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Von der Freiheit eines Christenmenschen - Dr. Martin Luther - 1520Erstens. Damit wir gründlich erkennen, was ein Christenmensch ist, und wie es um die Freiheit stehe, die ihm Christus erworben und gegeben hat, wovon Sankt Paulus viel schreibt, will ich diese zwei Sätze aufstellen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Diese zwei Sätze sind klar bei Sankt Paulus zu finden: »Ich bin frei in allen Dingen und habe mich zu jedermanns Knecht gemacht«; ebenso: »Ihr sollt niemand zu etwas verpflichtet sein, außer daß ihr euch untereinander liebet. Die Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, das sie lieb hat«; so auch von Christus: »Gott hat uns seinen Sohn ausgesandt, von einem Weib geboren und dem Gesetz untertan gemacht.« Zweitens. Um diese zwei sich widersprechenden Aussagen von der Freiheit und Dienstbarkeit zu verstehen, müssen wir bedenken, daß jeder Christenmensch zwiefacher Natur ist, einer geistlichen und einer leiblichen. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt; nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und um dieses Unterschieds willen werden von ihm in der Schrift Dinge gesagt, die sich vollständig widersprechen wie das, was ich jetzt von der Freiheit und Dienstbarkeit gesagt habe. Drittens. Nehmen wir uns nun den inwendigen, geistlichen Menschen vor, um zu sehen, was dazu gehört, daß er ein rechter, freier Christenmensch sei und heiße. Es ist dann offenbar, daß keine äußerliche Sache ihn frei oder rechtschaffen machen kann, sie heiße, wie sie wolle; denn seine Rechtschaffenheit und Freiheit so wie andererseits sein Bösesein und seine Gefangenschaft sind nicht leiblich oder äußerlich. Was hilft es der Seele, wenn der Leib nicht gefangen, frisch und gesund ist, ißt trinkt, lebt, wie er will? Andererseits, was schadet es der Seele, wenn der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet, wie er es nicht möchte? Keins von diesen Dingen reicht bis an die Seele, um sie zu befreien oder zu fangen, rechtschaffen oder böse zu machen. Viertens. Ebenso hilft es der Seele nichts, wenn der Leib heilige Kleider anlegt, wie's die Priester und Geistlichen tun, auch nicht, wenn er sich in Kirchen und heiligen Stätten befindet; auch nicht, wenn er sich mit heiligen Dingen befaßt; auch nicht, wenn er leiblich betet, fastet, wallfahrtet und alle guten Werke tut, die in alle Ewigkeit durch und in dem Leib geschehen können. Es muß allemal noch etwas anderes sein, was der Seele Rechtschaffenheit und Freiheit bringen und geben kann. Denn alle diese genannten Dinge, Werke und Weisen kann auch ein böser Mensch, ein Gleißner und Heuchler an sich haben und ausüben, und durch so etwas entsteht auch kein anderes Volk als lauter Gleißner. Umgekehrt schadet es der Seele nichts, wenn der Leib unheilige Kleider trägt, sich an unheiligen Orten befindet, wenn er ißt und trinkt, nicht wallfahrtet und betet und all die Werke unterläßt, die die genannten Gleißner tun. Fünftens hat die Seele sonst nichts, weder im Himmel noch auf Erden, worin sie leben, rechtschaffen, frei und eine Christin ist, als das heilige Evangelium, das Wort Gottes, das Christus gepredigt hat, wie er selbst sagt: »Ich bin das Leben und die Auferstehung; wer an mich glaubt, der lebt ewig«; ebenso: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« ebenso: »Der Mensch lebt nicht allein von dem Brot, sondern von allen Worten, die aus dem Mund Gottes gehen.« Wir müssen also gewiß sein, daß die Seele alle Dinge entbehren kann, außer dem Wort Gottes, und ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wenn sie aber das Wort Gottes hat, so bedarf sie auch keines anderen Dings mehr, sondern sie hat in dem Wort Genüge, Speise, Freude, Friede, Licht, Wissen, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gute überschwenglich. So lesen wir auch im Psalter, daß der Prophet nach nichts so sehr schreit wie nach Gottes Wort; und in der Schrift gilt es als allerhöchste Plage und Zorn Gottes, wenn er sein Wort den Menschen nimmt, umgekehrt als denkbar größte Gnade, wenn er sein Wort zu ihnen sendet, wie steht: »Er hat sein Wort ausgesandt, womit er ihnen geholfen hat.« Und Christus ist um keines anderen Amtes willen gekommen, als um das Wort Gottes zu predigen. Auch alle Apostel, Bischöfe, Priester und der ganze geistliche Stand sind allein um des Wortes willen berufen und eingesetzt, wiewohl es nun leider anders hergeht. Sechstens. Fragst du aber: Welches ist denn das Wort, das so eine große Gnade gibt, und wie soll ich es gebrauchen? Antwort: Es ist nichts anderes als die Predigt von Christus, wie sie das Evangelium enthält; und die soll so sein und hat diesen Inhalt, daß du deinen Gott zu dir reden hörst: wie all dein Leben und Werk vor Gott nichts seien und du vielmehr mit all dem, was in dir ist, auf ewig verderben müssest. Und wenn du das wirklich glaubst, wie du verpflichtet bist, so mußt du an dir selbst verzweifeln und bekennen, daß der Spruch Hoseas wahr sei: »O Israel, in dir ist nichts als dein Verderben, allein aber in mir steht deine Hilfe.« Damit du aber aus dir und von dir, d. h. aus deinem Verderben herauskommen kannst, stellt dir Gott seinen lieben Sohn Jesus Christus vor Augen und läßt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen, du solltest dich ihm mit festem Glauben ergeben und frisch auf ihn vertrauen; so sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, all dein Verderben überwunden sein, und du sollst gerecht, wahrhaftig, befriedet und rechtschaffen, alle Gebote sollen erfüllt und du sollst von allen Dingen frei sein, wie Sankt Paulus sagt: »Ein gerechtfertigter Christ lebt nur von seinem Glauben«, und: »Christus ist das Ende und die Erfüllung aller Gebote für die, die an ihn glauben.« Siebentens. Darum sollte das wohl für alle Christen das einzige Werk und die einzige Übung sein, daß sie sich das Wort und Christus gut einprägten und diesen Glauben ständig übten und stärkten. Denn kein anderes Werk kann einen Christen machen, wie Christus zu den Juden sagt, als sie ihn fragten, was sie für Werke tun sollten, um göttliche und christliche Werke zu tun; da sprach er: »Das ist das einzige göttliche Werk, daß ihr an den glaubt, den Gott gesandt hat.« Darum ist ein rechter Glaube an Christus ein überschwenglicher Reichtum; denn er bringt alle Seligkeit mit sich und nimmt alle Unseligkeit weg, wie es heißt: »Wer da glaubt und getauft ist, der wird selig. Wer nicht glaubt, der wird verdammt.« Darum sah der Prophet auf den Reichtum dieses Glaubens und sprach: »Gott wird auf der Erde ein kurzes Fazit ziehen, und dem kurzen Fazit wird wie eine Sintflut die Gerechtigkeit entströmen«, d. h. der Glaube, in dem kurz die Erfüllung aller Gebote besteht, wird alle im Überfluß rechtfertigen, die ihn haben, daß sie nichts mehr bedürfen, um gerecht und rechtschaffen zu sein. Ebenso sagt Sankt Paul: »Daß man von Herzen glaubt, das macht einen gerecht und rechtschaffen.« Achtens. Wie ist das aber möglich, daß es der Glaube allein vermag, rechtschaffen zu machen und ohne alle Werke so überschwenglichen Reichtum zu geben, wo uns doch in der Schrift so viele Gesetze, Gebote, Werke, Ordnungen und Weisen vorgeschrieben sind? Hier ist sorgsam darauf zu achten und mit Ernst festzuhalten, daß allein der Glaube ohne alle Werke rechtschaffen, frei und selig macht, wie wir später näher hören werden; und man muß wissen, daß die ganze heilige Schrift in zweierlei Worte geteilt wird, nämlich Gottes Gebot oder Gesetz und Verheißung oder Zusagen. Die Gebote lehren und schreiben uns verschiedene gute Werke vor, aber damit sind sie noch nicht geschehen. Sie weisen wohl an, sie helfen aber nicht, lehren, was man tun soll, geben aber keine Kraft dazu. Darum sind sie nur dazu bestimmt, daß der Mensch daran sein Unvermögen zum Guten erkenne und lerne, an sich selbst zu verzweifeln. Und darum heißen sie auch das Alte Testament und gehören alle ins Alte Testament. So zeigt z. B. das Gebot »Du sollst nicht böse Begierden haben«, daß wir alle miteinander Sünder sind und kein Mensch es vermag, ohne böse Begierden zu sein, er mag tun, was er will. Dadurch lernt er an sich selbst zu verzagen und anderswo Hilfe zu suchen, um ohne böse Begierden zu sein, und so das Gebot durch einen andern zu erfüllen, was er aus sich selbst nicht vermag. So sind auch alle andern Gebote für uns unerfüllbar. Neuntens. Wenn nun der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernt und empfunden hat, daß ihm nun Angst wird, wie er dem Gebot genug tun soll, denn das Gebot muß erfüllt sein, oder er muß verdammt sein, dann ist er recht gedemütigt und zunichte geworden in seinen Augen, findet nichts in sich, wodurch er rechtschaffen werden könnte. Jetzt kommt dann das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusage und spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deine böse Begierde und Sünde los werden, wie's die Gebote erzwingen und fordern, nun so glaub an Christus, in dem ich dir alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zusage! Glaubst du, so hast du; glaubst du nicht, so hast du nicht. Denn was dir unmöglich ist mit allen Werken der Gebote, die zahlreich und doch nutzlos sein müssen, das wird dir leicht und kurz durch den Glauben. Denn ich habe kurzweg alles auf den Glauben gestellt, daß, wer ihn hat, alles haben und selig sein soll; wer ihn nicht hat, soll nichts haben. So geben die Zusagen Gottes, was die Gebote fordern, und vollbringen, was die Gebote befehlen, damit es alles Gott gehöre, Gebot und Erfüllung: er befiehlt allein, er erfüllt auch allein. Darum sind die Zusagen Gottes Worte des Neuen Testaments und gehören auch ins Neue Testament. - Zehntens. Nun sind diese und alle Worte Gottes heilig, wahrhaftig, gerecht, friedsam, frei und aller Güte voll. Wer ihnen darum mit einem rechten Glauben anhängt, dessen Seele wird mit ihm so ganz und gar vereinigt, daß alle Tugenden des Wortes auch der Seele zu eigen werden und die Seele so durch den Glauben von dem Gotteswort heilig, gerecht wahrhaftig, friedsam, frei und aller Güte voll, ein wahrhaftiges Kind Gottes wird, wie es heißt: »Er hat ihnen gegeben, daß sie Kinder Gottes werden können, alle, die an seinen Namen glauben.« Hieraus ist leicht zu erkennen, warum der Glaube so viel vermag, und daß keine guten Werke ihm gleich kommen können. Denn kein gutes Werk hängt an dem göttlichen Wort so wie der Glaube; es kann auch nicht in der Seele sein, sondern nur das Wort und der Glaube regieren in der Seele selbst. Wie das Wort ist, so wird auch die Seele von dem Wort, so wie das Eisen durch die Vereinigung mit dem Feuer glutrot wird wie das Feuer. So sehen wir, daß ein Christenmensch an dem Glauben genug hat: er bedarf keines Werkes, um rechtschaffen zu sein. Bedarf er keines Werkes mehr, so ist er gewiß von allen Geboten und Gesetzen entbunden; ist er entbunden, so ist er gewiß frei. Das ist die christliche Freiheit, allein der Glaube, der nicht bewirkt, daß wir müßig gehen oder Böses tun können, sondern daß wir kein Werk nötig haben, um das Gutsein und die Seligkeit zu erlangen. Darüber wollen wir nachher noch mehr sagen. Elftens. Weiter verhält sich's mit dem Glauben so: Wer einem andern glaubt, der glaubt ihm darum, weil er ihn für einen rechtschaffenen, wahrhaftigen Mann hält, was die größte Ehre ist, die ein Mensch dem andern erweisen kann, so wie es umgekehrt die größte Beleidigung ist, wenn er ihn für einen lockeren, lügenhaften, leichtfertigen Mann hält. So hält auch die Seele, wenn sie Gottes Wort fest glaubt, Gott für wahrhaftig, rechtschaffen und gerecht, womit sie ihm die allergrößte Ehre erweist, die sie ihm erweisen kann. Da gibt sie ihm recht, da läßt sie ihm recht, da ehrt sie seinen Namen und läßt ihn mit sich handeln, wie er will; denn sie zweifelt nicht daran, daß er rechtschaffen und wahrhaftig sei in allen seinen Worten. Umgekehrt kann man Gott keine größere Schmach antun, als ihm nicht glauben, womit ihn die Seele für unvermögend, lügenhaft und leichtfertig hält und ihn, soviel an ihr liegt, mit diesem Unglauben verleugnet und im Herzen einen Abgott ihres eigenen Sinns gegen Gott aufrichtet, als wollte sie es besser wissen als er. Wenn Gott daher sieht, daß ihm die Seele Wahrhaftigkeit zugesteht und ihn so durch ihren Glauben ehrt, so ehrt er sie ebenfalls und hält sie auch für rechtschaffen und wahrhaftig, und durch so einen Glauben ist sie auch rechtschaffen und wahrhaftig. Denn daß man Gott die Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit zugesteht, das ist Recht und Wahrhaftigkeit und macht rechtschaffen und wahrhaftig, weil es wahr und recht ist, Gott die Wahrhaftigkeit zuzugestehen, was die nicht tun, die nicht glauben und sich doch mit vielen guten Werken mühen und plagen. Zwölftens. Der Glaube gibt nicht nur dies, daß die Seele dem göttlichen Wort gleich, aller Gnaden voll, frei und selig wird, sondern vereinigt auch die Seele mit Christus wie eine Braut mit ihrem Bräutigam. Aus dieser Ehe folgt, wie Sankt Paulus sagt, daß Christus und die Seele ein Leib werden; darum werden auch beiden die Güter, Glücks- und Unglücksfälle und alle Dinge gemeinsam. Das, was Christus hat, das ist Eigentum der gläubigen Seele; was die Seele hat, wird Eigentum Christi. So hat Christus alle Güter und Seligkeit, die sind Eigentum der Seele; so hat die Seele alle Untugenden und Sünden auf sich liegen - die werden Eigentum Christi. Hier beginnt nun der fröhliche Tausch und Streit: weil Christus Gott und Mensch ist, der noch nie gesündigt hat, und seine Rechtschaffenheit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden, wenn er die Sünden der gläubigen Seele durch ihren Brautring, d. h. den Glauben, sich selbst zu eigen macht und so handelt, wie er gehandelt hat. Denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark; so wird die Seele von all ihren Sünden einzig durch ihr Brautgeschenk, d. h. um des Glaubens willen, frei und los und mit der ewigen Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus beschenkt. Ist das nun nicht ein fröhlicher Hausstand, wo der reiche, edle, rechtschaffene Bräutigam Christus das arme, verachtete, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie von allem Übel befreit, mit allem Guten schmückt? So ist es nicht möglich, daß die Sünden sie verdammen; denn die liegen nun auf Christus und sind in ihm verschlungen. Sie hat auch eine so reiche Gerechtigkeit in ihrem Bräutigam, daß sie wieder gegen alle Sünden bestehen kann, mögen sie auch auf ihr liegen. Davon spricht Paulus: »Gott sei Lob und Dank, der uns eine solche Überwindung in Christus Jesus gegeben hat, in der der Tod mit der Sünde ist.« Dreizehntens. Hier siehst du wieder, aus welchem Grunde dem Glauben mit Recht so viel zugeschrieben wird, daß er alle Gebote erfülle und ohne alle Werke rechtschaffen mache. Denn du siehst hier, daß er allein das erste Gebot erfüllt, in welchem geboten wird: »Du sollst deinen Gott ehren.« Wenn du nun aus lauter guten Werken beständest bis auf die Fersen, so wärst du trotzdem nicht rechtschaffen und gäbest Gott darum noch keine Ehre und erfülltest also das allererste Gebot nicht. Denn Gott kann nicht geehrt werden, ihm werde denn Wahrhaftigkeit und alles Gute zugeschrieben, wie er denn auch in Wahrheit ist. Das tun aber keine guten Werke, sondern allein der Glaube des Herzens. Darum ist er allein die Gerechtigkeit der Menschen und aller Gebote Erfüllung. Denn wer das erste Hauptgebot erfüllt, der erfüllt gewiß und mit Leichtigkeit auch alle andern Gebote. Die Werke aber sind tote Dinge, können Gott nicht ehren noch loben, obschon sie Gott zu Ehren und Lob geschehen können und sich tun lassen. Aber wir fragen hier nach dem, der nicht getan wird wie die Werke, sondern nach dem Selbsttäter und Herrn des Werks, der Gott ehrt und die Werke tut. Das ist niemand anders als der Glaube des Herzens: der ist das Haupt und der ganze Inhalt der Rechtschaffenheit. Darum ist es eine gefährliche, finstere Rede, wenn man lehrt, Gottes Gebote mit Werken zu erfüllen, wo doch die Erfüllung vor allen Werken durch den Glauben geschehen sein muß und die Werke erst nach der Erfüllung folgen, wie wir hören werden. Vierzehntens. Um weiter zu sehen, was wir in Christus haben, und ein wie großes Gut ein rechter Glaube ist, muß man wissen, daß vor und in dem alten Bunde Gott sich alle erste männliche Geburt von Menschen und von Tieren aussonderte und vorbehielt. Und die Erstgeburt war köstlich und besaß zwei große Vorteile vor allen andern Kindern, nämlich die Herrschaft und Priesterschaft oder das Königreich und Priestertum, daß das erstgeborene Knäblein also auf Erden ein Herr über alle seine Brüder war und ein Geistlicher oder Papst vor Gott. Mit diesem Vorzeichen ist auf Jesus Christus hingewiesen, der diese Erstgeburt eigentlich ist, von Gott Vater und von der Jungfrau Maria. Darum ist er ein König und Priester, aber geistlich; denn sein Reich ist nicht irdisch und in irdischen, sondern in geistlichen Gütern wie Wahrheit, Friede, Freude, Seligkeit usw. Damit ist das zeitliche Gut aber nicht ausgenommen; denn es sind ihm alle Dinge unterworfen im Himmel, Erde und Hölle, obwohl man ihn nicht sieht, das kommt daher, daß er geistlich, unsichtbar regiert. So besteht auch sein Priestertum nicht in den äußerlichen Formen und Kleidern, wie wir bei den Menschen sehen, sondern es besteht im Geist unsichtbar darin, daß er vor Gottes Augen ohn' Unterlaß für die Seinen einsteht und sich selbst opfert, wie Sankt Paul sagt. So lehrt er uns auch innerlich im Herzen, und das sind zwei eigentliche, rechte Ämter eines Priesters. Denn ebenso bitten und lehren auch äußerliche, menschliche, zeitliche Priester. Fünfzehntens. So wie nun Christus die Erstgeburt mit ihrer Ehre und Würde besitzt, teilt er sie auch mit all seinen Christen, daß sie durch den Glauben auch alle mit Christus Könige und Priester sein müssen, wie Sankt Petrus sagt: »Ihr seid ein priesterliches Königreich und ein königliches Priestertum.« Und das geht so zu, daß ein Christenmensch durch den Glauben über alle Dinge so hoch erhoben wird, daß er geistlich ein Herr über alle wird. Denn es kann ihm kein Ding zur Seligkeit schädlich sein, ja, es muß ihm alles untertan sein und zur Seligkeit helfen, wie Sankt Paulus lehrt: »Alle Dinge müssen den Auserwählten zu ihrem Besten helfen«, es sei Leben, Sterben, Sünde, Rechtschaffenheit, Gutes und Böses, wie es nur heißen mag; weiter: »Alle Dinge sind euer, es sei das Leben oder der Tod, Gegenwärtiges oder Zukünftiges« usw. Nicht, daß wir leiblich über alle Dinge Macht hätten, um sie wie die Menschen auf Erden zu besitzen oder zu gebrauchen. Denn wir müssen leiblich sterben, und niemand kann dem Tod entfliehen; ebenso müssen wir auch vielen andern Dingen unterliegen, wie wir an Christus und seinen Heiligen sehen. Denn dies ist eine geistliche Herrschaft, welche regiert, während der Leib unterdrückt wird, d. h. ich kann mich der Seele nach ohne alle Dinge bessern, so daß auch der Tod und Leiden mir zur Seligkeit dienen und nützlich sein müssen. Das ist eine sehr hohe ehrenvolle Würde und eine wirklich allmächtige Herrschaft, ein geistliches Königreich, wo kein Ding zu gut oder zu böse ist, es muß mir zum Guten dienen, wenn ich glaube, und ich bedarf seiner doch nicht, sondern mein Glaube ist mir genug. Sieh, wie köstlich ist die Freiheit und Gewalt der Christen! Sechzehntens. Darüber hinaus sind wir Priester. Das ist noch viel mehr als König sein, weil das Priestertum uns würdig macht, vor Gott zu treten und für andere zu bitten; denn vor Gottes Augen zu stehen und zu bitten gebührt niemand als den Priestern. Somit hat uns Christus (das Recht) erworben, daß wir geistlich füreinander eintreten und bitten können, wie ein Priester leiblich für das Volk eintritt und bittet. Wer aber nicht an Christus glaubt, dem dient kein Ding zum Guten. Er ist ein Knecht aller Dinge und muß sich an allen Dingen ärgern; dazu ist sein Gebet nicht angenehm und kommt nicht vor Gottes Augen. Wer kann nun die Ehre und Höhe eines Christenmenschen ausdenken? Durch sein Königtum ist er aller Dinge mächtig, durch sein Priestertum ist er Gottes mächtig; denn Gott tut, was er bittet und will, wie im Psalter geschrieben steht: »Gott tut den Willen derer, die ihn fürchten, und erhört ihr Gebet«, und zu dieser Ehre kommt er nur durch den Glauben und durch kein Werk. Daraus sieht man klar, wie ein Christenmensch frei von allen Dingen ist und über allen Dingen steht, so daß er keiner guten Werke bedarf, um rechtschaffen und selig zu sein, sondern der Glaube bringt ihm das alles im Überfluß. Und wenn er so töricht wäre und meinte, durch ein gutes Werk rechtschaffen, frei, selig oder ein Christ zu werden, so verlöre er den Glauben zugleich mit allen Dingen, so wie der Hund, der ein Stück Fleisch im Maul trug und nach dem Spiegelbild im Wasser schnappte, dadurch Fleisch und Spiegelbild verlor. Siebzehntens. Du fragst: Was ist denn für ein Unterschied zwischen den Priestern und den Laien in der Christenheit, wenn sie alle Priester sind? Antwort: Es ist den Worten »Priester«, »Pfarrer«, »Geistlicher« usw. damit Unrecht geschehen, daß man ihren Gebrauch von der Allgemeinheit auf die kleine Schar eingeschränkt hat, die man jetzt »den geistlichen Stand« nennt. Die heilige Schrift macht keinen andern Unterschied, als daß sie die Gelehrten oder Geweihten ministri, servi, oeconomi nennt, d. h. »Diener«, »Knechte«, »Verwalter«, die den andern Christus, den Glauben und die christliche Freiheit predigen sollen. Denn obwohl wir alle gleichmäßig Priester sind, können wir doch nicht alle dienen oder verwalten und predigen. So sagt Paulus: »Wir wollen von den Leuten für nichts mehr gehalten sein als für Christi Diener und Verwalter des Evangeliums.« Aber nun ist aus der Verwaltung so eine weltliche, äußerliche, prächtige, furchterregende Herrschaft und Gewalt geworden, daß ihr die rechte weltliche Macht in keiner Weise gleichkommen kann, gerade so als wären die Laien etwas anderes als Christenleute. Damit ist dann das ganze Verständnis der christlichen Gnade und Freiheit, des christlichen Glaubens und alles, was wir von Christus haben, und Christus selbst aufgehoben, und dafür haben wir viele Menschengesetze und -werke bekommen und sind ganz Knechte geworden der alleruntüchtigsten Menschen auf der Erde. Achtzehntens. Aus dem allen lernen wir, daß es nicht genug ist, wenn man Christus Leben und Werk obenhin und nur als ein geschichtliches und überliefertes Ereignis predigt, geschweige denn, daß man von ihm ganz schweigt und das geistliche Recht oder andere Menschengesetze und -lehren predigt. Viele predigen und lesen Christus auch so, daß sie Mitleid mit ihm haben, mit den Juden zürnen oder sich auf andere kindische Weise damit befassen. Aber er soll und muß so gepredigt werden, daß mir und dir daraus der Glaube erwächst und erhalten wird. Und dann erwächst dieser Glaube und wird er erhalten, wenn mir gesagt wird, warum Christus gekommen ist, wie man ihn gebrauchen und genießen soll, was er mir gebracht und gegeben hat. Das geschieht, wenn man die christliche Freiheit, die wir von ihm haben, richtig auslegt, und (zeigt,) wie wir Könige und Priester seien, aller Dinge mächtig, und wie alles, was wir tun, vor Gottes Augen angenehm und erhört sei, wie ich's bisher gesagt habe. Denn wenn ein Herz so von Christus zu hören bekommt, muß es von Grund auf fröhlich werden, Trost empfangen und gegen Christus süß werden, ihn seinerseits lieb zu haben. (Dazu kann es mit Gesetzen und Werken niemals kommen.) Wer will dann einem solchen Herzen Schaden antun oder es erschrecken? Fällt die Sünde und der Tod darüber her, so glaubt es, Christi Rechtschaffenheit sei sein und seine Sünde sei nimmermehr sein, sondern Christus gehörig. So muß die Sünde vor der Rechtschaffenheit Christi im Glauben verschwinden, wie oben gesagt, und es lernt mit dem Apostel dem Tod und der Sünde Trotz zu bieten und zu sagen: »Wo ist nun, du Tod, dein Sieg? Wo ist nun, Tod, dein Spieß? Dein Spieß ist die Sünde. Aber Gott sei Lob und Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesus Christus unsern Herrn. Und der Tod ist ersäuft in seinem Sieg« usw. Neunzehntens. Über den innerlichen Menschen mag das nun genug sein, über seine Freiheit und die Hauptgerechtigkeit, die keines Gesetzes oder guten Werkes bedarf, ja der es sogar schädlich ist, wenn jemand sich's anmaßen wollte, dadurch gerechtfertigt zu werden. Nun kommen wir zum zweiten Teil, zu dem äußerlichen Menschen. Hier wollen wir all denen antworten, die an den bisherigen Ausführungen Anstoß nehmen und zu sagen pflegen: Ei, wenn der Glaube alles ist und allein schon als genügend gilt, rechtschaffen zu machen, warum sind dann die guten Werke geboten? Wir wollen dann guter Dinge sein und nichts tun! Nein, lieber Mensch, so nicht. So wäre es wohl, wenn du nur ein innerlicher Mensch und ganz geistlich und innerlich geworden wärest; das aber geschieht nicht vor dem Jüngsten Tag. Es ist und bleibt auf der Erde nur ein Anfangen und Zunehmen, das in jener Welt vollendet wird. Daher nennt es der Apostel primitias spiritus, d. h. die ersten Früchte des Geistes. Darum gehört hierher, was oben gesagt wurde: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan, d. h. soweit er frei ist, braucht er nichts zu tun; soweit er Knecht ist, muß er allerlei tun. Wie das zugeht, wollen wir sehen. Zwanzigstens. Obwohl der Mensch innerlich der Seele nach durch den Glauben genügend gerechtfertigt ist und alles hat, was er haben soll, nur daß dieser Glaube und diese Genüge immer zunehmen müssen, bis in jenes Leben, bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf der Erde und muß seinen eigenen Leib regieren und mit Leuten umgehen. Da fangen nun die Werke an, hier darf er nicht müßig bleiben. Da muß der Leib in der Tat mit Fasten, Wachen, Arbeiten und mit jeder Art maßvoller Zucht angetrieben und geübt werden, damit er dem innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, statt ihn zu hindern und zu widerstreben, wie's seine Art ist, wenn er nicht gezwungen wird. Denn der innerliche Mensch ist mit Gott eins, fröhlich und lustig um Christus willen, der ihm so viel getan hat, und all seine Lust besteht darin, daß er seinerseits Gott auch umsonst in freier Liebe dienen möchte. Er findet aber in seinem Fleisch einen widerspenstigen Willen; der will der Welt dienen und suchen, wonach ihn gelüstet. Das kann der Glaube nicht dulden und packt ihn mit Lust an der Gurgel, um ihn in seine Schranken zu weisen und abzuwehren, wie Sankt Paul sagt: »Ich habe eine Lust an Gottes Willen nach meinem inneren Menschen; ich finde aber einen anderen Willen in meinem Fleisch, der will mich mit Sünden gefangen nehmen«; ebenso: »Ich züchtige meinen Leib und treibe ihn zum Gehorsam an, auf daß ich nicht selbst verwerflich werde, der ich die anderen lehren soll«; ebenso: »Alle, die Christus angehören, kreuzigen ihr Fleisch mit seinen bösen Lüsten.« Einundzwanzigstens. Aber diese Werke müssen nicht in der Überzeugung geschehen, daß der Mensch dadurch vor Gott rechtschaffen werde, weil der Glaube, der die Rechtschaffenheit vor Gott allein ist und bleiben muß, diese falsche Überzeugung nicht dulden kann, sondern nur in der Absicht, den Leib gehorsam zu machen und von seinen bösen Lüsten zu reinigen, und das Auge nur auf die bösen Lüste zu richten, diese auszutreiben. Denn weil die Seele durch den Glauben rein ist und Gott liebt, sähe sie es gerne, daß alle Dinge, vor allem ihr eigener Leib rein wären und jedermann mit ihr Gott liebte und lobte. So kommt es, daß der Mensch um seines eigenen Leibes willen nicht müßig gehen kann und viel gute Werke darüber tun muß, um ihn zu zwingen, und dennoch die Werke nicht das rechte Gut sind, durch das er vor Gott rechtschaffen und gerecht ist; sondern er tue sie umsonst aus freier Liebe, um Gott zu gefallen, ohne etwas anderes darin zu suchen und anzusehen, als daß es Gott so gefällt, um dessentwillen er es gerne aufs allerbeste täte. Daraus kann dann jeder das Maß und die vernünftige Weise entnehmen, in der der Leib in Zucht zu nehmen ist. Denn er hat so viel zu fasten, zu wachen und zu arbeiten, wie erforderlich ist, um den Übermut des Leibes zu dämpfen. Die andern aber, die mit Werken glauben rechtschaffen zu werden, achten nicht auf die Zucht, sondern sehen nur auf die Werke, und meinen, wenn sie nur recht viele und große Werke tun, so sei es gut und sie würden rechtschaffen. Zuweilen verlieren sie darüber den Verstand und zerstören ihre Gesundheit. Das ist eine große Torheit und ein Nichtverstehen des christlichen Lebens und Glaubens, daß sie ohne Glauben durch Werke fromm und selig werden wollen. Zweiundzwanzigstens. Um hierfür einige Gleichnisse zu geben: Man soll die Werke eines Christenmenschen, der durch seinen Glauben und aus lauter Gnade Gottes umsonst gerechtfertigt und selig geworden ist, nicht anders ansehen, als wie die Werke Adams und Evas im Paradies gewesen wären. Darüber steht geschrieben, daß Gott den geschaffenen Menschen ins Paradies setzte, damit er es bearbeiten und hüten sollte. Nun war Adam von Gott rechtschaffen und gut geschaffen, ohne Sünde, so daß er es nicht nötig hatte, durch sein Arbeiten und Hüten rechtschaffen und gerechtfertigt zu werden. Aber damit er nicht müßig ginge, gab ihm Gott etwas zu schaffen, das Paradies zu bepflanzen, zu bebauen und zu bewahren. Und dies wären lauter freie Werke gewesen, die sonst nichts zuliebe getan worden wären als nur Gott zu Gefallen und nicht, um die Rechtschaffenheit zu erlangen, die er schon vorher besaß, und die auch uns allen von Natur angeboren gewesen wäre. So bedarf auch das Werk eines gläubigen Menschen, der durch seinen Glauben wieder ins Paradies gesetzt und neu geschaffen ist, keiner Werke, um rechtschaffen zu werden; sondern ihm sind die freien Werke allein Gott zu Gefallen aufgetragen, damit er nicht müßig gehe. Es ist weiter wie bei einem geweihten Bischof. Wenn der Kirchen weiht, firmelt oder andere Werke seines Amtes ausübt, so machen ihn diese Werke nicht zu einem Bischof. Ja, wenn er nicht vorher zum Bischof geweiht wäre, so hätte keins von diesen Werken einen Wert und sie wären lauter Narrenwerk. So wird auch ein Christ, der, durch den Glauben geweiht, gute Werke tut, durch sie nicht besser oder mehr zu einem Christen geweiht (das geschieht nur durch Mehrung des Glaubens). Ja, wenn er nicht vorher glaubte und ein Christ wäre, so gölten alle seine Werke nichts, sondern wären lauter närrische, sträfliche, verdammenswerte Sünden. Dreiundzwanzigstens. Darum sind die zwei Sprüche wahr: Gute, rechtschaffene Werke machen niemals einen guten, rechtschaffenen Mann, sondern ein guter rechtschaffener Mann macht gute, rechtschaffene Werke. Böse Werke machen niemals einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke, so daß allemal die Person zuerst gut und rechtschaffen sein muß vor allen guten Werken, und die guten Werke folgen aus der rechtschaffenen guten Person und gehen aus ihr hervor. So wie Christus sagt: »Ein böser Baum trägt keine gute Frucht. Ein guter Baum trägt keine böse Frucht!« Nun ist es klar, daß die Früchte nicht den Baum tragen und die Bäume auch nicht auf den Früchten wachsen, sondern umgekehrt, die Bäume tragen die Frucht, und die Früchte wachsen auf dem Baum. Wie nun die Bäume eher da sein müssen als die Früchte und die Früchte den Baum weder gut noch böse machen, sondern die Bäume machen die Früchte, so muß der Mensch als Person zuerst rechtschaffen oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke tut, und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er macht gute oder böse Werke. - Dasselbe sehen wir bei jedem Handwerk. Ein gutes oder schlechtes Haus macht keinen guten oder schlechten Zimmermann, sondern ein guter oder schlechter Zimmermann macht ein gutes oder schlechtes Haus. Kein Werk macht einen Meister so, wie das Werk ist, sondern wie der Meister ist, so ist auch sein Werk. So sind auch die Werke des Menschen: je nachdem es mit ihm im Glauben oder Unglauben steht, sind seine Werke gut oder böse, und nicht umgekehrt, daß er rechtschaffen oder gläubig wäre, je nachdem seine Werke stehen. Die Werke machen nicht gläubig und machen ebenso auch nicht rechtschaffen. Aber so wie der Glaube rechtschaffen macht, macht er auch gute Werke. Machen die Werke also niemand rechtschaffen und muß der Mensch zuerst rechtschaffen sein, ehe er wirkt, so ist's klar, daß allein der Glaube aus lauter Gnade durch Christus und sein Wort die Person zur Genüge rechtschaffen und selig macht, und daß ein Christ kein Werk und kein Gebot zu seiner Seligkeit nötig hat, sondern von allen Geboten frei ist und alles, was er tut, aus lauter Freiheit umsonst tut, nicht um damit seinen Nutzen oder seine Seligkeit zu suchen, denn er ist schon satt und selig durch seinen Glauben und Gottes Gnade, sondern nur um Gott zu gefallen. Vierundzwanzigstens. Umgekehrt ist dem, der ohne Glauben ist, kein gutes Werk zur Rechtschaffenheit und Seligkeit förderlich; andererseits machen ihn keine bösen Werke böse und verdammt, sondern der Unglaube, der die Person und den Baum böse macht, der tut böse und verdammte Werke. Wenn man rechtschaffen oder böse wird, fängt es darum nicht bei den Werken an, sondern bei dem Glauben, wie der weise Mann sagt: »Anfang aller Sünde ist: von Gott weichen und ihm nicht trauen.« Ebenso lehrt auch Christus, wie man nicht bei den Werken anfangen muß, und sagt: »Entweder macht den Baum gut und seine Früchte gut, oder macht den Baum böse und seine Früchte böse«, als wollte er sagen: Wer gute Früchte haben will, muß zuerst bei dem Baum anfangen und den gut setzen. Ebenso muß, wer gute Werke tun will, nicht bei den Werken anfangen, sondern bei der Person, die die Werke tun soll. Die Person aber macht niemand gut als der Glaube, und niemand macht sie böse als allein der Unglaube. Das ist wohl wahr: die Werke machen einen vor den Menschen rechtschaffen oder böse, d. h. sie lassen äußerlich erkennen, wer rechtschaffen oder böse ist, wie Christus sagt: »Aus ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« Aber das gilt alles äußerlich, von der Erscheinung, und dieser Eindruck verwirrt die vielen Leute, welche schreiben und lehren, wie man gute Werke tun und rechtschaffen werden soll. Aber an den Glauben denken sie niemals, sie gehn dahin, und ein Blinder führt immer den andern, sie martern sich mit vielen Werken und kommen doch niemals zur richtigen Rechtschaffenheit. Von diesen sagt Sankt Paul: »Sie haben einen Schein der Rechtschaffenheit, aber der Grund ist nicht da; sie gehn hin und lernen immer und immer und kommen doch nimmer zur Erkenntnis der wahren Rechtschaffenheit.« - Wer nun nicht mit diesen Blinden in die Irre gehen will, muß auf mehr sehen als auf die Werke, Gebote oder Lehren von den Werken; er muß vor allen Dingen auf die Person sehen, wie die rechtschaffen werden kann. Die wird aber nicht durch Gebote und Werke, sondern durch Gottes Wort, d. h. durch seine Gnadenverheißung, und den Glauben rechtschaffen und selig, auf daß Gottes göttliche Ehre bestehen bleibe, daß er uns nicht durch unser Werk, sondern durch sein gnädiges Wort umsonst und aus lauter Barmherzigkeit selig macht. Fünfundzwanzigstens. Nach dem allen ist es leicht zu verstehen, inwiefern gute Werke zu verwerfen und nicht zu verwerfen sind, und wie man alle Lehren zu verstehen hat, die gute Werke lehren. Denn wo der falsche Zusatz und die verkehrte Auffassung dabei sind, daß wir durch die Werke rechtschaffen und selig werden wollen, sind sie schon nicht mehr gut und ganz verdammenswert; denn sie sind nicht frei und schmähen die Gnade Gottes, die allein durch den Glauben rechtschaffen und selig macht, und das vermögen die Werke nicht, nehmen sich's aber trotzdem vor und greifen damit der Gnade in ihr Werk und ihre Ehre ein. Darum verwerfen wir die guten Werke nicht um ihrer selbst willen, sondern um dieses bösen Zusatzes und dieser falschen, verkehrten Auffassung willen, die bewirkt, daß sie nur gut erscheinen und doch nicht gut sind; sie betrügen sich und jedermann damit wie die reißenden Wölfe in Schafskleidern. Aber dieser böse Zusatz und diese verkehrte Auffassung sind in den Werken unüberwindlich, wenn der Glaube nicht da ist. Sie müssen in diesen Werkheiligen da sein, bis der Glaube kommt und sie zerstört. Die Natur vermag sie aus eigener Kraft nicht austreiben, ja nicht einmal zu erkennen, sondern sie hält sie für eine köstliche, selige Sache. Darum werden auch so viele dadurch verführt. Obgleich es also wohl gut ist, über Reue, Beichte und Genugtun zu schreiben und zu predigen, ist es doch, wenn man nicht bis zum Glauben fortschreitet, gewiß eine völlig teuflische, verführerische Lehre. Man muß nicht nur das eine Wort Gottes predigen, sondern alle beide. Die Gebote soll man predigen, um die Sünder zu erschrecken und ihre Sünde offenbar zu machen, damit sie Reue empfinden und sich bekehren. Aber dabei soll es nicht bleiben; man muß das andere Wort, die Zusage der Gnade, auch predigen, um den Glauben zu lehren, ohne den die Gebote, die Reue und alles andere vergeblich ist. Es sind wohl noch Prediger übrig geblieben, die die Reue über die Sünde und die Gnade predigen; aber sie heben die Gebote und Zusage Gottes nicht hervor, daß man lernen könnte, woher und wie die Reue und Gnade kommen. Denn die Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus Gottes Zusage, und so wird der Mensch, der durch die Furcht vor Gott gedemütigt und zur Selbsterkenntnis gekommen ist, durch den Glauben an die göttlichen Worte gerechtfertigt und aufgerichtet. Sechsundzwanzigstens. Das sei genug von den Werken im allgemeinen und von denen, die ein Christenmensch seinem eigenen Leib gegenüber üben soll. Nun wollen wir von den weiteren Werken reden, die er gegenüber andern Menschen tut. Denn der Mensch lebt nicht nur in seinem Leib, sondern auch unter andern Menschen auf der Erde. Darum kann er ihnen gegenüber nicht ohne Werke sein; er muß mit ihnen ja zu reden und zu tun haben, wiewohl ihm keins dieser Werke zur Rechtschaffenheit und Seligkeit notwendig ist. Darum soll seine Absicht in allen Werken frei und nur darauf gerichtet sein, daß er damit den andern Leuten diene und nützlich sei, und nichts anderes vor Augen habe, als was den andern notwendig ist. Das heißt dann ein wahrhaftiges Christenleben, und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ans Werk, wie Sankt Paulus die Galater lehrt. So auch zu den Philippern; nachdem er sie gelehrt hat, wie sie alle Gnade und Genüge durch ihren Glauben an Christus hätten, lehrt er sie weiter und sagt: »Ich vermahne euch allen Trostes, den ihr in Christus habt, und allen Trostes, den ihr habt von unserer Liebe zu euch, und aller Gemeinschaft, die ihr habt mit allen geistlichen rechtschaffenen Christen, daß ihr mein Herz vollkommen erfreuen möget, und das damit, daß ihr hinfort eines Sinnes sein, einer dem andern gegenüber Liebe erzeigen, einer dem andern dienen und ein jeder nicht auf sich noch auf das Seine acht haben wollt, sondern auf den andern, und was dem nötig sei.« Sieh, da macht Paulus eindeutig dies zum Inhalt eines christlichen Lebens, daß alle Werke auf das Wohl des Nächsten gerichtet sein sollen, weil ein jeder für sich selbst an seinem Glauben genug hat, und alle andern Werke und das ganze Leben hat er dazu übrig, um seinem Nächsten aus freier Liebe zu dienen. Dazu führt Paulus Christus als ein Vorbild an und sagt: »Seid so gesinnt, wie ihr's an Christus seht, welcher, ob er wohl von göttlicher Form war« und für sich selbst genug hatte und sein Leben, Wirken und Leiden für sich nicht nötig hatte, um dadurch rechtschaffen oder selig zu werden, sich dennoch des alles entäußerte und wie ein Knecht auftrat und allerlei tat und litt, ohne auf etwas anderes zu sehen als auf unser Bestes, und so, obwohl er frei war, doch um unseretwillen ein Knecht wurde. Siebenundzwanzigstens. So soll sich ein Christenmensch wie sein Haupt Christus auch voll und ganz an seinem Glauben genügen lassen und ihn immer mehren, der sein Leben, seine Rechtschaffenheit und Seligkeit ist, und der ihm alles gibt, was Christus und Gott haben, wie oben gesagt wurde und Sankt Paul sagt: »Was ich noch in dem Körper lebe, das lebe ich in dem Glauben Christi des Sohnes Gottes.« Und obwohl der Christenmensch nun ganz frei ist, soll er sich gerade willig zum Diener machen, um seinem Nächsten zu helfen und mit ihm so umgehen und handeln, wie Gott an ihm durch Christus gehandelt hat, und das alles umsonst, ohne etwas anderes dabei zu suchen als das göttliche Wohlgefallen, und soll so denken: Wohlan, mein Gott hat mir unwürdigem, verdammten Menschen ohne alles Verdienst, rein umsonst und aus lauter Barmherzigkeit durch und in Christus einen vollkommenen Reichtum aller Rechtschaffenheit und Seligkeit geschenkt, so daß ich künftig weiter nichts mehr nötig habe als zu glauben, es sei so. Ei, so will ich für diesen Vater, der mich mit seinen überschwenglichen Gütern so überschüttet hat, auch frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und für meinen Nächsten auch eine Art Christus werden, wie Christus mir geworden ist, und nichts anderes als das tun, was ihm nur, wie ich sehe, nötig, nützlich und heilsam ist, weil ich ja durch meinen Glauben in Christus alle Dinge zur Genüge habe. - Sieh, so fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, umsonst dem Nächsten zu dienen. Denn ebenso wie unser Nächster Not leidet und unseres Überflusses bedarf, haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum sollen wir so, wie uns Gott durch Christus umsonst geholfen hat, mit dem Leib und seinen Werken dem Nächsten helfen. Wir sehen also, was für ein hohes, edles Leben das christliche Leben ist, das jetzt leider in aller Welt nicht nur darniederliegt, sondern auch unbekannt geworden ist und nicht mehr gepredigt wird. Achtundzwanzigstens. So lesen wir, daß die Jungfrau Maria nach den sechs Wochen zur Kirche ging und sich nach dem Gesetz reinigen ließ wie alle andern Weiber, obgleich sie nicht wie diese unrein noch zu dieser Reinigung verpflichtet war und sie auch nicht nötig hatte. Aber sie tat es aus freier Liebe, um den andern Weibern keine Verachtung zu bezeigen und in der großen Gemeinschaft zu bleiben. Ebenso ließ Sankt Paul Sankt Timotheus beschneiden, nicht, weil es nötig war, sondern um den glaubensschwachen Juden keinen Anlaß zu bösen Gedanken zu geben, während er Timotheus umgekehrt nicht beschneiden lassen wollte, als man ihn dazu drängen wollte, er müßte beschnitten sein, und das wäre zur Seligkeit notwendig. Auch Christus disputierte, als von seinen Jüngern der Zinspfennig gefordert wurde, ob die Königskinder denn vom Zinsgeben nicht befreit wären, und Sankt Petrus sagte ja. Trotzdem befahl er ihm ans Meer zu gehen und sprach: »Damit wir sie nicht ärgern, geh hin: den ersten Fisch, den du fängst, den nimm, und in seinem Maul wirst du einen Pfennig finden, den gib für mich und dich.« Das ist ein feines Beispiel für das hier Gelehrte: Christus nennt sich und die Seinen freie Königskinder, die keines Dings bedürfen, und fügt sich doch willig, dient und gibt den Zins. So wenig wie dies Werk nun Christus zu seiner Rechtschaffenheit oder Seligkeit notwendig war oder gedient hat, sind alle seine oder seiner Christen Werke diesen zur Seligkeit notwendig; sondern es sind alles freie Dienste für die andern und ihre Besserung. So sollten auch alle Priester, Klöster und Stifter ihre Werke tun, daß jeder das Werk seines Standes und Ordens allein darum täte, um den andern zu Gefallen zu sein und den eigenen Leib zu regieren, den andern ein Vorbild zu geben, daß sie es ebenso machen, weil sie es auch nötig haben, ihren Leib zu bezwingen, dabei sich aber immer vorsehen, daß man sich nicht einbildet, dadurch rechtschaffen und selig zu werden, was nur der Glaube zu geben vermag. Auf diese Weise gebietet auch Sankt Paul, die (Christen) sollten der weltlichen Gewalt untertan sein und ihr zur Verfügung stehen, nicht daß sie dadurch rechtschaffen werden sollten, sondern, daß sie den andern und der Obrigkeit damit frei dienten und aus Liebe und Freiheit deren Willen täten. Wer nun hierfür das Verständnis hätte, der könnte sich mit Leichtigkeit in die unzähligen Gebote und Gesetze des Papstes, der Bischöfe, der Klöster, der Stifter, der Fürsten und Herrn schicken, auf die einige tolle Prälaten so drängen, als wären sie zur Seligkeit notwendig, und nennen sie Kirchengebote, wiewohl mit Unrecht. Ein freier Christ spricht nämlich so: Ich will fasten, beten, dies und das tun, was geboten ist, nicht weil ich es nötig hätte oder dadurch rechtschaffen oder selig werden wollte, sondern ich will es dem Papst, dem Bischof, der Gemeinde oder meinem Mitbruder, meinem Herrn, zuliebe, zum Vorbild und Dienst tun und leiden, gleichwie Christus viel größere Dinge mir zuliebe getan und gelitten hat, obwohl es für ihn noch weit weniger notwendig war; und obschon die Tyrannen Unrecht tun, daß sie so etwas fordern, schadet es mir doch nicht, weil es nicht wider Gott ist. Neunundzwanzigstens. Hieraus kann jedermann über alle Werke und Gebote ein sicheres Urteil gewinnen und auch unterscheiden lernen, welche die blinden und welches die recht gesinnten Prälaten sind. Denn wenn ein Werk nicht darauf gerichtet ist, dem andern zu dienen oder seinen Willen zu dulden, sofern er nicht zwingt, etwas wider Gott zu tun, so ist es kein gutes christliches Werk. Daher kommt es, daß ich fürchte, wenig Stifter, Kirchen, Klöster, Altäre, Messen und Testamente sind christlich, ebenso wie die Fasten und Gebete, die einigen Heiligen besonders dargebracht werden. Denn ich fürchte, daß in dem allen jeder nur das Seine sucht, in der Meinung, dadurch seine Sünde zu büßen und selig zu werden. Dies alles kommt aus der Unkenntnis des Glaubens und der christlichen Freiheit; und einige blinde Prälaten treiben die Leute dazu und preisen so ein Unwesen, empfehlen es durch Ablässe und lehren den Glauben überhaupt nicht mehr. Ich rate dir aber: Willst du etwas stiften, beten oder fasten, so tu es nicht in der Absicht, dir damit etwas Gutes anzutun, sondern gib es freiwillig hin, daß andere Leute es genießen können, und tu es zu ihrem Besten, dann bist du ein richtiger Christ. Was sollen dir deine Güter und guten Werke, die du übrig hast, deinen Leib zu regieren und zu versorgen, wo du doch genug am Glauben hast, in dem dir Gott alle Dinge gegeben hat? Sieh, so müssen Gottes Güter von einem zu dem andern fließen und allgemein werden, daß sich jeder seines Nächsten so annimmt, als wäre er's selbst. Aus Christus fließen sie uns zu, der sich unser in seinem Leben so angenommen hat, als wäre er das gewesen, was wir sind. Aus uns sollen sie zu denen fließen, die ihrer bedürfen, und zwar so völlig, daß ich auch meinen Glauben und meine Gerechtigkeit für meinen Nächsten vor Gott einsetzen muß, um seine Sünden zu decken, auf mich zu nehmen und nicht anders zu handeln, als wären sie meine eigenen, gerade so wie Christus an uns allen gehandelt hat. Sieh, das ist die Natur der Liebe, wenn sie wahrhaftig ist! Sie ist aber dort wahrhaftig, wo der Glaube wahrhaftig ist. Darum schreibt der heilige Apostel dies der Liebe zu, daß sie nicht das Ihre sucht, sondern das, was des Nächsten ist. Dreißigstens. Aus dem allen folgt der Satz, daß ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten - in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben steigt er über sich hinaus zu Gott; aus Gott steigt er unter sich hinab durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und in der göttlichen Liebe, wie Christus sagt: »Ihr werdet noch sehen den Himmel offen stehen und die Engel auf- und absteigen über den Sohn des Menschen.« Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde, die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. A M E N .
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