden wäre, expraktizierte also den Paß vom Boten, schickte mein Pferd und Diener wieder zurück, verkleidete mich in eine weiß und rote Liberei und fuhr also in einem Schiff hin und bis nach Köln, welche Stadt damals zwischen den kriegenden Parteien neutral war.
Ich ging zuvörderst hin meinen Jovem zu besuchen, der mich hiebevor zu seinem Ganymede erklärt hatte, um zu erkundigen, wie es mit meinen hinterlegten Sachen eine Bewandtnis hätte, der war aber damals wiederum ganz hirnschellig und unwillig über das menschlich Geschlecht. "O Mercuri", sagte er zu mir, als er mich sah, "was bringst du Neues von Münster? vermeinen die Menschen wohl ohn meinen Willen Frieden zu machen? Nimmermehr! Sie hatten ihn, warum haben sie ihn nicht behalten? Gingen nit alle Laster im Schwang, als sie mich bewegten ihnen den Krieg zu senden? womit haben sie seithero verdienet, daß ich ihn' den Frieden wiedergeben sollte? haben sie sich denn seither bekehrt? sind sie nicht ärger worden und selbst mit in Krieg gelaufen wie zu einer Kirmes? oder haben sie sich vielleicht wegen der Teurung bekehret, die ich ihnen zugesandt, darin soviel tausend Seelen Hungers gestorben; oder hat sie vielleicht das grausame Sterben erschreckt (das soviel Millionen hingerafft), daß sie sich gebessert? Nein, nein Mercuri, die Übrigverbliebenen, die den elenden Jammer mit ihren Augen angesehen, haben sich nit allein nit gebessert, sondern sind viel ärger worden als sie zuvor jemals gewesen! haben sie sich nun wegen so vieler scharfer Heimsuchungen nit bekehrt, sondern unter so schwerem Kreuz und Trübsalen gottlos zu leben nicht aufgehöret, was werden sie dann erst tun, wenn ich ihnen den wollustbarlichen güldenen Frieden wieder zusendete? Ich müßte sorgen, daß sie mir wie hiebevor die Riesen getan, den Himmel abzustürmen unterstehen würden; aber ich will solchem Mutwillen wohl beizeit steuren und sie im Krieg hocken lassen."
Weil ich nun wußte, wie man diesem Gott lausen mußte, wenn man ihn recht stimmen wollte, sagte ich: "Ach großer Gott, es seufzet aber alle Welt nach dem Frieden, und versprechen ein große Besserung, warum wolltest du ihnen dann solchen noch länger verweigern können?" "Ja", antwortet' Jupiter, "sie seufzen wohl, aber nit meiner- sondern ihretwillen; nicht, daß jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum Gott loben, sondern daß sie deren edle Früchte mit guter Ruhe und in aller Wollust genießen möchten; ich fragte neulich einen grindigen Schneider, ob ich den Frieden geben sollte? Aber er antwortet' mir: was er sich drum geheie, er müsse so wohl zu Kriegs- als Friedenszeiten mit der stählernen Stange fechten. Ein solche Antwort kriegte ich auch von einem Rotgießer, der sagte, wenn er im Frieden keine Glocken zu gießen hätte, so hätte er im Krieg genug mit Stücken und Feuermörseln zu tun. Also antwortet' mir auch ein Schmied, und sagte: ›Habe ich keine Pflüg und Baurenwagen im Krieg zu beschlagen, so kommen mir jedoch genug Reuterpferd und Heerwagen unter die Händ, also daß ich des Friedens wohl entbehren kann.‹ Siehe nun lieber Mercuri, warum sollte ich ihnen dann den Frieden verleihen? ja, es sind zwar etliche die ihn wünschen, aber nur wie gesagt, um ihres Bauchs und Wollust willen; hingegen aber sind auch andere, die den Krieg behalten wollen, nicht zwar weil es mein Will ist, sondern weil er ihnen einträgt; und gleichwie die Maurer und Zimmerleut den Frieden wünschen, damit sie in Auferbauung der eingeäscherten Häuser Geld verdienen, also verlangen andere, die sich im Frieden mit ihrer Handarbeit nicht zu ernähren getrauen, die Kontinuation des Kriegs, in selbigem zu stehlen."
Weilen denn nun mein Jupiter mit diesen Sachen umging, konnte ich mir leicht einbilden, daß er mir in solchem verwirrten Stand von dem Meinigen wenig Nachricht werde geben können, entdeckte mich ihm derhalben nicht, sondern nahm meinen Kopf zwischen die Ohren und ging durch Abweg, die mir denn alle wohl bekannt waren, nach L., fragte daselbst nach meinem Schwährvater, allerdings wie ein fremder Bot, und erfuhr gleich, daß er samt meiner Schwieger bereits vor einem halben Jahr diese Welt gesegnet, und dann daß meine Liebste, nachdem sie mit einem jungen Sohn niederkommen, den ihre Schwester bei sich hätte, gleichfalls stracks nach ihrem Kindbett diese Zeitlichkeit verlassen; darauf lieferte ich meinem Schwager diejenigen Schreiben, die ich selbst an meinen Schwähr, an meine Liebste und an ihn meinen Schwager geschrieben; derselbe nun wollte mich selbst beherbergen, damit er von mir als einem Boten erfahren könnte, was Stands Simplicius sei, und wie ich mich verhielte, zu dem Ende diskurrierte meine Schwägerin lang mit mir von mir selbsten, und ich redete auch von mir, was ich nur Löblichs von mir wußte, denn die Urschlechten hatten mich dergestalt verderbt und verändert, daß mich kein Mensch mehr kannte, außer der von Schönstein, welcher aber als mein getreuster Freund reinen Mund hielt.
Als ich ihr nun nach der Länge erzählt, daß Herr Simplicius viel schöner Pferd und Diener hätte, und in einem schwarzen sammeten Mutzen aufzöge, der überall mit Gold verbrämt wäre, sagte sie: "Ja, ich hab mir jederzeit eingebildet, daß er keines so schlechten Herkommens sei, als er sich dafür ausgeben; der hiesige Kommandant hat meine Eltern sel. mit großen Verheißungen persuadiert, daß sie ihm meine Schwester sel. die wohl ein fromme Jungfer gewesen, ganz vorteilhaftiger Weis aufgesattelt, davon ich niemalen ein gutes End habe hoffen können, nichtsdestoweniger hat er sich wohl angelassen und resolviert, in hiesiger Garnison schwedische oder vielmehr hessische Dienst anzunehmen, maßen er zu solchem End seinen Vorrat, was er zu Köln gehabt, hieherholen wollen, das sich aber gesteckt, und er darüber ganz schelmischer Weis nach Frankreich praktiziert worden, meine Schwester, die ihn noch kaum vier Wochen gehabt, und sonst noch wohl ein halb Dutzend Bürgerstöchter schwanger hinterlassend; wie dann eine nach der andern (und zwar meine Schwester am allerletzten) mit lauter jungen Söhnen niederkommen. Weil denn nunmehr mein Vater und Mutter tot, ich und mein Mann aber keine Kinder miteinander zu hoffen, haben wir meiner Schwester Kind zum Erben aller unser Verlassenschaft angenommen und mit Hilf des hiesigen Herrn Kommandanten seines Vaters Hab zu Köln erhoben, welches sich ungefähr auf dreitausend Gulden belaufen möchte, daß also dieser junge Knab, wenn er einmal zu seinen Jahren kommt, sich unter die Armen zu rechnen keine Ursach haben wird; ich und mein Mann lieben das Kind auch so sehr, daß wirs seinem Vater nicht ließen, wenn er schon selbst käme und ihn abholen wollte; überdas so ist er der Schönste unter allen seinen Stiefbrüdern und siehet seinem Vater so gleich, als wenn er ihm aus den Augen geschnitten wäre; und ich weiß, wenn mein Schwager wüßte, was er für einen schönen Sohn hier hätte, daß er sich nicht abbrechen könnte hieherzukommen (da er schon seine übrigen Hurenkinder scheuen möchte) nur das liebe Herzchen zu sehen."
Solche und dergleichen Sachen brachte mir meine Schwägerin vor, woraus ich ihre Lieb gegen mein Kind leicht spüren können, welches denn dort in seinen ersten Hosen herumlief und mich im Herzen erfreute, derhalben suchte ich die Kleinodien hervor, die mir Herzbruder geben, solche seinetwegen meinem Weib zu verehren; dieselbigen, sagte ich, hätte mir Herr Simplicius mitgeben, seiner Liebsten zum Gruß einzuhändigen, weil aber selbige tot wäre, schätzte ich, es wäre billig, daß ich sie seinem Kind hinterließ', welche mein Schwager und seine Frau mit Freuden empfingen, und daraus schlossen, daß ich an Mitteln keinen Mangel haben, sondern viel ein anderer Gesell sein müßte, als sie sich hiebevor von mir eingebildet. Mithin drang ich auf meine Abfertigung, und als ich dieselbe bekam, begehrte ich im Namen Simplicii den jungen Simplicium zu küssen, damit ich seinem Vater solches als ein Wahrzeichen erzählen könnte; als es nun auf Vergünstigung meiner Schwägerin geschah, fing beides mir und dem Kind die Nas an zu bluten, darüber mirs Herz hätte brechen mögen; doch verbarg ich meine Affekte, und damit man nit Zeit haben möchte, der Ursach dieser Sympathiae nachzudenken machte ich mich stracks aus dem Staub und kam nach vierzehn Tagen durch viel Mühe und Gefahr wieder in Bettlers Gestalt nach Saurbrunnen, weil ich unterwegs ausgeschälet worden.
Das 6. Kapitel
Erzählung eines Possen, den Simplicius im Saurbrunnen angestellt
Nach meiner Ankunft wurde ich gewahr, daß es sich mit Herzbrudern mehr gebösert als gebessert hatte, wiewohl ihn die Doctores und Apotheker strenger als eine fette Gans gerupft; überdas kam er mir auch ganz kindisch vor und konnte kümmerlich mehr recht gehen, ich ermuntert ihn zwar so gut ich konnte, aber es war schlecht bestellt, er selbst merkte an Abnehmung seiner Kräfte wohl, daß er nit lang mehr würde dauren können, sein größter Trost war, daß ich bei ihm sein sollte, wenn er die Augen würde zutun.
Hingegen machte ich mich lustig und suchte meine Freud, wo ich solche zu finden vermeinte, doch solchergestalt, daß meinem Herzbruder an seiner Pfleg nichts manglete. Und weil ich mich einen Witwer zu sein wußte, reizten mich die guten Tag und meine Jugend wiederum zur Buhlerei, der ich denn trefflich nachhing, weil mir der zu Einsiedeln eingenommene Schrecken wieder allerdings vergessen war. Es befand sich im Sauerbrunnen eine schöne Dame, die sich für eine von Adel ausgab und meines Erachtens doch mehr mobilis als nobilis war, derselben Mannsfallen wartet ich trefflich auf den Dienst, weil sie ziemlich glatthaarig zu sein schien, erhielt auch in kurzer Zeit nicht allein einen freien Zutritt, sondern auch alle Vergnügung, die ich hätte wünschen und begehren mögen; aber ich hatte gleich ein Abscheuen ab ihrer Leichtfertigkeit, trachtet derhalben, wie ich ihrer wieder mit Manier los werden könnte, denn wie mich dünkte, so ging sie mehr darauf um, meinen Säckel zu scheren, als mich zur Ehe zu bekommen, zudem übertrieb sie mich mit liebreizenden feurigen Blicken und andern Bezeugungen ihrer brennenden Affektion, wo ich ging und stund, daß ich mich beides für mich und sie schämen mußte.
Neben dem befand sich auch ein vornehmer reicher Schweizer im Bad, dem wurde nicht nur sein Geld, sondern auch seines Weibs Geschmuck, der in Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen bestund, entfremdet; weil denn nun solche Sachen ebenso ungerne verloren werden, als schwer sie zu erobern sind, derhalben suchte bemeldter Schweizer allerhand Rat und Mittel, dadurch er selbige wieder zur Hand bringen möchte, maßen er den berühmten Teufelsbanner aus der Geißhaut kommen ließ, der durch seinen Bann den Dieb dergestalt tribulierte, daß er das gestohlene Gut wieder in eigener Person an seine Gehörde liefern mußte, deswegen der Hexenmeister dann zehn Reichstaler zur Verehrung bekam.
Diesen Schwarzkünstler hätte ich gern gesehen und mit ihm konferiert, es mochte aber, wie ich dafürhielt, ohne Schmälerung meines Ansehens (denn ich dünkte mich damals keine Sau sein) nit geschehen, derhalben stellte ich meinen Knecht an, mit ihm denselben Abend zu saufen, weil ich vernommen, daß er ein Ausbund eines Weinbeißers sein sollte, um zu sehen, ob ich vielleicht hierdurch mit ihm in Kundschaft kommen möchte, denn es wurden mir so viel seltsame Sachen von ihm erzählt, die ich nit glauben konnte, ich hätte sie denn selbst von ihm vernommen; ich verkleidete mich wie ein Landfahrer, der Salben feil hat, setzte mich zu ihm an Tisch und wollte vernehmen, ob er erraten oder ihm der Teufel eingeben würde, wer ich wäre? aber ich konnte nit das geringste an ihm spüren, denn er soff immer hin und hielt mich für einen, wie meine Kleider anzeigten, also daß er mir auch etliche Gläser zubrachte und doch meinen Knecht höher als mich respektierte; demselben erzählte er vertraulich, wenn derjenige so den Schweizer bestohlen, nur das geringste davon in ein fließend Wasser geworfen und also dem leidigen Teufel auch Partem geben hätte, so wäre unmöglich gewesen, weder den Dieb zu nennen, noch das Verlorne wieder zur Hand zu bringen.
Diese närrischen Possen hörte ich an und verwundert mich, daß der heimtückische und tausendlistige Feind den armen Menschen durch so geringe Sachen in seine Klauen bringt. Ich konnte leicht ermessen, daß dieses Stücklein ein Teil des Pakts sei, den er mit dem Teufel getroffen, und konnte wohl gedenken, daß solche Kunst dem Dieb nichts helfen würde, wenn ein anderer Teufelsbanner geholt wurde, den Diebstahl zu offenbaren, in dessen Pakt diese Klausel nicht stünde; befahl demnach meinem Knecht, (welcher ärger stehlen konnte als ein Böhm) daß er ihn gar vollsaugen und ihm hernach seine zehen Reichstaler stehlen, alsobalden aber ein paar Batzen davon in die Rench werfen sollte. Dies tat mein Kerl gar fleißig; als nun der Teufelsbanner am Morgen frühe sein Geld mangelte, begab er sich gegen die Wüste Rench in einen Busch, ohne Zweifel seinen Spiritum familiarem deswegen zu besprechen, er wurde aber so übel abgefertigt, daß er mit einem blauen und zerkratzten Angesicht wieder zurückkam; weswegen mich denn der arme alte Schelm dergestalt daurte, daß ich ihm sein Geld wiedergeben und dabei sagen ließ, weil er nunmehr sähe, was für ein betrüglicher böser Gast der Teufel sei, könnte er hinfort dessen Dienst und Gesellschaft wohl aufkünden und sich wieder zu Gott bekehren. Aber solche Vermahnung bekam mir wie dem Hund das Gras, denn ich hatte von dieser Zeit an weder Glück noch Stern mehr, maßen mir gleich hernach meine schönen Pferd durch Zauberei hinfielen. Und zwar was hätte davor sein sollen? ich lebte gottlos wie ein Epikurer und befahl das Meinige niemal in Gottes Schutz, warum hätte sich denn dieser Zauberer nicht wiederum an mir sollen rächen können?
Das 7. Kapitel
Herzbruder stirbt, und Simplicius fangt wieder an zu buhlen
Der Sauerbrunnen schlug mir je länger je besser zu, weil sich nit allein die Badgäste gleichsam täglich mehrten, sondern weil der Ort selbst und die Manier zu leben mich anmutig sein dünkte: Ich machte mit den Lustigsten Kundschaft, die hinkamen, und fing an courtoise Reden und Komplimente zu lernen, deren ich mein Tag sonst niemal viel geachtet hatte. Ich wurde für einen vom Adel gehalten, weil mich meine Leut Herr Hauptmann nenneten, sintemal dergleichen Stellen kein Soldat von Fortun so leichtlich in einem solchen Alter erlangt, darinnen ich mich damals befand; dannenhero machten die reichen Stutzer mit mir und hingegen ich hinwiederum mit ihnen nicht allein Kund- sondern auch gar Brüderschaft, und war alle Kurzweil, Spielen, Fressen und Saufen meine allergrößte Arbeit und Sorg, welches aber manchen schönen Dukaten hinwegnahm, ohne daß ichs sonderlich wahrgenommen und geachtet hätte, denn mein Säckel von dem Olivierschen Erbgut war noch trefflich schwer.
Unterdessen wurde es mit Herzbrudern je länger je ärger, also daß er endlich die Schuld der Natur bezahlen mußte, nachdem ihn die Medici und Arzt verlassen, als sie sich zuvor genugsam an ihm begraset hatten; er bestätigte nachmalen sein Testament und letzten Willen und machte mich zum Erben über dasjenige, so er von seines Vaters sel. Verlassenschaft zu empfangen, hingegen ließ ich ihn ganz herrlich begraben und seine Diener mit Trauerkleidern und einem Stück Geld ihres Wegs laufen.
Sein Abschied tat mir schmerzlich wehe, vornehmlich weil ihm vergeben worden, und ob ichs zwar nit ändern konnte, so änderts doch mich, denn ich floh alle Gesellschaften und suchte nur die Einsamkeit, meinen betrübten Gedanken Audienz zu geben; zu dem Ende verbarg ich mich etwa irgends in einen Busch und betrachtete nit allein was ich für einen Freund verloren, sondern auch daß ich mein Lebtag seinesgleichen nit mehr bekommen würde; mithin machte ich auch von Anstellung meines künftigen Lebens allerhand Anschläg und beschloß doch nichts Gewisses; bald wollt ich wieder in Krieg und unversehens gedacht ich, es hättens die geringsten Baurn in selbiger Gegend besser als ein Obrister, denn in dasselbe Gebirg kamen keine Parteien, so konnte ich mir auch nit einbilden, was eine Armee darin zu schaffen haben mußte, dieselbe Landsart zu ruinieren, maßen noch alle Baurnhöf gleich als zu Friedenszeiten in trefflichem Bau und alle Ställ voll Vieh waren, unangesehen auf dem ebenen Land in den Dörfern weder Hund noch Katz anzutreffen.
Als ich mich nun mit Anhörung des lieblichsten Vogelgesangs ergötzte und mir einbildete, daß die Nachtigall durch ihre Lieblichkeit andere Vögel banne stillzuschweigen und ihr zuzuhören, entweder aus Scham oder ihr etwas von solchem anmutigen Klang abzustehlen; da näherte sich jenseits dem Wasser eine Schönheit an das Gestad, die mich mehr bewegte (weil sie nur das Habit einer Baurndirne antrug) als eine stattliche Demoiselle sonst nit hätte tun mögen; diese hub einen Korb vom Kopf, darin sie einen Ballen frische Butter trug, solchen im Sauerbrunnen zu verkaufen, denselben erfrischte sie im Wasser, damit er wegen der großen Hitz nicht schmelzen sollte, unterdessen setzte sie sich nieder ins Gras, warf ihren Schleier und Baurnhut von sich und wischte den Schweiß vom Angesicht, also daß ich sie genug betrachten und meine vorwitzigen Augen an ihr weiden konnte; da dünkte mich, ich hätte die Tag meines Lebens kein schöner Mensch gesehen, die Proportion des Leibs schien vollkommen und ohne Tadel, Arm und Hände schneeweiß, das Angesicht frisch und lieblich, die schwarzen Augen aber voller Feur und liebreizender Blick'; als sie nun ihre Butter wieder einpackte, schrie ich hinüber: "Ach Jungfer, Ihr habt zwar mit Euren schönen Händen Eure Butter im Wasser abgekühlt, hingegen aber mein Herz durch Eure klaren Augen ins Feur gesetzt!" Sobald sie mich sah und hörte; lief sie davon, als ob man sie gejagt hätte, ohne daß sie mir ein Wörtlein geantwort hätte, mich mit all denjenigen Torheiten beladen hinterlassend, damit die verliebten Phantasten gepeinigt zu werden pflegen.
Aber meine Begierden, von dieser Sonne mehr beschienen zu werden, ließen mich nit in meiner Einsamkeit, die ich mir auserwählt, sondern machten, daß ich den Gesang der Nachtigallen nit höher achtete als ein Geheul der Wölf; derhalben trollte ich auch dem Saurbrunnen zu und schickte meinen Jungen voran, die Butterverkäuferin anzupacken und mit ihr zu marken, bis ich hernachkäme; dieser tat das Seinige und ich nach meiner Ankunft auch das Meinige; aber ich fand ein steinern Herz und eine solche Kaltsinnigkeit, dergleichen ich hinter einem Baurnmägdlein nimmermehr zu finden getraut hätte, welches mich aber viel verliebter machte, ohnangesehen ich, als einer der mehr in solchen Schulen gewesen, mir die Rechnung leicht machen können, daß sie sich nit so leicht betören lassen würde.
Damals hätte ich entweder einen strengen Feind oder einen guten Freund haben sollen; einen Feind, damit ich meine Gedanken gegen denselbigen hätte richten und der närrischen Lieb vergessen müssen, oder einen Freund, der mir ein anders geraten und mich von meiner Torheit, die ich vornahm, hätte abmahnen mögen: Aber ach leider, ich hatte nichts als mein Geld das mich verblendete, meine blinden Begierden die mich verführten, weil ich ihnen den Zaum schießen ließ, und meine grobe Unbesonnenheit, die mich verderbte und in alles Unglück stürzte; ich Narr hätte ja aus unsern Kleidungen als aus einem bösen Omen judizieren sollen, daß mir ihre Lieb nit wohl ausschlagen würde; denn weil mir Herzbruder, diesem Mägdlein aber ihre Eltern gestorben und wir dahero alle beide in Trauerkleidern aufzogen, als wir einander das erstemal sahen, was hätte unsere Buhlschaft für eine Fröhlichkeit bedeuten sollen? Mit einem Wort, ich war mit dem Narrnseil rechtschaffen verstrickt und derhalben ganz blind und ohne Verstand, wie das Kind Cupido selbsten, und weil ich meine viehischen Begierden nicht anders zu sättigen getraute, entschloß ich, sie zu heiraten. "Was", gedacht ich, "du bist deines Herkommens doch nur ein Baurnsohn und wirst dein Tag kein Schloß besitzen, dieses Revier ist ein edel Land, das sich gleichwohl dies grausame Kriegswesen hindurch gegen andere Orte zu rechnen im Wohlstand und Flor befunden; überdas hast du noch Geld genug, auch den besten Baurnhof in dieser Gegend zu bezahlen, du willst dies ehrliche Baurngretlein heiraten und dir einen geruhigen Herrnhandel mitten unter den Bauren schaffen, wo wolltest du dir eine lustigere Wohnung aussehen können als bei dem Sauerbrunnen, da du wegen der zu- und abreisenden Badgäst gleichsam alle sechs Wochen ein neue Welt sehen und dir dabei einbilden kannst, wie sich der Erdkreis von einem Saeculo zum andern verändert." Solche und dergleichen mehr tausendfältige Gedanken machte ich, bis ich endlich meine Geliebte zur Ehe begehrete und (wiewohl nicht ohne Mühe) das Jawort erhielt.
Das 8. Kapitel
Simplicius gibt sich in die zweite Ehe, trifft seinen Knan an und erfährt, wer seine Eltern gewesen
Ich ließ trefflich zur Hochzeit zurüsten, denn der Himmel hing mir voller Geigen; das Baurengut, darauf meine Braut geboren worden, löste ich nit allein ganz an mich, sondern fing noch dazu einen schönen neuen Bau an, gleich als ob ich daselbst mehr hof- und haushalten hätte wollen, und ehe ich die Hochzeit vollzogen, hatte ich bereits über dreißig Stück Vieh dastehen, weil man soviel das Jahr hindurch auf demselben Gut erhalten konnte; in Summa, ich bestellte alles auf das Beste, auch sogar mit köstlichem Hausrat, wie es mir nur meine Torheit eingab. Aber die Pfeif fiel mir bald in Dreck, denn da ich nunmehr vermeinte mit gutem Wind nach England zu schiffen, kam ich wider alle Zuversicht nach Holland, und damals, aber viel zu spät, wurde ich erst gewahr, was Ursach mich meine Braut so ohngerne nehmen wollen, das mich aber am allermeisten schmerzte, war, daß ich mein spöttisch Anliegen keinem Menschen klagen durfte. Ich konnte zwar wohl erkennen, daß ich nach dem Maß der Billigkeit Schulden bezahlen mußte, aber solche Erkenntnis machte mich darum nichts desto geduldiger, viel weniger frömmer, sondern weil ich mich so betrogen befand, gedachte ich meine Betrügerin wieder zu betrügen, maßen ich anfing grasen zu gehen, wo ich zukommen konnte, über das stak ich mehr bei guter Gesellschaft im Saurbrunnen als zu Haus; in Summa, ich ließ meine Haushaltung allerdings ein gut Jahr haben; andernteils war meine Frau ebenso liederlich, sie hatte einen Ochsen, den ich ins Haus schlagen lassen, in etliche Körb eingesalzen; und als sie mir auf ein Zeit eine Spansau zurichten sollte, unterstund sie solche wie einen Vogel zu rupfen, wie sie mir denn auch Krebs auf dem Rost und Forellen an einem Spieß braten wollen; bei diesen paar Exempeln kann man ohnschwer abnehmen, wie ich im übrigen mit ihr bin versorgt gewesen, nicht weniger trank sie auch das liebe Weinchen gern und teilet' andern guten Leuten auch mit, das mir denn mein künftig Verderben prognostizierte.
Einsmals spazierte ich mit etlichen Stutzern das Tal hinunter, eine Gesellschaft im untern Bad zu besuchen, da begegnet' uns ein alter Baur, mit einer Geiß am Strick, die er verkaufen wollte, und weil mich dünkte, ich hätte dieselbe Person mehr gesehen, fragte ich ihn, wo er mit dieser Geiß herkäme? Er aber zog sein Hütlein ab, und sagte: "Gnädiger Hearr, Eich darfs auch werlich neit sahn." Ich sagte: "Du wirst sie ja nicht gestohlen haben?" "Nein", antwort der Baur, "sondern ich bring sie aus dem Städtchen unten im Tal, welches ich eben gegen den Herrn nicht nennen darf, dieweil wir vor einer Geiß reden." Solches bewegte meine Gesellschaft zum Lachen, und weil ich mich im Angesicht entfärbte, gedachten sie, ich hätte ein Verdruß oder schämte mich, weil mir der Baur so artlich eingeschenkt; aber ich hatte andere Gedanken, denn an der großen Warzen, die der Baur gleichsam wie das Einhorn mitten auf der Stirn stehen hatte, wurde ich eigentlich versichert, daß es mein Knan aus dem Spessart war, wollte derhalben zuvor einen Wahrsager agieren, ehe ich mich ihm offenbaren und mit einem so stattlichen Sohn, als damals meine Kleider auswiesen, erfreuen wollte; sagte derhalben zu ihm: "Mein lieber alter Vater, seid Ihr nicht im Spessart zu Haus?" "Ja Hearr", antwort der Baur; da sagte ich: "Haben Euch nicht vor ungefähr achtzehn Jahren die Reuter Euer Haus und Hof geplündert und verbrennt?" "Ja, Gott erbarms", antwortet' der Baur, "es ist aber noch nicht so lang." Ich fragte weiter: "Habt Ihr nicht damals zwei Kinder, nämlich eine erwachsene Tochter und einen jungen Knaben gehabt, der Euch der Schaf gehütet?" "Herr", antwortet' mein Knan, "die Tochter war mein Kind, aber der Bub nicht, ich hab ihn aber an Kindes Statt aufziehen wollen." Hieraus verstund ich wohl, daß ich dieses groben Knollfinken Sohn nicht sei, welches mich einsteils erfreute, hingegen aber auch betrübte, weil mir zugefallen, ich müßte sonsten ein Bankert oder Findling sein; fragte derowegen meinen Knan, wo er denn denselben Buben aufgetrieben? oder was er für Ursach gehabt, denselben an Kinds Statt zu erziehen? "Ach", sagte er, "es ist mir seltsam mit ihm gangen, der Krieg hat mir ihn geben, und der Krieg hat mir ihn wieder genommen." Weil ich denn besorgte, es dürfte wohl ein Fazit herauskommen, das mir wegen meiner Geburt nachteilig sein möchte, verwendet ich meinen Diskurs wieder auf die Geiß und fragte, ob er sie der Wirtin in die Küche verkauft hätte? das mich befremde, weil die Saurbrunnengäst kein alt Geißenfleisch zu genießen pflegten. "Ach nein Herr", antwort der Baur, "die Wirtin hat selber Geißen genug und gibt auch nichts für ein Ding, ich bring sie der Gräfin, die im Sauerbrunnen badet, und ihr der Doktor Hans in allen Gassen etliche Kräuter geordnet, so die Geiß essen muß, und was sie dann für Milch davon gibt, die nimmt der Doktor und macht der Gräfin noch so ein Arznei drüber, so muß sie die Milch trinken und wieder gesund davon werden; man sagt, es mangel der Gräfin am Gehäng, und wenn ihr die Geiß hilft, so vermag sie mehr als der Doktor und seine Abdecker miteinander." Unter währender solcher Relation besann ich, auf was Weis ich mehr mit dem Baurn reden möchte, bot ihm derhalben einen Taler mehr um die Geiß, als der Doktor oder die Gräfin darum geben wollten; solches ging er gleich ein (denn ein geringer Gewinn persuadiert die Leut bald anders) doch mit dem Beding, er sollte der Gräfin zuvor anzeigen, daß ich ihm ein Taler mehr darauf geboten, wollte sie dann soviel drum geben als ich, so sollte sie den Vorkauf haben, wo nicht, so wollte er mir die Geiß zukommen lassen und wie der Handel stünde auf den Abend anzeigen.
Also ging mein Knan seines Wegs, und ich mit meiner Gesellschaft den unserigen auch, doch konnte und mochte ich nit länger bei der Kompagnie bleiben, sondern drehte mich ab und ging hin, wo ich meinen Knan wieder fand, der hatte seine Geiß noch, weil ihm andere nicht so viel als ich drum geben wollten, welches mich an so reichen Leuten wunderte und doch nit kärger machte; ich führte ihn auf meinen neuerkauften Hof, bezahlte ihm seine Geiß, und nachdem ich ihm einen halben Rausch angehängt, fragte ich ihn, woher ihm derjenige Knab zugestanden wäre, von dem wir heute geredet? "Ach Herr", sagte er, "der Mansfelder Krieg hat mir ihn beschert, und die Nördlinger Schlacht hat mir ihn wieder genommen." Ich sagte: "Das muß wohl ein lustige Histori sein", mit Bitt, weil wir doch sonst nichts zu reden hätten, er wollte mirs doch für die lange Weil erzählen. Darauf fing er an, und sagte: "Als der Mansfelder bei Höchst die Schlacht verlor, zerstreute sich sein flüchtig Volk weit und breit herum, weil sie nit alle wußten, wohin sie sich retirieren sollten; viel kamen in Spessart, weil sie die Büsch suchten, sich zu verbergen, aber indem sie dem Tod auf der Ebne entgingen, fanden sie ihn bei uns in den Bergen, und weil beide kriegende Teile für billig achteten, einander auf unserm Grund und Boden zu berauben und niederzumachen, griffen wir ihnen auch auf die Hauben, damals ging selten ein Bauer in den Büschen ohne Feurrohr, weil wir zu Haus bei unsern Hauen und Pflügen nit bleiben konnten. In demselben Tumult bekam ich nicht weit von meinem Hof in einem wilden ungeheuren Wald ein schöne junge Edelfrau samt einem stattlichen Pferd, als ich zuvor nit weit davon etliche Büchsenschüß gehört hatte; ich sah sie anfänglich für einen Kerl an, weil sie so männlich daherritt, aber indem ich sie beides Händ und Augen gegen den Himmel aufheben sah und auf welsch mit einer erbärmlichen Stimm zu Gott rufen hörte, ließ ich mein Rohr, damit ich Feur auf sie geben wollte, sinken und zog den Hahnen wieder zurück, weil mich ihr Geschrei und Gebärden versicherten, daß sie ein betrübtes Weibsbild wäre; mithin näherten wir uns einander, und da sie mich sah, sagte sie: ›Ach! wenn Ihr ein ehrlicher Christenmensch seid, so bitte ich Euch um Gottes und seiner Barmherzigkeit, ja um des jüngsten Gerichts willen, vor welchem wir alle um unser Tun und Lassen Rechenschaft geben müssen, Ihr wollet mich zu ehrlichen Weibern führen, die mich durch göttliche Hilf von meiner Leibesbürde entledigen helfen!‹ Diese Wort, die mich so großer Ding erinnerten, samt der holdseligen Aussprach und zwar betrübten doch überaus schönen und anmutigen Gestalt der Frauen zwangen mich zu solcher Erbärmde, daß ich ihr Pferd beim Zügel nahm und sie durch Hecken und Stauden an den allerdicksten Ort des Gesträuchs führte, da ich selbst mein Weib, Kind, Gesind und Vieh hingeflehnt hatte, daselbst genas sie ehender als in einer halben Stund desjenigen jungen Knaben, von dem wir heut miteinander geredet haben."
Hiemit beschloß mein Knan seine Erzählung, weil er eins trank, denn ich sprach ihm gar gütlich zu; da er aber das Glas ausgeleeret hatte, fragte ich: "Und wie ists danach weiter mit der Frauen gangen?" Er antwortet': "Als sie dergestalt Kindbetterin worden, bat sie mich zu Gevattern, und daß ich das Kind ehestens zur Tauf fördern wollte; sagte mir auch ihres Manns und ihren Namen, damit sie möchten in das Taufbuch geschrieben werden, und indem tat sie ihr Felleisen auf, darinnen sie wohl köstliche Sachen hatte, und schenkte mir, meinem Weib und Kind, der Magd und sonst noch einer Frauen so viel, daß wir wohl mit ihr zufrieden sein können; aber indem sie so damit umging und uns von ihrem Mann erzählte, starb sie uns unter den Händen, als sie uns ihr Kind zuvor wohl befohlen hatte: weil es denn nun so gar ein großer Lärmen im Land war, daß niemand bei Haus bleiben konnte, vermochten wir kaum ein Pfarrherrn, der bei dem Begräbnis war und das Kind taufte; da aber endlich beides geschehen, wurde mir von unserm Schulzen und Pfarrherrn befohlen, ich sollte das Kind aufziehen bis es groß würd, und für meine Mühe und Kosten der Frauen ganze Verlassenschaft behalten, ausgenommen etliche Paternoster, Edelgestein und so Geschmeiß, welches ich für das Kind aufbehalten sollte; also ernährte mein Frau das Kind mit Geißmilch, und wir behielten den Buben gar gern und dachten, wir wollten ihm, wenn er groß würde, unser Mädchen zur Frauen geben; aber nach der Nördlinger Schlacht habe ich beides das Mägdlein und den Buben verloren, samt allem dem was wir vermochten."
"Ihr habt mir", sagte ich zu meinem Knan, "ein artliche Geschieht erzählt und doch das Best vergessen, denn Ihr habt nicht gesagt weder wie die Frau, noch ihr Mann oder das Kind geheißen." "Herr", antwortet' er, "ich hab nicht gemeint, daß Ihrs auch gern hättet wissen mögen; die Edelfrau hieß Susanna Ramsi, ihr Mann Kapitän Sternfels von Fuchsheim, und weil ich Melchior hieß, so ließ ich den Buben bei der Taufe auch Melchior Sternfels von Fuchsheim nennen und ins Taufbuch schreiben."
Hieraus vernahm ich umständlich, daß ich meines Einsiedlers und des Gubernators Ramsay Schwester leiblicher Sohn gewesen, aber ach leider viel zu spät, denn meine Eltern waren beide tot, und von meinem Vetter Ramsay konnte ich anders nichts erfahren, als daß die Hanauer ihn mitsamt der schwedischen Garnison ausgeschaut hätten, weswegen er denn vor Zorn und Ungeduld ganz unsinnig worden wäre.
Ich deckte meinen Pettern vollends mit Wein zu und ließ den andern Tag sein Weib auch holen; da ich mich ihnen nun offenbarte, wollten sie es nicht ehe glauben, bis ich ihnen zuvor einen schwarzen haarigen Flecken aufgewiesen, den ich vornan auf der Brust hatte.
Das 9. Kapitel
Welchergestalt ihn die Kindswehe angestoßen und wie er wieder zu einem Witwer wird
Ohnlängst hernach nahm ich meinen Pettern zu mir und tat mit ihm einen Ritt hinunter in Spessart, glaubwürdigen Schein und Urkund meines Herkommens und ehelicher Geburt halber zuwegen zu bringen, welches ich ohnschwer aus dem Taufbuch und meines Pettern Zeugnis erhielt. Ich kehrte auch gleich bei dem Pfarrer ein, der sich zu Hanau aufgehalten und meiner angenommen, derselbe gab mir einen schriftlichen Beweis mit, wo mein Vater sel. gestorben, und daß ich bei demselben bis in seinen Tod und endlich unter dem Namen Simplici eine Zeitlang bei Herrn Ramsay dem Gubernator in Hanau gewesen wäre, ja ich ließ über meine ganze Histori aus der Zeugen Mund durch einen Notarium ein Instrument aufrichten, denn ich gedachte, wer weiß, wo du es noch einmal brauchest; solche Reis kostet' mich über 400 Taler, denn auf dem Zurückweg wurde ich von einer Partei erhascht, abgesetzt und geplündert, also daß ich und mein Knan oder Petter allerdings nackend und kaum mit dem Leben davonkamen.
Indessen gings daheim auch schlimm zu, denn nachdem mein Weib vernommen, daß ihr Mann ein Junker sei, spielte sie nit allein die große Frauen, sondern verliederlicht' auch alles in der Haushaltung, welches ich, weil sie großen Leibes war, stillschweigend übertrug, überdas war mir ein Unglück in den Stall kommen, so mir das meiste und beste Vieh hingerafft.
Dieses alles wäre noch zu verschmerzen gewesen, aber o mirum! kein Unglück allein; in der Stund, darin mein Weib genas, wurde die Magd auch Kindbetterin, das Kind zwar so sie brachte, sah mir allerdings ähnlich, das aber so mein Weib gebar, sah dem Knecht so gleich, als wenns ihm aus dem Gesicht geschnitten worden wäre; zudem hatte diejenige Dame, deren oben gedacht, in ebenderselben Nacht auch eins vor meine Tür legen lassen, mit Schriftbericht, daß ich der Vater wäre, also daß ich auf einmal drei Kinder zusammenbrachte, und war mir nit anders zu Sinn, als es würde aus jedem Winkel noch eins hervorkriechen, welches mir nit wenig graue Haar machte! Aber es gehet nit anders her, wenn man in einem so gottlosen und verruchten Leben, wie ich eins geführt, seinen viehischen Begierden folget.
Nun was halfs? ich mußte taufen, und mich noch dazu von der Obrigkeit rechtschaffen strafen lassen, und weil die Herrschaft damals eben schwedisch war, ich aber hiebevor dem Kaiser gedient, wurde mir die Zech desto höher gemacht, welches lauter Praeludia waren meines abermaligen gänzlichen Verderbens. Gleichwie mich nun so vielerlei unglückliche Zufäll höchlich betrübten, also nahm es andernteils mein Weibchen nur auf die leichte Achsel, ja sie trillete mich noch dazu Tag und Nacht wegen des schönen Funds, der mir vor die Tür geleget, und daß ich um so viel Gelds gestraft worden wär; hätte sie aber gewußt, wie es mit mir und der Magd beschaffen gewesen, so würde sie mich noch wohl ärger gequält haben, aber das gute Mensch war so aufrichtig, daß sie sich durch soviel Geld, als ich sonst ihretwegen hätte Straf geben müssen, bereden ließ, ihr Kind einem Stutzer zuzuschreiben, der mich das Jahr zuvor unterweilen besucht und bei meiner Hochzeit gewesen, den sie aber sonst weiters nicht gekannt; doch mußte sie aus dem Haus, denn mein Weib argwöhnet', was ich ihretwegen vom Knecht gedachte, und durft doch nichts ahnden, denn ich hätte ihr sonst vorgehalten, daß ich in einer Stund nicht zugleich bei ihr und der Magd sein können. Indessen wurde ich mit dieser Anfechtung heftig gepeiniget, daß ich meinem Knecht ein Kind aufziehen und die meinigen nicht meine Erben sein sollten, und daß ich noch dazu stillschweigen und froh sein mußte, daß gleichwohl sonst niemand nichts davon wußte.
Mit solchen Gedanken martert ich mich täglich, aber mein Weib delektierte sich stündlich mit Wein, denn sie hatte sich das Kännchen seit unserer Hochzeit dergestalt angewöhnt, daß es ihr selten vom Maul und sie selbsten gleichsam keine Nacht ohne ein ziemlichen Rausch schlafen ging; davon soff sie ihrem Kind zeitlich das Leben ab, und entzündet' sich selbsten das Gehäng dergestalt, daß es ihr auch bald hernach entfiel, und mich wiederum zu einem Witwer machte, welches mir so zu Herzen ging, daß ich mich fast krank hierüber gelacht hätte.
Das 10. Kapitel
Relation etlicher Baursleut von dem wunderbaren Mummelsee
Da ich mich nun wieder solchergestalt in meine erste Freiheit gesetzt befand, mein Beutel aber von Geld ziemlich geleeret, hingegen meine große Haushaltung mit vielem Vieh und Gesind beladen, nahm ich meinen Petter Melchior für einen Vater, meine Göt, seine Frau, für meine Mutter, und den Bankert Simplicium, der mir vor die Tür geleget worden, für meinen Erben an und übergab diesen beiden Alten Haus und Hof samt meinem ganzen Vermögen, bis auf gar wenig gelbe Batzen und Kleinodien, die ich noch auf die äußerste Not gespart und hinterhalten hatte, denn ich hatte einen Ekel ab aller Weiber Beiwohnung und Gemeinschaft gefaßt, daß ich mir vornahm, weil mirs so übel mit ihnen gangen, mich nicht mehr zu verheiraten; diese beiden alten Eheleut, welche in re rusticorum nit wohl ihresgleichen mehr hatten, gossen meine Haushaltung gleich in einen andern Model, sie schafften von Gesind und Vieh ab was nichts nützte, und bekamen hingegen auf den Hof, was etwas eintrug; mein alter Knan samt meiner alten Meuder vertrösteten mich alles Guten und versprachen, wenn ich sie nur hausen ließe, so wollten sie mir allweg ein gut Pferd auf der Streu halten und so viel verschaffen, daß ich je zuzeiten mit einem ehrlichen Biedermann ein Maß Wein trinken könnte: Ich spürete auch gleich, was für Leut meinem Hof vorstunden, mein Petter bestellte mit dem Gesind den Feldbau, schacherte mit Vieh und mit dem Holz- und Harzhandel ärger als ein Jud, und meine Göt legte sich auf die Viehzucht und wußte die Milchpfennig besser zu gewinnen und zusammzuhalten, als zehen solcher Weiber wie ich eins gehabt hatte. Auf solche Weis wurde mein Baurenhof in kurzer Zeit mit allerhand notwendigem Vorrat, auch groß und kleinem Vieh genugsam versehen, also daß er in Bälde für den besten in der ganzen Gegend geschätzt wurde, ich aber ging dabei spazieren und wartet allerhand Kontemplationen ab; denn weil ich sah, daß meine Göt mehr aus den Immen an Wachs und Honig vorschlug, als mein Weib hiebevor aus Rindvieh, Schweinen und anderm eroberte, konnte ich mir leicht einbilden, daß sie im übrigen nichts verschlafen würde.
Einsmals spazierte ich in Sauerbrunnen, mehr ein Trunk frisch Wasser zu tun, als mich meiner vorigen Gewohnheit nach mit den Stutzern bekannt zu machen, denn ich fing an meiner Alten Kargheit nachzuahmen, welche mir nicht rieten, daß ich mit den Leuten viel umgehen sollte, die ihre und ihrer Eltern Hab so unnützlich verschwendeten: Gleichwohl aber geriet ich zu einer Gesellschaft mittelmäßigen Stands, weil sie von einer seltenen Sach, nämlich von dem Mummelsee diskurrierten, welcher unergründlich und in der Nachbarschaft auf einem von den höchsten Bergen gelegen sei; sie hatten auch unterschiedliche alte Bauersleut beschickt, die erzählen mußten, was einer oder der ander von diesem wunderbarlichen See gehöret hätte, deren Relation ich denn mit großer Lust zuhörte, wiewohl ichs für eitel Fabeln hielt, denn es lautete also lügenhaftig als etliche Schwänk des Plinii.
Einer sagte, wenn man ungerad, es seien gleich Erbsen, Steinlein oder etwas anders, in ein Nastüchlein binde und hineinhänge, so verändere es sich in gerad; also auch, wenn man gerad hineinhänge, so finde man ungerad. Ein anderer und zwar die meisten gaben vor und bestätigten es auch mit Exempeln, wenn man einen oder mehr Stein hineinwürfe, so erhebe sich gleich, Gott geb wie schön auch der Himmel zuvor gewesen, ein grausam Ungewitter, mit schrecklichem Regen, Schlossen und Sturmwinden. Von diesem kamen sie auch auf allerhand seltsame Historien, so sich dabei zugetragen, und was sich für wunderbarliche Spectra von Erd- und Wassermännlein dabei hätten sehen lassen und was sie mit den Leuten geredet. Einer erzählte, daß auf ein Zeit, da etliche Hirten ihr Vieh bei dem See gehütet, ein brauner Stier herausgestiegen, welcher sich zu dem andern Rindvieh gesellet, dem aber gleich ein kleines Männlein nachgefolget, ihn wieder zurück in See zu treiben, er hätte aber nicht parieren wollen, bis ihm das Männlein gewünscht hätte, es sollte ihn aller Menschen Leiden ankommen, wenn er nicht wieder zurückkehre! Auf welche Wort er und das Männlein sich wieder in den See begeben hätten. Ein anderer sagte, es sei auf ein Zeit, als der See überfroren gewesen, ein Baursmann mit seinen Ochsen und etlichen Blöcken, daraus man Dieln schneidet, über den See gefahren ohn einzigen Schaden; als ihm aber sein Hund nachkommen, sei das Eis mit ihm gebrochen und der arme Hund allein hinuntergefallen und nicht mehr gesehen worden. Noch ein anderer behauptete bei großer Wahrheit, es sei ein Schütz auf der Spur des Wilds bei dem See vorübergangen, der hätte auf demselben ein Wassermännlein sitzen sehen, das einen ganzen Schoß voll gemünzter Goldsorten gehabt und gleichsam damit gespielt hätte; und als er nach demselbigen Feur geben wollen, hätte sich das Männlein geduckt, und diese Stimme hören lassen: "Wenn du mich gebeten, deiner Armut zu Hilf zu kommen, so wollte ich dich und die Deinigen reich genug gemacht haben."
Solche und dergleichen mehr Historien, die mir alle als Märlein vorkamen, damit man die Kinder aufhält, hörte ich an, verlachte sie und glaubte nit einmal, daß ein solcher unergründlicher See auf einem hohen Berg sein könnte; aber es fanden sich noch andere Baursleut, und zwar alte glaubwürdige Männer, die erzählten, daß noch bei ihrem und ihrer Väter Gedenken hohe fürstliche Personen den besagten See zu beschauen sich erhoben, wie denn ein regierender Herzog zu Württemberg etc. ein Floß machen und mit demselbigen darauf hineinfahren lassen, seine Tiefe abzumessen; nachdem die Messer aber bereits neun Zwirnnetz (ist ein Maß, das die Schwarzwälder Baurnweiber besser als ich oder ein anderer Geometra verstehen) mit einem Senkel hinuntergelassen und gleichwohl noch keinen Boden gefunden, hätte das Floß, wider die Natur des Holzes, anfangen zu sinken, also daß die so sich darauf befunden, von ihrem Vornehmen abstehen und sich ans Land salvieren müssen, maßen man noch heutzutag die Stücke des Floßes am Ufer des Sees und zum Gedächtnis dieser Geschicht das fürstlich Württembergische Wappen und andere Sachen mehr in Stein gehauen vor Augen sehe. Andere bewiesen mit vielen Zeugen, daß ein Erzherzog von Österreich etc. den See gar hätte abgraben lassen wollen, es sei ihm aber von vielen Leuten widerraten und durch Bitt der Landleute sein Vornehmen hintertrieben worden, aus Furcht, das ganze Land möchte untergehen und ersaufen: Überdas hätten höchstgedachte Fürsten etliche Lägeln voll Forellen in den See setzen lassen, die seien aber alle, ehe als in einer Stund, in ihrer Gegenwart abgestanden und zum Auslauf des Sees hinausgeflossen, ohnangesehen das Wasser, so unter dem Gebirg, darauf der See liege, durch das Tal (so von dem See den Namen habe) hinfleußt, von Natur solche Fisch hervorbringe, da doch der Auslauf des Sees in selbig Wasser sich ergieße.
Das 11. Kapitel
Ein unerhörte Danksagung eines Patienten, die bei Simplicio fast heilige Gedanken verursacht
Dieser Letztern Aussag machte, daß ich denen zuerst beinahe völligen Glauben zustellte, und bewog meinen Vorwitz, daß ich mich entschloß, den wunderbaren See zu beschauen; von denen, so neben mir alle Erzählung gehört, gab einer dies, der ander jenes Urteil darüber, daraus denn ihre unterschiedlichen und widereinander laufenden Meinungen genugsam erhellten; ich zwar sagte, der teutsche Nam Mummelsee gebe genugsam zu verstehen, daß es um ihn wie um eine Maskarade ein verkapptes Wesen sei, also daß nicht jeder seine Art sowohl als seine Tiefe ergründen könne, die doch auch noch nicht erfunden worden wäre, da doch so hohe Personen sich dessen unterfangen hätten; ging damit an denjenigen Ort, allwo ich vorm Jahr mein verstorbenes Weib das erstemal sah und das süße Gift der Lieb einsoff.
Daselbsten legte ich mich auf das grüne Gras in Schatten nieder, ich achtet aber nicht mehr wie hiebevor, was die Nachtigallen daherpfiffen, sondern ich betrachtete, was für Veränderung ich seithero erduldet; da stellte ich mir vor Augen, daß ich an eben demselbigen Ort den Anfang gemacht, aus einem freien Kerl zu einem Knecht der Liebe zu werden, daß ich seithero aus einem Offizier ein Bauer, aus einem reichen Bauern ein armer Edelmann, aus einem Simplicio ein Melchior, aus einem Witwer ein Ehmann, aus einem Ehmann ein Gauch, und aus einem Gauch wieder ein Witwer worden wäre; item, daß ich aus eines Baurn Sohn zu einem Sohn eines rechtschaffenen Soldaten, und gleichwohl wieder zu einem Sohn meines Knans worden. Da führte ich zu Gemüt, wie mich seithero mein fatum des Herzbruders beraubt und hingegen für ihn mit zweien alten Eheleuten versorgt hätte; ich gedachte an das gottselige Leben und Absterben meines Vaters, an den erbärmlichen Tod meiner Mutter, und daneben auch an die vielfältigen Veränderungen, denen ich mein Lebtag unterworfen gewesen, also daß ich mich des Weinens nit enthalten konnte. Und indem ich zu Gemüt führte, wie viel schön Geld ich die Tage meines Lebens gehabt und verschwendet, zumal solches zu bedauren anfing, kamen zween gute Schlucker oder Weinbeißer (denen die Cholica in die Glieder geschlagen, deswegen sie denn erlahmet und das Bad samt dem Saurbrunnen brauchten), die setzten sich zu nächst bei mir nieder, weil es eine gute Ruhestatt hatte, und klagte je einer dem andern seine Not, weil sie vermeineten allein zu sein; der eine sagte: "Mein Doktor hat mich hieher gewiesen als einen, an dessen Gesundheit er verzweifelt, oder als einen, der neben andern dem Wirt um das Fäßlein mit Butter so er ihm neulich geschickt, Satisfaktion tun solle; ich wollte, daß ich ihn entweder die Tage meines Lebens niemals gesehen oder daß er mir gleich anfangs in Sauerbrunnen geraten hätte, so würde ich entweder mehr Geld haben oder gesünder sein als jetzt, denn der Sauerbrunnen schlägt mir wohl zu." "Ach!" antwort der ander, "ich danke meinem Gott, daß er mir nicht mehr überflüssig Geld beschert hat, als ich vermag; denn hätte mein Doktor noch mehr hinter mir gewußt, so hätte er mir noch lang nicht in Sauerbrunnen geraten, sondern ich hätte zuvor mit ihm und seinen Apothekern, die ihn deswegen alle Jahr schmieren, teilen müssen, und hätte ich darüber sterben und verderben sollen; die Schabhäls raten unsereinem nicht eher an ein so heilsam Ort, sie getrauen denn nit mehr zu helfen oder wissen nichts mehr an einem zu rupfen; wenn man die Wahrheit bekennen will, so muß ihnen derjenige, so sich hinter sie läßt und hinter welchem sie Geld wissen, nur lohnen, daß sie einen krank erhalten."
Diese zween hatten noch viel Schmähens über ihre Doctores, aber ich mags drum nicht alles erzählen, denn die Herren Medici möchten mir sonst feind werden und künftig eine Purgation eingeben, die mir die Seel austreiben möchte: Ich melde dies allein deswegen, weil mich der letztere Patient mit seiner Danksagung, daß ihm Gott nit mehr Geld bescheret, dergestalt tröstete, daß ich alle Anfechtungen und schweren Gedanken, die ich damals des Gelds halber hatte, aus dem Sinn schlug. Ich resolvierte mich, weder mehr nach Ehren noch Geld, noch nach etwas anderm das die Welt liebt, zu trachten; ja ich nahm mir vor zu philosophieren und mich eines gottseligen Lebens zu befleißen, zumalen meine Unbußfertigkeit zu bereuen und mich zu erkühnen, gleich meinem Vater sel. auf die höchsten Staffeln der Tugenden zu steigen.
Das 12. Kapitel
Wie Simplicius mit den Sylphis in das Centrum terrae fährt
Die Begierde den Mummelsee zu beschauen vermehrte sich bei mir, als ich von meinem Petter verstund, daß er auch dabei gewesen und den Weg dazu wüßte; da er aber hörete, daß ich überein auch dazu wollte, sagte er: "Und was werdet Ihr dann davontragen, wenn Ihr gleich hinkommt? der Herr Sohn und Petter wird nichts anders sehen als ein Ebenbild eines Weihers, der mitten in einem großen Wald liegt, und wenn Er seine jetzige Lust mit beschwerlicher Unlust gebüßt, so wird Er nichts anders als Reu, müde Füß (denn man kann schwerlich hin reiten) und den Hergang für den Hingang davon haben; es sollte mich kein Mensch hingebracht haben, wenn ich nicht hätt hinfliehen müssen, als der Doktor Daniel (er wollte Duc d'Anguin sagen) mit seinen Kriegern das Land hinunter vor Philippsburg zog." Hingegen kehrte sich mein Vorwitz nicht an seine Abmahnung, sondern ich bestellte einen Kerl, der mich hinführen sollte; da er nun meinen Ernst sah, sagte er, weil die Habersaat vorüber und auf dem Hof weder zu hauen noch zu ernten, wollte er selbst mit mir gehen und den Weg weisen; denn er hatte mich so lieb, daß er mich ungern aus dem Gesicht ließ, und weil die Leut im Land glaubten, daß ich sein leiblicher Sohn sei, prangte er mit mir und tat gegen mich und jedermann, wie etwa ein gemeiner armer Mann gegen seinen Sohn tun möchte, den das Glück ohne sein Zutun und Beförderung zu einem großen Herrn gemacht hätte.
Also wanderten wir miteinander über Berg und Tal und kamen zu dem Mummelsee, ehe wir sechs Stund gegangen hatten, denn mein Petter war noch so käfermäßig und so wohl zu Fuß als ein Junger; wir verzehrten daselbst was wir von Speis und Trank mit uns genommen, denn der weite Weg und die Höhe des Bergs, auf welchem der See liegt, hätte uns hungrig und hellig gemacht; nachdem wir uns aber erquickt, beschaute ich den See und fand gleich etliche gezimmerte Hölzer darin liegen, die ich und mein Knan für rudera des württembergischen Floßes hielten; ich nahm oder maß die Länge und Breite des Wassers vermittelst der Geometriae, weil gar beschwerlich war, um den See zu gehen und denselben mit Schritten oder Schuhen zu messen, und brachte seine Beschaffenheit vermittelst des verjüngten Maßstabs in mein Schreibtäfelein, und als ich damit fertig, zumaln der Himmel durchaus hell und die Luft ganz windstill und wohl temperiert war, wollte ich auch probieren was Wahrheit an der Sagmär wäre, daß ein Ungewitter entstehe, wenn man einen Stein in den See werfe; sintemal ich allbereit die Hörsag, daß der See keine Forellen leide, am mineralischen Geschmack des Wassers wahr zu sein befunden.
Solche Prob nun ins Werk zu setzen, ging ich gegen die linke Hand am See hin, an denjenigen Ort, da das Wasser (welches sonst so hell ist als ein Kristall) wegen der abscheulichen Tiefe des Sees gleichsam kohlschwarz zu sein scheinet und deswegen so fürchterlich aussiehet, daß man sich auch nur vorm Anblick entsetzt, daselbst fing ich an so große Stein hineinzuwerfen, als ich sie immermehr ertragen konnte; mein Petter oder Knan wollte mir nicht allein nicht helfen, sondern warnete und bat mich davon abzustehen soviel ihm immer möglich, ich aber kontinuieret meine Arbeit emsig fort, und was ich von Steinen ihrer Größe und Schwere halben nicht ertragen mochte, das walgert ich herbei, bis ich deren über dreißig in See brachte; da fing die Luft an den Himmel mit schwarzen Wolken zu bedecken, in welchen ein grausames Donnern gehöret wurde; also daß mein Petter, welcher jenseits des Sees bei dem Auslauf stand und über mein Arbeit lamentierte, mir zuschrie, ich sollte mich doch salvieren, damit uns der Regen und das schreckliche Wetter nicht ergreife oder noch wohl ein größer Unglück betreffe; ich aber antwortete ihm hingegen: "Vater ich will bleiben und des Ends erwarten und sollte es auch Hellebarden regnen!" "Ja", antwortet' mein Knan, "Ihr machts wie alle verwegenen Buben, die sich nichts drum geheien, wenn gleich die ganze Welt untergingen"
Indem ich nun diesem seinem Schmälen so zuhörete, verwandte ich die Augen nicht von der Tiefe des Sees, der Meinung, etwa etliche Blattern oder Blasen vom Grund desselbigen aufsteigen zu sehen, wie zu geschehen pflegt, wenn man in andere tiefe, so stillstehende als fließende Wasser Steine wirft; aber ich wurde nichts dergleichen gewahr, sondern sah sehr weit gegen den abyssum etliche Kreaturen im Wasser herumflattern, die mich der Gestalt nach an Frösch ermahnten, und gleichsam wie Schwärmerlein aus einer aufgestiegenen Raket, die in der Luft ihr Wirkung der Gebühr nach vollbringt, herumvagierten; und gleichwie sich dieselbigen mir je länger je mehr näherten, also schienen sie auch in meinen Augen je länger je größer, und an ihrer Gestalt den Menschen desto ähnlicher; weswegen mich denn erstlich eine große Verwunderung und endlich, weil ich sie so nahe bei mir hatte, ein Grausen und Entsetzen ankam: "Ach!" sagte ich damal vor Schrecken und Verwunderung zu mir selber, und doch so laut, daß es mein Knan, der jenseit des Sees stund, wohl hören konnte (wie wohl es schrecklich donnerte) "wie sind die Wunderwerk des Schöpfers auch sogar im Bauch der Erden und in der Tiefe des Wassers so groß!" Kaum hatte ich diese Wort recht ausgesprochen, da war schon eins von diesen Sylphis oben auf dem Wasser, das antwortet': "Siehe: das bekennest du, ehe du etwas davon gesehen hast; was würdest du wohl sagen, wenn du erst selbsten im centro terrae wärest und unsere Wohnung, die dein Vorwitz beunruhiget, beschautest?" Unterdessen kamen noch mehr dergleichen Wassermännlein hier und dort, gleichsam wie die Tauchentlein hervor, die mich alle ansahen und die Stein wieder heraufbrachten, die ich hineingeworfen, worüber ich ganz erstaunte; der erste und vornehmste aber unter ihnen, dessen Kleidung wie lauter Gold und Silber glänzte, warf mir einen leuchtenden Stein zu, so groß als ein Taubenei und so grün und durchsichtig als ein Smaragd, mit diesen Worten: "Nimm hin dies Kleinod, damit du etwas von uns und diesem See zu sagen wissest!" Ich hatte ihn aber kaum aufgehoben und zu mir gesteckt, da wurde mir nit anderst, als ob mich die Luft hätte ersticken oder ersäufen wollen, derhalben ich mich denn nit länger aufrecht behalten konnte, sondern herumtaumelte wie eine Garnwinde und endlich gar in See hinunterfiel: Sobald ich aber ins Wasser kam, erholte ich mich wieder, und brauchte aus Kraft des Steins den ich bei mir hatte, im Atmen das Wasser anstatt der Luft; ich konnte auch gleich so wohl als die Wassermännlein mit geringer Mühe in dem See herumwebern, maßen ich mich mit denselben in Abgrund hinabtat, so mich an nichts anders ermahnte, als wenn sich ein Schar Vögel mit Umschweifen aus dem obersten Teil der temperierten Luft gegen die Erde niederläßt.
Da mein Knan dies Wunder zum Teil (nämlich soviel oberhalb des Wassers geschehen) samt meiner jählingen Verzückung gesehen, trollte er sich vom See hinweg und heim zu, als ob ihm der Kopf brennte; daselbst erzählte er allen Verlauf, vornehmlich aber, daß die Wassermännlein diejenigen Stein, so ich in See geworfen, wieder in vollem Donnerwetter heraufgetragen und an ihre vorige Statt gelegt, hingegen aber mich mit sich hinuntergenommen hätten: Etliche glaubten ihm, die meisten aber hielten es für eine Fabel, andere bildeten sich ein, ich hätte mich wie ein anderer Empedocles Agrigentinus (welcher sich in den Berg Aetnam gestürzt, damit jedermann gedenken sollte, wenn man ihn nirgend finde, er wäre gen Himmel gefahren) selbst im See ertränkt, und meinem Vater befohlen, solche Fabeln von mir auszugeben, um mir einen unsterblichen Namen zu machen; man hätte eine Zeitlang an meinem melancholischen Humor wohl gesehen, daß ich halber desperat gewesen wäre, etc. Andere hätten gern geglaubt, wenn sie meine Leibskräfte nicht gewußt, mein angenommener Vater hätte mich selbst ermordet, damit er als ein geiziger alter Mann meiner los würde und allein Herr auf meinem Hof sein möchte; also daß man um diese Zeit von sonsten nichts, als von dem Mummelsee, von mir und meiner Hinfahrt und von meinem Petter, beides im Sauerbrunnen und auf dem Land zu sagen und zu raten wußte.
Das 13. Kapitel
Der Prinz über den Mummelsee erzählet die Art und das Herkommen der Sylphorum
Plinius schreibt im End des zweiten Buchs vom Geometra Dionysio Doro, daß dessen Freunde einen Brief in seinem Grab gefunden, den er, Dionysius, geschrieben und darinnen berichtet, daß er aus seinem Grab bis in das mittelste Centrum der Erden sei kommen, und befunden, daß 42 000 Stadia bis dahin seien; der Fürst über den Mummelsee aber, so mich begleitet' und obigergestalt vom Erdboden hinweggeholet hatte, sagte mir für gewiß, daß sie aus dem Centro Terrae bis an die Luft durch die halbe Erd just 900 teutscher Meilen hätten, sie wollten gleich nach Teutschland oder zu deren Antipodibus, und solche Reisen müßten sie alle durch dergleichen Seen nehmen, deren hin und wieder soviel in der Welt als Tag im Jahr seien, welcher Ende oder Abgründe alle bei ihres Königs Wohnung zusammenstießen. Diese große Weite nun passierten wir ehe als in einer Stunde, also daß wir mit unserer schnellen Reis des Monds Lauf sehr wenig oder gar nichts bevor gaben, und dennoch geschah solches so gar ohne alle Beschwerung, daß ich nicht allein keine Müdigkeit empfand, sondern auch in solchem sanften Abfahren mit obgemeldtem Mummelseerprinzen allerhand diskurrieren konnte, denn da ich seine Freundlichkeit vermerkte, fragte ich ihn, zu was Ende sie mich einen so weiten, gefährlichen und allen Menschen ohngewöhnlichen Weg mit sich nähmen? Da antwortet' er mir gar bescheiden, der Weg sei nit weit, den man in einer Stund spazieren könnte, und nit gefährlich, dieweil ich ihn und seine Gesellschaft mit dem überreichten Stein bei mir hätte, daß er mir aber ungewöhnlich vorkomme, sei sich nichts zu verwundern; sonst hätte er mich nicht allein aus seines Königs Befehl, der etwas mit mir zu reden, abgeholt, sondern daß ich auch gleich die seltsamen Wunder der Natur unter der Erden und in Wassern beschauen sollte, deren ich mich zwar bereits auf dem Erdboden verwundert, ehe ich noch kaum einen Schatten davon gesehen. Darauf bat ich ihn ferner, er wollte mich doch berichten, zu was End der gütige Schöpfer so viel wunderbarliche Seen erschaffen, sintemal sie, wie mich dünkte, keinem Menschen nichts nützten, sondern viel ehender Schaden bringen könnten? Er antwortet': "Du fragst billig um dasjenige, was du nicht weißt oder verstehest, diese Seen sind dreierlei Ursachen willen erschaffen: Denn erstlich werden durch sie alle Meer, wie die Namen haben, und sonderlich der große Oceanus, gleichsam wie mit Nägeln an die Erde geheftet; zweitens werden von uns durch diese Seen (gleichsam als wie durch Teichel, Schläuche oder Stiefeln bei einer Wasserkunst, deren ihr Menschen euch gebrauchet) die Wasser aus dem abyssu des Oceani in alle Quellen des Erdbodens getrieben (welches denn unser Geschäft ist), wovon alsdann alle Brunnen in der ganzen Welt fließen, die großen und kleinen Wasserflüß entstehen, der Erdboden befeuchtiget, die Gewächse erquickt, und beides Menschen und Vieh getränkt werden; drittens, daß wir als vernünftige Kreaturen Gottes hierin leben, unser Geschäft verrichten und Gott den Schöpfer in seinen großen Wunderwerken loben sollen! Hierzu nun sind wir und solche Seen erschaffen und werden auch bis an den jüngsten Tag bestehen; wenn wir aber gegen dieselbe letzte Zeit unsere Geschäfte, dazu wir von Gott und der Natur erschaffen und verordnet sind, aus einer oder andern Ursach unterlassen müssen, so muß auch notwendig die Welt durchs Feuer untergehen, so aber vermutlich nit ebender geschehen kann, es sei denn, daß ihr den Mond (donec auferatur luna, Psal. 71), Venerem oder Martem, als Morgen- und Abendstern verlieret, denn es mußten die generationes fructu- & animalium erst vergehen und alle Wasser verschwinden, ehe sich die Erde von sich selbst durch der Sonnen Hitz entzünde, calciniere und wiederum regeneriere; solches aber gebührt uns nicht zu wissen, ist auch allein Gott bekannt, außer was wir etwa mutmaßen und eure Chymici aus ihrer Kunst daherlallen."
Da ich ihn so reden und die Hl. Schrift anziehen hörete, fragte ich, ob sie sterbliche Kreaturen wären, die nach der jetzigen Welt auch ein künftiges Leben zu hoffen hätten? oder ob sie Geister seien, welche solang die Welt stünde nur ihre anbefohlenen Geschäfte verrichteten? Darauf antwortet' er: "Wir sind keine Geister, sondern sterbliche Leutlein, die zwar mit vernünftigen Seelen begabt, welche aber samt den Leibern dahinsterben und vergehen; Gott ist zwar so wunderbar in seinen Werken, daß sie keine Kreatur auszusprechen vermag, doch will ich dir, soviel unsere Art anbelangt, simpliciter erzählen, daß du daraus fassen kannst, wieweit wir von den andern Kreaturen Gottes zu unterscheiden seien: Die heiligen Engel sind Geister, zum Ebenbild Gottes gerecht, verständig, frei, keusch, hell, schön, klar, geschwind und unsterblich zu dem Ende erschaffen, daß sie in ewiger Freude Gott loben, rühmen, ehren und preisen, in dieser Zeitlichkeit aber der Kirche Gottes hier auf Erden auf den Dienst warten, und die allerheiligsten göttlichen Befehl verrichten sollen, deswegen sie denn auch zuzeiten Nuntii genannt werden, und ihrer sind auf einmal so viel hunderttausend mal tausend Millionen erschaffen worden, als der göttlichen Weisheit wohlgefällig gewesen; nachdem aber aus ihrer großen Anzahl unaussprechlich viel, die sich ihres hohen Adels überhoben, aus Hoffart gefallen, sind erst eure ersten Eltern von Gott mit einer vernünftigen und unsterblichen Seel zu seinem Ebenbild erschaffen und deswegen mit Leibern begabt worden, daß sie sich aus sich selbsten vermehren sollten, bis ihr Geschlecht die Zahl der gefallenen Engel wiederum erfüllte; zu solchem End nun wurde die Welt erschaffen, mit allen andern Kreaturen, daß der irdische Mensch, bis sich sein Geschlecht so weit vermehret, daß die angeregte Zahl der gefallenen Engel damit ersetzt werden könnte, darauf wohnen, Gott loben und sich aller anderer erschaffenen Dinge auf der ganzen Erdkugel (als worüber ihn Gott zum Herrn gemacht) zu Gottes Ehren und zu seines nahrungbedürftigen Leibs Aufenthaltung bedienen sollte; damals hatte der Mensch diesen Unterscheid zwischen sich und den hl. Engeln, daß er mit der irdischen Bürde seines Leibs beladen und nicht wußte, was gut und bös war, und dahero auch nit so stark und geschwind als ein Engel sein konnte; hatte hingegen aber auch nichts Gemeines mit den unvernünftigen Tieren, demnach er aber durch den Sündenfall im Paradeis seinen Leib dem Tod unterwarf, schätzten wir ihn das Mittel zu sein zwischen den heiligen Engeln und den unvernünftigen Tieren, denn gleichwie eine heilige entleibte Seel eines zwar irdischen doch himmlisch-gesinnten Menschen alle gute Eigenschaft eines heiligen Engels an sich hat, also ist der entseelte Leib eines irdischen Menschen (der Verwesung nach) gleich einem andern Aas eines unvernünftigen Tiers, uns selbsten aber schätzten wir für das Mittel zwischen euch und allen andern lebendigen Kreaturen der Welt, sintemal, ob wir gleich wie ihr vernünftige Seelen haben, so sterben jedoch dieselbigen mit unsern Leibern gleich hinweg, gleichsam als wie die lebhaften Geister der unvernünftigen Tiere in ihrem Tod verschwinden. Zwar ist uns kundbar, daß ihr durch den ewigen Sohn Gottes, durch welchen wir denn auch erschaffen, aufs allerhöchste geadelt worden, indem er euer Geschlecht angenommen, der göttlichen Gerechtigkeit genug getan, den Zorn Gottes gestillt und euch die ewige Seligkeit wiederum erworben, welches alles euer Geschlecht dem unserigen weit vorziehet; aber ich rede und verstehe hier nichts von der Ewigkeit, weil wir deren zu genießen nicht fähig sind, sondern allein von dieser Zeitlichkeit, in welcher der allergütigste Schöpfer uns genugsam beseligt, als mit einer guten gesunden Vernunft, mit Erkenntnis des allerheiligsten Willens Gottes, so viel uns vonnöten, mit gesunden Leibern, mit langem Leben, mit der edlen Freiheit, mit genugsamer Wissenschaft, Kunst und Verstand aller natürlichen Dinge, und endlich, so das allermeiste ist, sind wir keiner Sünd und dannenhero auch keiner Straf, noch dem Zorn Gottes, ja nicht einmal der geringsten Krankheit unterworfen: Welches alles ich dir darum so weitläufig erzählt und auch deswegen der hl. Engel, irdischen Menschen und unvernünftigen Tier gedacht, damit du mich desto besser verstehen könnest." Ich antwortet, es wollte mir dennoch nicht in Kopf; da sie keiner Missetat und also auch keiner Straf unterworfen, wozu sie dann eines Königs bedürftig? item, wie sie sich der Freiheit rühmen könnten, wenn sie einem König unterworfen wären? item, wie sie geboren werden und wieder sterben könnten, wenn sie gar keine Schmerzen oder Krankheit zu leiden geartet wären? Darauf antwortet' mir das Prinzlein, sie hätten ihren König nicht, daß er justitiam administrieren, noch daß sie ihm dienen sollten, sondern daß er wie der König oder Weisel in einem Immenstock ihre Geschäfte dirigiere; und gleichwie ihre Weiber in coitu keine Wollust empfänden, also seien sie hingegen auch in ihren Geburten keinen Schmerzen unterworfen, welches ich etlichermaßen am Exempel der Katzen abnehmen und glauben könnte, die zwar mit Schmerzen empfangen, aber mit Wollust gebären; so stürben sie auch nicht mit Schmerzen oder aus hohem gebrechlichem Alter, weniger aus Krankheit, sondern gleichsam als ein Licht verlösche, wenn es seine Zeit geleuchtet habe, also verschwinden auch ihre Leiber samt den Seelen; gegen die Freiheit, deren er sich gerühmt, sei die Freiheit des allergrößten Monarchen unter uns irdischen Menschen gar nichts, ja nit so viel als ein Schatten zu rechnen, denn sie könnten weder von uns noch andern Kreaturen getötet, noch zu etwas Unbeliebigem genötiget, viel weniger befängnist werden, weil sie Feuer, Wasser, Luft und Erde ohn einzige Mühe und Müdigkeit (von der sie gar nichts wüßten) durchgehen könnten. Darauf sagte ich: "Wenn es mit euch so beschaffen, so ist euer Geschlecht von unserm Schöpfer weit höher geadelt und beseligt als das unserige." "Ach nein", antwort der Fürst, "ihr sündigt wenn ihr dies glaubt, indem ihr die Güte Gottes einer Sach beschuldiget, die nicht so ist, denn ihr seid weit mehrers beseligt als wir, indem ihr zu der seligen Ewigkeit und das Angesicht Gottes unaufhörlich anzuschauen erschaffen, in welchem seligen Leben eurer einer, der selig wird, in einem einzigen Augenblick mehr Freud und Wonne als unser ganzes Geschlecht von Anfang der Erschaffung bis an den jüngsten Tag genießt." Ich sagte: "Was haben drum die Verdammten davon?" Er antwortet' mir mit einer Widerfrag, und sagte: "Was kann die Güte Gottes dafür, wenn euer einer sein selbst vergisset, sich der Kreaturen der Welt und deren schändlichen Wollüsten ergibt, seinen viehischen Begierden den Zügel schießen läßt, sich dadurch dem unvernünftigen Vieh, ja durch solchen Ungehorsam gegen Gott mehr den höllischen als seligen Geistern gleichmacht? Solcher Verdammten ewiger Jammer, worein sie sich selbst gestürzt haben, benimmt drum der Hoheit und dem Adel ihres Geschlechts nichts, sintemal sie so wohl als andere in ihrem zeitlichen Leben die ewige Seligkeit hätten erlangen mögen, da sie nur auf dem dazu verordneten Weg hätten wandten wollen."
Das 14. Kapitel
Was Simplicius ferner mit diesem Fürsten unterwegs diskurriert, und was er für verwunderliche und abenteurliche Sachen vernommen
Ich sagte zu dem Fürstlein, weil ich auf dem Erdboden ohnedas mehr Gelegenheit hätte, von dieser Materia zu hören, als ich mir zunutz machte, so wollte ich ihn gebeten haben, er wollte mir doch dafür die Ursach erzählen, warum zuzeiten ein so groß Ungewitter entstehe, wenn man Stein in solche Seen werfe? denn ich erinnerte mich von dem Pilatussee im Schweizerland ebendergleichen gehört, und vom See Camarina in Sicilia ein solches gelesen zu haben, von welchem die Phrasis entstanden ›Camarinam movere‹; Er antwortet': "Weil alles, das schwer ist, nicht ehe gegen das centrum terrae zu fallen aufhöret, wenn es in ein Wasser geworfen wird, es treffe denn einen Boden an, darauf es unterwegs liegen verbleibe, hingegen diese Seen alle miteinander bis auf das centrum ganz bodenlos und offen sind, also daß die Stein so hineingeworfen werden, notwendig und natürlicher Weis in unsere Wohnung fallen und liegen bleiben müßten, wenn wir sie nicht wieder zu ebendem Ort, da sie herkommen, von uns hinausschafften, also tun wir solches mit einem Ungestüme, damit der Mutwill derjenigen, so sie hineinzuwerfen pflegen, abgeschreckt und im Zaum gehalten werden möge, so denn eines von den vornehmsten Stücken unsers Geschäfts ist, dazu wir erschaffen. Sollten wir aber gestatten, daß ohne dergleichen Ungewitter die Stein eingeschmissen und wieder ausgeschafft würden, so käme es endlich dazu, daß wir nur mit den mutwilligen Leuten zu tun hätten, die uns täglich von allen Orten der Welt her aus Kurzweil Stein zusendeten. Und an dieser einzigen Verrichtung die wir zu tun haben, kannst du die Notwendigkeit unsers Geschlechts abnehmen, sintemal da obigergestalt die Stein von uns nicht ausgetragen, und doch täglich durch so viel dergleichen unterschiedliche Seen, die sich hin und wieder in der Welt befinden, dem centro terrae, darinnen wir wohnen, soviel zugeschickt würden, so müßten endlich zugleich die Gebäude, damit das Meer an die Erde geheftet und befestiget, zerstöret und die Gänge, dadurch die Quellen aus dem Abgrund des Meers hin und wieder auf die Erde geleitet, verstopft werden, das dann nichts anders als ein schädliche Konfusion und der ganzen Welt Untergang mit sich bringen könnte."
Ich bedankte mich dieser Kommunikation, und sagte: "Weil ich verstehe, daß euer Geschlecht durch solche Seen alle Quellen und Flüß auf dem ganzen Erdboden mit Wasser versiehet, so werdet ihr auch Bericht geben können, warum sich die Wasser nit alle gleich befinden, beides an Geruch, Geschmack, etc. und der Kraft und Wirkung, da sie doch ihre Wiederkehrung (wie ich verstanden) ursprünglich alle aus dem Abgrund des großen Oceani hernehmen, darein sich alle Wasser wiederum ergießen; denn etliche Quellen sind liebliche Sauerbrunnen und taugen zu der Gesundheit, etliche sind zwar sauer, aber unfreundlich und schädlich zu trinken; und andere sind gar tödlich und vergift, wie derjenige Brunn in Arcadia, damit Jolla dem Alexandro Magno vergeben haben soll; etliche Brunnenquellen sind laulicht, etliche siedendheiß und andere eiskalt; etliche fressen durch Eisen als Aqua fort, wie einer in Zepusio oder der Grafschaft Zips in Ungarn; andere hingegen heilen alle Wunden, als sich denn einer in Thessalia befinden soll; etliche Wasser werden zu Stein, andere zu Salz und etliche zu Vitriol: Der See bei Zircknitz in Kärnten hat nur Winterszeit Wasser und im Sommer liegt er allerdings trocken; der Brunn bei Engstlen läuft nur Sommerszeit und zwar nur zu gewissen Stunden, wenn man das Vieh tränkt; der Schändlebach bei Ober-Nähenheim läuft nicht ehe, als wenn ein Unglück übers Land kommen soll. Und der Fluvius Sabbaticus in Syria bleibt allezeit den siebenten Tag gar aus. Worüber ich mich öftermal, wenn ich der Sach nachgedacht und die Ursach nit ersinnen können, zum allerhöchsten verwundern mußte."
Hierauf antwortet' der Fürst: Diese Dinge alle miteinander hätten ihre natürlichen Ursachen, welche denn von den Naturkundigern unsers Geschlechts mehrenteils aus den unterschiedlichen Gerüchen, Geschmäcken, Kräften und Wirkungen der Wasser genugsam erraten, abgenommen und auf dem Erdboden offenbart worden wären. Wenn ein Wasser von ihrer Wohnung an bis zu seinem Auslauf, welchen wir die Quelle nenneten, nur durch allerhand Stein laufe, so verbleibe es allerdings kalt und süß, dafern es aber auf solchem Weg durch und zwischen die Metalla passiere (denn der große Bauch der Erden sei innerlich nicht an einem Ort wie am andern beschaffen), als da sei Gold, Silber Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Quecksilber, etc. oder durch die halben Mineralia, nämlich Schwefel, Salz mit allen seinen Gattungen, als naturale, sal gemmae, sal nativum, sal radicum, sal nitrum, sal ammoniacum, sal petrae, etc. weiße, rote, gelbe und grüne Farben, Vitriol, marchasita aurea, argentea, plumbea, ferrea, lapis lazuli, alumen, arsenicum, antimonium, risigallum, Electrum naturale, Chrysocolla, Sublimatum, etc. so nehme es deren Geschmack, Geruch, Art, Kraft und Wirkung an sich, also daß es den Menschen entweder heilsam oder schädlich werde. Und ebendaher hätten wir so unterschiedlich Salz, denn etliches sei gut und etliches schlecht; "zu Cervia und Comacchio ist es ziemlich schwarz, zu Memphis rötlich, in Sicilia schneeweiß, das centuripische ist purpurfarbig, und das kappadozische gelblich. Betreffend aber die warmen Wasser", sagte er, "so nehmen dieselben ihre Hitz von dem Feuer an sich, das in der Erde brennet, welches sowohl als unsere Seen hin und wieder seine Luftlöcher und Kamin hat, wie man am berühmten Berg Aetna in Sicilia, Hekla in Island, Gumapi in Banda und andern mehr abnehmen mag. Was aber den Zircknitzer See anlangt, so wird dessen Wasser Sommerszeit bei der Kärntner Antipodibus gesehen, und der Engstlerbrunn an andern Orten des Erdbodens zu gewissen Stunden und Zeiten des Jahrs und Tags anzutreffen sein, eben dasjenige zu tun, was er bei den Schweizern verrichtet. Gleiche Beschaffenheit hat es mit dem Ober-Näheimer Schändlebach, welche Quellen alle durch unsers Geschlechts Leutlein nach dem Willen und Ordnung Gottes, um sein Lob dadurch bei euch zu vermehren, solchergestalt geleitet und geführet werden: Was den Fluvium Sabbaticum in Syria betrifft, pflegen wir in unserer Wohnung, wenn wir den siebenten Tag feiern, uns in dessen Ursprung und Kanal, als den lustigsten Ort unsers ganzen Aequatoris, zu lagern und zu ruhen, deswegen denn ermeldter Fluß nicht laufen mag, solang wir daselbst dem Schöpfer zu Ehren feierlich verharren."
Nach solchem Gespräch fragte ich den Prinzen, ob auch möglich sein könnte, daß er mich wieder durch einen andern als den Mummelsee, auch an ein andern Ort der Erden auf die Welt bringen könnte? "Freilich", antwortet' er, "warum das nicht, wenn es nur Gottes Will ist; denn auf solche Weis haben unsere Voreltern vor alten Zeiten etliche Kananäer, die dem Schwert Josuae entronnen und sich aus Desperation in einen solchen See gesprengt, nach Americam geführt, maßen deren Nachkömmlinge noch auf den heutigen Tag den See zu weisen wissen, aus welchem ihre Ureltern anfänglich entsprungen." Als ich nun sah, daß er sich über meine Verwunderung verwunderte, gleichsam als ob seine Erzählung nicht verwundernswürdig wäre, sagte ich zu ihm: Ob sie sich denn nit auch verwunderten, da sie etwas Seltenes und Ungewöhnliches von uns Menschen sehen? Hierauf antwortet' er: "Wir verwundern uns an euch nichts mehrers, als daß ihr euch, da ihr doch zum ewigen seligen Leben und den unendlichen himmlischen Freuden erschaffen, durch die zeitlichen und irdischen Wollüste, die doch so wenig ohne Unlust und Schmerzen als die Rosen ohne Dornen sind, dergestalt betören laßt, daß ihr dadurch euer Gerechtigkeit am Himmel verlieret, euch der fröhlichen Anschauung des allerheiligsten Angesichts Gottes beraubt und zu den verstoßenen Engeln in die ewige Verdammnis stürzet! Ach möchte unser Geschlecht an eurer Stell sein, wie würde sich jeder befleißen, in dem Augenblick eurer nichtigen und flüchtigen Zeitlichkeit die Prob besser zu halten als ihr, denn das Leben so ihr habt, ist nit euer Leben, sondern euer Leben oder der Tod wird euch erst gegeben, wenn ihr die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben nennet, ist gleichsam nur ein Moment und Augenblick, so euch verliehen ist, Gott darin zu erkennen und ihm euch zu nähern, damit er euch zu sich nehmen möge; dannenhero halten wir die Welt für einen Probierstein Gottes, auf welchem der Allmächtige die Menschen, gleichwie sonst ein reicher Mann das Gold und Silber probiert, und nachdem er ihren Valor am Strich befindet, oder nachdem sie sich durch Feuer läutern lassen, die guten und feinen Gold- und Silbersorten in seinen himmlischen Schatz leget, die bösen und falschen aber ins ewige Feuer wirft, welches euch denn euer Heiland und unser Schöpfer mit dem Exempel vom Weizen und Unkraut genugsam vorgesagt und offenbaret hat."
Das 15. Kapitel
Was der König mit Simplicio und Simplicius mit dem König geredet
Dies war das End unsers Gesprächs, weil wir uns dem Sitz des Königs näherten, vor welchen ich ohne Zeremonien oder Verlust einziger Zeit hingebracht wurde: Da hatte ich nun wohl Ursach, mich über seine Majestät zu verwundern, da ich doch weder eine wohlbestellte Hofhaltung noch einziges Gepräng, ja aufs wenigst keinen Kanzler oder geheime Rät, noch einzigen Dolmetschen, oder Trabanten und Leibguardi, ja sogar keinen Schalksnarrn, noch Koch, Kellner, Page, noch einzigen Favoriten oder Tellerlecker nicht sah; sondern rings um ihn her schwebten die Fürsten über alle Seen, die sich in der ganzen Welt befinden, ein jedweder in derjenigen Landsart aufziehend, in welches sich ihr unterhabender See von dem Centro Terrae aus erstreckte; dannenhero sah ich zugleich die Ebenbilder der Chinesen und Afrikaner, Troglodyten und Novazembler, Tatarn und Mexikaner, Samojeden und Molukkenser, ja auch von denen, so unter den Polis arctico und antarctico wohnen, das wohl ein seltsames Spektakul war; die zween, so über den wilden und schwarzen See die Inspektion trugen, waren allerdings bekleidet, wie der so mich convoyiert, weil ihre Seen zunächst am Mummelsee gelegen, zog also derjenige, so über den Pilatussee die Obsicht trug, mit einem breiten ehrbaren Bart und einem Paar Pluderhosen auf wie ein reputierlicher Schweizer, und derjenige so über den obgemeldte See Camarina die Aufsicht hatte, sah beides mit Kleidern und Gebärden einem Sizilianer so ähnlich, daß einer tausend Eid geschworen hätte, er wäre noch niemalen aus Sicilia kommen und könnte kein teutsches Wort; also sah ich auch, wie in einem Trachtenbuch, die Gestalten der Perser, Japonier, Moskowiter, Finnen, Lappen und aller andern Nationen in der ganzen Welt.
Ich bedurfte nit viel Komplimente zu machen, denn der König fing selbst an fein gut Teutsch mit mir zu reden, indem sein erstes Wort war, daß er fragte: "Aus was Ursach hast du dich unterfangen, uns gleichsam ganz mutwilliger Weis so einen Haufen Stein zuzuschicken?" Ich antwortet kurz: "Weil bei uns einem jeden erlaubt ist, an einer verschlossenen Tür anzuklopfen." Darauf sagte er: "Wie, wenn du aber den Lohn deiner vorwitzigen Importunität empfingest?" Ich antwortet: "Ich kann mit keiner größern Straf belegt werden, als daß ich sterbe, sintemal ich aber seithero so viel Wunder erfahren und gesehen, die unter so viel Millionen Menschen keiner das Glück nit hat, würde mir mein Sterben ein geringes und mein Tod für gar keine Straf zu rechnen sein." "Ach elende Blindheit!" sagte hierauf der König, und hub damit die Augen auf, gleichwie einer der aus Verwunderung gen Himmel schauet, ferner sagend: "Ihr Menschen könnt nur einmal sterben, und ihr Christen solltet den Tod nit eher getrost zu überstehen wissen, ihr wäret denn vermittelst eures Glaubens und Liebe gegen Gott durch eine unzweifelhafte Hoffnung versichert, daß eure Seelen das Angesicht des Höchsten eigentlich anschauen würden, sobald der sterbende Leib die Augen zutäte: Aber ich habe für dieses Mal weit anders mit dir zu reden."
Darauf sagte er: "Es ist mir referiert worden, daß sich die irdischen Menschen und sonderlich ihr Christen des jüngsten Tags ehestens versehen, weilen nicht allein alle Weissagung, sonderlich was die Sibyllen hinterlassen, erfüllt, sondern auch alles was auf Erden lebt, den Lastern so schrecklich ergeben sei: also daß der allmächtige Gott nicht länger verziehen werde, der Welt ihr Endschaft zu geben. Weilen denn nun unser Geschlecht mitsamt der Welt untergehen und im Feur (wiewohl wir des Wassers gewohnt sind) verderben muß, also entsetzen wir uns nit wenig wegen Zunahung solcher erschrecklichen Zeit; haben dich derowegen zu uns holen lassen, um zu vernehmen, was etwa deswegen für Sorg oder Hoffnung zu machen sein möchte? wir zwar können aus dem Gestirn noch nichts dergleichen abnehmen, auch nichts an der Erdkugel vermerken, daß ein so nahe Veränderung obhanden sei; müssen uns derowegen von denen benachrichtigen lassen, welchen hiebevor ihr Heiland selbsten etliche Wahrzeichen seiner Zukunft hinterlassen; ersuchen dich derowegen ganz holdselig, du wollest uns bekennen, ob derjenige Glaub noch auf Erden sei oder nit, welchen der zukünftige Richter bei seiner Ankunft schwerlich mehr finden wird?" Ich antwortet dem König, er hätte mich Sachen gefragt, die mir zu beantworten viel zu hoch seien, zumaln Künftigs zu wissen und sonderlich die Ankunft des Herrn allein Gott bekannt. "Nun wohlan dann", antwortet' der König hinwiederum, "so sage mir denn, wie sich die Stände der Welt in ihrem Beruf halten, damit ich daraus entweder der Welt und unsers Geschlechts Untergang oder gleich meinen Worten mir und den Meinigen ein langes Leben und glückselige Regierung konjekturieren könnte; hingegen will ich dich sehen lassen was noch wenig zu sehen bekommen, und hernach mit einer solchen Verehrung abfertigen, deren du dich dein Lebtag zu erfreuen haben wirst, wenn du mir nur die Wahrheit bekennest." Als ich nun hierauf stillschwieg und mich bedachte, fuhr der König ferner fort und sagte: "Nun dran, dran, fang am Höchsten an und beschließe es am Niedersten, es muß doch sein, wenn du anders wieder auf den Erdboden willst."
Ich antwortet: "Wenn ich an dem Höchsten anfangen soll, so mach ich billig den Anfang an den Geistlichen, dieselben nun sind gemeiniglich alle, sie seien auch gleich was für Religion sie immer wollen, wie sie Eusebius in einem Sermon beschrieben; nämlich rechtschaffene Verächter der Ruhe, Vermeider der Wollüste, in ihrem Beruf begierig zur Arbeit, geduldig in Verachtung, ungeduldig zur Ehr, arm an Hab und Geld, reich am Gewissen, demütig gegen ihre Verdienste und hochmütig gegen die Laster; und gleichwie sie sich allein befleißen Gott zu dienen, und auch andere Menschen mehr durch ihr Exempel als ihre Wort zum Reich Gottes zu bringen; also haben die weltlichen hohen Häupter und Vorsteher allein ihr Absehen auf die liebe Justitiam, welche sie denn ohne Ansehen der Person einem jedweden, Arm und Reich, durch die Bank hinaus schnurgerad erteilen und widerfahren lassen: Die Theologi sind gleichsam lauter Hieronymi und Bedae, die Kardinäl eitel Borromaei, die Bischöfe Augustini, die Äbte andere Hylariones und Pachomi und die übrigen Religiosen miteinander wie die Kongregation der Eremiten in der thebanischen Wildnis! Die Kaufleute handlen nicht aus Geiz oder um Gewinns willen, sondern damit sie ihren Nebenmenschen mit ihrer War, die sie zu solchem Ende aus fernen Landen herbringen, bedient sein können. Die Wirte treiben nicht deswegen ihre Wirtschaften, reich zu werden, sondern damit sich der Hungrige, Durstige und Reisende bei ihnen erquicken, und sie die Bewirtung als ein Werk der Barmherzigkeit an den müden und kraftlosen Menschen üben könnten: Also sucht der Medicus nicht seinen Nutz, sondern die Gesundheit seines Patienten, wohin denn auch die Apotheker zielen: Die Handwerker wissen von keinen Vorteiln, Lügen und Betrug, sondern befleißigen sich, ihre Kunden mit daurhafter und rechtschaffener Arbeit am besten zu versehen: Den Schneidern tut nichts Gestohlenes im Aug wehe, und die Weber bleiben aus Redlichkeit so arm, daß sich auch keine Mäus bei ihnen ernähren können, denen sie etwa ein Knäul Garn nachwerfen müßten: Man weiß von keinem Wucher, sondern der Wohlhäbige hilft dem Dürftigen aus christlicher Liebe ganz ohngebeten: Und wenn ein Armer nicht zu bezahlen hat, ohne merklichen Schaden und Abgang seiner Nahrung, so schenkt ihm der Reich die Schuld von freien Stücken: Man spüret keine Hoffart, denn jeder weiß und bedenkt, daß er sterblich ist: Man merket keinen Neid, denn es weiß und erkennet je einer den andern für ein Ebenbild Gottes, das von seinem Schöpfer geliebet wird: Keiner erzürnt sich über den andern, weil sie wissen, daß Christus für alle gelitten und gestorben: Man höret von keiner Unkeuschheit oder unordentlichen fleischlichen Begierden, sondern was so vorgehet, das geschieht aus Begierd und Liebe zur Kinderzucht: Da findet man keine Trunkenbold oder Vollsäufer, sondern wenn einer den andern mit einem Trunk ehret, so lassen sich beide nur mit einem christlichen Räuschlein begnügen: Da ist keine Trägheit im Gottesdienst, denn ein jeder erzeigt einen emsigen Fleiß und Eifer, wie er vor allen andern Gott rechtschaffen dienen möge, und eben deswegen sind jetzund so schwere Krieg auf Erden, weil je ein Teil vermeint, das andere diene Gott nicht recht: Es gibt keine Geizigen mehr sondern Gesparsame; keine Verschwender sondern Freigebige; keine Kriegsgurgeln, so die Leut berauben und verderben, sondern Soldaten, die das Vaterland beschirmen; keine mutwilligen faulen Bettler, sondern Verächter der Reichtümer und Liebhaber der freiwilligen Armut; keine Korn- und Weinjuden, sondern vorsichtige Leut, die den überflüssigen Vorrat auf den besorgenden künftigen Notfall für das Volk zusammenheben."
Das 16. Kapitel
Etliche neue Zeitungen aus der Tiefe des unergründlichen Meers, Mare del Zur oder das friedsame stille Meer genannt
Ich pausierte ein wenig, und bedachte mich was ich noch ferners vorbringen wollte, aber der König sagte, er hätte bereits so viel gehört, daß er nichts mehrers zu wissen begehrte; wenn ich wollte, so sollten mich die Seinigen gleich wieder an den Ort bringen wo sie mich genommen; wollte ich aber ("denn ich sehe wohl", sagte er, "daß du ziemlich kurios bist") in seinem Reich eins und anders beschauen, das meinesgleichen ohne Zweifel selten sehn würde, so sollte ich in seiner Jurisdiktion sicher hin begleitet werden, wohin ich nur wollte, und alsdann so wollte er mich mit einer Verehrung abfertigen, daß ich damit zufrieden sein könnte; da ich mich aber nichts entschließen und ihm antworten konnte, wandte er sich zu etlichen, die eben in den Abgrund des Mare del Zur sich begeben und dorten beides wie aus einem Garten und wie von einer Jagd Nahrung holen sollten, zu denen sagte er: "Nehmt ihn mit und bringt ihn bald wieder her, damit er noch heut wieder auf den Erdboden gestellt werde." Zu mir aber sagte er, ich könnte mich indessen auf etwas besinnen, das in seiner Macht stünde, um solches mir zum Rekompens und einem ewigen Gedächtnis mit auf den Erdboden zu geben. Also wischte ich mit den Sylphis davon durch ein Loch, welches etlich hundert Meil lang war, ehe wir auf den Grund des obgedachten friedsamen Meers kamen, darauf stunden Korallenzinken so groß als die Eichbäum, von welchen sie zur Speise mit sich nahmen, was noch nicht erhärtet und gefärbt war, denn sie pflegen sie zu essen wie wir die jungen Hirschgeweih, da sah man Schneckenhäuslein so hoch als ein ziemlich Rondel und so breit als ein Scheuertor; item Perlen so dick als Fäuste, welche sie anstatt der Eier aßen, und andere viel seltsamere Meerwunder die ich nicht all erzählen kann; der Boden lag überall mit Smaragden, Türkis, Rubinen, Diamanten, Saphiren und andern dergleichen Steinen überstreut, gemeiniglich in der Größe wie bei uns Wackenstein, so hin und wieder in den fließenden Bächen liegen; da sah man hie und dort gewaltige Schroffen viel Meil Wegs hoch in die Höhe ragen, welche vor das Wasser hinausgingen und lustige Inseln trugen; diese waren rundherum mit allerhand lustigen und wunderbarlichen Meergewächsen geziert und von mancherlei seltsamen kriechenden, stehenden und gehenden Kreaturen bewohnet; gleichsam als wie der Erdboden mit Menschen und Tieren, die Fische aber deren wir groß und klein und von unzählbarer Art ein große Menge hin und wieder über uns im Wasser herum vagieren sahen, ermahneten mich allerdings an so vielerlei Vögel, die sich Frühlingszeit und im Herbst bei uns in der Luft erlustieren; und weil es eben Vollmond und ein helle Zeit war (denn die Sonn war damals über unserm Horizont, also daß ich damals mit unsern Antipodibus Nacht, die Europäer aber Tag hatten) konnte ich durch das Wasser hinauf den Mond und das Gestirn samt dem Polo antarctico sehen, dessen ich mich wohl verwundern mußte; aber der, dem ich in seine Obhut befohlen war, sagte mir, wenn wir sowohl den Tag hätten als die Nacht, so würde mir alles noch verwunderlicher vorkommen, denn man könnte alsdann von weitem sehen, wie es sowohl in Abgrund des Meeres als auf dem Land schöne Berg und Täler abgebe, welches schöner schiene als die schönsten Landschaften auf dem Erdboden; als er auch sah, daß ich mich über ihn und alle die so mit ihm waren, verwunderte, daß sie als Peruaner, Brasilianer, Mexikaner und Insulaner de los latronos aufgezogen und dennoch so gut Teutsch redeten, da sagte er, daß sie nicht mehr als eine Sprach könnten, die aber alle Völker auf dem ganzen Umkreis der Erden in ihrer Sprache verstanden, und sie hingegen dieselbe hinwiederum: welches daher komme, dieweil ihr Geschlecht mit der Torheit so bei dem babylonischen Turm vergangen, nichts zu schaffen hätte.
Als sich nun mein Convoi genugsam proviantiert hatte, kehrten wir wiederum durch ein andere Höhle aus dem Meer in das Centrum terrae; unterwegs erzählte ich ihrer etlichen, daß ich vermeint hätte, das Centrum der Erden wäre inwendig hohl, in welchem hohlen Teil die Pygmaei wie in einem Kranrad herumliefen und also die ganze Erdkugel herumdrillten, damit sie überall von der Sonnen, welche nach Aristarchi und Copernici Meinung mitten am Himmel unbeweglich still stünde, beschienen würde; welcher Einfalt wegen ich schrecklich ausgelacht wurde, mit Bericht, ich sollte mir sowohl obiger beiden Gelehrten Meinung als meine gehabte Einbildung ein eitlen Traum sein lassen; ich sollte mich, sagten sie, anstatt dieser Gedanken besinnen, was ich von ihrem König für eine Gab begehren wollte, damit ich nicht mit leerer Hand wiederum auf den Erdboden dürfte; ich antwortete, die Wunder die ich seithero gesehen, hätten mich so gar aus mir selbst gebracht, daß ich mich auf nichts bedenken könnte, mit Bitt, sie wollten mir doch raten, was ich von dem König begehren sollte; meine Meinung wäre (sintemal er alle Brunnenquellen in der Welt zu dirigieren hätte) von ihm einen Gesundbrunnen auf meinen Hof zu begehren, wie derjenige wäre, der neulich von sich selbst in Teutschland entsprungen, der gleichwohl doch nur Süßwasser führe; der Fürst oder Regent über das stille Meer und dessen Höhlen antwortet', solches würde in seines Königs Macht nicht stehen, und wenn es gleich bei ihm stünde, und er mir gern gratifizieren wollte, so hätten jedoch dergleichen Heilbrunnen in die Läng keinen Bestand, etc. Ich bat ihn er wollte mir doch unbeschwert die Ursach erzählen; da antwortet' er: "Es befinden sich hin und wieder in der Erden leere Stätten, die sich nach und nach mit allerhand Metallen ausfüllen, weil sie daselbst aus einer exhalatione humida, viscosa & crassa generiert werden; indem nun solche Generation geschiehet, schlägt sich zuzeiten durch die Spält der Marchasitae aureae vel argenteae aus dem centro, davon alle Quellen getrieben werden, Wasser dazu, welches sich dann um und zwischen den Metallis viel hundert Jahr enthält und der Metalle edle Art und heilsame Eigenschaften an sich nimmt; wenn sich dann das Wasser aus dem centro je länger je mehr vermehrt und durch seinen starken Trieb einen Auslauf auf dem Erdboden sucht und findet, so wird das Wasser, welches so viel hundert oder tausend Jahre zwischen den Metallen verschlossen gewesen und dessen Kräfte an sich genommen, zum allerersten ausgestoßen, und tut alsdann an den menschlichen Körpern diejenige wunderbarliche Wirkung, die man an solchen neuen Heilbrunnen siehet; sobald nun solches Wasser, das sich so lang zwischen den Metallen enthalten, verflossen, so folgt gemein Wasser hernach, welches zwar auch durch dieselbigen Gäng passiert, in seinem schnellen Lauf aber keine Tugenden oder Kräfte von den Metallen an sich nehmen und also auch nicht wie das erstere heilsam sein kann." Wenn ich (sagte er) die Gesundheit so sehr affektiere, so sollte ich seinen König ersuchen, daß er mich dem König der Salamandrae, mit welchem er in guter Korrespondenz stünde, in eine Kur rekommendiere; derselbe könne die menschlichen corpora zurichten und durch ein Edelgestein begaben, daß sie in keinem Feuer verbrennen möchten, wie ein sonderbare Leinwand die wir auf Erden hätten und im Feuer zu reinigen pflegten, wenn sie schmutzig worden wäre; alsdann setze man einen solchen Menschen wie eine schleimige alte stinkende Tabakpfeif mitten ins Feur, da verzehrten sich dann alle bösen Humores und schädlichen Feuchtigkeiten, und komme der Patient wieder so jung, frisch, gesund und neugeschaffen hervor, als wenn er das Elixier Theophrasti eingenommen hätte; ich wußte nicht ob mich der Kerl foppt' oder obs ihm ernst war, doch bedankte ich mich der vertraulichen Kommunikation und sagte, ich besorgte, diese Kur sei mir als einem Colerico zu hitzig; mir würde nichts lieber sein, als wenn ich meinen Mitmenschen eine heilsame rare Quell mit mir auf den Erdboden bringen könnte, welches ihnen zu Nutz, ihrem König aber zur Ehr: mir aber zu einem unsterblichen Namen und ewigem Gedächtnis gereichen würde; darauf antwortet' mir der Fürst, wenn ich solches suche, so wolle er mir schon ein gut Wort verleihen, wiewohl ihr König so beschaffen, daß er der Ehr oder Schand so ihm auf Erden zugelegt werde, gleich viel achte; mithin kamen wir wiederum in den Mittelpunkt der Erden und vor des Königs Angesicht, als er und seine Prinzen sich eben speisen wollten; es war ein Imbiß wie die griechischen Nephaha, da man weder Wein noch stark Getränke brauchte, aber anstatt dessen tranken sie Perlen wie rohe oder weichgesottene Eier aus, als welche noch nicht erhärtet waren und treffliche Stärke gaben oder futterten, wie die Bauren sagen.
Da observierte ich, wie die Sonn einen See nach dem andern beschien und ihre Strahlen durch dieselbigen bis in diese schreckliche Tiefe hinunterwarf, also daß es diesen Sylphis niemal an keinem Licht nicht mangelte, Man sah sie in diesem Abgrund so heiter wie auf dem Erdboden leuchten, also daß sie auch einen Schatten warf: so daß ihnen, den Sylphis, die Seen wie Taglöcher oder Fenster taugten, durch welche sie beides Helle und Wärme empfingen, und wenn sich solches nicht überall schickte, weil etliche Seen gar krumm hinumgingen, wurde solches durch die Reflexion ersetzt, weil die Natur hin und wieder in die Winkel ganze Felsen von Kristall, Diamanten und Karfunkeln geordnet, so die Hellung hinunterfertigten.
Das 17. Kapitel
Zurückreis aus dem Mittelteil der Erden, seltsame Grillen, Luftgebäu, Kalender und gemachte Zech ohne den Wirt
Indessen hatte sich die Zeit genähert, daß ich wieder heim sollte; derhalben befahl der König, ich sollte mich vernehmen lassen, womit ich vermeinte, daß er mir einen Gefallen tun könnte? Da sagte ich, es könnte mir keine größere Gnade widerfahren, als wenn er mir einen rechtschaffenen medizinalischen Sauerbrunnen auf meinen Hof zukommen lassen würde. "Ists nur das?" antwortet' der König; "Ich hätte vermeint, du würdest etliche große Smaragd aus dem Amerikanischen Meer mit dir genommen und gebeten haben, dir solche auf den Erdboden passieren zu lassen? jetzt sehe ich, daß kein Geiz bei euch Christen ist." Mithin reichte er mir einen Stein von seltsamen variierenden Farben, und sagte: "Diesen stecke zu dir, und wo du ihn hin auf den Erdboden legen wirst, daselbst wird er anfangen das Centrum wieder zu suchen und die bequemsten Mineralia durchgehen, bis er wieder zu uns kommt und dir unsertwegen eine herrliche Sauerbrunnenquell zuschickt, die dir so wohl bekommen und zuschlagen soll, als du mit Eröffnung der Wahrheit um uns verdient hast." Darauf nahm mich der Fürst vom Mummelsee alsbald wieder in sein Geleit und passierte mit mir den Weg und See wieder zurück, durch welchen wir herkommen waren, etc.
Diese Heimfahrt dünkte mich viel weiter als die Hinfahrt, also daß ich auf dritthalbtausend wohlgemessener teutscher Schweizer-Meilen rechnete; es war aber gewiß die Ursach, daß mir die Zeit so lang wurde, weil ich nichts mit meinem Convoi redete, als blößlich, daß ich von ihnen vernahm, sie würden bis auf drei-, vier- oder fünfhundert Jahr alt, und solche Zeit lebten sie ohne einzige Krankheit. Im übrigen war ich im Sinn mit meinem Saurbrunnen so reich, daß alle meine Witz und Gedanken genug zu tun hatten, zu beratschlagen, wo ich ihn hinsetzen und wie ich mir ihn zunutz machen wollte. Da hatte ich allbereit meine Anschläg wegen der ansehnlichen Gebäu, die ich dazu setzen müßte, damit die Badgäste auch rechtschaffen akkommodiert seien und ich hingegen ein großes Losamentgeld aufheben möchte; ich ersann schon, durch was für Schmieralia ich die Medicos persuadieren wollte, daß sie meinen Wunder-Sauerbrunnen allen andern, ja gar dem Schwalbacher vorziehen und mir einen Haufen reiche Badgäst zuschaffen sollten; ich machte schon ganze Berg eben, damit sich die Ab- und Zufahrenden über keinen müheseligen Weg beschwereten; ich dingte schon verschmitzte Hausknecht, geizige Köchinnen, vorsichtige Bettmägd, wachtsame Stallknecht, saubere Bad- und Brunnenverwalter, und sann auch bereits einen Platz aus, auf welchen ich mitten im wilden Gebirg, bei meinem Hof, einen schönen ebenen Lustgarten pflanzen und allerlei rare Gewächs darinnen ziehen wollte, damit sich die fremden Herren Badgäst und ihre Frauen darin erspazieren, die Kranken erfrischen und die Gesunden mit allerhand kurzweiligen Spielen ergötzen und errammlen können. Da mußten mir die Medici, doch um die Gebühr, einen herrlichen Traktat von meinem Brunnen und dessen köstlichen Qualitäten zu Papier bringen, welchen ich alsdann neben einem schönen Kupferstück, darin mein Baurnhof entworfen und in Grund gelegt, drucken lassen wollte, aus welchem ein jeder abwesende Kranke sich gleichsam halb gesund lesen und hoffen möchte; ich ließ alle meine Kinder von L. holen, sie allerhand lernen zu lassen, das sich zu meinem neuen Bad schickte, doch durfte mir keiner kein Bader werden, denn ich hatte mir vorgenommen, meinen Gästen, obzwar nicht den Rücken, doch aber ihren Beutel tapfer zu schröpfen.
Mit solchen reichen Gedanken und überglückseligem Sinnhandel erreichte ich wiederum die Luft, maßen mich der vielgedachte Prinz allerdings mit trockenen Kleidern aus seinem Mummelsee ans Land setzte, doch mußte ich das Kleinod, so er mir anfänglich geben, als er mich abgeholet, stracks von mir tun, denn ich hätte sonst in der Luft entweder ersaufen oder Atem zu holen den Kopf wieder ins Wasser stecken müssen, weil gedachter Stein solche Wirkung vermochte. Da nun solches geschehen, und er denselben wieder zu sich genommen, beschirmten wir einander als Leut, die einander nimmermehr wieder zu sehen würden bekommen, er duckte sich und fuhr wieder mit den Seinigen in seinen Abgrund, ich aber ging mit meinem Lapide, den mir der König geben hatte, so voller Freuden davon, als wenn ich das Gülden Fell aus der Insel Kolchis davongebracht hätte.
Aber ach! meine Freud, die sich selbst vergeblich auf eine immerwährende Beständigkeit gründete, währete gar nicht lang, denn ich war kaum von diesem Wundersee hinweg, als ich bereits anfing in dem ungeheuren Wald zu verirren, weil ich nit Achtung geben hatte, von wannen her mein Knan mich zum See gebracht; ich ging ein gut Stück Wegs fort, ehe ich meiner Verirrung gewahr wurde, und machte noch immerfort Kalender, wie ich den köstlichen Sauerbrunnen auf meinen Hof setzen, wohl anlegen und mir dabei einen geruhigen Herrnhandel schaffen möchte. Dergestalt kam ich ohnvermerkt je länger je weiter von dem Ort, wohin ich am allermeisten begehrte, und was das schlimmste war, wurde ichs nicht eher inne, bis sich die Sonn neigte und ich mir nit mehr zu helfen wußte; da stund ich mitten in einer Wildnis wie Matz von Dresden, beides ohne Speis und Gewehr, dessen ich gegen die bevorstehende Nacht wohl bedürftig gewesen wäre; doch tröstete mich mein Stein, den ich mit mir aus dem innersten Ingeweid der Erden heraus gebracht hatte: "Geduld, Geduld!" sagte ich zu mir selber, "dieser wird dich aller überstandenen Not wiederum ergötzen, gut Ding will Weil haben, und vortreffliche Sachen werden ohne große Mühe und Arbeit nicht erworben, sonst würde jeder Narr ohne Schnaufens und Bartwischens einen solchen edlen Sauerbrunnen, wie du einen bei dir in der Taschen hast, seines Gefallens zuwegen bringen."
Da ich mir nun solchergestalt zugesprochen, faßte ich zugleich mit der neuen Resolution auch neue Kräfte, maßen ich weit tapferer als zuvor auf die Sohlen trat, ob mich gleich die Nacht darüber ereilte; der Vollmond leuchtete mir zwar fein, aber die hohen Tannen ließen mir sein Licht nicht so wohl gedeihen, als denselben Tag das tiefe Meer getan hatte, doch kam ich so weit fort, bis ich um Mitternacht von weitem ein Feuer gewahr wurde, auf welches ich den geraden Weg zuging, und von ferne sah, daß sich etliche Waldbauren dabei befanden, die mit dem Harz zu tun hatten: Wiewohl nun solchen Gesellen nit allzeit zu trauen, so zwang mich doch die Not und riet mir meine eigene Courage ihnen zuzusprechen; ich hinterschlich sie unversehens, und sagte: "Gute Nacht oder guten Tag, oder guten Morgen oder guten Abend ihr Herren! sagt mir zuvor, um welche Zeit es sei, damit ich euch danach zu grüßen wisse?" Da stunden und saßen sie alle sechse vor Schrecken zitternd und wußten nicht was sie mir antworten sollten, denn weil ich einer von den Längsten bin und eben damals noch wegen meines jüngstverstorbenen Weibleins sel. ein schwarz Trauerkleid anhatte, zumalen einen schrecklichen Prügel in Händen trug, auf welchen ich mich wie ein wilder Mann steurete, kam ihnen meine Gestalt entsetzlich vor. "Wie?" sagte ich, "will mir denn keiner antworten?" Sie verblieben aber noch ein gute Weil erstaunt, bis sich endlich einer erholte, und sagte: "Wear ischt denn der Hair?" Da hörete ich, daß es ein schwäbische Nation sein müßte, die man zwar (aber vergeblich) für einfältig schätzet; sagte derowegen, ich sei ein fahrender Schüler, der jetzo erst aus dem Venusberg komme und ein ganzen Haufen wunderliche Künst gelernet hätte. "Oho!" antwortet' der ältste Baur, "jetzt glaub ich gottlob, daß ich den Frieden wieder erleben werde, weil die fahrenden Schüler wieder anfangen zu reisen."
Das 18. Kapitel
Simplicius verzettelt seinen Saurbrunnen an einem unrechten Ort
Also kamen wir miteinander ins Gespräch, und ich genoß so vieler Höflichkeit von ihnen, daß sie mich hießen zum Feuer niedersetzen und mir ein Stück schwarz Brot und magern Kuhkäs anboten, welches ich denn alles beide akzeptierte; endlich wurden sie so vertraulich, daß sie mir zumuteten, ich sollte ihnen als ein fahrender Schüler gute Wahrheit sagen: und weil ich mich sowohl auf die Physiognomiam als Chiromantiam um etwas verstund, fing ich an einem nach dem andern aufzuschneiden, was ich meinte daß sie contentieren würde, damit ich bei ihnen meinen Kredit nicht verlöre, denn es war mir bei dieser wilden Waldbursch nicht allerdings heimlich. Sie begehrten allerhand vorwitzige Künste von mir zu lernen, ich aber vertröstet sie auf den künftigen Tag und begehrte, daß sie mich ein wenig wollten ruhen lassen. Und demnach ich solchergestalt einen Zigeuner agiert hatte, legte ich mich ein wenig beiseits, mehr zu horchen und zu vernehmen, wie sie gesinnet, als daß ich großen Willen (wiewohl es am Appetit nicht mangelte) zu schlafen gehabt hätte; je mehr ich nun schnarchte, je wachtsamer sie sich erzeugten, sie stießen die Köpf zusammen und fingen an um die Wett zu raten, wer ich doch sein möchte? Für keinen Soldaten wollten sie mich halten, weil ich ein schwarz Kleid antrug, und für keinen Bürgerskerl konnten sie mich nit schätzen, weil ich zu einer solchen ungewöhnlichen Zeit so fern von den Leuten in das Mückenloch (denn so heißet der Wald) angestochen käme. Zuletzt beschlossen sie, ich müßte ein lateinischer Handwerksgesell sein, der verirret wäre, oder meinem eigenen Vorgeben nach ein fahrender Schüler, weil ich so trefflich wahrsagen könnte. "Ja", fing denn ein anderer an, und sagte: "er hat drum nicht alles gewußt, er ist etwa ein loser Krieger und hat sich so verkleidet, unser Vieh und die Schlich im Wald auszukundigen, ach daß wirs wüßten, wir wollten ihn schlafen legen, daß er das Aufwachen vergessen sollte!" Geschwind war ein anderer da, der diesem Widerpart hielt, und mich für etwas anders ansah. Indessen lag ich dort und spitzt die Ohren, ich gedachte, werden mich diese Knollfinken angreifen, so muß mir zuvor einer oder drei ins Gras beißen, ehe sie mich aufopfern.
Demnach nun diese so ratschlagten, und ich mich mit Sorgen ängstigte, wurde mir jähling, als ob einer bei mir läge, der ins Bett brunzte, denn ich lag unversehens ganz naß, o mirum! da war Troja verloren, und alle meine trefflichen Anschläg waren dahin, denn ich merkte am Geruch, daß es mein Sauerbrunnen war; da geriet ich vor Zorn und Unwillen in eine solche Raserei, daß ich mich beinahe allein hinter die sechs Baurn gelassen und mit ihnen herumgeschlagen hätte: "Ihr gottlosen Flegel" (sagte ich zu ihnen, als ich mit meinem schrecklichen Prügel aufgesprungen war), "an diesem Saurbrunnen, der auf meiner Lagerstatt hervorquillt, könnt ihr merken, wer ich sei, es wäre kein Wunder, ich strafte euch alle, daß euch der Teufel holen möchtet weil ihr so böse Gedanken in Sinn nehmen dürfen"; machte darauf so bedrohliche und erschreckliche Mienen, daß sie sich alle vor mir entsetzten: Doch kam ich gleich wieder zu mir selber und merkte, was ich für eine Torheit beging. Nein (gedacht ich) besser ists den Sauerbrunnen als das Leben verloren, das du leicht einbüßen kannst, wenn du dich hinter diese Lümmel machst: gab ihnen derhalben wieder gute Wort und sagte, ehe sie sich etwas anders entsinnen konnten: "Stehet auf und versucht den herrlichen Sauerbrunnen, den ihr und alle Harz- und Holzmacher hinfort in dieser Wildnis meinetwegen zu genießen haben werdet!" Sie konnten sich in mein Gespräch nicht richten, sondern sahen einander an wie lebendige Stockfisch, bis sie sahen, daß ich fein nüchtern aus meinem Hut den ersten Trunk tat; da stunden sie nacheinander vom Feuer auf, darum sie gesessen, besahen das Wunder und versuchten das Wasser, und anstatt daß sie mir darum hätten dankbar sein sollen, fingen sie an zu lästern und sagten: Sie wollten, daß ich mit meinem Saurbrunnen an ein andern Ort geraten wäre, denn sollte ihre Herrschaft dessen innewerden, so müßte das ganze Amt Dornstett fronen und Weg dazu machen, welches ihnen denn ein große Beschwerlichkeit sein würde. "Hingegen", sagte ich, "habt ihr dessen alle zu genießen, eure Hühner, Eier, Butter, Vieh und anders könnt ihr besser ans Geld bringen." "Nein nein", sagten sie, "nein! die Herrschaft setzt einen Wirt hin, der wird allein reich, und wir müssen seine Narren sein, ihm Weg und Steg erhalten und werden noch kein Dank dazu davon haben!" Zuletzt entzweiten sie sich, zween wollten den Sauerbrunnen behalten und ihrer vier muteten mir zu, ich sollte ihn wieder abschaffen; welches, da es in meiner Macht gestanden wäre, ich wohl ohne sie getan haben wollte, es wäre ihnen gleich lieb oder leid gewesen.
Weil denn nunmehr der Tag vorhanden war und ich nichts mehr da zu tun hatte, zumalen besorgen mußte, wir würden, da es noch lang herumging, einander endlich in die Haar geraten, sagte ich: Wenn sie nicht wollten, daß alle Kühe im ganzen Baiersbronner Tal rote Milch geben sollten, so lang der Brunn liefe, so sollten sie mir alsobald den Weg nach Seebach weisen, dessen sie denn wohl zufrieden und mir zu solchem End zwei mitgaben, weil sich einer allein bei mir fürchtete.
Also schied ich von dannen, und obzwar dieselbe ganze Gegend unfruchtbar war und nichts als Tannzapfen trug, so hätte ich sie doch noch elender verfluchen mögen, weil ich alle meine Hoffnung daselbst verloren; doch ging ich stillschweigend mit meinen Wegweisern fort, bis ich auf die Höhe des Gebirgs kam, allwo ich mich dem Geländ nach wieder ein wenig erkennen konnte. Da sagte ich zu ihnen: "Ihr Herren könnet euch euren Saurbrunnen trefflich zunutz machen, wenn ihr nämlich hingehet und eurer Obrigkeit dessen Ursprung anzeiget, denn da würde es eine treffliche Verehrung setzen, weil alsdann der Fürst selbigen zur Zierde und Nutz des Lands aufbauen und zu Vermehrung seines Interesses aller Welt bekannt machen lassen wird." "Ja", sagten sie, "da wären wir wohl Narren, daß wir uns eine Rut auf unsern eigenen Hintern machten, wir wollten liebet, daß dich der Teufel mitsamt deinem Sauerbrunnen holete, du hast genug gehört, warum wir ihn nicht gerne sehen!" Ich antwortet: "Ach ihr heillosen Tropfen, sollte ich euch nit meineidige Schelmen schelten, daß ihr aus der Art der frommen Voreltern so ferne abtretet! dieselbigen waren ihrem Fürsten so getreu, daß er sich ihrer rühmen durfte, er wäre so kühn, in eines jeden seiner Untertanen Schoß seinen Kopf zu legen und darin sicherlich zu schlafen; und ihr Mausköpf seid nicht so ehrlich, einer besorgenden geringen Arbeit willen, darum ihr doch mit der Zeit wieder ergötzt würdet und deren all eure Nachkömmling reichlich zu genießen hätten, beides eurem hochlöblichen Fürsten zu Nutz und manchem elenden Kranken zur Wohlfahrt und Gesundheit diesen heilsamen Sauerbrunnen zu offenbaren; was sollts sein, wenngleich etwa jeder ein paar Tag dazu fronte?" "Was", sagten sie, "wir wollten dich, damit dein Sauerbrunnen verborgen bleibe, ehender im Fron totschlagen." "Ihr Vögel", sagte ich, "es müßten eurer mehr sein!" zückte darauf meinen Prügel und jagte sie damit für alle Sankt Velten hinweg, ging folgends gegen Niedergang und Mittag bergabwärts und kam nach vieler Mühe und Arbeit gegen Abend wieder heim auf meinen Baurenhof, im Werk wahr zu sein befindend, was mir mein Knan zuvor gesagt hatte, daß ich nämlich von dieser Wallfahrt nichts als müde Bein und den Hergang für den Hingang haben würde.
Das 19. Kapitel
Etwas wenigs von den ungarischen Wiedertäufern, und ihrer Art zu leben
Nach meiner Heimkunft hielt ich mich gar eingezogen, mein größte Freud und Ergötzung war, hinter den Büchern zu sitzen, deren ich mir denn viel beischaffte, die von allerhand Sachen traktierten, sonderlich solche, die ein' großen Nachsinnens bedurften; das was die Grammatici und Schulfüchse wissen müßten, war mir bald erleidet, und eben also wurde ich der Arithmeticae auch gleich überdrüssig, was aber die Musicam anbelangt, haßte ich dieselbe vorlängst wie die Pest, wie ich denn meine Laute zu tausend Stücken schmiß; die Mathematica und Geometria fand noch Platz bei mir, sobald ich aber von diesen ein wenig zu der Astronomia geleitet wurde, gab ich ihnen auch Feierabend und hing dieser samt der Astrologia ein Zeitlang an, welche mich denn trefflich delektierten, endlich kamen sie mir auch falsch und ungewiß vor, also daß ich mich auch nicht länger mit ihnen schleppen mochte, sondern griff nach der Kunst' Raimundi Lulli, fand aber viel Geschrei und wenig Wollen, und weil ich sie für eine Topicam hielt, ließ ich sie fahren und machte mich hinter die Cabbalam der Hebräer und Hieroglyphicas der Ägypter, fand aber die allerletzte und aus allen meinen Künsten und Wissenschaften, daß kein besser Kunst sei, als die Theologia, wenn man vermittelst derselbigen Gott liebet und ihm dienet! Nach der Richtschnur derselbigen erfand ich für die Menschen eine Art zu leben, die mehr englisch als menschlich sein könnte, wenn sich nämlich eine Gesellschaft zusammentäte, beides von verehelichten und ledigen so Manns- als Weibspersonen, die auf Manier der Wiedertäufer allein sich beflissen, unter einem verständigen Vorsteher durch ihrer Hand Arbeit ihren leiblichen Unterhalt zu gewinnen und sich die übrigen Zeiten mit dem Lob und Dienst Gottes und ihrer Seelen Seligkeit zu bemühen; denn ich hatte hiebevor in Ungarn auf den wiedertäuferischen Höfen ein solches Leben gesehen, also daß ich, wofern dieselben guten Leut mit andern falschen und der allgemeinen christlichen Kirchen widerwärtigen ketzerischen Meinung nicht wären verwickelt und vertieft gewesen, ich mich von freien Stücken zu ihnen geschlagen oder wenigst ihr Leben für das seligste in der ganzen Welt geschätzt hätte, denn sie kamen mir in ihrem Tun und Leben allerdings vor wie Josephus und andere mehr die jüdischen Essäer beschrieben. Sie hatten erstlich große Schätze und überflüssige Nahrung, die sie aber keineswegs verschwendeten, kein Fluch, Murmelung noch Ungeduld wurde bei ihnen gespürt, ja man hörete kein unnützes Wort; da sah ich die Handwerker in ihren Werkstätten arbeiten, als wenn sie es verdingt hätten; ihr Schulmeister instruierte die Jugend, als wenn sie alle seine leiblichen Kinder gewesen wären; nirgends sah ich Manns- und Weibsbilder untereinander vermischt, sondern an jedem bestimmten Ort auch jedes Geschlecht absonderlich seine obliegende Arbeit verrichten; ich fand Zimmer, in welchen nur Kindbetterinnen waren, die ohne Obsorg ihrer Männer durch ihre Mitschwestern mit aller notwendigen Pfleg samt ihren Kindern reichlich versehen wurden, andere sonderbare Säle hatten nichts anders in sich als viel Wiegen mit Säuglingen, die von hierzu bestimmten Weibern mit Wischen und Speisen beobachtet wurden, daß sich deren Mütter ferners nicht um sie bekümmern durften, als wenn sie täglich zu dreien gewissen Zeiten kamen, ihnen ihre milchreichen Brüste zu bieten: und dieses Geschäfte den Kindbetterinn' und Kindern abzuwarten war allein den Witwen anbefohlen; anderswo sah ich das weibliche Geschlecht sonst nichts tun als spinnen, also daß man über die hundert Kunkeln oder Spinnrocken in einem Zimmer beieinander antraf; da war eine ein Wäscherin, die ander eine Bettmacherin, die dritte Viehmagd, die vierte Schüsselwäscherin, die fünfte Kellerin, die sechste hatte das weiß Zeug zu verwalten, und also auch die übrigen alle wußte ein jedwede was sie tun sollte; und gleichwie die Ämter unter dem weiblichen Geschlecht ordentlich ausgeteilet waren, also wußte auch unter den Männern und Jünglingen jeder sein Geschäfte; wurde einer oder eine krank, so hatte er oder dieselbe einen sonderbaren Krankenwärter oder Wärterin, auch beide Teil einen allgemeinen Medicum und Apotheker; wiewohl sie wegen löblicher Diät und guter Ordnung selten erkranken, wie ich denn manchen feinen Mann in hohem gesundem und geruhigem Alter bei ihnen sah, dergleichen anderswo wenig anzutreffen; sie hatten ihre gewissen Stunden zum Essen, ihre gewissen Stunden zum Schlafen, aber kein einzige Minut zum Spielen noch Spazieren, außerhalb die Jugend, welche mit ihrem Präzeptor jedesmal nach dem Essen der Gesundheit halber ein Stund spazieren gehen: mithin aber beten und geistliche Gesänge singen mußte. Da war kein Zorn, kein Eifer, kein Rachgier, kein Neid, kein Feindschaft, kein Sorg um Zeitlichs, kein Hoffart, kein Reu! In Summa, es war durchaus eine solche liebliche Harmonia, die auf nichts anders angestimmt zu sein schien, als das menschlich Geschlecht und das Reich Gottes in aller Ehrbarkeit zu vermehren; kein Mann sah sein Weib, als wenn er auf die bestimmte Zeit sich mit derselbigen in seiner Schlafkammer befand, in welcher er sein zugerichtes Bett und sonst nichts dabei als sein Nachtgeschirr neben einem Wasserkrug und weißen Handzwehl fand, damit er mit gewaschenen Händen beides schlafen gehen und den Morgen wieder an seine Arbeit aufstehen möchte; überdas hießen sie alle einander Schwestern und Brüder, und war doch eine solche ehrbare Vertraulichkeit keine Ursach unkeusch zu sein. Ein solch seliges Leben, wie diese wiedertäuferischen Ketzer führen, hätte ich gerne auch aufgebracht, denn soviel mich dünkte, so übertraf es auch das klösterliche. Ich gedachte: "Könntest du ein solches ehrbares christliches Tun aufbringen unter dem Schutz deiner Obrigkeit, so wärest du ein anderer Dominikus oder Franziskus. Ach", sagte ich oft, "könntest du doch die Wiedertäufer bekehren, daß sie unsere Glaubensgenossen ihre Manier zu leben lehreten, wie wärest du doch so ein seliger Mensch! Oder wenn du nur deine Mitchristen bereden könntest, daß sie wie diese Wiedertäufer ein solches (dem Schein nach) christliches und ehrbares Leben führten, was hättest du nicht ausgerichtet?" Ich sagte zwar zu mir selber: "Narr, was gehen dich andere Leut an, werde ein Kapuziner, dir sind ohnedas alle Weibsbilder erleidet." Aber bald gedachte ich: "Du bist morgen nicht wie heut, und wer weiß, was du künftig für Mittel bedürftig, den Weg Christi recht zu gehen? heut bist du geneigt zur Keuschheit, morgen aber kannst du brennen."
Mit solchen und dergleichen Gedanken ging ich lang um und hätte gerne so einer vereinigten christlichen Gesellschaft meinen Hof und ganzes Vermögen zum besten gegeben, unter derselben ein Mitglied zu sein. Aber mein Knan prophezeite mir stracks, daß ich wohl nimmermehr solche Bursch zusammenbringen würde.
Das 20. Kapitel
Hält in sich einen kurzweiligen Spazierweg, vom Schwarzwald bis nach Moskau in Reußen
Denselbigen Herbst näherten sich französische, schwedische und hessische Völker, sich bei uns zu erfrischen und zugleich die Reichsstadt in unserer Nachbarschaft, die von einem engländischen König erbaut und nach seinem Namen genannt worden, blockiert zu halten, deswegen denn jedermann sich selbst samt seinem Vieh und besten Sachen in die hohen Wälder flehnte; ich machte es wie meine Nachbarn und ließ das Haus ziemlich leer stehn, in welches ein reformierter schwedischer Obrist logiert wurde. Derselbige fand in meinem Kabinett noch etliche Bücher, denn ich in der Eil nicht alles wegbringen konnte, und unter andern einige mathematischen und geometrischen Abriß, auch etwas vom Fortifikationwesen, womit vornehmlich die Ingenieur umgehen, schloß derhalben gleich, daß sein Quartier keinem gemeinen Bauren zuständig sein müßte; fing derowegen an, sich um meine Beschaffenheit zu erkundigen und meiner Person selbsten nachzutrachten, maßen er selbsten durch courtoise Zuentbietungen und untermischte Drohwort mich dahin brachte, daß ich mich zu ihm auf meinen Hof begab, daselbst traktierte er mich gar höflich und hielt seine Leut dahin, daß sie mir nichts unnützlich verderben oder umbringen sollten. Mit solcher Freundlichkeit brachte er zuwegen, daß ich ihm all meine Beschaffenheit, vornehmlich aber mein Geschlecht und Herkommen vertraute. Darauf verwundert' er sich, daß ich mitten im Krieg so unter den Baurn wohnen und zusehen mochte, daß ein anderer sein Pferd an meinen Zaun binde, da ich doch mit bessern Ehren das meinig an eines andern binden könnte; ich sollte (sagte er) den Degen wieder anhängen und meine Gaben, die mir Gott verliehen hätte, nicht so hinterm Ofen und beim Pflug verschimmlen lassen, er wüßte, wenn ich schwedische Dienst annehmen würde, daß mich meine Qualitäten und Kriegswissenschaften bald hoch anbringen würden: Ich ließ mich hierzu gar kaltsinnig an und sagte, daß die Beförderung in weitem Feld stünde, wenn einer keine Freund hätte, die einem unter die Arm griffen; hingegen replizierte er, meine Beschaffenheiten würden mir schon beides Freunde und Beförderung schaffen, überdas zweifle er nicht, daß ich nit Verwandte bei der schwedischen Hauptarmee antreffen würde, die auch etwas gelten, da bei derselben viel vornehme Schottische von Adel sich befänden; ihm zwar (sagte er ferner) sei vom Torstenson ein Regiment versprochen, wenn solches gehalten würde, woran er denn gar nit zweifele, so wollte er mich alsbald zu seinem Obristleutnant machen. Mit solchen und dergleichen Worten machte er mir das Maul ganz wässerig, und weilen noch schlechte Hoffnung auf den Frieden zu machen war und ich deswegen sowohl fernerer Einquartierung als gänzlichem Ruin unterworfen, also resolviert ich mich wiederum mitzumachen, und versprach dem Obristen, mich mit ihm zu begeben, wofern er mir seine Parol halten und die Obristleutnantstelle bei seinem künftigen Regiment geben wollte.
Also wurde die Glock gegossen; ich ließ meinen Knan oder Petter holen, derselbe war noch mit meinem Vieh zu Bairischbrunn, dem und seinem Weib verschrieb ich meinen Hof für Eigentum, doch daß ihn nach seinem Tod mein Bastard Simplicius, der mir vor die Tür gelegt worden, samt aller Zugehörde erben sollte, weil keine ehelichen Erben vorhanden; folgends holte ich mein Pferd und was ich noch für Geld und Kleinodien hatte, und nachdem ich alle meine Sachen richtig und wegen Auferziehung erstermeldten meines wilden Sohns Anstalt gemacht, wurde angeregte Blockada unversehens aufgehoben, also daß wir aufbrechen und zu der Hauptarmee marschieren mußten, ehe wirs uns versahen; ich agierte bei diesem Obristen einen Hofmeister und erhielt mit seinen Knechten und Pferden ihn und seine ganze Haushaltung mit Stehlen und Rauben, welches man auf soldatisch fouragieren nennet.
Die Torstensonischen Promessen, mit denen er sich auf meinem Hof so breit gemacht, waren bei weitem nit so groß als er vorgeben, sondern wie mich bedünkte wurde er vielmehr nur über die Achsel angesehen: "Ach!" sagte er dann gegen mich, "was für ein schlimmer Hund hat mich bei der Generalität eingehauen, da wird meines Verbleibens nicht lang sein." Und demnach er argwöhnete, daß ich mich bei ihm in die Läng nicht gedulden würde, dichtet' er Brief', als wenn er in Livland, allwo er denn zu Haus war, ein frisch Regiment zu werben hätte, und überredete mich damit, daß ich gleich ihm zu Wismar aufsaß, und mit ihm nach Livland fuhr. Da war es nun auch ›nobis‹, denn er hatte nicht allein kein Regiment zu werben, sondern war auch sonsten ein blutarmer Edelmann, und was er hatte, war von seinem Weib da.
Ob nun ich zwar mich zweimal betrügen und so weit hinwegführen lassen, so ging ich doch auch das drittemal an, denn er wies mir Schreiben vor, die er aus der Moskau bekommen, in welchen ihm (seinem Vorgeben nach) hohe Kriegschargen angetragen wurden, maßen er mir dieselbigen Schreiben so verteutschte und von richtiger und guter Bezahlung trefflich aufschnitt: Und weilen er gleich mit Weib und Kind aufbrach, dachte ich, ›er wird ja um der Gäns willen nicht hinziehen‹; begab mich derowegen voll guter Hoffnung mit ihm auf den Weg, weil ich ohnedas kein Mittel und Gelegenheit sah, für diesmal wieder zurück nach Teutschland zu kehren; sobald wir aber über die reußische Grenze kamen, und uns unterschiedliche abgedankte teutsche Soldaten, vornehmlich Offizier begegneten, fing mir an zu graueln und sagte zu meinem Obristen: "Was Teufels machen wir? wo Krieg ist, da ziehen wir hinweg, und wo es Fried, und die Soldaten unwert und abgedankt worden, da kommen wir hin!" Er aber gab mir noch immer gute Wort, und sagte: Ich sollte ihn nur sorgen lassen, er wisse besser was zu tun sei als diese Kerl, an denen nicht viel gelegen.
Nachdem wir nun sicher in der Stadt Moskau ankommen, sah ich gleich daß es gefehlt hatte; mein Obrister konferierte zwar täglich mit den Magnaten, aber viel mehr mit den Metropoliten als den Knesen, welches mir gar nicht spanisch, aber viel zu pfäffisch vorkam; so mir auch allerhand Grillen und Nachdenkens erweckte, wiewohl ich nicht ersinnen konnte, nach was für einem Zweck er zielte; endlich notifiziert' er mir, daß es nichts mehr mit dem Krieg wäre und daß ihn sein Gewissen treibe, die griechische Religion anzunehmen; sein treuherziger Rat wäre, weil er mir ohnedas nunmehr nicht helfen könnte wie er versprochen, ich sollte ihm nachfolgen; des Zarn Majestät hätte bereits gute Nachricht von meiner Person und guten Qualitäten, die würden gnädigst belieben, wofern ich mich akkommodieren wollte, mich als einen Kavalier mit einem stattlichen adeligen Gut und vielen Untertanen zu begnadigen; welches allergnädigste Anerbieten nicht auszuschlagen wäre, indem einem jedweden ratsamer wäre, an einem solchen großen Monarchen mehr einen allergnädigsten Herrn als einen ungeneigten Großfürsten zu haben. Ich wurd hierüber ganz bestürzt, und wußte nichts zu antworten, weil ich dem Obristen, wenn ich ihn an einem andern Ort gehabt, die Antwort lieber im Gefühl als im Gehör zu verstehen geben hätte; mußte aber meine Leier anders stimmen, und mich nach demjenigen Ort richten, darin ich mich gleichsam wie ein Gefangner befand, weswegen ich denn, ehe ich mich auf eine Antwort resolvieren konnte, so lang stillschwieg: Endlich sagte ich zu ihm, ich wäre zwar der Meinung kommen, Ihrer Zarischen Majestät als ein Soldat zu dienen, wozu er, der Herr Obriste, mich daselbst veranlaßt hätte; seien nun Dieselbe meiner Kriegsdienste nicht bedürftig, so könnte ichs nicht ändern, viel weniger Derselben Schuld zumessen, daß ich Ihretwegen einen so weiten Weg vergeblich gezogen, weil sie mich nicht zu Ihro zu kommen beschrieben; daß aber Dieselbe mir ein so hohe Zarische Gnad allergnädigst widerfahren zu lassen geruheten, wäre mir mehr rühmlich aller Welt zu rühmen, als solche alleruntertänigst zu akzeptieren und zu verdienen, weil ich mich meine Religion zu mutieren noch zur Zeit nicht entschließen könne, wünschend, daß ich wiederum am Schwarzwald auf meinem Baurenhof säße, um niemandem einziges Anliegen noch Ungelegenheiten zu machen; hierauf antwortet' er: "Der Herr tue nach seinem Belieben, allein hätte ich vermeinet, wenn ihn Gott und das Glück grüßet, so sollte er beiden billig danken; wenn er sich aber ja nicht helfen lassen, noch gleichsam wie ein Prinz leben will, so verhoffe ich gleichwohl, er werde dafürhalten, ich habe an ihm das Meinig nach äußerstem Vermögen zu tun keinen Fleiß gespart"; daraufhin machte er einen tiefen Bückling, ging seines Wegs und ließ mich dort sitzen, ohne daß er zulassen wollte, ihm nur bis vor die Tür das Geleit zu geben.
Als ich nun ganz perplex dort saß und meinen damaligen Zustand betrachtete, hörete ich zween reußische Wagen vor unserm Losament, sah darauf zum Fenster hinaus und wie mein guter Herr Obrister mit seinen Söhnen in den einen, und die Frau Obristin mit ihren Töchtern in den andern einstieg; es waren des Großfürsten Fuhren und Liberei, zumalen etliche Geistliche dabei, so diesem Ehevolk gleichsam aufwarteten und allen guten geneigten Willen erzeugten.
Das 21. Kapitel
Wie es Simplicio weiters in der Moskau erging
Von dieser Zeit an wurde ich zwar nit öffentlich, sondern heimlich durch etliche Strelitzen verwachet, ohne daß ichs einmal gewußt hätte, und mein Obrister oder die Seinigen wurden mir nit einmal mehr zu sehen, also daß ichs nicht wissen konnte wo er hinkommen; damals setzte es, wie leicht zu erachten, seltsame Grillen und ohne Zweifel auch viel graue Haar auf meinem Kopf. Ich machte Kundschaft mit den Teutschen, die sich beides von Kauf- und Handwerksleuten in der Moskau ordinari aufhalten, und klagte denselben mein Anliegen und welchergestalt ich mit Gefährden hintergangen worden, die gaben mir Trost und Anleitung, wie ich wieder mit guter Gelegenheit nach Teutschland kommen könnte: Sobald sie aber Wind bekamen, daß der Zar mich im Land zu behalten entschlossen und mich hierzu dringen wollte, wurden sie alle zu Stummen an mir, ja sie äußerten sich auch meiner, und wurde mir schwer, auch nur für meinen Leib Herberg zu bekommen; denn ich hatte mein Pferd samt Sattel und Zeug bereits verzehrt und trennete heut eine und morgen die andere Dukat aus, die ich hiebevor zum Vorrat so weislich in meine Kleider vernähet hatte. Zuletzt fing ich auch an, meine Ring und Kleinodia zu versilbern, als der Hoffnung, mich so lang zu enthalten, bis ich eine gute Gelegenheit wieder nach Teutschland zu kommen erharren möchte. Indessen lief ein Vierteljahr herum, nach welchem oftgemeldter Obriste samt seinem Hausgesind wieder umgetauft und mit einem ansehenlichen adeligen Gut und vielen Untertanen wieder versehen wurde.
Damals ging ein Mandat aus, daß man gleichwie unter den Inheimischen, also auch unter den Fremden keine Müßiggänger bei hoher unausbleiblicher Straf mehr leiden sollte, als die den Arbeitenden nur das Brot vorm Maul wegfressen; und was von Fremden nicht arbeiten wollte, das sollte das Land in einem Monat, die Stadt aber in vierundzwanzig Stunden räumen. Also schlugen sich unserer bei fünfzig zusammen, der Meinung, unsern Weg in Gottes Namen durch Podoliam nach Teutschland miteinander zu nehmen, wir wurden aber nicht gar zwo Stund weit von der Stadt von etlichen reußischen Reutern wieder eingeholt, mit dem Vorwand, daß Ihr Zarische Majestät ein groß Mißfallen hätte, daß wir uns frevelhafter Weis unterstanden, in so starker Anzahl uns zusammenzurotten und ohne Paß unsers Gefallens Dero Land zu durchziehen, mit fernerem Anhang, daß Ihr Majestät nicht unbefugt wären, uns unsers groben Beginnens halber nach Sibirien zu schicken. Auf demselbigen Zurückweg erfuhr ich, wie mein Handel beschaffen war; denn derjenige so den Truppen Reuter führte, sagte mir ausdrücklich, daß Ihr Zarische Majestät mich nicht aus dem Land lassen würden, sein treuherziger Rat wäre, ich sollte mich nach Dero Allergnädigstem Willen akkommodieren, mich zu ihrer Religion verfügen, und wie der Obriste getan, ein solch ansehenlich adelig Gut nicht verachten, mit Versicherung, wo ich dieses ausschlagen, und bei ihnen nicht als ein Herr leben wollte, daß ich wider meinen Willen als ein Knecht dienen müßte; und würden auch Ihr Zarischen Majestät nicht zu verdenken sein, daß sie einen solchen wohlerfahrnen Mann, wie mich der oftgemeldte Obriste beschaffen zu sein beschrieben, nicht aus dem Land lassen wollten. Ich verringerte mich hierauf, und sagte: Der Herr Obriste würde mir vielleicht mehr Künste, Tugend und Wissenschaften zugeschrieben haben, als ich vermochte; zwar wäre ich darum ins Land kommen, Ihrer Zarischen Majestät und der löblichen reußischen Nation, auch mit Darsetzung meines Bluts, wider Dero Feinde zu dienen, daß ich aber meine Religion ändern sollte, könnte ich mich noch nicht entschließen; wofern ich aber in einzigerlei Weg Ihrer Zarischen Majestät ohne Beschwerung meines Gewissens würde dienen können, würde ich an meinem äußersten Vermögen nichts erwinden lassen.
Ich wurde von den andern abgesondert und zu einem Kaufherrn logiert, allwo ich nunmehr öffentlich verwacht, hingegen aber täglich mit herrlichen Speisen und köstlichem Getränk von Hof aus versehen wurde; hatte auch täglich Leut die mir zusprachen, und mich hin und wieder zu Gast luden; sonderlich war einer, dem ich ohne Zweifel insonderheit befohlen war (ein schlauer Mann), der unterhielt mich täglich mit freundlichem Gespräch, denn ich konnte schon ziemlich reußisch reden; dieser diskurrierte mehrenteils mit mir von allerhand mechanischen Künsten, item von Kriegs- und andern Maschinen, vom Fortifikationwesen und der Artollerei, etc. zuletzt als er unterschiedlich Mal auf den Busch geklopft, um zu vernehmen, ob ich mich endlich nicht ihres Zaren Intention nach bequemen wollte, und keine Hoffnung fassen konnte, daß ich mich im geringsten ändern würde, begehrte er, wenn ich ja nicht reußisch werden wollte, so sollte ich doch dem großen Zar zu Ehren ihrer Nation etwas von meinen Wissenschaften kommunizieren und mitteilen; ihr Zar würde meine Willfährigkeit mit hohen kaiserlichen Gnaden erkennen; darauf antwortet ich, meine Affektion wäre jederzeit dahin gestanden, Ihrer Zarischen Majestät untertänigst zu dienen, maßen ich zu solchem Ende in Dero Land kommen wäre, sei auch noch solchergestalt intentioniert, wiewohl ich sehe, daß man mich gleichsam wie einen Gefangenen aufhalte: "Ei nicht so Herr", antwortet' er, "Ihr seid nicht gefangen, sondern Ihr Zarische Majestät lieben Euch so hoch, daß sie Eurer Person schier nit wissen zu entbehren." "Warum", sagte ich, "werde ich denn verwacht?" "Darum", antwortet' er, "weil Ihr Zarische Majestät besorgen, es möchte Euch etwas Leids widerfahren."
Als er nun meine Offerten verstund, sagte er, daß Ihr Zarische Majestät allergnädigst bedacht wären, in Dero Landen selber Salpeter graben und Pulver zurichten zu lassen; weil aber niemand unter ihnen wäre, der damit umgehen könnte, würde ich der Zarischen Majestät einen angenehmen Dienst erweisen, wenn ich mich des Werks unterfinge; sie würden mir hierzu Leute und Mittel genug an die Hand schaffen, und er für seine Person wollte mich aufs treuherzigste gebeten haben, ich wollte solches allergnädigstes Angesinnen nicht abschlagen, dieweilen sie bereits genugsame Nachricht hätten, daß ich mich auf diese Sachen trefflich wohl verstünde. Darauf antwortet ich: "Herr, ich sage vor wie nach, wenn der Zarischen Majestät ich in etwas dienen kann, außer daß Sie gnädigst geruhen, mich in meiner Religion passieren zu lassen, so werde ich an meinem Fleiß nichts erwinden lassen." Hierauf wurde dieser Reuß (welcher einer von den vornehmsten Knesen war) trefflich lustig, also daß er mir mit dem Trunk mehr zusprach als ein Teutscher.
Den andern Tag kamen vom Zar zween Knesen und ein Dolmetsch, die ein Endliches mit mir beschlossen und von wegen des Zaren mir ein köstliches reußisches Kleid verehrten. Also fing ich gleich etliche Tag hernach an Salpetererde zu suchen, und diejenigen Reußen, so mir zugegeben waren, zu lehren, wie sie denselben von der Erden separieren und läutern sollten; und mithin verfertigte ich die Abriß zu einer Pulvermühlen und lehrete andere die Kohlen brennen, daß wir also in gar kurzer Zeit sowohl des besten Pürsch- als des groben Stückpulvers eine ziemliche Quantität verfertigten, denn ich hatte Leut genug und daneben auch meine sonderbaren Diener, die mir aufwarten, oder besser zu sagen, die mich hüten und verwahren sollten.
Als ich mich nun so wohl anließ, kam der vielgemeldte Obriste zu mir, in reußischen Kleidern' und mit vielen Dienern ganz prächtig aufgezogen, ohne Zweifel durch solche scheinbarliche Herrlichkeit mich zu persuadieren, daß ich mich auch umtaufen lassen sollte; aber ich wußte wohl, daß die Kleider aus des Zaren Kleiderkasten waren und ihm nur angeliehen, mir die Zähne weiß zu machen, weil solches an dem zarischen Hof der allergewöhnlichste Brauch ist.
Und damit der Leser verstehe, wie es damit pfleget herzugehen, will ich ein Exempel von mir selbst erzählen: Ich war einsmals geschäftig auf den Pulvermühlen, die ich außerhalb Moskau an den Fluß bauen lassen, Verordnung zu tun, was der ein und ander von meinen zugegebenen Leuten denselben und folgenden Tag für Arbeit verrichten sollte; da wurde ohnversehens Alarm, weilen sich die Tartarn bereits vier Meilen weit auf 100 000 Pferd stark befanden, das Land plünderten und also immerhin fort avancierten; da mußten ich und meine Leut sich alsobald nach Hof begeben, allwo wir aus des Zaren Rüstkammer und Marstall montiert wurden; ich zwar wurde anstatt des Küraß mit einem gesteppten seidenen Panzer angetan, welcher einen jeden Pfeil aufhielt, aber vor keiner Kugel schußfrei sein konnte, Stiefel, Sporen und ein fürstliche Hauptzierde mit einem Reigerbusch, samt einem Säbel der Haar schur, mit lauter Gold beschlagen und mit Edelgesteinen versetzt, wurden mir dargeben, und von des Zaren Pferden ein solches untergezogen, dergleichen ich zuvor mein Lebtag keins gesehen, geschweige beritten; ich und das Pferdgezeug glänzten von Gold, Silber, Edelgesteinen und Perlen, ich hatte einen stählernen Streitkolben anhangen, der glitzerte wie ein Spiegel, und war so wohl gemacht und so gewichtig, daß ich einen jeden dem ich eins damit versetzte, gar leicht totschlug, also daß der Zar selbst besser montiert daher nicht reiten können; mir folgte ein weiße Fahne mit einem doppelten Adler, welcher von allen Orten und Winkeln gleichsam Volk zuschnie, also daß wir ehe zwei Stund vergingen bei vierzig-, und nach vier Stunden bei sechzigtausend Pferd stark waren, mit welchen wir gegen die Tatarn fortrückten; ich hatte alle Viertelstund neue mündliche Ordre von dem Großfürsten, die nichts anders in sich hielten, als: Ich sollte mich heut als ein Soldat erzeigen, weil ich mich für einen ausgegeben, damit Seine Majestät mich auch für einen halten und erkennen könnten. All Augenblick vermehrte sich unser Hauf beides von Kleinen und Großen, so Truppen als Personen, und ich konnte doch in solcher Eil keinen einzigen erkennen, der das ganze Corpus kommandieren und die Battaglia anordnen sollte.
Ich mag eben nicht alles erzählen, denn es ist meiner Histori an diesem Treffen nicht viel gelegen; ich will allein dies sagen, daß wir die Tatarn, so mit müden Pferden und vielen Beuten beladen, urplötzlich in einem Tal oder ziemlich tiefen Geländ antrafen, als sie sich dessen am allerwenigsten versahen, und von allen Orten mit solcher Furi dareingingen, daß wir sie gleich im Anfang trennten. Im ersten Angriff sagte ich zu meinen Nachfolgern auf reußische Sprach: "Nun wohlan, es tue jeder wie ich!" Solches schrien sie einander alle zu, und damit rennete ich mit verhängtem Zaum an die Feinde, und schlug dem ersten den ich antraf, welcher ein Mirsa war, den Kopf entzwei, also daß sein Hirn an meinem stählernen Kolben hängen blieb. Die Reußen folgten meinem heroischen Exempel, so daß die Tatarn ihren Angriff nicht erleiden mochten, sondern sich in eine allgemeine Flucht wendeten. Ich tat wie ein Rasender, oder vielmehr wie einer der aus Desperation den Tod suchte und nicht finden kann; ich schlug alles nieder was mir vorkam, es wäre gleich Tatar oder Reuß gewesen. Und die so vom Zaren auf mich bestellt waren, drangen mir so fleißig nach, daß ich allezeit einen sichern Rücken behielt; die Luft flog so voller Pfeil, als wenn Immen oder Bienen geschwärmt hätten, wovon mir denn einer in Arm zuteil wurde, denn ich hatte meine Ärmel hinter sich gestreift, damit ich mit meinem Säbel und Streitkolben desto unverhinderlicher metzeln und totschlagen könnte. Ehe ich den Pfeil auffing, lachte mirs Herz in meinem Leib an solcher Blutvergießung, da ich aber mein eigen Blut fließen sah, verkehrte sich das Lachen in eine unsinnige Wut. Demnach sich aber diese grimmigen Feinde in eine hauptsächliche Flucht wendeten, wurde mir von etlichen Knesen im Namen des Zarn befohlen, ihrem Kaiser die Botschaft zu bringen, wasgestalt wir die Tatarn überwunden; also kehrete ich auf ihr Wort zurück und hatte ohngefähr hundert Pferd zur Nachfolg. Ich ritt durch die Stadt der zarischen Wohnung zu und wurde von allen Menschen mit Frohlocken und Glückwünschung empfangen; sobald ich aber von dem Treffen Relation getan hatte, obzwar der Großfürst von allem Verlauf schon Nachricht hatte, mußte ich meine fürstlichen Kleider wieder ablegen, welche wiederum in des Zaren Kleiderbehältnis aufgehoben wurden, wiewohl sie samt dem Pferdgezeug über und über mit Blut besprengt und besudelt und also fast gar zunichte gemacht waren, und ich also nicht anders vermeint hätte, weil ich mich so ritterlich in diesem Treffen gehalten, sie sollten mir zum wenigsten samt dem Pferd zum Rekompens überlassen worden sein: Konnte demnach hieraus wohl abnehmen, wie es mit der Reußen Kleiderpracht beschaffen, deren sich mein Obrister bedient, weil es lauter gelehnte War ist, die dem Zaren, wie auch alle anderen Sachen in ganz Reußen, allein zuständig.
Das 22. Kapitel
Durch was für einen nahen und lustigen Weg er wiederum heim zu seinem Knan kommen
Solang meine Wunde zu heilen hatte, wurde ich allerdings fürstlich traktiert, ich ging allezeit in einem Schlafpelz von goldenem Stück mit Zobeln gefüttert, wiewohl der Schad weder tödlich noch gefährlich war, und ich hab die Tag meines Lebens niemals keiner solchen fetten Küchen genossen als eben damals; solches waren aber alle meine Beuten, die ich von meiner Arbeit hatte, ohne das Lob, so mir der Zar verlieh, welches mir aber aus Neid etlicher Knesen verbittert wurde.
Als ich aber gänzlich heil war, wurde ich mit einem Schiff die Wolga hinunter nach Astrachan geschickt, daselbsten wie in der Moskau ein Pulvermacherei anzuordnen, weil dem Zarn unmöglich war, dieselbe Grenzfestungen allezeit von Moskau aus mit frischem und gerechtem Pulver, das man einen so weiten Weg auf dem Wasser durch viel Gefährlichkeit hinführen mußte, zu versehen; ich ließ mich gern gebrauchen, weil ich Promessen hatte, der Zar würde mich nach Verrichtung solchen Geschäfts wiederum nach Holland fertigen, und mir seiner Hochheit und meinen Verdiensten gemäß ein namhaftes Stück Geld mitgeben. Aber ach! wenn wir in unseren Hoffnungen und gemachten Konzepten am allersichersten und gewissesten zu stehen vermeinen, so kommt unversehens ein Wind der allen Bettel auf einmal übern Haufen wehet, woran wir so lange Zeit gebauet: Der Gubernator in Astrachan traktierte mich wie seinen Zarn, und ich stellt alles in Kürze auf einen guten Fuß; seine verlegene Munition, die allerdings faul und versport war und keinen Effekt mehr tun konnte, goß ich gleichsam wieder von neuem um, wie ein Spengler aus dem alten neue zinnerne Löffel macht, so bei den Reußen damals ein unerhörtes Ding war, weswegen und anderer Wissenschaften mehr mich denn teils für einen Zauberer, andere für einen neuen Heiligen oder Propheten: und aber andere für einen andern Empedoclem oder Gorgiam Leontinum hielten; als ich aber im besten Tun war und mich außerhalb der Festung über Nacht in einer Pulvermühl befand, wurde ich von einer Schar Tatarn diebischerweis gestohlen und ausgehoben, welche mich samt andern mehr so weit in ihr Land hineinführten, daß ich auch das Schafgewächs Borametz nicht allein wachsen sehen konnte, sondern auch davon essen durfte; diese vertauschten mich mit den niuchischen Tartarn um etliche chinesische Kaufmannswaren, welche mich hernach dem König in Korea, mit welchem sie eben Stillstand der Waffen gemacht hatten, für ein sonderbares Präsent verehrten; daselbst wurde ich wert gehalten, weil keiner meinesgleichen in Dusecken sich finden ließ und ich den König lehrete, wie er mit dem Rohr auf der Achsel liegend und den Rücken gegen die Scheiben kehrend dennoch das Schwarze treffen könnte, weswegen er mir denn auch auf mein untertänige Anhalten die Freiheit wieder schenkte, und mich durch Japonia nach Macao zu den Portugiesen gefertigt, die aber meiner wenig achteten; ging derowegen bei ihnen herum wie ein Schaf, das sich von seiner Herde verirret, bis ich endlich wunderbarlicherweis von etlichen türkischen oder mahometanischen Meerräubern gefangen, und (nachdem sie mich wohl ein ganzes Jahr auf dem Meer bei seltsamen fremden Völkern, so die ostindianischen Insulen bewohnen, herumgeschleppt) von denselben etlichen Kaufleuten von Alexandria in Ägypten verhandelt wurde, dieselben nahmen mich mit ihren Kaufmannswaren mit sich nach Konstantinopel, und weil der türkische Kaiser eben damaln etliche Galeeren wider die Venediger ausrüstete und Mangel an Ruderern erschien, mußten viel türkische Kaufleut ihre christlichen Sklaven, jedoch um bare Bezahlung, hergeben, worunter ich mich denn als ein junger starker Kerl auch befand, also mußte ich lernen rudern; aber solche schwere Dienstbarkeit währet' nicht über zween Monat, denn unsere Galeera wurde in Levante von den Venetianern ritterlich übermannet, und ich samt allen meinen Gespanen aus der Türken Gewalt erledigt; als nun besagte Galeera zu Venedig mit reicher Beut und etlichen vornehmen türkischen Gefangnen aufgebracht wurde, war ich auf freien Fuß gestellt, weil ich nach Rom und Loreto pilgersweis wollte, selbige Örter zu beschauen und Gott um meine Erledigung zu danken; zu solchem Ende bekam ich gar leichtlich einen Paß und von ehrlichen Leuten, sonderlich etlichen Teutschen, eine ziemliche Steur, also daß ich mich mit einem langen Pilgerkleid versehen und meine Reis antreten konnte.
Demnach begab ich mich den nächsten Weg auf Rom, allwo mirs trefflich zuschlug, weil ich beides von Großen und Kleinen viel erbettelte; und nachdem ich mich ungefähr sechs Wochen daselbst aufgehalten, nahm ich meinen Weg mit andern Pilgern, darunter auch Teutsche und sonderlich etliche Schweizer waren, die wieder nach Haus wollten, auf Loreto; von dannen kam ich über den Gotthard durchs Schweizerland wieder auf den Schwarzwald zu meinem Knan, welcher meinen Hof bewahrt, und brachte nichts Besonders mit heim als einen Bart, der mir in der Fremde gewachsen war.
Ich war drei Jahr und etlich Monat ausgewesen, in welcher Zeit ich etliche unterschiedliche Meer überfahren und vielerlei Völker gesehen, aber bei denselben gemeiniglich mehr Böses als Gutes empfangen, von welchem allem ein großes Buch zu schreiben wäre; indessen war der Teutsche Fried geschlossen worden, also daß ich bei meinem Knan in sicherer Ruhe leben konnte; denselben ließ ich sorgen und hausen, ich aber setzte mich wieder hinter die Bücher, welches denn beides meine Arbeit und Ergötzung war.
Das 23. Kapitel
Ist gar ein fein kurz Kapitel und gehet nur Simplicium an
Ich las einsmals, wasmaßen das Oraculum Apollinis den römischen Abgesandten, als sie fragten was sie tun müßten, damit ihre Untertanen friedlich regiert würden, zur Antwort geben: Nosce te ipsum, das ist, es sollte sich jeder selbst erkennen. Solches machte daß ich mich hintersann, und von mir selbst Rechnung über mein geehrtes Leben begehrte, weil ich ohnedas müßig war, da sagte ich zu nur selber: "Dein Leben ist kein Leben gewesen, sondern ein Tod; deine Tage ein schwerer Schatten, deine Jahr ein schwerer Traum, deine Wollüst schwere Sünden, deine Jugend eine Phantasei und deine Wohlfahrt ein Alchimistenschatz, der zum Schornstein hinausfährt und dich verläßt, ehe du dich dessen versiehest! du bist durch viel Gefährlichkeiten dem Krieg nachgezogen und hast in demselbigen viel Glück und Unglück eingenommen, bist bald hoch bald nieder, bald groß bald klein, bald reich bald arm, bald fröhlich bald betrübt, bald beliebt bald verhaßt, bald geehrt und bald veracht gewesen: Aber nun du o mein arme Seel was hast du von dieser ganzen Reis zuwegen gebracht? Dies hast du gewonnen: Ich bin arm an Gut, mein Herz ist beschwert mit Sorgen, zu allem Guten bin ich faul, träg und verderbt, und was das Allerelendeste, so ist mein Gewissen ängstig und beschwert, du selbsten aber bist mit vielen Sünden überhäuft und abscheulich besudelt! der Leib ist müd, der Verstand verwirret, die Unschuld ist hin, mein beste Jugend verschlissen, die edle Zeit verloren, nichts ist das mich erfreuet, und über dies alles bin ich mir selber feind. Als ich nach meines Vaters seligem Tod in diese Welt kam, da war ich einfältig und rein, aufrecht und redlich, wahrhaftig, demütig, eingezogen, mäßig, keusch, schamhaftig, fromm und andächtig; bin aber bald boshaftig, falsch, verlogen, hoffärtig, unruhig und überall ganz gottlos worden, welche Laster ich alle ohne einen Lehrmeister gelernet; ich nahm meine Ehr in acht, nicht ihrer selbst, sondern meiner Erhöhung wegen; ich beobachtet die Zeit, nicht solche zu meiner Seligkeit wohl anzulegen, sondern meinem Leib zunutz zu machen; ich hab mein Leben vielmal in Gefahr geben und hab mich doch niemal beflissen solches zu bessern, damit ich auch getrost und selig sterben könnte; ich sah nur auf das Gegenwärtige und meinen zeitlichen Nutz und gedachte nicht einmal an das Künftige, viel weniger daß ich dermaleins vor Gottes Angesicht mußte Rechenschaft geben!" Mit solchen Gedanken quälte ich mich täglich, und eben damals kamen mir etliche Schriften des Guevarae unter die Hände, davon ich etwas hieher setzen muß, weil sie so kräftig waren, mir die Welt vollends zu erleiden. Diese lauteten also:
Das 24. Kapitel
Ist das allerletzte, und zeiget an, warum und welchergestalt Simplicius die Welt wieder verlassen
"Adieu Welt, denn auf dich ist nicht zu trauen, noch von dir nichts zu hoffen, in deinem Haus ist das Vergangene schon verschwunden, das Gegenwärtige verschwindet uns unter den Händen, das Zukünftige hat nie angefangen, das Allerbeständigste fällt, das Allerstärkste zerbricht, und das Allerewigste nimmt ein End; also, daß du ein Toter bist unter den Toten, und in hundert Jahren läßt du uns nicht eine Stund leben.
Adieu Welt, denn du nimmst uns gefangen, und läßt uns nicht wieder ledig, du bindest uns, und lösest uns nicht wieder auf; du betrübest, und tröstest nit, du raubest und gibest nichts wieder, du verklagest uns, und hast keine Ursach, du verurteilest und hörest keine Partei; also daß du uns tötest ohne Urteil, und begräbest uns ohne Sterben! Bei dir ist keine Freud ohne Kummer, kein Fried ohne Uneinigkeit, keine Lieb ohne Argwohn, keine Ruhe ohne Furcht, keine Fülle ohne Mängel, keine Ehr ohne Makel, kein Gut ohne bös Gewissen, kein Stand ohne Klag, und keine Freundschaft ohne Falschheit.
Adieu Welt, denn in deinem Palast verheißet man ohne Willen zu geben, man dienet ohne Bezahlen, man liebkoset um zu töten, man erhöhet um zu stürzen, man hilft um zu fällen, man ehret um zu schänden, man entlehnet um nicht wiederzugeben, man straft ohne Verzeihen.
Behüt dich Gott Welt, denn in deinem Haus werden die großen Herren und Favoriten gestürzt, die Unwürdigen hervorgezogen, die Verräter mit Gnaden angesehen, die Getreuen in Winkel gestellt, die Boshaftigen ledig gelassen, und die Unschuldigen verurteilt; den Weisen und Qualifizierten gibt man Urlaub, und den Ungeschickten große Besoldung, den Hinterlistigen wird geglaubt, und die Aufrichtigen und Redlichen haben keinen Kredit, ein jeder tut was er will, und keiner was er tun soll.
Adieu Welt, denn in dir wird niemand mit seinem rechten Namen genennet, den Vermessenen nennet man kühn, den Verzagten vorsichtig, den Ungestümen emsig, und den Nachlässigen friedsam; einen Verschwender nennet man herrlich, und einen Kargen eingezogen; einen hinterlistigen Schwätzer und Plauderer nennet man beredt, und den Stillen einen Narrn oder Phantasten; einen Ehebrecher und Jungfrauenschänder nennet man einen Buhler; einen Unflat nennet man einen Hofmann, einen Rachgierigen nennet man einen Eiferigen, und einen Sanftmütigen einen Phantasten, also daß du uns das Giebige für das Ungiebige und das Ungiebige für das Giebige verkaufest.
Adieu Welt, denn du verführest jedermann; den Ehrgeizigen verheißest du Ehr, den Unruhigen Veränderung, den Hochtragenden Gnad bei Fürsten, den Nachlässigen Ämter, den Geizhälsen viel Schätze, den Fressern und Unkeuschen Freude und Wollust, den Feinden Rach, den Dieben Heimlichkeit, den Jungen langes Leben, und den Favoriten verheißest du beständige fürstliche Huld.
Adieu Welt, denn in deinem Palast findet weder Wahrheit noch Treu ihre Herberg! wer mit dir redet wird verschamt, wer dir traut wird betrogen, wer dir folgt wird verführt, wer dich fürchtet wird am allerübelsten gehalten, wer dich liebt wird übel belohnt, und wer sich am allermeisten auf dich verläßt, wird auch am allermeisten zuschanden gemacht; an dir hilft kein Geschenk so man dir gibt, kein Dienst so man dir erweist, keine lieblichen Wort so man dir zuredet, kein Treu so man dir hält, und keine Freundschaft so man dir erzeigt; sondern du betrügst, stürzest, schändest, besudelst, drohest, verzehrest und vergißt jedermann; dannenhero weinet, seufzet, jammert, klaget und verdirbt jedermann, und jedermann nimmt ein End; bei dir siehet und lernet man nichts als einander hassen bis zum Würgen, reden bis zum Lügen, lieben bis zum Verzweifeln, handlen bis zum Stehlen, bitten bis zum Betrügen, und sündigen bis zum Sterben.
Behüt dich Gott Welt, denn dieweil man dir nachgehet, verzehret man die Zeit in Vergessenheit, die Jugend mit Rennen, Laufen und Springen über Zaun und Stiege, über Weg und Steg, über Berg und Tal, durch Wald und Wildnis, über See und Wasser, in Regen und Schnee, in Hitz und Kält, in Wind und Ungewitter; die Mannheit wird verzehrt mit Erzschneiden und -schmelzen, mit Steinhauen und -schneiden, Hacken und Zimmern, Pflanzen und Bauen, in Gedanken Dichten und Trachten, in Ratschläge ordnen, Sorgen und Klagen, in Kaufen und Verkaufen, Zanken, Hadern, Kriegen, Lügen und Betrügen; das Alter verzehrt man in Jammer und Elend, der Geist wird schwach, der Atem schmeckend, das Angesicht runzlicht, die Länge krumm, und die Augen werden dunkel, die Glieder zittern, die Nase trieft, der Kopf wird kahl, das Gehör verfällt, der Geruch verliert sich, der Geschmack geht hinweg, er seufzet und ächzet, ist faul und schwach, und hat in Summa nichts als Mühe und Arbeit bis in Tod.
Adieu Welt, denn niemand will in dir fromm sein; täglich richtet man die Mörder, vierteilt die Verräter, hänget die Dieb, Straßenräuber und Freibeuter, köpft Totschläger, verbrennt Zauberer, straft Meineidige, und verjagt Aufrührer.
Behüt dich Gott Welt, denn deine Diener haben kein andere Arbeit noch Kurzweil als faulenzen, einander vexieren und ausrichten, den Jungfrauen hofieren, den schönen Frauen aufwarten, mit denselben liebäugeln, mit Würfeln und Karten spielen, mit Kupplern traktieren, mit den Nachbarn kriegen, neue Zeitungen erzählen, neue Fund erdenken, mit dem Judenspieß rennen, neue Trachten ersinnen, neue List aufbringen, und neue Laster einfuhren.
Adieu Welt, denn niemand ist mit dir content oder zufrieden, ist er arm, so will er haben; ist er reich, so will er viel gelten; ist er veracht, so will er hoch steigen; ist er injuriert, so will er sich rächen; ist er in Gnaden, so will er viel gebieten; ist er lasterhaftig, so will er nur bei gutem Mut sein.
Adieu Welt, denn bei dir ist nichts Beständiges; die hohen Türm werden vom Blitz erschlagen, die Mühlen vom Wasser weggeführt, das Holz wird von den Würmern, das Korn von Mäusen, die Früchte von Raupen und die Kleider von Schaben gefressen, das Vieh verdirbt vor Alter, und der arme Mensch vor Krankheit: Der eine hat den Grind, der ander den Krebs, der dritte den Wolf, der vierte die Franzosen, der fünfte das Podagram, der sechste die Gicht, der siebente die Wassersucht, der achte den Stein, der neunte das Gries, der zehente die Lungensucht, der elfte das Fieber, der zwölfte den Aussatz, der dreizehente das Hinfallen, und der vierzehente die Torheit! In dir o Welt, tut nicht einer was der ander tut, denn wenn einer weinet, so lacht der ander; einer seufzet, der ander ist fröhlich; einer fastet, der ander zechet; einer bankettiert, der ander leidet Hunger; einer reitet, der ander gehet; einer redt, der ander schweigt; einer spielet, der ander arbeitet; und wenn der eine geboren wird, so stirbt der ander. Also lebt auch nicht einer wie der ander, der eine herrschet, der ander dienet; einer weidet die Menschen, ein anderer hütet der Schwein; einer folgt dem Hof, der ander dem Pflug; einer reist auf dem Meer, der ander fährt über Land auf die Jahr- und Wochenmärkt; einer arbeit im Feur, der ander in der Erde, einer fischt im Wasser, und der ander fängt Vögel in der Luft; einer arbeitet härtiglich, und der ander stiehlet und beraubet das Land.
O Welt behüt dich Gott, denn in deinem Haus führet man weder ein heilig Leben, noch einen gleichmäßigen Tod; der eine stirbt in der Wiegen, der ander in der Jugend auf dem Bett, der dritte am Strick, der vierte am Schwert, der fünfte auf dem Rad, der sechste auf dem Scheiterhaufen, der siebente im Weinglas, der achte in einem Wasserfluß, der neunte erstickt im Freßhafen, der zehente erwürgt am Gift, der elfte stirbt jähling, der zwölfte in einer Schlacht, der dreizehente durch Zauberei, und der vierzehente ertränkt seine arme Seel im Tintenfaß.
Behüt dich Gott Welt, denn mich verdrießt deine Konversation; das Leben so du uns gibst, ist ein elende Pilgerfahrt, ein unbeständiges, ungwisses, hartes, rauhes, hinflüchtiges und unreines Leben, voll Armseligkeit und Irrtum, welches vielmehr ein Tod als ein Leben zu nennen; in welchem wir all Augenblick sterben durch viel Gebrechen der Unbeständigkeit und durch mancherlei Weg des Tods! du läßt dich der Bitterkeit nicht genügen, mit der du umgeben und durchsalzen bist, sondern betrügst noch dazu die meisten mit deinem Schmeicheln, Anreizung und falschen Verheißungen, du gibst aus dem güldenen Kelch, den du in deiner Hand hast, Bitterkeit und Falschheit zu trinken, und machst sie blind, taub, toll, voll und sinnlos, ach wie wohl denen, die dein Gemeinschaft ausschlagen: deine schnelle augenblickliche hinfahrende Freud verachten, dein Gesellschaft verwerfen, und nicht mit einer solchen arglistigen verlornen Betrügerin zugrund gehen; denn du machest aus uns einen finstern Abgrund, ein elendes Erdreich, ein Kind des Zorns, ein stinkendes Aas, ein unreines Geschirr in der Mistgrub, ein Geschirr der Verwesung voller Gestank und Greuel, denn wenn du uns lang mit Schmeicheln, Liebkosen, Dräuen, Schlagen, Plagen, Martern und Peinigen umgezogen und gequält hast, so überantwortest du den ausgemergelten Körper dem Grab, und setzest die Seel in ein ungewisse Schanz. Denn obwohl nichts Gewissers ist als der Tod, so ist doch der Mensch nicht versichert, wie, wann und wo er sterben, und (welches das erbärmlichste ist) wo sein Seel hinfahren, und wie es derselben ergehen wird: Wehe aber alsdann der armen Seelen, welche dir o Welt, hat gedienet, gehorsamt und deinen Lüsten und Üppigkeiten hat gefolgt, denn nachdem eine solche sündige und unbekehrte arme Seel mit einem schnellen und unversehenen Schrecken aus dem armseligen Leib ist geschieden, wird sie nicht wie der Leib im Leben mit Dienern und Befreundten umgeben sein, sondern von der Schar ihrer allergreulichsten Feinde vor den sonderbaren Richterstuhl Christi geführt werden; darum o Welt behüt dich Gott, weil ich versichert bin, daß du dermaleins von mir wirst aussetzen und mich verlassen, nicht allein zwar wenn meine arme Seel vor dem Angesicht des strengen Richters erscheinen, sondern auch wenn das allerschrecklichste Urteil ›Gehet hin ihr Vermaledeiten ins ewige Feuer‹ etc. gefällt und ausgesprochen wird.
Adieu o Welt, o schnöde arge Welt, o stinkendes elendes Fleisch; denn von deinetwegen und um daß man dir gefolget, gedienet und gehorsamet hat, so wird der gottlos Unbußfertig zur ewigen Verdammnis verurteilt, in welcher in Ewigkeit anders nichts zu gewarten, als anstatt der verbrachten Freud Leid ohne Trost, anstatt des Zechens Durst ohne Labung, anstatt des Fressens Hunger ohne Fülle, anstatt der Herrlichkeit und Pracht Finsternis ohne Licht; anstatt der Wollüste Schmerzen ohne Linderung, anstatt des Dominierens und Triumphierens Heulen, Weinen und Weheklagen ohne Aufhören, Hitz ohne Kühlung, Feuer ohne Löschung, Kält ohne Maß und Elend ohne End.
Behüt dich Gott o Welt, denn anstatt deiner verheißenen Freud und Wollüste werden die bösen Geister an die unbußfertige verdammte Seel Hand anlegen, und sie in einem Augenblick in Abgrund der Höllen reißen; daselbst wird sie anders nichts sehen und hören, als lauter erschreckliche Gestalten der Teufel und Verdammten, eitele Finsternis und Dampf, Feuer ohne Glanz, Schreien, Heulen, Zähnklappern und Gottslästern; alsdann ist alle Hoffnung der Gnad und Milderung aus, kein Ansehen der Person ist vorhanden, je höher einer gestiegen und je schwerer einer gesündiget, je tiefer er wird gestürzt und je härtere Pein er muß leiden; dem viel geben ist, von dem wird viel gefordert, und je mehr einer sich bei dir, o arge schnöde Weltl hat herrlich gemacht, je mehr schenkt man ihm Qual und Leiden ein, denn also erforderte die göttliche Gerechtigkeit.
Behüt dich Gott o Welt, denn obwohl der Leib bei dir ein Zeitlang in der Erden liegen bleibt und verfaulet, so wird er doch am jüngsten Tag wieder aufstehn, und nach dem letzten Urteil mit der Seel ein ewiger Höllenbrand sein müssen; alsdann wird die arme Seel sagen: ›Verflucht seist du Welt! weil ich durch dein Anstiften Gottes und meiner selbst vergessen, und dir in aller Üppigkeit, Bosheit, Sünd und Schand die Tag meines Lebens gefolgt hab; verflucht sei die Stund, in der mich Gott erschuf! verflucht sei der Tag, darin ich in dir o arge böse Welt geborn bin! O ihr Berg, Hügel und Felsen fallet auf mich, und verbergt mich vor dem grimmigen Zorn des Lamms, vor dem Angesicht dessen, der auf dem Stuhl sitzet; ach Wehe und aber Wehe in Ewigkeit!‹
O Welt! du unreine Welt, derhalben beschwöre ich dich, ich bitte dich, ich ersuche dich, ich ermahne und protestiere wider dich, du wollest kein Teil mehr an mir haben; und hingegen begehre ich auch nicht mehr in dich zu hoffen, denn du weißt, daß ich mir hab vorgenommen, nämlich dieses: Posui finem curis, spes & fortuna valete."
Alle diese Wort erwog ich mit Fleiß und stetigem Nachdenken, und bewogen mich dermaßen, daß ich die Welt verließ und wieder ein Einsiedel ward: Ich hätte gern bei meinem Saurbrunnen im Mückenloch gewohnt, aber die Baurn in der Nachbarschaft wollten es nicht leiden, wiewohl es für mich ein angenehme Wildnis war; sie besorgten, ich würde den Brunnen verraten und ihre Obrigkeit dahin vermögen, daß sie wegen nunmehr erlangten Friedens Weg und Steg dazu machen müßten. Begab mich derhalben in eine andere Wildnis, und fing mein Spessarter Leben wieder an; ob ich aber wie mein Vater sel. bis an mein End darin verharren werde, stehet dahin. Gott verleihe uns allen seine Gnade, daß wir allesamt dasjenige von ihm erlangen, woran uns am meisten gelegen, nämlich ein seliges Ende.
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Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der *.txt Datei.
Wer
schmiedet Reformpläne ???
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