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Fabeln und Erzählungen
Gotthold Ephraim Lessing

 

Inhalt:

Das Geheimnis
Das Kruzifix
Das Muster der Ehen
Der ueber uns
Der Adler und die Eule
Der Eremit
Der Hirsch und der Fuchs
Der Loewe und die Muecke
Der Sperling und die Feldmaus
Der Tanzbaer
Der Wunsch zu sterben
Die Baere
Die Brille
Die Nuss und die Katze
Die Sonne
Die Teilung
Die eheliche Liebe
Die kranke Pulcheria
Faustin
Morydan
Nix Bodenstrom

 

Das Geheimnis

Hans war zum Pater hingetreten,
Ihm seine Suenden vorzubeten.
Hans war noch jung, doch ohne Ruhm,
So jung er war, von Herzen dumm.
Der Pater hoert ihn an. Hans beichtete nicht viel.
Was sollte Hans auch beichten?
Von Suenden wusst er nichts, und destomehr vom Spiel.
Spiel ist ein Mittelding, das braucht er nicht zu beichten.
“Nun, soll das alles sein?
Faellt", sprach der Pater, “dir sonst nichts zu beichten ein?”
“Ehrwuerdger Herr, sonst nichts—“Sonst weisst du gar nichts mehr?”
“Gar nichts, bei meiner Ehr!”
“Sonst weisst du nichts? das waere schlecht!
So wenig Suenden? Hans besinn dich recht.”
“Ach Herr, mit Seinem scharfen Fragen—
Ich wuesste wohl noch was.”
“Nu? Nur heraus!—“Ja das,
Herr Pater, kann ich Ihm bei meiner Treu nicht sagen.”
“So? weisst du etwa schon, worueber junge Dirnen,
Wenn man es ihnen tut, und ihnen nicht tut, zuernen?”
“Herr, ich versteh Euch nicht”—“Und desto besser; gut.
Du weisst doch nichts von Dieberei, von Blut?
Dein Vater hurt doch nicht?”—“O meine Mutter sprichts;
Doch das ist alles nichts.”
“Nichts? Nu, was weisst du denn? Gesteh! du musst es sagen!
Und ich versprech es dir,
Was du gestehest bleibt bei mir.”
“Auf Sein Versprechen, Herr, mag es ein andrer wagen;
Dass ich kein Narre bin!
Er darfs, Ehrwuerdger Herr, nur einem Jungen sagen,
So ist mein Gluecke hin.”
“Verstockter Boesewicht", fuhr ihn der Pater an,
“Weisst du, vor wem du stehst?—dass ich dich zwingen kann?
Geh! dein Gewissen soll dich brennen!
Kein Heiliger dich kennen!
Dich kenn Maria nicht, auch nicht Mariens Sohn!”
Hier waer dem armen Bauerjungen
Vor Angst beinah das Herz zersprungen.
Er weint und sprach voll Reu: “Ich weiss”—“Das weiss ich schon,
Dass du was weisst; doch was?”—“Was sich nicht sagen laesst”—
“Noch zauderst du?”—“Ich weiss”—“Was denn?” “Ein Vogelnest.
Doch wo es ist, fragt nicht; ich fuerchte drum zu kommen.
Vorm Jahre hat mir Matz wohl zehne weggenommen.”
“Geh Narr, ein Vogelnest war nicht der Muehe wert,
Dass du es mir gesagt, und ichs von dir begehrt.”

Ich kenn ein drolligt Volk,* mit mir kennt es die Welt,
Das schon seit manchen Jahren
Die Neugier auf der Folter haelt,
Und dennoch kann sie nichts erfahren.
Hoer auf, leichtglaeubge Schar, sie forschend zu umschlingen!
Hoer auf, mit Ernst in sie zu dringen!
Wer kein Geheimnis hat, kann leicht den Mund verschliessen.
Das Gift der Plauderei ist, nichts zu plaudern wissen.
Und wissen sie auch was, so kann mein Maerchen lehren,
Dass oft Geheimnisse uns nichts Geheimes lehren,
Und man zuletzt wohl spricht: War das der Muehe wert,
Dass ihr es mir gesagt, und ichs von euch begehrt?

* Die Freimaeurer.

 

 

Das Kruzifix

“Hans", spricht der Pater, “du musst laufen,
Uns in der naechsten Stadt ein Kruzifix zu kaufen.
Nimm Matzen mit, hier hast du Geld.
Du wirst wohl sehn, wie teuer man es haelt.”
Hans koemmt mit Matzen nach der Stadt.
Der erste Kuenstler war der beste.
“Herr, wenn Er Kruzifixe hat,
So lass Er uns doch eins zum heilgen Osterfeste.”

Der Kuenstler war ein schalkscher Mann,
Der gern der Einfalt lachte,
Und Dumme gern noch duemmer machte,
Und fing im Scherz zu fragen an:
“Was wollt ihr denn fuer eines?”

“Je nun", spricht Matz, “ein wacker feines.
Wir werden sehn, was ihr uns gebt.”

“Das glaub ich wohl, allein das frag ich nicht.
Ein totes, oder eins das lebt?”

Hans guckte Matzen und Matz Hansen ins Gesicht.
Sie oeffneten das Maul, allein es redte nicht.
“Nun gebt mir doch Bericht.
Habt ihr den Pater nicht gefragt?”
“Mein Blut!” spricht endlich Hans, der aus dem Traum erwachte,
“Mein Blut! er hat uns nichts gesagt.
Weisst du es, Matz?”—“Ich dachte;
Wenn dus nicht weisst; wie soll ichs wissen?”
“So werdet ihr den Weg noch einmal gehen muessen.
“Das wollen wir wohl bleiben lassen.
Ja, wenn es nicht zur Frone waer.”

Sie denken lange hin und her,
Und wissen keinen Rat zu fassen.
Doch endlich faellt es Matzen ein:
“Je! Hans, sollts nicht am besten sein,
Wir kauften eins das lebt?—Denn sieh,
Ists ihm nicht recht, so machts ja wenig Mueh,
Waers auch ein Ochs, es tot zu schlagen.”
“Nun ja", spricht Hans, “das wollt ich eben sagen:
So haben wir nicht viel zu wagen.”

Das war ein Argument, ihr Herren Theologen,
Das Hans und Matz ex tuto zogen.

 

 

Das Muster der Ehen

Ein rares Beispiel will ich singen,
Wobei die Welt erstaunen wird.
Dass alle Ehen Zwietracht bringen,
Glaubt jeder, aber jeder irrt.
Ich sah das Muster aller Ehen,
Still, wie die stillste Sommernacht.
Oh! dass sie keiner moege sehen,
Der mich zum frechen Luegner macht!

Und gleichwohl war die Frau kein Engel,
Und der Gemahl kein Heiliger;
Es hatte jedes seine Maengel.
Denn niemand ist von allen leer.

Doch sollte mich ein Spoetter fragen,
Wie diese Wunder moeglich sind?
Der lasse sich zur Antwort sagen:
Der Mann war taub, die Frau war blind.

 

 

Der ueber uns

Hans Steffen stieg bei Daemmerung (und kaum
Konnt er vor Naeschigkeit die Daemmerung erwarten)
In seines Edelmannes Garten
Und pluenderte den besten Aepfelbaum.
Johann und Hanne konnten kaum
Vor Liebesglut die Daemmerung erwarten,
Und schlichen sich in eben diesen Garten,
Von ungefaehr an eben diesen Aepfelbaum.

Hans Steffen, der im Winkel oben sass
Und fleissig brach und ass,
Ward maeuschenstill, vor Wartung boeser Dinge,
Dass seine Naescherei ihm diesmal schlecht gelinge.
Doch bald vernahm er unten Dinge,
Worueber er der Furcht vergass
Und immer sachte weiter ass.

Johann warf Hannen in das Gras.
“O pfui,” rief Hanne; “welcher Spass!
Nicht doch, Johann!—Ei was?
Oh, schaeme dich!—Ein andermal—o lass—
Oh, schaeme dich!—Hier ist es nass.”—
“Nass, oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras.”—

Wie dies Gespraeche weiter lief,
Das weiss ich nicht. Wer brauchts zu wissen?
Sie stunden wieder auf und Hanne seufzte tief:
“So, schoener Herr! heisst das bloss kuessen?
Das Maennerherz! Kein einzger hat Gewissen!
Sie koennten es uns so versuessen!
Wie grausam aber muessen
Wir armen Maedchen oefters dafuer buessen!
Wenn nun auch mir ein Unglueck widerfaehrt—
Ein Kind—ich zittre—wer ernaehrt
Mir dann das Kind? Kannst du es mir ernaehren?”
“Ich?” sprach Johann; “die Zeit mags lehren.
Doch wirds auch nicht von mir ernaehrt,
Der ueber uns wirds schon ernaehren,
Dem ueber uns vertrau!”

Dem ueber uns! Dies hoerte Steffen.
Was, dacht er, will das Pack mich aeffen?
Der ueber ihnen? Ei, wie schlau!
“Nein!” schrie er: “lasst euch andre Hoffnung laben!
Der ueber euch ist nicht so toll!
Wenn ich ein Bankbein naehren soll:
So will ich es auch selbst gedrechselt haben!”

Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
Das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
Sie auch den Aepfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, dass sies getan.

 

 

Der Adler und die Eule

Der Adler Jupiters und Pallas Eule stritten.
“Abscheulich Nachtgespenst!”—“Bescheidner, darf ich bitten.
Der Himmel heget mich und dich;
Was bist du also mehr, als ich?”
Der Adler sprach: Wahr ists, im Himmel sind wir beide;
Doch mit dem Unterscheide:
Ich kam durch eignen Flug,
Wohin dich deine Goettin trug.

 

 

Der Eremit

Im Walde nah bei einer Stadt,
Die man mir nicht genennet hat,
Liess einst ein seltenes Gefieder,
Ein junger Eremit sich nieder.
“In einer Stadt", denkt Applikant,
“Die man ihm nicht genannt?
Was muss er wohl fuer eine meinen?
Beinahe sollte mir es scheinen,
Dass die,—nein die—gemeinet waer.”
Kurz Applikant denkt hin und her,
Und schliesst, noch eh er mich gelesen,
Es sei gewiss Berlin gewesen.

“Berlin? Ja, ja, das sieht man bald;
Denn bei Berlin ist ja ein Wald.—

Der Schluss ist stark, bei meiner Ehre:
Ich dachte nicht, dass es so deutlich waere.
Der Wald passt herrlich auf Berlin,
Ohn ihn beim Haar herbeizuziehn.
Und ob das Uebrige wird passen,
Will ich dem Leser ueberlassen.
Auf Griechisch weiss ich, wie sie hiess;
Doch wer verstehts? Kerapolis.

Hier, nahe bei Kerapolis,
Wars, wo ein junger Eremite,
In einer kleinen leeren Huette,
Im dicksten Wald sich niederliess.
Was je ein Eremit getan,
Fing er mit groesstem Eifer an.
Er betete, er sang, er schrie,
Des Tags, des Nachts, und spaet und frueh.
Er ass kein Fleisch, er trank nicht Wein,
Liess Wurzeln seine Nahrung sein,
Und seinen Trank das helle Wasser;
Bei allem Appetit kein Prasser.
Er geisselte sich bis aufs Blut,
Und wusste wie das Wachen tut.
Er fastete wohl ganze Tage,
Und blieb auf einem Fusse stehn;
Und machte sich rechtschaffne Plage,
In Himmel muehsam einzugehn.
Was Wunder also, dass gar bald
Vom jungen Heiligen im Wald
Der Ruf bis in die Stadt erschallt?

Die erste, die aus dieser Stadt
Zu ihm die heilge Wallfahrt tat,
War ein betagtes Weib.
Auf Kruecken, zitternd, kam sie an,
Und fand den wilden Gottesmann,
Der sie von weitem kommen sahe,
Dem hoelzern Kreuze knieend nahe.
Je naeher sie ihm koemmt, je mehr
Schlaegt er die Brust, und weint, und winselt er,
Und wie es sich fuer einen Heilgen schicket,
Erblickt sie nicht, ob er sie gleich erblicket.
Bis er zuletzt vom Knieen matt,
Und heiliger Verstellung satt,
Vom Fasten, Kreuzgen, Klosterleben,
Marienbildern, Opfergeben,
Von Beichte, Salbung, Seelenmessen,
Ohn das Vermaechtnis zu vergessen,
Von Rosenkraenzen mit ihr redte,
Und das so oratorisch sagt,
Dass sie erbaermlich weint und klagt,
Als ob er sie gepruegelt haette.
Zum Schluss bricht sie von seiner Huette,
Wozu der saure Eremite
Mit Not ihr die Erlaubnis gab,
Sich einen heilgen Splitter ab,
Den sie bekuesset und belecket,
Und in den welken Busen stecket.
Mit diesem Schatz von Heiligkeit
Kehrt sie zurueck begnadigt und erfreut,
Und laesst daheim die froemmsten Frauen
Ihn kuessen, andre nur beschauen.
Sie ging zugleich von Haus zu Haus,
Und rief auf allen Gassen aus:
“Der ist verloren und verflucht,
Der unsern Eremiten nicht besucht!”
Und brachte hundert Gruende bei,
Warum es sonderlich den Weibern nuetzlich sei.

Ein altes Weib kann Eindruck machen;
Zum Weinen bei der Frau, und bei dem Mann zum Lachen.
Zwar ist der Satz nicht allgemein;
Auch Maenner koennen Weiber sein.
Doch diesmal waren sie es nicht.
Die Weiber schienen nur erpicht,
Den teuern Waldseraph zu sehen.
Die Maenner aber?—wehrtens nicht,
Und liessen ihre Weiber gehen.
Die Haesslichen und Schoenen,
Die aeltesten und juengsten Frauen,
Das arme wie das reiche Weib,—
Kurz jede ging, sich zu erbauen,
Und jede fand erwuenschten Zeitvertreib.

“Was? Zeitvertreib, wo man erbauen will?
Was soll der Widerspruch bedeuten?”
Ein Widerspruch? Das waere viel!
“Er sprach ja sonst von lauter Seligkeiten!”—
Oh! davon sprach er noch, nur mit dem Unterscheide:
Mit Alten sprach er stets von Tod und Eitelkeit,
Mit Armen von des Himmels Freude,
Mit Haesslichen von Ehrbarkeit,
Nur mit den Schoenen allezeit
Vom ersten jeder Christentriebe.
Was ist das? Wer mich fragt, kann der ein Christ wohl sein?
Denn jeder Christ koemmt damit ueberein,
Es sei die liebe Liebe.

Der Eremit war jung; das hab ich schon gesagt.
Doch schoen? Wer nach der Schoenheit fragt,
Der mag ihn hier besehn.
Genug, den Weibern war er schoen.
Ein starker, frischer, junger Kerl,
Nicht dicke wie ein Fass, nicht hager wie ein Querl—
“Nun, nun, aus seiner Kost ist jenes leicht zu schliessen.”
Doch sollte man auch wissen,
Dass Gott dem, den er liebt,
Zu Steinen wohl Gedeihen gibt;
Und das ist doch kein fett Gerichte!
Ein braeunlich maennliches Gesichte,
Nicht allzu klein, nicht allzu gross,
Das sich im dichten Barte schloss;
Die Blicke wild, doch sonder Anmut nicht;
Die Nase lang, wie man die Kaisernasen dichtt.
Das ungebundne Haar floss straubicht um das Haupt;
Und wesentlichre Schoenheitsstuecke
Hat der zerrissne Rock dem Blicke
Nicht ganz entdeckt, nicht ganz geraubt.
Der Waden nur noch zu gedenken:
Sie waren gross, und hart wie Stein.
Das sollen, wie man sagt, nicht schlimme Zeichen sein;
Allein den Grund wird man mir schenken.

Nun wahrlich, so ein Kerl kann Weiber luestern machen.
Ich sag es nicht fuer mich; es sind geschehne Sachen.
“Geschehne Sachen? was?
So ist man gar zur Tat gekommen?”
Mein lieber Simplex, fragt sich das?
Weswegen haett er denn die Predigt unternommen?
Die suesse Lehre suesser Triebe?
Die Liebe heischet Gegenliebe,
Und wer ihr Priester ist, verdienet keinen Hass.

O Andacht, musst du doch so manche Suende decken!
Zwar die Moral ist hier zu scharf,
Weil mancher Mensch sich nicht bespiegeln darf,
Aus Furcht, er moechte vor sich selbst erschrecken.
Drum will ich nur mit meinen Lehren
Ganz still nach Hause wieder kehren.
Koemmt mir einmal der Einfall ein,
Und ein Verleger will fuer mich so gnaedig sein,
Mich in gross Quart in Druck zu nehmen;
So koennt ich mich vielleicht bequemen,
Mit hundert englischen Moralen,
Die ich im Laden sah, zu prahlen,
Exempelschaetze, Sittenrichter,
Die alten und die neuen Dichter
Mit witzgen Fingern nachzuschlagen,
Und was die sagen, und nicht sagen,
In einer Note abzuschreiben.
Bringt, sag ich noch einmal, man mich gedruckt an Tag;
Denn in der Handschrift lass ichs bleiben,
Weil ich mich nicht beluegen mag.

Ich fahr in der Erzaehlung fort—
Doch moecht ich in der Tat gestehn,
Ich haette manchmal moegen sehn,
Was die und die, die an den Wallfahrtsort
Mit heiligen Gedanken kam,
Fuer fremde Mienen an sich nahm,
Wenn der verwegne Eremit,
Fein listig, Schritt vor Schritt,
Vom Geist aufs Fleisch zu reden kam.
Ich zweifle nicht, dass die verletzte Scham
Den Zorn nicht ins Gesicht getrieben,
Dass Mund und Hand nicht in Bewegung kam,
Weil beide die Bewegung lieben;
Allein, dass die Versoehnung ausgeblieben,
Glaub ich, und wer die Weiber kennt,
Nicht eher, als kein Stroh mehr brennt.
Denn wird doch wohl ein Loewe zahm.
Und eine Frau ist ohnedem ein Lamm.
“Ein Lamm? du magst die Weiber kennen.”
Je nun, man kann sie doch insoweit Laemmer nennen,
Als sie von selbst ins Feuer rennen.

“Faehrst du in der Erzaehlung fort?
Und bleibst mit deinem Kritisieren
Doch ewig an demselben Ort?”
So kann das Nuetzliche den Dichter auch verfuehren.
Nun gut, ich fahre fort,
Und sag, um wirklich fortzufahren,
Dass nach fuenf Vierteljahren
Die Schelmereien ruchbar waren.
“Erst nach fuenf Vierteljahren? Nu;
Der Eremit hat wacker ausgehalten.
So viel trau ich mir doch nicht zu;
Ich moechte nicht sein Amt ein Vierteljahr verwalten.
Allein, wie ward es ewig kund?
Hat es ein schlauer Mann erfahren?
Verriet es einer Frau waschhafter Mund?
Wie? oder dass den Hochverrat
Ein alt neugierig Weib, aus Neid, begangen hat?”
O nein; hier muss man besser raten,
Zwei muntre Maedchen hatten schuld,
Die voller frommen Ungeduld
Das taten, was die Muetter taten;
Und dennoch wollten sich die Muetter nicht bequemen,
Die guten Kinder mitzunehmen.
“Sie merkten also wohl den Braten?”—
Und haben ihn gar dem Papa verraten.
“Die Toechter sagtens dem Papa?
Wo blieb die Liebe zur Mama?”
Oh! die kann nichts darunter leiden;
Denn wenn ein Maedchen auch die Mutter liebt,
Dass es der Mutter in der Not
Den letzten Bissen Brot
Aus seinem Munde gibt;
So kann das Maedchen doch die Mutter hier beneiden,
Hier, wo so Lieb als Klugheit spricht:
Ihr Schoenen, trotz der Kinderpflicht,
Vergesst euch selber nicht!
Kurz, durch die Maedchen kams ans Licht,
Dass er, der Eremit, beinah die ganze Stadt
Zu Schwaegern oder Kindern hat.

Oh! der verfluchte Schelm! Wer haette das gedacht!
Die ganze Stadt ward aufgebracht,
Und jeder Ehmann schwur, dass in der ersten Nacht,
Er und sein Mitgenoss der Hain,
Des Feuers Beute muesse sein.
Schon rotteten sich ganze Scharen,
Die zu der Rache fertig waren.
Doch ein hochweiser Magistrat
Besetzt das Tor, und sperrt die Stadt,
Der Eigenrache vorzukommen,
Und schicket alsobald
Die Schergen in den Wald,
Die ihn vom Kreuze weg, und in Verhaft genommen.
Man redte schon von Galgen und von Rad,
So sehr schien sein Verbrechen haesslich;
Und keine Strafe war so graesslich,
Die, wie man sagt, er nicht verdienet hat.
Und nur ein Hagestolz, ein schlauer Advokat,
Sprach: “Oh! dem koemmt man nicht ans Leben,
Der es Unzaehligen zu geben,
So ruehmlich sich beflissen hat.”

Der Eremite, der die Nacht
Im Kerker ungewiss und sorgend durchgemacht,
Ward morgen ins Verhoer gebracht.
Der Richter war ein schalkscher Mann,
Der jeden mit Vergnuegen schraubte,
Und doch—(wie man sich irren kann!)
Von seiner Frau das beste glaubte.
“Sie ist ein Ausbund aller Frommen,
Und nur einmal in Wald gekommen,
Den Pater Eremit zu sehn.
Einmal! Was kann da viel geschehn?”
So denkt der guetige Herr Richter.
Denk immer so, zu deiner Ruh,
Lacht gleich die Wahrheit und der Dichter,
Und deine fromme Frau dazu.

Nun tritt der Eremit vor ihn.
“Mein Freund, wollt Ihr von selbst die nennen,
Die—die Ihr kennt, und die Euch kennen:
So koennt Ihr der Tortur entfliehn.
Doch”—“Darum lass ich mich nicht plagen.
Ich will sie alle sagen.
Herr Richter, schreib Er nur!” Und wie?
Der Eremit entdecket sie?
Ein Eremite kann nicht schweigen?
Sonst ist das Plaudern nur den Stutzern eigen.
Der Richter schrieb. “Die erste war
Kamilla”—“Wer? Kamilla?” “Ja fuerwahr!
Die andern sind: Sophia, Laura, Doris,
Angelika, Korinna, Chloris”—
“Der Henker mag sie alle fassen,
Gemach! und eine nach der andern fein!
Denn eine nur vorbei zu lassen”—
“Wird wohl kein grosser Schade sein",
Fiel jeder Ratsherr ihm ins Wort.
“Hoert", schrieen sie, “erzaehlt nur fort!”
Weil jeder Ratsherr in Gefahr,
Sein eigen Weib zu hoeren war.
“Ihr Herren", schrie der Richter, “nein!
Die Wahrheit muss am Tage sein;
Was koennen wir sonst fuer ein Urteil fassen?”
“Ihn", schrieen alle, “gehn zu lassen.”
“Nein, die Gerechtigkeit”—und kurz der Delinquent
Hat jede noch einmal genennt,
Und jeder hing der Richter dann
Ein loses Wort fuer ihren Hahnrei an.
Das Hundert war schon mehr als voll;
Der Eremit, der mehr gestehen soll,
Stockt, weigert sich, scheut sich zu sprechen—
“Nu, nu, nur fort! was zwingt Euch wohl,
So unvermutet abzubrechen?”
“Das sind sie alle!” “Seid Ihr toll?
Ein Held wie Ihr! Gestehet nur, gesteht!
Die letzten waren, wie Ihr seht:
Klara, Pulcheria, Susanne,
Charlotte, Mariane, Hanne.
Denkt nach! ich lass Euch Zeit dazu!”
“Das sind sie wirklich alle!” “Nu—
Macht, eh wir schaerfer in Euch dringen!”
“Nein keine mehr; ich weiss genau—
“Ha! ha! ich seh, man soll Euch zwingen”—
“Nun gut, Herr Richter,—Seine Frau”—

*
Dass man von der Erzaehlung nicht
Als einem Weibermaerchen spricht,
So mach ich sie zum Lehrgedicht,
Durch beigefuegten Unterricht:
Wer seines Naechsten Schande sucht,
Wird selber seine Schande finden!
Nicht wahr, so liest man mich mit Frucht?
Und ich erzaehle sonder Suenden?

 

 

Der Hirsch und der Fuchs

“Hirsch, wahrlich, das begreif ich nicht",
Hoert ich den Fuchs zum Hirsche sagen,
“Wie dir der Mut so sehr gebricht?
Der kleinste Windhund kann dich jagen.
Besieh dich doch, wie gross du bist!
Und sollt es dir an Staerke fehlen?
Den groessten Hund, so stark er ist,
Kann dein Geweih mit einem Stoss entseelen.
Uns Fuechsen muss man wohl die Schwachheit uebersehn;
Wir sind zu schwach zum widerstehn.
Doch dass ein Hirsch nicht weichen muss,
Ist sonnenklar. Hoer meinen Schluss.
Ist jemand staerker, als sein Feind,
Der braucht sich nicht vor ihm zurueckzuziehen;
Du bist den Hunden nun weit ueberlegen, Freund:
Und folglich darfst du niemals fliehen.”
“Gewiss, ich hab es nie so reiflich ueberlegt.
Von nun an", sprach der Hirsch, “sieht man mich unbewegt,
Wenn Hund' und Jaeger auf mich fallen;
Nun widersteh ich allen.”

Zum Unglueck, dass Dianens Schar
So nah mit ihren Hunden war.
Sie bellen, und sobald der Wald
Von ihrem Bellen widerschallt,
Fliehn schnell der schwache Fuchs und starke Hirsch davon.

*
Natur tut allzeit mehr, als Demonstration.

 

 

Der Loewe und die Muecke

Ein junger Held vom muntern Heere,
Das nur der Sonnenschein belebt,
Und das mit saugendem Gewehre
Nach Ruhm gestochner Beulen strebt,
Doch die man noch zum grossen Gluecke
Durch zwei Paar Struempfe hindern kann,
Der junge Held war eine Muecke.
Hoert meines Helden Taten an!
Auf ihren Kreuz- und Ritterzuegen
Fand sie, entfernt von ihrer Schar,
Im Schlummer einen Loewen liegen,
Der von der Jagd entkraeftet war.
Seht, Schwestern, dort den Loewen schlafen,
Schrie sie die Schwestern gaukelnd an.
Jetzt will ich hin, und will ihn strafen.
Er soll mir bluten, der Tyrann!

Sie eilt, und mit verwegnem Sprunge
Setzt sie sich auf des Koenigs Schwanz.
Sie sticht, und flieht mit schnellem Schwunge,
Stolz auf den sauern Lorbeerkranz.
Der Loewe will sich nicht bewegen?
Wie? ist er tot? Das heiss ich Wut!
Zu moerdrisch war der Muecke Degen:
Doch sagt, ob er nicht Wunder tut?

“Ich bin es, die den Wald befreiet,
Wo seine Mordsucht sonst getobt.
Seht, Schwestern, den der Tiger scheuet,
Der stirbt! Mein Stachel sei gelobt!”
Die Schwestern jauchzen, voll Vergnuegen,
Um ihre laute Siegerin.
Wie? Loewen, Loewen zu besiegen!
Wie, Schwester, kam dir das in Sinn?

“Ja, Schwestern, wagen muss man! wagen!
Ich haett es selber nicht gedacht.
Auf! lasset uns mehr Feinde schlagen.
Der Anfang ist zu schoen gemacht.”
Doch unter diesen Siegesliedern,
Da jede von Triumphen sprach,
Erwacht der matte Loewe wieder,
Und eilt erquickt dem Raube nach.

 

 

Der Sperling und die Feldmaus

Zur Feldmaus sprach ein Spatz: Sieh dort den Adler sitzen!
Sieh, weil du ihn noch siehst! er wiegt den Koerper schon;
Bereit zum kuehnen Flug, bekannt mit Sonn und Blitzen,
Zielt er nach Jovis Thron.
Doch wette,—seh ich schon nicht adlermaessig aus—
Ich flieg ihm gleich.—Fleug, Prahler, rief die Maus.
Indes flog jener auf, kuehn auf gepruefte Schwingen;
Und dieser wagts, ihm nachzudringen.
Doch kaum, dass ihr ungleicher Flug
Sie beide bis zur Hoeh gemeiner Baeume trug,
Als beide sich dem Blick der bloeden Maus entzogen,
Und beide, wie sie schloss, gleich unermesslich flogen.

*
Ein unbiegsamer F* will kuehn wie Milton singen.
Nach dem er Richter waehlt, nach dem wirds ihm gelingen.

 

 

Der Tanzbaer

Ein Tanzbaer war der Kett entrissen,
Kam wieder in den Wald zurueck,
Und tanzte seiner Schar ein Meisterstueck
Auf den gewohnten Hinterfuessen.
“Seht", schrie er, “das ist Kunst; das lernt man in der Welt.
Tut mir es nach, wenns euch gefaellt,
Und wenn ihr koennt!” “Geh", brummt ein alter Baer,
“Dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
Sie sei so rar sie sei!
Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.”

*
Ein grosser Hofmann sein,
Ein Mann, dem Schmeichelei und List
Statt Witz und Tugend ist;
Der durch Kabalen steigt, des Fuersten Gunst erstiehlt,
Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt,
Ein solcher Mann, ein grosser Hofmann sein,
Schliesst das Lob oder Tadel ein?

 

 

Der Wunsch zu sterben. Eine Erzaehlung.

 

Ein durch die Jagd ergrimmter Baer
Latscht hinter einen Wandrer her.
Aus Rache will er ihn zerreissen.
(Das mag dem Wandrer wohl ein unverdientes Unglueck heissen.)
Aus Rache, dummes Tier? wird mancher Leser sprechen,
Kannst du dich nicht an deinen Jaegern raechen?
O schimpft mir nicht das gute Vieh:
Es folgt den Trieben nur; Vernunft regiert es nie.
Es hat ja unter uns—was sagt ich? nein—bei Hunden
Gewiss nicht wenige von gleicher Art gefunden.
Geschwinde! Wanderer, geschwind und rette dich.
Er laeuft, der Baer laeuft nach. Er schreit, will sich verstecken,
Der Baer nicht faul, sucht ihn, bricht brummend durch die Hecken,
Und jagt ihn wieder vor. Der aendert oft den Lauf;
Bald rechts, bald vor, bald links. Doch alle diese Raenke
Sind hier umsonst. Warum? Der Baer hat auch Gelenke.
Gewiss so eine Jagd waer mir nicht laecherlich!
Jedoch zu was wird sich der Wandrer nun entschliessen?
Er springt den naechsten Baum hinauf.
Oh! das wird niemand wohl das beste Mittel nennen.
Er musste doch in aller Angst nicht wissen,
Dass Baere gleichfalls klettern koennen.
Das tolle Tier erblickt es kaum,
So stutzt es, brummt und kratzt den Baum,
Es baeumt den schweren Leib, es setzt die Vordertatzen
An Rind und Aesten ein, so schnell, als scheue Katzen.
So langsam Gegenteils hebt es des Koerpers Wucht;
Doch koemmt es schon so hoch, dass der den Gipfel sucht.
Was gibt uns oft die Angst nicht ein?
Der Wandrer sucht des Feindes los zu sein.
Er stoesst, und stoesst den Fuss mit voller Leibesstaerke
Dem Baere vor den Kopf. Doch grosse Wunderwerke
Tat dieses Stoesschen nicht. Wie kann es anders sein?
Wer Baere toeten will, braucht der den Fuss allein?
Er taumelt nur, anstatt zu fallen,
Und fasset schnell mit seinen Krallen
Des Wandrers Fuss, der nach ihm stiess.
Er haelt ihn, wie ein Baer. Durch Zerren und durch Beissen
Sucht er den Raub herabzureissen.
Jedoch je mehr er riss, je mehr haelt jener sich
An Aesten fest und ritterlich.
Wenn Witz und Tapferkeit uns nicht erretten kann,
Beut oft das blinde Glueck uns seine Rettung an.
Der wuetend plumpe Baer
Ist fuer den duennen Ast zu schwer;
Der bricht, und er faellt schuetternd schnell zu Boden.
Der Fall bringt ihn fast um den Oden,
Und keuchend schleicht er zornig fort.
Von Schrecken, Furcht und Schmerzen eingenommen,
Sieht kaum der Wanderer, dass er der Not entkommen.
Nun lobt er wohl, durch jedes Wort,
Mit zaertlich dankbarem Gemuete
Des Himmels unverhoffte Guete?
O weit gefehlet! nein! mit zitternd schwacher Sprache
Flucht, laestert, schreiet er selbst wider GOtt um Rache.
Er kriecht vom Baum herab und laesst sich murrend nieder.
Sein nasses Auge sieht das Blut der wunden Glieder.
Der Schmerz verfuehret ihn, dass er den Tod begehrt,
Den Tod, vor dem er sich mit Fliehn und Schrein gewehrt.
Bald flucht er auf den Baer, der ihn nicht ganz zerrissen;
Bald flucht er auf sich selbst, dass er sich retten muessen.
“O naeh're dich, erwuenschter Tod!
Benimm mir Leben Schmerz und Not!
Entfuehr mir dieser Wunsch doch mit dem letzten Hauche!”
St! St! was raschelt dort, dort hinter jenem Strauche?
Beglueckter Wanderer! dein Wunsch ist schon erhoert.
Es koemmt ein neuer Baer, der dich im Klagen stoert.
Ein Baer? Erschrick nur nicht! Ein Baer.
Ohn Zweifel schickt der Tod ihn her.
Der Tod? Ja! ja, der Tod den du gewuenschet hast,
Gewuenschet und erfleht. “Das ist ein schlimmer Gast.
Der Henker! weiss er denn gar nichts von Komplimenten?
Wenn meine Beine doch mich nur erretten koennten!”
Mit Muehe sucht er aufzustehn;
Doch kann er nicht vom Flecke gehn.
Hier kam ihm schnell ein ander Mittel ein,
Das ihm vorher nicht eingekommen.
Er hatt es einst (zehn Jahre mocht es sein)
Von einem Reisenden vernommen;
Und hatt es nie, nur in der Not, vergessen,
Dass Baere selten Tote fressen.
Sein Einfall wirft ihn hurtig nieder;
Die schon vor Schrecken kalten Glieder
Streckt er starr von sich weg, so sehr er immer kann,
Und haelt den Oden muehsam an.
Der Baer beschnopert ihn, findt keines Lebens Spur,
Mag sich an Toten nicht begnuegen,
Kehrt sittsam um, und brummet nur,
Und laesst den Schalk in Ruhe liegen.
Was ist bei dir ein Wunsch? Mein Freund, lass michs verstehen.
Du wuenschst den Tod: er koemmt; du suchst ihm zu entgehen.
Steh auf! der Baer ist fort. Was fluchst du ihm noch nach?
Zum Danke, dass er dir nicht Hals und Beine brach?
Was soll die Laesterung? Verringert sie die Schmerzen?
Noch wuenschest du den Tod? Das geht dir wohl von Herzen?
Nur schade, dass er dich vorhin so spotten sah:
Sonst waer er wahrlich laengst auf dein Ersuchen da.
Der schwuele Tag vergeht; der Abend bricht herein.
O koennt er, in geborstnen Feldern,
Wie durch die Hitze matten Waeldern,
Mein Wandrer, ebenfalls dir zur Erquickung sein!
Man sieht die Luft, sich abzukuehlen,
Mit stummen Blitzen haeufig spielen.
“Oh!” schreit der Wanderer, “zoeg sich ein Wetter auf!
O hemmten Blitz und Schlag mir Pein und Lebenslauf!”
Schnell zeigt der Donnergott dem Wunsche sich gewogen.
Des ganzen Himmels weite Ferne
Verdeckt viel Dunst; die hellsten Sterne
Sind schwarz mit Wolken ueberzogen,
Schnell faehrt der Blitz heraus, kracht hier und dort ein Schlag.
Auf, Wandrer, freue dich! das ist dein Sterbetag!
Nun wird der Tod auf Donnerkeilen
Zu dir verlassnem Armen eilen.
Was scherzst du noch voll Furcht?—Ihr Freunde, gebt doch acht;
Doch bitt ich, zwaenget euch, dass ihr nicht drueber lacht...
“Ja! das ist Pein—o stuerb ich doch!—
Komm Tod! komm doch—du zauderst noch?
Jedoch hier mag ich wohl nicht allzusicher liegen?
Ich habe ja einmal gehoert,
Wie die Erfahrung oft gelehrt,
Dass Donner gern in Eichen schluegen.
O machte mir ein Lorbeerbaum
Doch unter seinen Aesten Raum.
O weh! wie schmerzt das Bein! Erbarm dich doch o Tod!
Jedoch dort schlug es ein—Nun ists die hoechste Not,
Soll mich das Wetter nicht verletzen,
Mich schnell in Sicherheit zu setzen!”
Geh! dummer Wandrer, geh! such einen sichern Ort;
Und wuensche bald den Tod; bald wuensch ihn wieder fort.
Mich soll dein Wankelmut der Menschen Zagheit lehren,
Muss ich sie so, wie dich, verwegen wuenschen hoeren.
Glaubt, Freunde, glaubet mir! der ist ein weiser Mann,
Der zwar das Leben liebt, doch mutig sterben kann!

L. a. C.

 

 

Die Baere

Den Baeren glueckt' es, nun schon seit geraumer Zeit,
Mit Brummen, plumpem Ernst und stolzer Froemmigkeit,
Das Sittenrichteramt, bei allen schwaechern Tieren,
Aus angemasster Macht, gleich Wuetrichen, zu fuehren.
Ein jedes furchte sich, und keines war so kuehn,
Sich um die saure Pflicht nebst ihnen zu bemuehn;
Bis endlich noch im Fuchs der Patriot erwachte,
Und hier und da ein Fuchs auf Sittensprueche dachte.
Nun sah man beide stets auf gleiche Zwecke sehn;
Und beide sah man doch verschiedne Wege gehn.
Die Baere wollen nur durch Strenge heilig machen;
Die Fuechse strafen auch, doch strafen sie mit Lachen.
Dort brauchet man nur Fluch; hier brauchet man nur Scherz;
Dort bessert man den Schein; hier bessert man das Herz.
Dort sieht man Duesternheit; hier sieht man Licht und Leben;
Dort nach der Heuchelei; hier nach der Tugend streben.
Du, der du weiter denkst, fragst du mich nicht geschwind:
Ob beide Teile wohl auch gute Freunde sind?
O waeren sies! Welch Glueck fuer Tugend, Witz und Sitten!
Doch nein, der arme Fuchs wird von dem Baer bestritten,
Und, trotz des guten Zwecks, von ihm in Bann getan.
Warum? der Fuchs greift selbst die Baere tadelnd an.

*
Ich kann mich diesmal nicht bei der Moral verweilen;
Die fuenfte Stunde schlaegt; ich muss zum Schauplatz eilen.
Freund, leg die Predigt weg! Willst du nicht mit mir gehn?
Was spielt man? Den Tartueff. Dies Schandstueck sollt ich sehn?

 

 

Die Brille

Dem alten Freiherrn von Chrysant,
Wagts Amor, einen Streich zu spielen.
Fuer einen Hagestolz bekannt,
Fing, um die Sechzig, er sich wieder an zu fuehlen.
Es flatterte, von Alt und Jung begafft,
Mit Reizen ganz besondrer Kraft,
Ein Buergermaedchen in der Nachbarschaft.
Dies Buergermaedchen hiess Finette.
Finette ward des Freiherrn Siegerin.
Ihr Bild stand mit ihm auf, und ging mit ihm zu Bette.
Da dacht in seinem Sinn
Der Freiherr: “Und warum denn nur ihr Bild?
Ihr Bild, das zwar den Kopf, doch nicht die Arme fuellt?
Sie selbst steh mit mir auf, und geh mit mir zu Bette.
Sie werde meine Frau! Es schelte, wer da schilt;
Genaedge Tant und Nicht und Schwaegerin!
Finett ist meine Frau, und—ihre Dienerin.”

Schon so gewiss? Man wird es hoeren.
Der Freiherr koemmt, sich zu erklaeren,
Er greift das Maedchen bei der Hand,
Tut, wie ein Freiherr, ganz bekannt,
Und spricht: “Ich, Freiherr von Chrysant,
Ich habe Sie, mein Kind, zu meiner Frau ersehen.
Sie wird sich hoffentlich nicht selbst im Lichte stehen.
Ich habe Guts die Huell und Fuelle.”
Und hierauf las er ihr, durch eine grosse Brille,
Von einem grossen Zettel ab,
Wie viel ihm Gott an Guetern gab;
Wie reich er sie beschenken wolle;
Welch grossen Witwenschatz sie einmal haben solle.
Dies alles las der reiche Mann
Ihr von dem Zettel ab, und guckte durch die Brille
Bei jedem Punkte sie begierig an.

“Nun, Kind, was ist Ihr Wille?”
Mit diesen Worten schwieg der Freiherr stille,
Und nahm mit diesen Worten seine Brille
(Denn, dacht er, wird das Maedchen nun
So wie ein kluges Maedchen tun;
Wird mich und sie ihr schnelles Ja begluecken;
Werd ich den ersten Kuss auf ihre Lippen druecken:
So koennt ich, im Entzuecken,
Die teure Brille leicht zerknicken!)
Die teure Brille wohlbedaechtig ab.

Finette, der dies Zeit sich zu bedenken gab,
Bedachte sich, und sprach nach reiflichem Bedenken:
“Sie sprechen, gnaedger Herr, vom Freien und vom Schenken:
Ach! gnaedger Herr, das alles waer sehr schoen!
Ich wuerd in Samt und Seide gehn—
Was gehn? Ich wuerde nicht mehr gehn;
Ich wuerde stolz mit Sechsen fahren.
Mir wuerden ganze Scharen
Von Dienern zu Gebote stehn.
Ach! wie gesagt, das alles waer sehr schoen,
Wenn ich—wenn ich—“

“Ein Wenn? Ich will doch sehn",
(Hier sahe man den alten Herrn sich blaehn,)
“Was fuer ein Wenn mir kann im Wege stehn!”

“Wenn ich nur nicht verschworen haette—“
“Verschworen? was? Finette,
Verschworen nicht zu frein?—
O Grille", rief der Freiherr, “Grille!”
Und griff nach seiner Brille,
Und nahm das Maedchen durch die Brille
Nochmals in Augenschein,
Und rief bestaendig: “Grille! Grille!
Verschworen nicht zu frein!”

“Behuete!” sprach Finette,
“Verschworen nur mir keinen Mann zu frein,
Der so, wie Ihre Gnaden pflegt,
Die Augen in der Tasche traegt!”

 

 

Die Nuss und die Katze

Eine Fabel.

“Gewiss, Herr Wirt, dies Obst ist nicht fuer meinen Magen.
Denn wenn ich mir, es frei zu sagen,
Ja eine Baumfrucht loben muss,
So lob ich mir die welsche Nuss.
Die schmeckt doch noch!—Bei meiner Treu!
Der zartste Apfel koemmt der Nuss, der Nuss nicht bei.”
Ein Kaetzchen, das der Wirtin Liebe
Nie mit Gewalt zum Mausen triebe,
Und itzt in ihrem Schosse sass,
War schlau, vernahm und merkte das.
“Was?” dacht es, “eine Nuss soll so vortrefflich schmecken?
Halt! diese Wahrheit soll mein Maul gleich selbst entdecken.”
Es sprang vom Schosse weg, und lief dem Garten zu.
Nu, Katze, nu, wie dumm bist du!
Der schoenen Chloris Schoss um eine Nuss zu lassen?
Waerst du ein junger Herr, wie wuerde sie dich hassen!
Nein, Schoenen, raeumet mir nur diesen Ort erst ein;
So wahr er mich ergetzt, ich will kein Kaetzchen sein.
Doch dieses sag ich nur so im Voruebergehen.
Horcht! ich erzaehle fort. Beim Garten blieb ich stehen?
Nicht? Ja. Wohl gut. Hier fand der Katze Luesternheit
Beim naechsten Nussbaum nun, worauf sie sich gefreut.
Wollt ihr etwan ein Bild zu meiner Fabel malen:
So malt die Nuesse ja noch in den gruenen Schalen,
Die unsre Katze fand. Darauf koemmt alles an.
Denn als sie kaum darein den ersten Biss getan,
So schnaubt und sprudelt sie, als wenn sie Glas gefressen.
“Dich", spricht sie, “lobt der Mensch: so mag er dich auch essen.
Oh! pfui, was muss er nicht fuer eine Zunge haben!
An solcher Saeure sich zu laben!”

*
O schweig nur dummes Tier!
Du schmaehst zur Ungebuehr,
Du haettest auf den Kern nur erstlich kommen sollen,
Denn den, die Schale nicht, hat Lydas loben wollen!

 

 

Die Sonne

Der Stern, durch den es bei uns tagt—
“Ach! Dichter, lern, wie unsereiner sprechen!
Muss man, wenn du erzaehlst,
Und uns mit albern Fabeln quaelst,
Sich denkend noch den Kopf zerbrechen?”
Nun gut! die Sonne ward gefragt:
Ob sie es nicht verdroesse,
Dass ihre unermessne Groesse
Die durch den Schein betrogne Welt
Im Durchschnitt groesser kaum, als eine Spanne, haelt?
“Mich", spricht sie, “sollte dieses kraenken?
Wer ist die Welt? wer sind sie, die so denken?
Ein blind Gewuerm! Genug, wenn jene Geister nur,
Die auf der Wahrheit dunkeln Spur,
Das Wesen von dem Scheine trennen,
Wenn diese mich nur besser kennen!”

*
Ihr Dichter, welche Feur und Geist
Des Poebels bloedem Blick entreisst,
Lernt, will euch missgeschaetzt des Lesers Kaltsinn kraenken,
Zufrieden mit euch selbst, stolz wie die Sonne denken!

 

 

Die Teilung

An seiner Braut, Fraeulein Christinchens, Seite
Sass Junker Bogislav Dietrich Karl Ferdinand
Von—sein Geschlecht bleibt ungenannt—
Und tat, wie alle seine Landesleute,
Die Pommern, ganz abscheulich witzig und galant.
Was schwatzte nicht fuer zuckersuesse Schmeicheleien
Der Junker seinem Fraeulein vor!
Was raunte nicht fuer kuehne Schelmereien
Er ihr vertraut ins Ohr?
Mund, Aug und Nas und Brust und Haende,
Ein jedes Glied macht ihn entzueckt,
Bis er, entzueckt auch ueber Hueft und Lende,
Den plumpen Arm um Hueft und Lende drueckt,
Das Fraeulein war geschnuert (vielleicht zum ersten Male)
“Ha!” schrie der Junker; “wie geschlank!
Ha, welch ein Leib! verdammt, dass ich nicht male!
Als kaem er von der Drechselbank!
So duenn!—Was braucht es viel zu sprechen?
Ich wette gleich—was wetten wir? wie viel?
Ich will ihn voneinander brechen!
Mit den zwei Fingern will ich ihn zerbrechen,
Wie einen Pfeifenstiel!”

“Wie?” rief das Fraeulein; “wie? zerbrechen?
Zerbrechen” (rief sie nochmals) “mich?
Sie koennten sich an meinem Latze stechen.
Ich bitte, Sie verschonen sich.”

“Beim Element! so will ichs wagen,”
Schrie Junker Bogislav, “wohlan!”
Und hatte schon die Haende kreuzweis angeschlagen,
Und packte schon heroisch an;
Als schnell ein: “Bruder! Bruder, halt!”
Vom Ofen her aus einem Winkel schallt.

In diesem Winkel sass, vergessen, nicht verloren,
Des Braeutgams juengster Bruder, Fritz.
Fritz sass mit offnen Aug und Ohren,
Ein Kind voll Mutterwitz.

“Halt!” schrie er, “Bruder! Auf ein Wort!”
Und zog den Bruder mit sich fort.
“Zerbrichst du sie, die schoene Docke,
So nimm die Oberhaelfte dir!
Die Haelfte mit dem Unterrocke,
Die, lieber Bruder, schenke mir!”

 

 

 

Die eheliche Liebe

Klorinde starb; sechs Wochen drauf
Gab auch ihr Mann das Leben auf,
Und seine Seele nahm aus diesem Weltgetuemmel
Den pfeilgeraden Weg zum Himmel.
“Herr Petrus", rief er, “aufgemacht!”
“Wer da?”—“Ein wackrer Christ.”—
“Was fuer ein wackrer Christ?”—
“Der manche Nacht,
Seitdem die Schwindsucht ihn aufs Krankenbette brachte,
In Furcht, Gebet und Zittern wachte.
Macht bald!”—Das Tor wird aufgetan.
“Ha! ha! Klorindens Mann!
Mein Freund", spricht Petrus, “nur herein;
Noch wird bei Eurer Frau ein Plaetzchen ledig sein.”
“Was? meine Frau im Himmel? wie?
Klorinden habt Ihr eingenommen?
Lebt wohl! habt Dank fuer Eure Mueh!
Ich will schon sonst wo unterkommen.”

 

 

Die kranke Pulcheria

Freie Uebersetzung einer Erzaehlung aus dem Fontaine

Pulcheria ward krank... “Vielleicht die Lust zu buessen,
Die...” Pfui, wer wird nun gleich so voller Argwohn sein?
Schweigt, Neider! hoert mir zu! ich lenke wieder ein.
Pulcheria ward krank. Unruhig im Gewissen,
Liess ihr der Schmerz manchmal, die Schwermut niemals Ruh.
“Wie? Was? Pulcheria waer melancholisch worden?
Sprich, Luegner, lieber gar, sie trat in Nonnenorden.”
Schon wieder stoert ihr mich? Schweigt doch, und hoert mir zu!
Als sie einst ihre Not zu lauten Seufzern trieb,
Sprach Lady, ihre Magd: “Lasst doch den Priester holen;
Legt dem die Beichte ab, so seid Ihr GOtt empfohlen;
Und beichten muesset Ihr, ist Euch der Himmel lieb.”
“Ja dieser Rat ist gut", spricht unsre kranke Schoene.
“Lauf, oder schicke gleich zum Pater Andres hin;
Andres—merks wohl—weil ich auch sonst sein Beichtkind bin,
So oft ich mich mit dir, o lieber GOtt! versoehne.”
Gleich laeuft ein Diener hin, klopft an das Kloster an,
Und so, als wenn das Tor davon zerspringen solle.
“Nu, Nu! Gemach! Gemach!” Man fragt, zu wem er wolle?
“Je, macht nur erstlich auf.” Das Tor wird aufgetan.
“Der Pater Andres wird zu meiner Frau begehret,
Die gerne beichten will, weil sie bald sterben kann.”
“Wer?” fragt ein Bruder ihn; “Andres? der gute Mann!
Zehn Jahr ists schon, dass der im Himmel Beichte hoeret.

 

Faustin

 

Faustin, der ganze funfzehn Jahr
Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war,
Ward, von dem Wucher reich gemacht,
Auf seinem Schiffe heimgebracht.
“Gott", seufzt der redliche Faustin,
Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern erschien,
“Gott, strafe mich nicht meiner Suenden,
Und gib mir nicht verdienten Lohn!
Lass, weil du gnaedig bist, mich Tochter, Weib und Sohn
Gesund und froehlich wieder finden.”
So seufzt Faustin, und Gott erhoert den Suender.
Er kam, und fand sein Haus in Ueberfluss und Ruh.
Er fand sein Weib und seine beiden Kinder,
Und—Segen Gottes!—zwei dazu.

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Morydan

 

Das Schiff, wo Morydan mit Weib und Kindern war
Kam ploetzlich in Gefahr.
“Ach Goetter, lasset euch bewegen!
Befehlt", schrie Morydan, “dass See und Sturm sich legen.
Nur diesmal lasset mich der nassen Gruft entfliehn;
Nie, nie, gelob ich euch, mehr uebers Meer zu ziehn!
Neptun, erhoere mich!
Sechs schwarze Rinder schenk ich dir
Zum Opfer dankbar froh dafuer!”
“Sechs schwarze Rinder?” rief Mondar,
Sein Nachbar der zugegen war.
“Sechs schwarze Rinder? Bist du toll?
Mir ist es ja, mir ist es schon bekannt,
Dass solchen Reichtum dir das Glueck nicht zugewandt,
Und glaubst doch, dass es Gott Neptun nicht wissen soll?”

*
Wie oft, o Sterblicher, wie ofte trauest du
Der Gottheit weniger als deinem Nachbar zu!

 

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Nix Bodenstrom

 

Nix Bodenstrom, ein Schiffer, nahm—
War es in Hamburg oder Amsterdam,
Daran ist wenig oder nichts gelegen—
Ein junges Weib.
“Das ist auch sehr verwegen,
Freund!” sprach ein Kaufherr, den zum Hochzeitschmause
Der Schiffer bat. “Du bist so lang und oft von Hause;
Dein Weibchen bleibt indes allein:
Und dennoch—willst du mit Gewalt denn Hahnrei sein?
Indes, dass du zur See dein Leben wagst,
Indes, dass du in Surinam, am Amazonenflusse,
Dich bei den Hottentotten, Kannibalen plagst:
Indes wird sie—“

“Mit Eurem schoenen Schlusse!”
Versetzte Nix. “Indes, indes! Ei nun!
Das naemliche kann Euer Weibchen tun—
Denn, Herr, was brauchts dazu fuer Zeit?
Indes Ihr auf der Boerse seid.”

Fabeln und Erzählungen - Gotthold Ephraim Lessing

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Wie bitte? Er ist doch nicht vollkommen ???

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