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Das Paradies ist hier, mitten auf Erden. Jesus sagt: „Es ist in Euch drin!“ „Sola gratia“ verweist darauf: Es gibt nichts zu tun. Alles ist schon da. Es geht nur noch um unseren Erkenntnisprozess. Das ist so ähnlich wie bei jemandem, der sich – leider – als Teenager für potthässlich hielt. Und gealtert dann seine Jugendbilder anschaut und erkennt: Was war ich hübsch!
Die reformatorische Botschaft des „sola gratia – alles ist schon da“ klingt so lange hohl, wie man dem Teenager keine Hilfe gibt, die eigene Schönheit zu fühlen. Der Reformation fehlte die Mystik. Mystik war ihr dann doch zu basisdemokratisch, unkontrollierbar. Der Mystiker lässt sein Heil nicht mehr fremd verwalten. In der Mystik wird Jesus zum Geliebten, zum Freund und Mentor, der uns auf sein Seinsniveau hebt. Das passte weder in die damalige Feudalgesellschaft noch in eine Kirche, die „Jesus“ (miss)braucht, um Menschen miese Gefühle einzureden (sie seien klein, unerreichbar fern von Gott, dauernd sündig, und sie müssen sich von Gott als Herrn beherrschen lassen). Insofern atmete auch noch die reformatorische Kirche Mittelalter und diente Herrschaftsinteressen. Sie war und blieb allzu lange als Staatskirche.
Alles ist schon da – mitten in unserm Kopf, mitten in unseren Herzen, mitten in unserem Leib. Und noch schöner: Wir leben längst im Paradies. Es war nie verloren. Wir spüren es nur nicht mehr. Kinder spüren es noch oft. Und auch Tiere. Es ist noch da. Es umgibt uns. Das meint Jesus mit seiner gratis-gratia-Botschaft: Ihr müsst Euch nichts verdienen, denn Ihr seid längst dort, wonach Ihr Euch sehnt. Es gibt nichts zu tun, es gibt nur etwas zu erkennen. Und dann wird es wichtig, diese Erkenntnis zu feiern – mit dem eigenen Leben. Jesus lädt uns zum Leben als Fest ein.
Die Mystiker aller Religionen beschäftigten sich mit der Frage, wie man solche Botschaften verstehen lernt – mit dem Herzen, dem Leib und dem Kopf. Denn genau diese Verständnisorgane sind oft zu klein, um Großes – für heutige Gesellschaftsordnungen Übergroßes – zu erfassen. Menschen werden – gegenüber der Gratisbotschaft vom „Paradies mitten in uns und um uns“ – zu Kleingeistern, Kleinmütigen und eher gebeugt denn aufrecht erzogen. Der Aufstand, das Sich-AUfrichten, muss zunächst die inneren Schallmauern des anerzogenen Kleingeistes und Kleinmutes durchbrechen. Der Feind hat sich mitten in unserem eigenen Herzen und Hirn breitgemacht.
Daher redet Jesus von Geisteraustreibung. Die Gratis-Botschaft wirkt exorzistisch. Dieser Kampf wird mit geistigen Waffen geführt. Ein ermatteter Kleingeist wird dafür trainiert, Übergroßes erfassen und ein verkrampftes Herz lernt, mit Augen des Herzens zu schauen.
Dieses Training – dieser Befreiungskampf, um scheinbar Überirdisch-Fernes als etwas zu erfassen, das mitten in uns ist, war einst eine elitäre Aufgabe von Mönchen.
Die Reformation machte klar: Die Einwohnung Gottes in unserem Herzen, Hirn und Körper eine basisdemokratische Erkenntnis werden. Sie ist für alle Menschen bestimmt und kann nicht an spirituelle Spezialisten delegiert werden. In dieser Auffassung übernahm die Reformation ein mystisches Kernanliegen. Den Erkenntnisprozess delegierte sie aber weiterhin Spezialisten: Theologen, Pfarrern – zudem: Männern. Theologen wie Luther waren aber längst keine praktizierenden Mystiker mehr wie Meister Eckart. Sie reflektierten nur noch mystische Aussagen, wie zum Beispiel das Einswerden mit Christus.
Die heute fortgeführte Reformation kann nur als mystische Basisbewegung weiterleben. Sonst stirbt der reformatorische Impuls. Austrittszahlen quittieren das Absterben. Für Theologie interessieren sich nur Wenige. Für das Leben im Paradies hingegen dürften sich alle interessieren. Zwischen gepredigter Glückseligkeit und erlebter Glückseligkeit darf die Kirche keine Kluft mehr lassen. Jesus machte die Menschen glücklich.
Mystik weist mit ihren alten wirksamen Schulungswegen für Geist, Seele und Leib Menschen in die Erfahrung der Glückseligkeit ein. Ihr geht es um die „viso beatifica“, um die „selig machende Schau“. Diese mystische Schau von Gottes Gegenwart in allen Dingen zieht den Menschen mitten in das Zentrum der Glückseligkeit hinein wie (umgekehrt) das Essen eines Kuchens. Es ist Zeit, die Menschen zum Fest zu laden!
Emanuel Jungclaussen (Hg.), Jesusgebet und neue Mystik (Hier schildert jemand, wie er um 1870 in Russland bei einem Meister das Jesusgebet lernt und wie er dadurch zum Mystiker wird)
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