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Laßt ihn glauben was er will, sagte Ion: ich will euch dafür etwas erstaunliches erzählen. Ich war ein Knabe von ungefehr vierzehn Jahren; da kam jemand und meldete meinem Vater, sein Winzer Midas, einer von unsern stärksten und arbeitsamsten Knechten, liege in erbärmlichen Umständen mitten auf dem großen Platze; er sey von einer Schlange gebissen worden, und das Bein fange schon an zu faulen. Während er nehmlich in voller Arbeit gewesen die Reben an ihre Pfähle zu binden, sey die Bestie hinzugekrochen, habe ihn in die große Zähe gebissen und sich augenblicklich wieder in ihre Höle hinein gemacht: nun liege der arme Mensch und schreye und vergehe vor Schmerzen. Während der Mann diesen Bericht erstattete, sahen wir den armen Midas den seine Mitknechte auf einer Pritsche herbey trugen; er war ganz aufgeschwollen, braun und blau, gieng schon zusehends in Fäulnis und hohlte nur noch schwach Athem. Wie nun einer der umstehenden Freunde meinen Vater sehr betrübt über diesen Zufall sah, sagte er zu ihm: Gieb dich zufrieden! ich will gehen und dir in einem Augenblick einen Babylonier, einen von den sogenannten Chaldäern herbringen; der soll dir den Menschen gleich wieder auf die Beine gestellt haben! Daß ichs kurz mache, der Babylonier kam, und stellte den Midas wieder her; und das lediglich mittelst einer Beschwörung, wodurch er ihm das Gift aus dem Leibe herauszog, und mit einem Stückchen, das er vom Leichenstein einer verstorbenen Jungfrau abgeschlagen hatte, und um den kranken Fuß band.1) Es mag vielleicht nichts ausserordentliches seyn, indessen ist gewiß, daß Midas die nehmliche Pritsche, worauf er hergetragen worden war, auf die Schultern nahm, und frisch und gesund nach unserm Gute davon gieng. Und das vermochte gleichwohl die Beschwörung und der Leichenstein! Übrigens weiß ich von diesem Babylonier noch andere Dinge, die man wohl mit Wahrheit übernatürlich nennen kann. Eines Morgens früh kam er auf unser Gut, und, nachdem er mit einer Fackel in der Hand die Feldmark dreymal umgegangen und sie mit Schwefel ausgereiniget hatte, laß er aus einem alten Buche2) sieben uns unbekannte heilige Nahmen mit lauter Stimme her, und trieb damit alle Schlangen und kriechende Ungeziefer, so viel ihrer waren, aus unsrer ganzen Feldmark aus. Es kamen also, durch die Kraft seiner Beschwörung wie mit Seilen herbeygezogen, eine Menge Schlangen, Vipern, Nattern, Zerasten, Schießschlangen, Unken und Kröten, und stellten sich um ihn her. Ein einziger abgelebter Drache war zurückgeblieben, vermuthlich weil er vor hohem Alter nicht mehr aus seinem Loche hervorkriechen konnte, und also dem Befehl ungehorsam geblieben war. Ihr seyd nicht alle da, sagte der Zauberer. Indem winkte er eine von den jüngsten Schlangen hervor und schickte sie an den alten Drachen ab; der denn auch nicht lange ausblieb. Wie sie nun alle beysammen waren, bließ sie der Babylonier an, und auf dem Platze wurden sie von diesem Anhauch alle zu Asche verbrannt.3) Ihr könnt euch vorstellen was wir für Augen machten!4)
Wenn ich fragen darf, Ion, sagte ich, führte der junge Lindwurm, der Abgesandte, den Alten, der (wie du sagtest) nicht mehr gehen konnte, bey der Hand, oder kam er an einem Stabe angestochen?
Das soll gespottet seyn, merke ich, sagte Kleodemus; es war eine Zeit wo ich noch ungläubiger über dergleichen Dinge war als du, und es schlechterdings für unmöglich hielt, daß ich jemals sollte bewogen werden können so was zu glauben: aber wie ich einen gewissen Ausländer (er gab sich für einen Hyperboreer5) aus) fliegen sah, da glaubte ich und gab mich nach langem Widerstand endlich überwunden. Was konnt' ich machen, da ich ihn bey hellem Tage durch die Luft daherfahren, auf dem Wasser gehen und mit gelassenen Schritten durchs Feuer spazieren sah?
Wie? rief ich, du hast einen Hyperboreer fliegen und auf dem Wasser gehen sehen?
Allerdings, antwortete jener, und zwar in Schuhen von Juchten, wie es bey seinen Landesleuten gebräuchlich ist. Von den Kleinigkeiten, die er uns sehen ließ, will ich gar nicht reden: z. B. wie er die Leute durch Zaubermittel verliebt machte, Geister citierte, Todte die schon in Verwesung giengen auferweckte, die Hekate selbst uns leibhaftig vor Augen stellte, Lunen vom Himmel herabzog und was dergleichen mehr ist. Statt alles dessen will ich euch nur eines erzählen, was ich ihn beym Glaucias, des Alexikles Sohn, habe machen sehen. Dieser Glaucias war durch seines Vaters Tod eben zum Besitze seines Vermögens gekommen, als er in die schöne Chrysis, Demanets Tochter, verliebt wurde. Ich war damals sein Lehrer in der speculativen Philosophie, und wenn ihm sein Liebeshandel den Kopf nicht so sehr eingenommen hätte, er würde gewiß von unsrer ganzen Encyklopädie Meister worden seyn; denn er analysirte schon in seinem achtzehnten Jahre, und hatte die Physik von Anfang bis zu Ende durchgehört. Wie er sich nun mit seiner Liebe gar nicht mehr zu helfen wußte, entdeckte er mir den Zustand seines Herzens. Ich führte ihm also (wie billig, da ich sein Lehrer war) den besagten Hyperboreischen Zauberer zu, nachdem ich diesem letztern vier Minen baar auf die Hand gegeben hatte; denn es mußte etwas zu den erfoderlichen Opfern vorausbezahlt werden.6) Sechzehn Minen sollte er bekommen, wenn Glaucias das Ziel seiner Wünsche bey Chrysis erlangt hätte. Sobald nun der Mond voll war (denn dergleichen magische Handlungen werden meistens um diese Zeit vorgenommen) so machte er in einem Vorhofe des Hauses unter freyem Himmel eine Grube, und rief uns um Mitternacht zuerst den Vater des Glaucias, der vor sieben Monaten verstorben war, hervor. Der Alte war anfangs sehr ungehalten und zornig über die Leidenschaft seines Sohnes; doch ließ er sich endlich besänftigen und gab seinen Willen drein. Hiernächst rief er die Hekate hervor, die von ihrem dreyköpfigen Hunde begleitet wurde, und darauf zog er Lunen vom Himmel herab. Dies war ein wundervolles Schauspiel, wo immer eine Erscheinung von der andern verdrängt wurde. Denn zuerst präsentierte sie sich in weiblicher Gestalt, hernach wurde sie eine wunderschöne Kuh, und zuletzt ein kleines Hündchen.7) Endlich nahm der Hyperboreer ein wenig Leimen, bildete einen kleinen Cupido daraus, und sagte zu ihm: geh und bringe die Chrysis her. Der Leimen fliegt davon, und bald darauf klopft Chrysis an die Thür; man macht ihr auf, sie rennt wie rasend vor Liebe dem Glaucias mit ofnen Armen an den Hals, und bleibt bey ihm bis wir die Hähne singen hörten. Denn da flog Luna wieder nach dem Himmel zurück, Hekate tauchte wieder in die Erde unter, alle übrigen Phantomen verschwanden, und mit Anbruch der Morgenröthe schickten wir auch die Chrysis wieder fort. Wärest du von allem diesem ein Augenzeuge gewesen, Tychiades, du würdest gewiß nicht länger zweifeln, daß in den Beschwörungsformeln große Kräfte liegen.
Da sprichst du wie ein weiser Mann, erwiederte ich; ganz gewiß würde ich glauben, wenn ich das alles wirklich gesehen hätte: so aber ist mirs zu verzeihen, denke ich, daß ich kein so scharfes Gesicht für solche Dinge habe wie ihr. Übrigens kenne ich die Chrysis, von der die Rede war, als eine der zahmsten und gefälligsten ihrer Gattung, und ich sehe nicht wozu ihr einen leimernen Unterhändler, einen Zauberer aus den Hyperboreischen Gegenden, und Lunen selbst bey ihr nötig hattet, da sie euch um zwanzig Drachmen bis zu den Hyperboreern nachgeloffen wäre. Denn mit diesem Zauber ist die gute Nymfe gleich überwältigt, und es geht ihr damit just umgekehrt wie den Gespenstern. Diese verschwinden, wie ihr andern sagt, sobald sie etwas metallnes hören; bey jener aber kann man sich darauf verlassen, daß sie dem Tone nachgeht wenn sie Silber klingen hört. Außerdem wundert es mich, warum der Zauberer selbst, da es nur auf ihn ankommt, die reichsten Weiber in sich verliebt zu machen, und bey Tausenden damit zu verdienen, sich mit dem kleinfügigen Gewinn abgeben mag, einem Glaucias um lumpichte vier Minen in seinen Liebesnöten behülflich zu seyn.
Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der Ursprungsdatei.
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