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500 später: Neue Reformation durch gelebte Mystik fällig
27.01.2018
Mystik erschließt Menschen hier und jetzt den Himmel auf Erden. Sie macht das Unsichtbare sichtbar. Sie macht die für den Himmel Blinden sehend. Sie macht Einsame zu Liebenden, Unwissende weise und Fußvolk autonom. Mystik ist die Revolution des Geistes und der Herzen.
Will die Kirche die Gesellschaft umwälzend prägen, dann braucht sie Mystik. Luther befreite einst die Menschen von der Vorherrschaft der Priester und Hierarchien. Er versprach ihnen den direkten Zugang zu Gott im Allgemeinen Priestertum. Er begründete so die Ich-AG im Glauben. Er stand mit diesem Programm aber erst an den Anfängen. Er war der große Alphabetisierer. Er gab den Menschen deutsche Bibeln zum Lesen, ließ sie lesen lernen, gab ihnen Katechismus und deutsche Gesangbuchlieder.
Dieses Projekt gilt es 500 Jahre später zeitgemäß fortzuführen. Lebendige Mystik ist die Umsetzung und Vollendung des Projekts des Allgemeinen Priestertums. Ohne gelebte Mystik droht das Christentum zur Belehrung und Vertröstung zu werden.
Mit einer lebendigen Mystik tritt die Kirche zugleich in das Abenteuer ihrer Selbstverwandlung ein. Mystik aktiviert die Kirchenmitglieder, setzt sie autonom, macht sie wirklich zu PriesterInnen und TheologInnen – durch direkte Gotteserfahrung. Sie stellt Routinen, Hierarchien, leere Formeln infrage und enttarnt Gottesvergessenheit und Lieblosigkeit. Gleichzeitig erschließt sich der Kirche ein enormes Erneuerungspotentenzial: in ihrer sozialen Form, Attraktivität und Vollmacht.
Wieso kann Mystik das? Sie fokussiert auf das Wesentliche: auf die Vergöttlichung des Menschen in der Gleichgestaltung mit Jesus Christus. Jeder Mensch ist dazu bestimmt, so voll bewusst und eins mit der Quelle zu werden wie Jesus Christus. Christus ist der Prototyp, der auf Erden erschienene Bauplan für jeden Menschen. Wir gehen durch ihn in Serie. Mystik übereignet Menschen den Weg zur vollen Menschwerdung, zur weitergeführten Evolution der Menschheit.
Dies führt zu einer Relecture der Bibel: Jesus Christus ist nicht länger der mittelalterliche Herrscher, vor dem der Mensch klein und sündig bleibt. Sondern er ist das prägende Urbild jedes Menschen. Jeder Mensch ist dazu bestimmt, so mit dem Vater dauerhaft verbunden und eins zu sein, wie Jesus Christus. Jeder Mensch ist durch Teilhabe an Jesus Christus als Prototyp (dem „Erstgeborenen von Vielen“) dazu bestimmt zu sagen: „Der Vater und ich sind eins. Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Und: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Jeder ist durch Christus den Prototypen dazu bestimmt, Gleiches und Größeres zu tun wie er.
Die Kirche dient dann der Entdeckung und Entfaltung dieses Potenzials und der Erhebung der Menschen zur Gleichgestaltung mit Jesus Christus. Gottesdienst dient dann der Bewusstwerdung der Schönheit und Kraft des Menschen. Er dient der Erfahrung der liebenden Verbundenheit und der Entdeckung der Gegenwart Gottes in allen Wesen und Prozessen. Religionsunterricht dient der Erleuchtung aller Menschen zur Herrlichkeit des Menschseins. Die Evangelien zeichnen den Erleuchtungsweg jedes Menschen vor. Die Hierarchien in der Kirche dienen ihrer Selbstaufhebung. Kirche lebt vorrangig in Netzwerken. Theologie entspringt nicht dem Kopfwissen der Gegenwartskultur, sondern der Schau der Wahrheit in kontemplativer Meditation und geklärter Emotion und voll bewusster, von kulturellen Denkgewohnheiten de-automatisierter Reflexion.
Als neuen Katechismus zur göttlichen Revolution in Kopf, Herz und Hand schlage ich drei einfache alltagstaugliche Übungen vor:
(1) Kopf befreien: Fokussier Dich mitten im Alltag auf den Namen „Jesus Christus“ (oder auf Gottes Nähe wie in „Liebe umgibt mich“). Wiederhole innerlich so oft es geht diesen Namen. Hänge alles, was Dich bedrängt, kurz hinten an diesen Namen. Dein Geist wird dadurch klar, stabil und krisenfest. Die innere Sammlung im Mantra schützt Dich wie Harry Potter vor den Dementoren – vor allem, was Dich verrückt machen will und was Dir eigene Ziele aus dem Blick rückt.
(2) Herz befreien: Konzentrier dich öfter mal im Alltag auf Dein Herz. Schicke mindestens 30 Sekunden lang das Gefühl hinein, das Du bei Deinem Lieblingshobby empfindest, gern auch ein Gefühl von Liebe. Das verjüngt Dein Herz sogar körperlich und öffnet es mystisch für Gottes Gegenwart.
(3) Hände befreien: Was ist Dein Lieblingshobby? Erfinde eine Minigeste oder Minihandlung dafür. Führe diese Geste möglichst stündlich durch. Schau tapfer am Scheitern, wer bislang Deinen Willen beherrscht. Halte treu durch. Du bist zum Glücklichsein bestimmt. Deine Geste hält diese Lebensrichtung in Dir wach.
Emanuel Jungclaussen (Hg.), Jesusgebet und neue Mystik (Hier schildert jemand, wie er um 1870 in Russland bei einem Meister das Jesusgebet lernt und wie er dadurch zum Mystiker wird)
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