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Papsttum und Kirchenstaat1), als eine ganz ausnahmsweise Schöpfung, haben uns bisher, bei der Feststellung des Charakters italienischer Staaten überhaupt, nur beiläufig beschäftigt. Gerade das, was sonst diese Staaten interessant macht, die bewusste Steigerung und Konzentration der Machtmittel, findet sich im Kirchenstaat am wenigsten, indem hier die geistliche Macht die mangelhafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und ersetzen hilft. Welche Feuerproben hat der so konstituierte Staat im 14. und beginnenden 15. Jahrhundert ausgehalten! Als das Papsttum nach Südfrankreich gefangengeführt wurde, ging anfangs alles aus den Fugen, aber Avignon hatte Geld, Truppen und einen grossen Staats- und Kriegsmann, der den Kirchenstaat wieder völlig unterwarf, den Spanier Albornoz. Noch viel grösser war die Gefahr einer definitiven Auflösung, als das Schisma hinzutrat, als allmählich weder der römische noch der avignonesische Papst reich genug war, um den von neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herstellung der Kircheneinheit gelang dies unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals, nachdem sich die Gefahr unter Eugen IV. erneuert hatte. Allein der Kirchenstaat war und blieb einstweilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papsttum die grossen Adelsfamilien der Colonna, Savelli, Orsini, Anguillara usw.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt fast keine jener Stadtrepubliken mehr, welchen einst das Papsttum für ihre Anhänglichkeit so wenig Dank gewusst hatte, aber dafür eine Menge grosser und kleiner Fürstenhäuser, deren Gehorsam und Vasallentreue nicht viel besagen wollte. Als besondere, aus eigener Kraft bestehende Dynastien haben sie auch ihr besonderes Interesse, und in dieser Beziehung ist oben (S. 54, 70) bereits von den wichtigsten derselben die Rede gewesen.
Gleichwohl sind wir auch dem Kirchenstaat als Ganzem hier eine kurze Betrachtung schuldig. Neue merkwürdige Krisen und Gefahren kommen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts über ihn, indem der Geist der italienischen Politik von verschiedenen Seiten her sich auch seiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade seiner Raison zu leiten sucht. Die geringern dieser Gefahren kommen von aussen oder aus dem Volke, die grössern haben ihre Quelle in dem Gemüt der Päpste selbst.
Das transalpinische Ausland darf zunächst ausser Betracht bleiben. Wenn dem Papsttum in Italien eine tödliche Bedrohung zustiess, so hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Rosenkriege, noch das einstweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um sein Basler Konzil betrogene Deutschland die geringste Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können. In Italien selber gab es eine gewisse Anzahl gebildeter und auch wohl Ungebildeter, welche eine Art von Nationalstolz dareinsetzten, dass das Papsttum dem Lande gehöre; sehr viele hatten ein bestimmtes Interesse dabei, dass es so sei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubte auch noch an die Kraft der päpstlichen Weihen und Segnungen2), darunter auch grosse Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli, der noch um den Ablass Alexanders VI. flehte, als ihn der Sohn des Papstes erwürgen liess3). Allein alle diese Sympathien zusammen hätten wiederum das Papsttum nicht gerettet gegenüber von wahrhaft entschlossenen Gegnern, die den vorhandenen Hass und Neid zu benützen gewusst hätten.
Und bei so geringer Aussicht auf äussere Hülfe entwickeln sich gerade die allergrössten Gefahren im Innern des Papsttums selber. Schon indem dasselbe jetzt wesentlich im Geist eines weltlichen italienischen Fürstentums lebte und handelte, musste es auch die düstern Momente eines solchen kennenlernen; seine eigentümliche Natur aber brachte noch ganz besondere Schatten hinein.
Was zunächst die Stadt Rom betrifft, so hat man von jeher dergleichen getan, als ob man ihre Aufwallungen wenig fürchte, da so mancher durch Volkstumult vertriebene Papst wieder zurückgekehrt sei und die Römer um ihres eigenen Interesses willen die Gegenwart der Kurie wünschen müssten. Allein Rom entwickelte nicht nur zuzeiten einen spezifisch antipäpstlichen Radikalismus4), sondern es zeigte sich auch mitten in den bedenklichsten Komplotten die Wirkung unsichtbarer Hände von aussen. So bei der Verschwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papst, welcher gerade der Stadt Rom die grössten Vorteile gewährt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckte einen Umsturz der päpstlichen Herrschaft überhaupt und hatte dabei grosse Mitwisser, die zwar nicht genannt werden5), sicher aber unter den italienischen Regierungen zu suchen sind. Unter demselben Pontifikat schloss Lorenzo Valla seine berühmte Deklamation gegen die Schenkung Constantins mit einem Wunsch um baldige Säkularisation des Kirchenstaates6).
Auch die catilinarische Rotte, mit welcher Pius II. (1459) kämpfen musste7), verhehlte es nicht, dass ihr Ziel der Sturz der Priesterherrschaft im allgemeinen sei, und der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrsagern die Schuld, welche ihm die Erfüllung dieses Wunsches eben auf dieses Jahr verheissen hätten. Mehrere römische Grosse, der Fürst von Tarent und der Condottiere Jacopo Piccinino, waren die Mitwisser und Beförderer. Und wenn man bedenkt, welche Beute in den Palästen reicher Prälaten bereitlag (jene hatten besonders den Kardinal von Aquileja im Auge), so fällt es eher auf, dass in der fast ganz unbewachten Stadt solche Versuche nicht häufiger und erfolgreicher waren. Nicht umsonst residierte Pius lieber überall als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Komplottes ähnlicher Art ausgestanden8). Das Papsttum musste entweder einmal einem solchen Anfall unterliegen oder gewaltsam die Faktionen der Grossen bändigen, unter deren Schutz jene Räuberscharen heranwuchsen.
Diese Aufgabe setzte sich der schreckliche Sixtus IV. Er zuerst hatte Rom und die Umgebung fast völlig in der Gewalt, zumal seit der Verfolgung der Colonnesen, und deshalb konnte er auch in Sachen des Pontifikates sowohl als der italienischen Politik mit so kühnem Trotz verfahren und die Klagen und Konzilsdrohungen des ganzen Abendlandes überhören. Die nötigen Geldmittel lieferte eine plötzlich ins Schrankenlose wachsende Simonie, welche von den Kardinalsernennungen bis auf die kleinsten Gnaden und Bewilligungen herunter sich alles unterwarf9). Sixtus selbst hatte die päpstliche Würde nicht ohne Bestechung erhalten.
Eine so allgemeine Käuflichkeit konnte einst dem römischen Stuhl üble Schicksale zuziehen, doch lagen dieselben in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Nepotismus, welcher das Pontifikat selber einen Augenblick aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten genoss anfangs Kardinal Pietro Riario bei Sixtus die grösste und fast ausschliessliche Gunst; ein Mensch, welcher binnen kurzem die Phantasie von ganz Italien beschäftigte10), teils durch ungeheuern Luxus, teils durch die Gerüchte, welche über seine Gottlosigkeit und seine politischen Pläne laut wurden. Er hat sich (1473) mit Herzog Galeazzo Maria von Mailand dahin verständigt, dass dieser König der Lombardie werden und ihn, den Nepoten, dann mit Geld und Truppen unterstützen solle, damit er bei seiner Heimkehr nach Rom den päpstlichen Stuhl besteigen könne; Sixtus würde ihm denselben, scheint es, freiwillig abgetreten haben11). Dieser Plan, welcher wohl auf eine Säkularisation des Kirchenstaates als Folge der Erblichmachung des Stuhles hinausgelaufen wäre, scheiterte dann durch Pietros plötzliches Absterben. Der zweite Nepot, Girolamo Riario, blieb weltlichen Standes und tastete das Pontifikat nicht an; seit ihm aber vermehren die päpstlichen Nepoten die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem grossen Fürstentum. Früher war es etwa vorgekommen, dass die Päpste ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zugunsten ihrer Verwandten geltend machen wollten12); seitdem dies aber auch noch Calixt III. misslungen, war hieran nicht mehr so leicht zu denken, und Girolamo Riario musste, nachdem die Ueberwältigung von Florenz (und wer weiss wie mancher andere Plan) misslungen war, sich mit Gründung einer Herrschaft auf Grund und Boden des Kirchenstaates selber begnügen. Man mochte dies damit rechtfertigen, dass die Romagna mit ihren Fürsten und Stadttyrannen der päpstlichen Oberherrschaft völlig zu entwachsen drohte, oder dass sie in kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf diese Weise eingriff. Allein wer garantierte in jenen Zeiten und Verhältnissen den dauernden Gehorsam solcher souverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpste, die sie weiter nichts mehr angingen? Selbst der noch lebende Papst war nicht immer seines eigenen Sohnes oder Neffen sicher, und vollends lag die Versuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieses ganzen Verhältnisses auf das Papsttum selbst waren von der bedenklichsten Art; alle, auch die geistlichen Zwangsmittel wurden ohne irgendwelche Scheu an den zweideutigsten Zweck gewandt, welchem sich die andern Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mussten, und wenn das Ziel unter heftigen Erschütterungen und allgemeinem Hass erreicht war, so hatte man eine Dynastie geschaffen, welche das grösste Interesse am Untergang des Papsttums hatte.
Als Sixtus starb, konnte sich Girolamo nur mit äusserster Mühe und nur durch den Schutz des Hauses Sforza (dem seine Gemahlin angehörte) in seinem erschwindelten Fürstentum (Forlì und Imola) halten. Bei dem nun (1484) folgenden Konklave - in welchem Innocenz VIII. gewählt wurde - trat eine Erscheinung zutage, welche beinahe einer neuen äussern Garantie des Papsttums ähnlich sieht: zwei Kardinäle, welche Prinzen regierender Häuser sind, lassen sich ihre Hülfe auf das schamloseste durch Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d'Aragona, Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder des Moro13). So waren wenigstens die Herrscherhäuser von Neapel und Mailand durch Teilnahme an der Beute beim Fortbestand des päpstlichen Wesens interessiert. Noch einmal beim folgenden Konklave, als alle Kardinäle bis auf fünf sich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Bestechungen an und behielt sich ausserdem die Hoffnung14) vor, das nächstemal selber Papst zu werden.
Auch Lorenzo magnifico wünschte, dass das Haus Medici nicht leer ausgehe. Er vermählte seine Tochter Maddalena mit dem Sohn des neuen Papstes, Franceschetto Cybò, und erwartete nun nicht bloss allerlei geistliche Gunst für seinen eigenen Sohn Kardinal Giovanni (den künftigen Leo X.), sondern auch eine rasche Erhebung des Schwiegersohns15). Allein in letzteren Betracht verlangte er Unmögliches. Bei Innocenz VIII. konnte von dem kecken, staatengründenden Nepotismus deshalb nicht die Rede sein, weil Franceschetto ein ganz kümmerlicher Mensch war, dem es, wie seinem Vater, dem Papste, nur um den Genuss der Macht im niedrigsten Sinne, namentlich um den Erwerb grosser Geldmassen16) zu tun sein konnte. Die Art jedoch, wie Vater und Sohn dies Geschäft trieben, hätte auf die Länge zu einer höchst gefährlichen Katastrophe, zur Auflösung des Staates, führen müssen. Hatte Sixtus das Geld beschafft durch den Verkauf aller geistlichen Gnaden und Würden, so errichten Innocenz und sein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Totschlag zu haben ist; von jeder Busse kommen 150 Dukaten an die päpstliche Kammer, und was darüber geht, an Franceschetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten Zeiten dieses Pontifikates von protegierten und nicht protegierten Mördern; die Faktionen, mit deren Unterwerfung Sixtus den Anfang gemacht, stehen wieder in voller Blüte da; dem Papst in seinem wohlverwahrten Vatikan genügt es, da und dort Fallen aufzustellen, in welchen sich zahlungsfähige Verbrecher fangen sollen. Für Franceschetto aber gab es nur noch eine Hauptfrage: auf welche Art er sich, wenn der Papst stürbe, mit möglichst grossen Kassen aus dem Staube machen könne? Er verriet sich einmal bei Anlass einer falschen Todesnachricht (1490); alles überhaupt vorhandene Geld - den Schatz der Kirche - wollte er fortschaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte, sollte wenigstens der Türkenprinz Dschem mitgehen, ein lebendiges Kapital, das man um hohen Preis etwa an Ferrante von Neapel verhandeln konnte17).
Es ist schwer, politische Möglichkeiten in längst vergangenen Zeiten zu berechnen; unabweisbar aber drängt sich die Frage auf, ob Rom noch zwei oder drei Pontifikate dieser Art ausgehalten hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es unklug, die Dinge so weit kommen zu lassen, dass nicht bloss der Reisende und der Pilger, sondern eine ganze Ambassade des römischen Königs Maximilian in der Nähe von Rom bis aufs Hemde ausgezogen wurde und dass manche Gesandte unterwegs umkehrten, ohne die Stadt betreten zu haben. Mit dem Begriff vom Genuss der Macht, welcher in dem hochbegabten Alexander VI. (1492-1503) lebendig war, vertrug sich ein solcher Zustand freilich nicht, und das erste, was geschah, war die einstweilige Herstellung der öffentlichen Sicherheit und das präzise Auszahlen aller Besoldungen. Strenge genommen, dürfte dieses Pontifikat hier, wo es sich um italienische Kulturformen handelt, übergangen werden, denn die Borgia sind so wenig Italiener als das Haus von Neapel. Alexander spricht mit Cesare öffentlich spanisch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara, wo sie spanische Toilette trägt, von spanischen Buffonen angesungen; die vertrauteste Hausdienerschaft besteht aus Spaniern, ebenso die verrufenste Kriegerschar des Cesare im Krieg des Jahres 1500, und selbst sein Henker, Don Micheletto, sowie der Giftmischer Sebastian Pinzon scheinen Spanier gewesen zu sein.
Zwischen all seinem sonstigen Treiben erlegt Cesare auch einmal spanisch kunstgerecht sechs wilde Stiere in geschlossenem Hofraum. Allein die Korruption, als deren Spitze diese Familie erscheint, hatten sie in Rom schon sehr entwickelt angetroffen. Was sie gewesen sind und was sie getan haben, ist oft und viel geschildert worden. Ihr nächstes Ziel, welches sie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kirchenstaates, indem die sämtlichen18) kleinen Herrscher - meist mehr oder weniger unbotmässige Vasallen der Kirche - vertrieben oder zernichtet und in Rom selbst beide grosse Faktionen zu Boden geschmettert wurden, die angeblich guelfischen Orsinen so gut wie die angeblich ghibellinischen Colonnesen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden, waren so schrecklich, dass das Papsttum an den Konsequenzen derselben notwendig hätte zugrunde gehen müssen, wenn nicht ein Zwischenereignis (die gleichzeitige Vergiftung von Vater und Sohn) die ganze Lage der Dinge plötzlich geändert hätte. - Auf die moralische Entrüstung des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldigung; die ausländischen Fürsten liessen sich gewinnen, und Ludwig XII. half ihm sogar aus allen Kräften, die Bevölkerungen aber ahnten kaum, was in Mittelitalien vorging. Der einzige in diesem Sinne wahrhaft gefährliche Moment, als Karl VIII. in der Nähe war, ging unerwartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es sich nicht um das Papsttum als solches19), sondern höchstens um Verdrängung Alexanders durch einen bessern Papst. Die grosse, bleibende und wachsende Gefahr für das Pontifikat lag in Alexander selbst und vor allem in seinem Sohne Cesare Borgia. In dem Vater waren Herrschbegier, Habsucht und Wollust mit einem starken und glänzenden Naturell verbunden.
Was irgend zum Genuss von Macht und Wohlleben gehört, das gönnte er sich vom ersten Tage an im weitesten Umfang. In den Mitteln zu diesem Zwecke erscheint er sogleich völlig unbedenklich; man wusste auf der Stelle, dass er die für seine Papstwahl aufgewandten Opfer mehr als nur wieder einbringen würde20), und dass die Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde überboten werden. Es kam hinzu, dass Alexander von seinem Vize-Kanzellariat und andern frühern Aemtern her die möglichen Geldquellen besser kannte und mit grösserm Geschäftstalent zu handhaben wusste als irgendein Kuriale. Schon im Lauf des Jahres 1494 geschah es, dass ein Karmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Simonie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in seinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen Kardinal ausser gegen Erlegung hoher Summen ernannt. Als aber der Papst mit der Zeit unter die Herrschaft seines Sohnes geriet, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig satanischen Charakter an, der notwendig auf die Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römischen Grossen und gegen die romagnolischen Dynasten geschah, überstieg im Gebiet der Treulosigkeit und Grausamkeit sogar dasjenige Mass an welches z. B. die Aragonesen von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das Talent der Täuschung war grösser. Vollends grauenhaft ist die Art und Weise, wie Cesare den Vater isoliert, indem er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und Höflinge ermordet, sobald ihm deren Gunst beim Papst oder ihre sonstige Stellung unbequem wird. Alexander musste zu der Ermordung seines geliebtesten Sohnes, des Duca di Gandia, seine Einwilligung geben21), weil er selber stündlich vor Cesare zitterte.
Welches waren nun die tiefsten Pläne des letztern? Noch in den letzten Monaten seiner Herrschaft, als er eben die Condottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und faktisch Herr des Kirchenstaates war (1503), äusserte man sich in seiner Nähe leidlich bescheiden: der Herzog wolle bloss Faktionen und Tyrannen unterdrücken, alles nur zum Nutzen der Kirche; für sich bedinge er sich höchstens die Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller folgenden Päpste sicher sein, da er ihnen Orsinen und Colonnesen vom Halse geschafft22). Aber niemand wird dies als seinen letzten Gedanken gelten lassen. Schon etwas weiter ging einmal Papst Alexander selbst mit der Sprache heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianischen Gesandten, indem er seinen Sohn der Protektion von Venedig empfahl: »Ich will dafür sorgen«, sagte er, »dass einst das Papsttum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt23).« Cesare freilich fügte bei: es solle nur Papst werden, wen Venedig wolle, und zu diesem Endzweck brauchten nur die venezianischen Kardinäle recht zusammenzuhalten. Ob er damit sich selbst gemeint, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls genügt die Aussage des Vaters, um seine Absicht auf die Besteigung des päpstlichen Thrones zu beweisen.
Wiederum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia Borgia, insofern gewisse Stellen in den Gedichten des Ercole Strozza der Nachklang von Aeusserungen sein dürften, die sie als Herzogin von Ferrara sich wohl erlauben konnte. Zunächst ist auch hier von Cesares Aussicht auf das Papsttum die Rede24), allein dazwischen tönt etwas von einer gehofften Herrschaft über Italien im allgemeinen25), und am Ende wird angedeutet, dass Cesare gerade als weltlicher Herrscher das Grösste vorgehabt und deshalb einst den Kardinalshut niedergelegt habe26). In der Tat kann kein Zweifel darüber walten, dass Cesare, nach Alexanders Tode zum Papst gewählt oder nicht, den Kirchenstaat um jeden Preis zu behaupten gedachte und dass er dies, nach allem, was er verübt hatte, als Papst unmöglich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgendeiner, so hätte er den Kirchenstaat säkularisiert27) und hätte es tun müssen, um dort weiter zu herrschen. Trügt uns nicht alles, so ist dies der wesentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den grossen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von niemand durfte er hoffen, dass er »das Eisen aus der Wunde ziehe«, d. h. das Papsttum, die Quelle aller Interventionen und aller Zersplitterung Italiens, zernichte. -
Die Intriganten, welche Cesare zu erraten glaubten, wenn sie ihm das Königtum von Toscana spiegelten, wies er, wie es scheint, mit Verachtung von sich28). Doch alle logischen Schlüsse aus seinen Prämissen sind vielleicht eitel - nicht wegen einer sonderlichen dämonischen Genialität, die ihm so wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland - sondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig konsequenten Handlungsweise im grossen verträglich sind. Vielleicht hätte in dem Uebermass von Bosheit sich wieder eine Aussicht der Rettung für das Papsttum aufgetan, auch ohne jenen Zufall, der seiner Herrschaft ein Ende machte. Wenn man auch annimmt, dass die Zernichtung aller Zwischenherrscher im Kirchenstaate dem Cesare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schar, die 1503 seinem Glücke folgte - die besten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Oberingenieur - als Beweis seiner grossen Aussichten gelten lässt, so gehört doch anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, so dass unser Urteil darob irre wird wie das der Zeitgenossen. Von dieser Art ist besonders die Verheerung und Misshandlung des eben gewonnenen Staates29), den Cesare doch zu behalten und zu beherrschen gedenkt. Sodann der Zustand Roms und der Kurie in den letzten Jahren des Pontifikates.
Sei es, dass Vater und Sohn eine förmliche Proskriptionsliste entworfen hatten30), sei es, dass die Mordbeschlüsse einzeln gefasst wurden - die Borgia legten sich auf heimliche Zernichtung aller derer, welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erbschaft ihnen begehrenswert schien. Kapitalien und fahrende Habe waren noch das wenigste dabei; viel einträglicher für den Papst war es, dass die Leibrenten der betreffenden geistlichen Herren erloschen und dass er die Einkünfte ihrer Aemter während der Vakanz und den Kaufpreis derselben bei neuer Besetzung einzog. Der venezianische Gesandte Paolo Capello31) meldete im Jahr 1500 wie folgt: »Jede Nacht findet man zu Rom 4 oder 5 Ermordete, nämlich Bischöfe, Prälaten und andere, so dass ganz Rom davor zittert, von dem Herzog (Cesare) ermordet zu werden.« Er selber zog des Nachts mit seinen Garden in der erschrockenen Stadt herum32), und es ist aller Grund vorhanden, zu glauben, dass dies nicht bloss geschah, weil er, wie Tiberius, sein scheusslich gewordenes Antlitz bei Tage nicht mehr zeigen mochte, sondern um seiner tollen Mordlust ein Genüge zu tun, vielleicht auch an ganz Unbekannten. Schon im Jahr 1499 war die Desperation hierüber so gross und allgemein, dass das Volk viele päpstliche Gardisten überfiel und umbrachte33). Wem aber die Borgia mit offener Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für diejenigen Fälle, wo einige Diskretion nötig schien, wurde jenes schneeweisse, angenehm schmeckende Pulver34) gebraucht, welches nicht blitzschnell, sondern allmählich wirkte und sich unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimischen liess. Schon Prinz Dschem hatte davon in einem süssen Trank mit bekommen, bevor ihn Alexander an Karl VIII. auslieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten sich Vater und Sohn damit, indem sie zufällig von dem für einen reichen Kardinal bestimmten Wein genossen.
Der offizielle Epitomator der Papstgeschichte, Onufrio Panvinio35), nennt drei Kardinäle, welche Alexander hat vergiften lassen (Orsini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten an, welchen Cesare auf seine Rechnung nahm (Giovanni Borgia); es möchten aber damals selten reichere Prälaten in Rom gestorben sein ohne einen Verdacht dieser Art. Auch stille Gelehrte, die sich in eine Landstadt zurückgezogen, erreichte ja das erbarmungslose Gift. Es fing an, um den Papst herum nicht mehr recht geheuer zu werden; Blitzschläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und Gemächer einstürzten, hatten ihn schon früher in auffallender Weise heimgesucht und in Schrecken gesetzt; als 150036) sich diese Erscheinungen wiederholten, fand man darin »cosa diabolica«. Das Gerücht von diesem Zustande der Dinge scheint durch das starkbesuchte37) Jubiläum von 1500 doch endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu sein, und die schmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablasses tat ohne Zweifel das übrige, um alle Augen auf Rom zu lenken38). Ausser den heimkehrenden Pilgern kamen auch sonderbare weisse Büsser aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat, welche nicht werden geschwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Aergernis des Abendlandes noch hätte steigen müssen, ehe es für Alexander eine unmittelbare Gefahr erzeugte. »Er hätte«, sagt Panvinio anderswo39), »auch die noch übrigen reichen Kardinäle und Prälaten aus der Welt geschafft, um sie zu erben, wenn er nicht, mitten in den grössten Absichten für seinen Sohn, dahingerafft worden wäre.« Und was würde Cesare getan haben, wenn er im Augenblick, da sein Vater starb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Konklave wäre das geworden, wenn er sich einstweilen, mit all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift zweckmässig reduziertes Kardinalskollegium zum Papst wählen liess, zumal in einem Augenblick, da keine französische Armee in der Nähe gewesen wäre! Die Phantasie verliert sich, sobald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen Abgrund. Statt dessen folgte das Konklave Pius III. und nach dessen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaktion. Welches auch die Privatsitten Julius II. sein mochten, in den wesentlichen Beziehungen ist er der Retter des Papsttums.
Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontifikaten seit seinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefern Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpstlichen Ansehens gewährt, und danach richtete er nun seine Herrschaft ein und widmete ihr die ganze Kraft und Leidenschaft seiner unerschütterlichen Seele. Zwar nicht ohne bedenkliche Verhandlungen, doch ohne Simonie, unter allgemeinem Beifall stieg er die Stufen des Stuhles Petri hinan, und nun hörte wenigstens der eigentliche Handel mit den höchsten Würden gänzlich auf. Julius hatte Günstlinge und darunter sehr unwürdige, allein des Nepotismus war er durch ein besonderes Glück überhoben: sein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der Erbin von Urbino, Schwester des letzten Montefeltro Guidobaldo, und aus dieser Ehe war seit 1491 ein Sohn, Francesco Maria della Rovere vorhanden, welcher zugleich rechtmässiger Nachfolger im Herzogtum Urbino und päpstlicher Nepot war. Was nun Julius sonst irgend erwarb, im Kabinett oder durch seine Feldzüge, das unterwarf er mit hohem Stolz der Kirche und nicht seinem Hause; den Kirchenstaat, welchen er in voller Auflösung angetroffen, hinterliess er völlig gebändigt und durch Parma und Piacenza vergrössert. Es lag nicht an ihm, dass nicht auch Ferrara für die Kirche eingezogen wurde.
Die 700 000 Dukaten, welche er beständig in der Engelsburg liegen hatte, sollte der Kastellan einst niemandem als dem künftigen Papst ausliefern. Er erbte die Kardinäle, ja alle Geistlichen, die in Rom starben, und zwar auf rücksichtslose Weise40), aber er vergiftete und mordete keinen. Dass er selber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat ihm in Italien sicher nur genützt zu einer Zeit, da man entweder Amboss oder Hammer sein musste, und da die Persönlichkeit mehr wirkte als das besterworbene Recht. Wenn er aber trotz all seines hochbetonten: »Fort mit den Barbaren!« gleichwohl am meisten dazu beitrug, daß die Spanier in Italien sich recht festsetzten, so konnte dies für das Papsttum gleichgültig, ja vielleicht relativ vorteilhaft erscheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spaniens am ehesten ein dauernder Respekt vor der Kirche zu erwarten41), während die italienischen Fürsten vielleicht nur noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? - Wie dem aber sei, der mächtige originelle Mensch, der keinen Zorn herunterschlucken konnte und kein wirkliches Wohlwollen verbarg, machte im ganzen den für seine Lage höchst wünschbaren Eindruck eines »Pontefice terribile«. Er konnte sogar wieder mit relativ gutem Gewissen die Berufung eines Konzils nach Rom wagen, womit dem Konzilsgeschrei der ganzen europäischen Opposition Trotz geboten war. Ein solcher Herrscher bedurfte auch eines grossartigen äussern Symboles seiner Richtung; Julius fand dasselbe im Neubau von St. Peter; die Anlage desselben, wie sie Bramante wollte, ist vielleicht der grösste Ausdruck aller einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen Künsten lebt Andenken und Gestalt dieses Papstes im höchsten Sinne fort, und es ist nicht ohne Bedeutung, dass selbst die lateinische Poesie jener Tage für Julius in andere Flammen gerät als für seine Vorgänger.
Der Einzug in Bologna, am Ende des »Iter Julii secundi«, von Kardinal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der schönsten Elegien42) den Patrioten im Papst um Schutz für Italien angerufen. Julius hatte durch eine donnernde Konstitution43) seines lateranensischen Konzils die Simonie bei der Papstwahl verboten. Nach seinem Tode (1513) wollten die geldlustigen Kardinäle dieses Verbot dadurch umgehen, dass eine allgemeine Abrede proponiert wurde, wonach die bisherigen Pfründen und Aemter des zu Wählenden gleichmässig unter sie verteilt werden sollten; sie würden dann den pfründenreichsten Kardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario) gewählt haben44). Allein ein Aufschwung hauptsächlich der jüngern Mitglieder des heiligen Kollegiums, welche vor allem einen liberalen Papst wollten, durchkreuzte jene jämmerliche Kombination; man wählte Giovanni Medici, den berühmten Leo X. Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der Sonnenhöhe der Renaissance die Rede sein wird; hier ist nur darauf hinzuweisen, dass unter ihm das Papsttum wieder grosse innere und äussere Gefahren erlitt. Darunter ist nicht zu rechnen die Verschwörung der Kardinäle Petrucci, Sauli, Riario und Corneto, weil diese höchstens einen Personenwechsel zur Folge haben konnte; auch fand Leo das wahre Gegenmittel in Gestalt jener unerhörten Kreation von 31 neuen Kardinälen, welche noch dazu einen guten Effekt machte, weil sie zum Teil das wahre Verdienst belohnte45).
Höchst gefährlich aber waren gewisse Wege, auf welchen Leo in den zwei ersten Jahren seines Amtes sich betreten ließ. Durch ganz ernstliche Unterhandlungen suchte er seinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und seinem Neffen Lorenzo ein grosses oberitalisches Reich zu verschaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara umfasst haben würde46). Es leuchtet ein, dass der Kirchenstaat, auf solche Weise eingerahmt, eine mediceische Apanage geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu säkularisieren nötig gehabt. Der Plan scheiterte an den allgemeinen politischen Verhältnissen; Giuliano starb beizeiten; um Lorenzo dennoch auszustatten, unternahm Leo die Vertreibung des Herzogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog sich durch diesen Krieg unermesslichen Hass und Armut zu und musste, als Lorenzo 1519 ebenfalls starb47), das mühselig Eroberte an die Kirche geben; er tat ruhmlos und gezwungen, was ihm, freiwillig getan, ewigen Ruhm gebracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonso von Ferrara versuchte und gegen ein paar kleine Tyrannen und Condottieren wirklich ausführte, war vollends nicht von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dies alles, während die Könige des Abendlandes sich von Jahr zu Jahr mehr an ein kolossales politisches Kartenspiel gewöhnten, dessen Einsatz und Gewinn immer auch dieses oder jenes Gebiet von Italien war48).
Wer wollte dafür bürgen, daß sie nicht, nachdem ihre heimische Macht in den letzten Jahrzehnden unendlich gewachsen, ihre Absichten auch einmal auf den Kirchenstaat ausdehnen würden? Noch Leo musste ein Vorspiel dessen erleben, was 1527 sich erfüllte; ein paar Haufen spanischer Infanterie erschienen gegen Ende des Jahres 1520 - aus eigenem Antrieb, scheint es - an den Grenzen des Kirchenstaates, um den Papst einfach zu brandschatzen49), liessen sich aber durch päpstliche Truppen zurückschlagen. Auch die öffentliche Meinung gegenüber der Korruption der Hierarchie war in den letzten Zeiten rascher gereift als früher, und ahnungsfähige Menschen, wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola50), riefen dringend nach Reformen. Inzwischen war bereits Luther aufgetreten. Unter Hadrian VI. (1521-1523) kamen auch die schüchternen und wenigen Reformen gegenüber der grossen deutschen Bewegung schon zu spät. Er konnte nicht viel mehr als seinen Abscheu gegen den bisherigen Gang der Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, gewissenlose Stellenbesetzung, Kumulation, Verschwendung, Banditenwesen und Unsittlichkeit an den Tag legen.
Die Gefahr vom Luthertum her erschien nicht einmal als die grösste; ein geistvoller venezianischer Beobachter, Girolamo Negro, spricht Ahnungen eines nahen, schrecklichen Unheils für Rom selber aus51). Unter Clemens VII. erfüllt sich der ganze Horizont von Rom mit Dünsten gleich jenem graugelben Sciroccoschleier, welcher dort bisweilen den Spätsommer so verderblich macht. Der Papst ist in der nächsten Nähe wie in der Ferne verhasst; während das Uebelbefinden der Denkenden fortdauert52), treten auf Gassen und Plätzen predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens, ja der Welt weissagen und Papst Clemens den Antichrist nennen53); die colonnesische Faktion erhebt ihr Haupt in trotzigster Gestalt; der unbändige Kardinal Pompeo Colonna, dessen Dasein54) allein schon eine dauernde Plage für das Papsttum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoffnung, mit Hülfe Karls V. ohne weiteres Papst zu werden, sobald Clemens tot oder gefangen wäre. Es war kein Glück für Rom, dass dieser sich in die Engelsburg flüchten konnte; das Schicksal aber, für welches er selber aufgespart sein sollte, darf schlimmer als der Tod genannt werden.
Durch eine Reihe von Falschheiten jener Art, welche nur dem Mächtigen erlaubt ist, dem Schwächern aber Verderben bringt, verursachte Clemens den Anmarsch des spanisch-deutschen Heeres unter Bourbon und Frundsberg (1527). Es ist gewiss55), dass das Kabinett Karls V. ihm eine grosse Züchtigung zugedacht hatte und dass es nicht voraus berechnen konnte, wie weit seine unbezahlten Horden in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung fast ohne Geld wäre in Deutschland erfolglos geblieben, wenn man nicht gewusst hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden sich noch irgendwo die schriftlichen eventuellen Aufträge an Bourbon, und zwar solche, die ziemlich gelinde lauten, aber die Geschichtsforschung wird sich davon nicht betören lassen.
Der katholische König und Kaiser verdankte es rein dem Glücke, dass Papst und Kardinäle nicht von seinen Leuten ermordet wurden. Wäre dies geschehen, keine Sophistik der Welt könnte ihn von der Mitschuld lossprechen. Der Mord zahlloser geringerer Leute und die Brandschatzung der übrigen mit Hülfe von Tortur und Menschenhandel zeigen deutlich genug, was beim »Sacco di Roma« überhaupt möglich war. Den Papst, der wieder in die Engelsburg geflüchtet war, wollte Karl V., auch nachdem er ihm ungeheure Summen abgepresst, wie es heisst, nach Neapel bringen lassen, und dass Clemens statt dessen nach Orvieto floh, soll ohne alle Konnivenz von spanischer Seite geschehen sein56).
Ob Karl einen Augenblick an die Säkularisation des Kirchenstaates dachte (worauf alle Welt57) gefasst war), ob er sich wirklich durch Vorstellungen Heinrichs VIII. von England davon abbringen liess, dies wird wohl in ewigem Dunkel bleiben. Wenn aber solche Absichten vorhanden waren, so haben sie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Verwüstung von Rom steigt der Geist der kirchlich-weltlichen Restauration empor. Augenblicklich ahnte dies z. B.: Sadoleto58). »Wenn durch unsern Jammer«, schreibt er, »dem Zorn und der Strenge Gottes genuggetan ist, wenn diese furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu bessern Sitten und Gesetzen, dann ist vielleicht unser Unglück nicht das grösste gewesen... Was Gottes ist, dafür mag Gott sorgen, wir aber haben ein Leben der Besserung vor uns, das uns keine Waffengewalt entreissen mag; richten wir nur Taten und Gedanken dahin, dass wir den wahren Glanz des Priestertums und unsere wahre Grösse und Macht in Gott suchen.« Von diesem kritischen Jahre 1527 an war in der Tat so viel gewonnen, dass ernsthafte Stimmen wieder einmal sich hörbar machen konnten. Rom hatte zu viel gelitten, um selbst unter einem Paul III. je wieder das heitere grundverdorbene Rom Leos X. werden zu können. Sodann zeigte sich für das Papsttum, sobald es einmal tief im Leiden war, eine Sympathie teils politischer, teils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden, dass einer von ihnen sich ein besonderes Kerkermeisteramt über den Papst anmasste und schlossen u. a. zu dessen Befreiung den Vertrag von Amiens (18. August 1527). Sie beuteten damit wenigstens die Gehässigkeit aus, welche auf der Tat der kaiserlichen Truppen ruhte. Zugleich aber kam der Kaiser in Spanien selbst empfindlich ins Gedränge, indem seine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichsten Vorstellungen machten, so oft sie ihn zu sehen bekamen.
Als eine grosse allgemeine Aufwartung von Geistlichen und Weltlichen in Trauerkleidern bevorstand, geriet Karl in Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entstehen in der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidaden-Aufruhrs; die Sache wurde untersagt59). Er hätte nicht nur die Misshandlung des Papstes auf keine Weise verlängern dürfen, sondern es war, abgesehen von aller auswärtigen Politik, die stärkste Notwendigkeit für ihn vorhanden, sich mit dem furchtbar gekränkten Papsttum zu versöhnen. Denn auf die Stimmung Deutschlands, welche ihm wohl einen andern Weg gewiesen hätte, wollte er sich so stützen als auf die deutschen Verhältnisse überhaupt. Es ist auch möglich, dass er sich, wie ein Venezianer meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in seinem Gewissen beschwert fand60) und deshalb jene Sühne beschleunigte, welche besiegelt werden musste durch die bleibende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des Papstes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Alessandro Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des Kaisers. In der Folge behielt Karl durch die Konzilsidee das Papsttum wesentlich in der Gewalt und konnte es zugleich drücken und beschützen. Jene grösste Gefahr aber, die Säkularisation, vollends diejenige von innen heraus, durch die Päpste und ihre Nepoten selber, war für Jahrhunderte beseitigt durch die deutsche Reformation.
So wie diese allein dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg verliehen hatte, so nötigte sie auch das Papsttum, wieder der Ausdruck einer geistigen Weltmacht zu werden, indem es sich an die Spitze aller ihrer Gegner stellen, sich aus der »Versunkenheit in lauter faktischen Verhältnissen« emporraffen musste. Was nun in der spätern Zeit des Clemens VII., unter Paul III., Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten im Abfall halb Europas allmählich heranwächst, ist eine ganz neue, regenerierte Hierarchie, welche alle grossen, gefährlichen Aergernisse im eigenen Hause, besonders den staatengründenden Nepotismus61) vermeidet und im Bunde mit den katholischen Fürsten, getragen von einem neuen geistlichen Antrieb, ihr Hauptgeschäft aus der Wiedergewinnung der Verlorenen macht. Sie ist nur vorhanden und nur zu verstehen in ihrem Gegensatz zu den Abgefallenen. In diesem Sinne kann man mit voller Wahrheit sagen, dass das Papsttum in moralischer Beziehung durch seine Todfeinde gerettet worden ist. Und nun befestigte sich auch seine politische Stellung, freilich unter dauernder Aufsicht Spaniens, bis zur Unantastbarkeit; fast ohne alle Anstrengung erbte es beim Aussterben seiner Vasallen (der legitimen Linie von Este und des Hauses della Rovere) die Herzogtümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation dagegen - wenn man sie sich überhaupt wegdenken kann - wäre der ganze Kirchenstaat wahrscheinlich schon längst in weltliche Hände übergegangen.
Piscatorem hominum ne te non, Sexte, putemus, Piscaris natum retibus, ecce, tuum. |
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