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Gustav Schwab - Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

ODYSSEUS UND DER BETTLER IROS

Die Freier waren noch immer beisammen, als ein berüchtigter Bettler aus der Stadt in den Saal trat, ein ungeheurer Vielfraß, groß von Gestalt, aber ohne alle Leibeskraft; von Haus aus hieß er Arnaios, aber die Jugend der Stadt nannte ihn mit einem Unnamen, Iros, was einen Boten bezeichnete, denn er pflegte um Lohn Botendienste zu tun. Die Eifersucht führte ihn herbei, denn er hatte von einem Nebenbuhler gehört, und so kam er heran, den Odysseus aus seinem eigenen Hause zu vertreiben. "Weiche von der Türe, Greis", rief er beim Eintreten; "siehst du nicht, wie mir alles mit den Augen zuwinkt, dich am Fuß hinauszuschleppen? Geh freiwillig und zwinge mich nicht dazu!" Finster blickte ihn Odysseus an und sprach: "Die Schwelle hat Raum für uns beide. Du scheinst mir arm zu sein wie ich. Beneide mich nicht, wie ich selbst dir deinen Anteil gönne. Reize meinen Zorn nicht, und fordere mich nicht zum Faustkampf heraus: so alt ich bin, so möchten dir doch bald Brust und Lippen bluten, und das Haus dürfte morgen Ruhe vor dir haben." Jetzt fing Iros nur noch ärger zu poltern an: "Was schwatzest du da, Fresser", sprach er, "was plauderst du wie ein Hökerweib? Ein paar Streiche von mir rechts und links sollen dir Backen und Maul zerschmettern, daß dir die Zähne auf den Boden fallen wie aus einem Schweinsrüssel. Hast du Lust, es mit einem Jüngling aufzunehmen, wie ich einer bin?"

Mit lautem Lachen kehrten sich die Freier dem hadernden Paare zu, und Antinoos sprach: "Wisset ihr was, Freunde, sehet ihr dort die Ziegenmagen, mit Blut und Fett gefüllt, auf den Kohlen braten? Diese laßt uns den beiden edlen Streitern als Kampfpreis aussetzen: wer von beiden Sieger ist, nehme sich davon, soviel er mag, und kein anderer Bettler außer ihm soll inskünftige diesen Saal betreten!"

Allen Freiern gefiel diese Rede. Odysseus indessen stellte sich zaghaft, als ein vom Elend entkräfteter Greis; er verlangte zum voraus das Versprechen von den Freiern, daß sie sich mit ihren jugendlichen Händen nicht zugunsten des Iros in den Kampf einlassen wollten. Sie gelobten ihm dieses willig, und auch Telemach stand auf und sprach: "Fremdling, wenn du es vermagst, so bemeistere jenen immerhin. Ich bin der Wirt, und wer dich verletzt, der hat es mit mir zu tun." Die Freier alle nickten diesen Worten Beifall zu. Odysseus gürtete sein Gewand und stülpte die Ärmel auf. Da erschienen - denn unvermerkt verherrlichte Athene seinen Wuchs - nervige Schenkel und Arme, mächtige Schultern und Brust, so daß die Freier staunen mußten und Nachbar zum Nachbar sprach: "Welche Lenden der Greis aus seinen Lumpen hervorstreckt! Wahrlich, dem armen Iros wird es übel gehen." Dieser fing auch an zu zagen; die Diener mußten ihn mit Gewalt umgürten, und seine Gelenke schlotterten. Antinoos, der ganz anderes von diesem Wettkampf erwartet hatte, wurde voll Ärgers und sprach: "Großsprecher, wärest du nie geboren, daß du vor dem kraftlosen Greis erbebest! Ich sage dir, wenn du besiegt wirst, so wanderst du mir zu Schiffe nach Epiros zum König Echetos, dem Schrecken aller Menschen: der wird dir Nase und Ohren abschneiden und sie den Hunden vorwerfen!" So schrie Antinoos; jenem aber zitterten die Glieder nur noch mehr. Dennoch führte man ihn hervor, und beide erhuben ihre Hände zum Kampf. Odysseus besann sich einen Augenblick, ob er den Elenden mit einem einzigen Streiche töten sollte oder ihm nur einen sanften Schlag versetzen, um keinen Argwohn bei den Freiern zu erwecken. Das letztere schien ihm klüger, und so gab er ihm denn, als beide hintereinandergekommen waren und Iros ihn mit der Faust rechts auf die Schulter getroffen hatte, nur eine leichte Schlappe hinter das Ohr. Dennoch zerbrach er ihm den Knochen, daß das Blut aus dem Munde schoß und Iros sich zähneklappernd und zappelnd auf dem Boden wand. Unter unbändigem Lachen und Klatschen der Freier zog ihn Odysseus weg von der Pforte, zum Vorhof und zum Haupttore hinaus, lehnte ihn an die Hofmauer, und indem er ihm den Stab in die Hände gab, sprach er spottend: "Da bleib du sitzen auf der Stelle und verscheuche Hunde und Schweine!" Dann kehrte er in den Saal zurück und setzte sich mit seinem Ranzen wieder auf die Schwelle.

Sein Sieg hatte den Freiern Achtung eingeflößt, sie kamen lachend zu ihm her, reichten ihm die Hände und sprachen: "Mögen dir Zeus und die Götter geben, was du begehrest, Fremdling, daß du uns den überlästigen Burschen zur Ruhe gebracht hast, der nun zum König Echetos wandern mag!" Odysseus ließ sich den Wunsch als ein gutes Vorzeichen gefallen. Antinoos selbst legte ihm einen mächtigen Ziegenmagen vor, der mit Fett und Blut gefüllt war, Amphinomos aber brachte zwei Brote aus dem Korb herbei, füllte einen Becher mit Wein und trank ihn unter Handschlag dem Sieger zu, indem er sagte: "Auf dein Wohlergehen, fremder Vater, mögest du künftig von aller Trübsal frei sein!" Odysseus blickte ihm ernsthaft ins Auge und erwiderte: "Amphinomos, du scheinst mir ein recht verständiger Jüngling zu sein und bist eines angesehenen Mannes Kind. Nimm dir mein Wort zu Herzen! Es gibt nichts Eitleres und Unbeständigeres auf Erden, als der Mensch ist; solang ihn die Götter begünstigen, meint er, die Zukunft könne ihm nichts Böses bringen; und wenn nun das Traurige kommt, so findet er keinen Mut in sich, es zu ertragen. Ich selbst habe das erfahren und habe, im Vertrauen auf meine Jugendstärke, in glücklichen Tagen auch manches getan, was ich nicht hätte sollen. Drum warne ich einen jeden, im Übermute nicht zu freveln, und rate ihm, die Gaben der Götter in Demut zu empfangen. So ist es auch nicht klug, daß die Freier sich jetzt so trotzig gebärden und der Gattin des Mannes so viel Schmach antun, der schwerlich lange mehr von seiner Heimat entfernt, der vielleicht so nahe ist! Möge dich, Amphinomos, ein guter Dämon aus dem Haus hinwegführen, ehe du jenem begegnest!" So sprach Odysseus, goß eine Spende aus, trank und gab dann den Becher dem Jüngling zurück. Der Freier senkte nachdenklich sein Haupt und schritt betrübt durch den Saal, als ahnete ihm etwas Schlimmes. Dennoch entrann er dem Verhängnis nicht, das ihm Athene bestimmt hatte.

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