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Gustav Schwab - Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

Viertes Buch
ACHILL NEU BEWAFFNET

Beide Heere ruhten jetzt vom hartnäckigen Kampfe. Die Trojaner lösten ihre Rosse von den Streitwagen, aber noch ehe sie des Mahles gedachten, eilten sie zur Versammlung. Da standen alle aufrecht im Kreis umher, keiner wagte sich zu setzen, denn noch bebten sie vor Achill und fürchteten sein Wiedererscheinen. Endlich sprach der Sohn des Panthoos, der verständige Polydamas, der allein vorwärts wie rückwärts zu schauen verstand, und riet, nicht auf die Frühe zu warten, sondern sogleich in die Stadt heimzukehren. "Findet Achill der Gewappnete", sprach er, "uns morgen noch hier, dann werden diejenigen froh sein, die ihm in die Stadt entrinnen; viele aber werden den Hunden und Geiern zum Fraße dienen. Möge mein Ohr nie von solchem hören! Drum ist mein Rat, die Nacht auf dem Markte der Stadt mit aller Kriegsmacht zu halten, wo hohe Mauern und feste Tore uns ringsum beschützen. In aller Frühe sodann stehen wir wieder auf der Mauer; und wehe ihm, wenn er alsdann, von den Schiffen angestürmt, mit uns um jene zu kämpfen begehrt."

Nun stand auch Hektor auf und begann mit finsterem Blick: "Mir gefällt keineswegs, was du da gesprochen hast, Polydamas. In dem Augenblicke, wo mir Zeus den Sieg verliehen, daß ich die Achiver bis ans Meer zurückgedrängt habe, muß dein Rat dem Volke töricht erscheinen, und kein einziger Trojaner wird dir gehorchen. Vielmehr befehle ich Haufen um Haufen, die Nachtkost unter das Heer zu verteilen und die Wachen nicht zu vergessen. Härmt sich einer um sein Gut und Vermögen, der lasse es beim gemeinsamen Gastmahl aufgehen, besser daß die Unsrigen sich dran erlustigen, als daß die Griechen es tun. Am Morgen wiederholen wir sodann den Sturm auf die Schiffe; wenn wirklich Achill wiederauferstanden ist, so hat er sich das schlimmere Los erkoren; denn nicht werde ich diesen gräßlichen Kampf verlassen, ehe mich oder ihn die Siegesehre krönt!" Die Trojaner überhörten die heilsamen Worte des Polydamas, rauschten dem Unheilsworte Hektors Beifall zu und warfen sich hungrig auf ihr Mahl.

Die Griechen aber jammerten die ganze Nacht über der Leiche des Patroklos, und vor allen erhub Achill die Klage, während seine mörderischen Hände auf dem Busen des Freundes ruhten. "O eitles Wort", sprach er, "das mir damals entfallen ist, als ich, den alten Helden Menötios im Palaste tröstend, ihm versprach, seinen Sohn nach Trojas Zerstörung, reich an Ruhm und Beute, nach Opus in seine Heimat ihm zurückzubringen! Nun ward uns beiden bestimmt, dieselbe fremde Erde mit unserm Blute rot zu färben, denn auch mich werden mein grauer Vater Peleus und meine Mutter Thetis nimmermehr im Palast empfangen, sondern hier vor Troja wird mich das Erdreich bedecken. Aber weil ich doch nach dir in den Boden sinken soll, Patroklos, so will ich dir nicht eher dein Leichenfest feiern, als bis ich dir die Waffen und das Haupt deines Mörders, Hektors, gebracht habe; auch will ich dir zwölf der edelsten Söhne Trojas an deinem Scheiterhaufen opfern. Bis dies geschieht, ruhe du hier bei meinen Schiffen, geliebter Freund!" Hierauf befahl Achill seinen Freunden, einen großen Dreifuß voll Wasser an das Feuer zu stellen und den Leichnam des gefallenen Helden zu waschen und zu salben. Alsdann wurde er auf schöne Betten gelegt und köstliche Leinwand vom Haupte bis zu den Füßen über ihn gebreitet, auch ein schimmernder Teppich über den Toten geworfen.

Derweil gelangte Thetis an den unvergänglichen, sternenhellen Palast des Hephaistos, den der hinkende Künstler sich selbst aus Erz gebaut. Sie fand ihn dort schwitzend und in voller Arbeit um seine Blasebälge beschäftigt: er bereitete an zwanzig Dreifüße und befestigte unter dem Boden eines jeden goldene Räder, mit welchen sie ohne von fremder Hand getrieben zu werden, in den olympischen Sälen vor die Götter hinrollten und dann wieder zu ihrem Gemache heimkehrten: wahre Wunderwerke anzuschauen; sie waren bis auf die Henkel fertig, und diese fügte er jetzt eben an, indem er mit dem Hammer die Nägel am gehörigen Ort einschlug. Seine Gattin, die holde Charis, eine der Huldgöttinnen, ergriff die Hand der hereintretenden Göttin, führte sie auf einen silbernen Sessel, rückte ihr einen Schemel unter die Füße und holte dann den Gemahl herbei. Dieser rief, als er die Meeresgöttin erblickte, freudig aus: "Wohl mir, ist doch einmal die Edelste der Unsterblichen bei mir im Hause, die mich, den Neugeborenen, vom Verderben gerettet hat; denn weil ich lahm auf die Welt kam, warf mich die Mutter aus dem Schoße, und ich wäre elendiglich verkommen, wenn nicht Eurynome und Thetis mich in ihrem Schoße aufgefangen hätten und in der Meeresgrotte großgezogen bis ins neunte Jahr. Dort schmiedete ich allerlei Kunstwerke, Spangen, Ringe, Ohrengehenke, Haarnadeln, Kettchen aller Art in der gewölbten Grotte; und rings um uns her schäumte brausend der Strom des Ozeans. Diese meine Retterin besucht jetzt mein Haus! Bewirte sie, holdselige Gattin; mich aber laß diesen Wust hier aus dem Wege schaffen." So sprach der rußige Gott, erhob sich hinkend vom Amboß, und mühsam hin und her wankend, legte er die Blasebälge vom Feuer weg, verschloß alle die mancherlei Gerätschaften in einen silbernen Kasten, wusch sich dann mit einem Schwamm Hände, Angesicht, Hals und Brust und hinkte, in einen Leibrock eingehüllt und von geschäftigen Mägden gestützt, wieder aus der Kammer; diese Dienerinnen aber waren keine geborenen Wesen, doch lebenden gleich; voll Jugendreiz, alle von ihm aus Gold geschmiedet, mit Kraft, Verstand, Stimme und Kunsttrieb begabt. Sie eilten mit hurtigen Füßen von ihrem Herrn weg, er aber, nachwackelnd, nahm sich einen schmucken Sessel, setzte sich neben Thetis, faßte ihr Hand und sprach: "Ehrenwerte, geliebte Göttin, was führt dich zu meiner Wohnung, die du sonst nur wenig besuchest? Sage mir, was du verlangst: alles wir dir mein Herz gewähren, was ich nur gewähren kann und was an sich gewährbar ist."

Da erzählte ihm Thetis ihren ganzen Jammer und bat ihn, seine Knie umfassend, ihrem früh verwelkenden Sohne Achill, solang er den Griechen zum Schirm noch lebe, Helm, Schild, Harnisch, Beinschienen und Knöchelbedeckung neu gefertigt zu verleihen; denn die Rüstung der Unsterblichen, die er früher besessen, habe der gefallene Genoß ihm vor Troja verloren. "Mutig, edle Göttin!" antwortete ihr Hephaistos, "dein Herz kümmere sich darum nicht; möchte ich deinen Sohn doch so gewiß aus der Gewalt des Todes retten können, wenn ihm dereinst sein Geschick herannaht, als ich ihm jetzt eine herrliche Rüstung fertigen will, die ihn erfreuen soll und die noch mancher Sterbliche, der sie erblickt, anstaunen wird!" So sprach er, verließ die Göttin, und in seine Feueresse hinkend, kehrte er die Blasebälge ins Feuer und ließ sie mit Macht arbeiten. Ihrer zwanzig schickten den glühenden Wind zugleich in die Öfen hinein, während in mächtigen Tiegeln Erz, Zinn, Silber und Gold auf der Glut stand. Alsdann richtete er den Amboß auf dem Blocke zurecht, griff mit der Rechten nach seinem gewaltigen Hammer und faßte mit der Linken die Zange. Und nun fing er an zu schmieden und formte zuerst den riesenmäßigen starken Schild aus fünf Schichten, mit einem Silbergehenk und dreifachem blanken Rande. Auf der Wölbung des Schilds bildete er die Erde, das wogende Meer, den Himmel mit Sonne, Mond und allen Gestirnen ab; ferner zwei blühende Städte, die eine voll von Hochzeitfesten und Gelagen, mit Volksversammlung, Markt, hadernden Bürgern, Herolden und Obrigkeiten; die andere von zwei Heeren zugleich belagert: in den Mauern Weiber, unmündige Kinder, wankende Greise; die Männer der Stadt, vor dieser draußen in einen Hinterhalt gelagert und den Hirten in die Herden fallend. Auf einer andern Seite Schlachtgetümmel; Verwundete, Kampf um Leichname und Rüstungen. Weiter schuf er ein lockres Brachfeld, mit Bauern und Ochsen am Pflug; ein wallendes Ährenfeld voll Schnitter, seitwärts unter einer Eiche die Mahlzeit bereit; weiter einen Rebgarten voll schwarzer, schwellender Trauben, an Pfählen von lauterem Silber, ringsum ein Graben von blauem Stahl und ein Gehege von Zinn; eine einzige Furche führte durch den Weingarten, und eben war Lese: Jünglinge jauchzten, und rosige Jungfrauen trugen die süße Frucht in schönen Körben davon; mitten in der Schar ging ein Leierknabe, den andere umtanzten. Weiter schuf er eine Rinderherde aus Gold und Zinn, längs einem wallenden Fluß mit vier goldenen Hirten und neun Hunden; vorn in die Herde waren zwei Löwen gefallen und hatten einen Farren gefaßt, die Hirten hetzten ihre Hunde, die bellend auf Sprungweite von den Löwen standen. Wiederum schuf er eine anmutige Taltrift, von silbernen Schafen durchschwärmt, mit Hirtengehegen, Hütten und Ställen; endlich einen Reigen von blühenden Jünglingen und Jungfrauen in glänzenden Gewanden; jede Tänzerin schmückte ein Kranz, die Tänzer hatten goldene Dolche an silbernen Riemen hangen; zwei Gaukler drehten sich im Kreise zur Harfe eines Sängers; Zuschauergedränge umgab den Reigen. Um den äußersten Rand des Schildes schlang sich der Strom des Ozeans wie eine Schlange.

Als er den Schild vollendet, schmiedete er auch den Harnisch und gab ihm helleren Glanz, als das Feuer hat; dann den schweren prangenden Helm, den Schläfen ganz gerecht, mit goldnem Haarbusch; und zuletzt Beinschienen aus dem feinsten Zinn. Dieses ganze Geräte legte er gehäuft vor die Mutter des Peliden hin. Sie aber warf sich auf die Rüstung, wie ein Habicht auf die Beute, dankte und trug das schimmernde Waffengeschmeide mit ihren Götterhänden von dannen.

Mit dem ersten Morgenlichte war sie wieder bei ihrem Sohne, der, noch immer weinend und von jammernden Genossen umgeben, über seinen Freund Patroklos gestreckt lag. Sie legte die Waffen vor Achill nieder, daß alle die Wunder zusammenrasselten. Die Myrmidonen zitterten bei dem Anblicke, und keiner wagte der Göttin gerade ins Gesicht zu schauen. Dem Peliden aber funkelten die Augen unter den Wimpern wie Feuerflammen, von Zorn und Freude; er hielt die herrlichen Gaben des Gottes, eine um die andere, in die Höhe, und weidete lange sein Herz an der Betrachtung. Dann brach er auf, sich damit zu waffnen. "Sorget mir dafür", sprach er im Weggehen zu seinen Freunden, "daß nicht Fliegen in die Wunden meines erschlagenen Streitgenossen schlüpfen und den schönen Leichnam entstellen!" "Laß dies meine Sorge sein", sprach Thetis; und nun flößte sie dem Patroklos Ambrosia und Nektar in die halbgeöffneten Lippen, und dieser Götterbalsam durchdrang seinen Leib, daß er blieb wie ein Lebender.

Achill aber ging an den Meerstrand, und seine Donnerstimme rief die Danaer herbei. Da lief zusammen, was wandeln konnte; selbst die Steuermänner, die die Schiffe noch nie verlassen hatten, kamen herbei; herbei hinkten, auf die Lanze gestützt, Diomedes und Odysseus, die Verwundeten; alle Helden kamen, am spätesten erschien der Völkerfürst Agamemnon, auch er noch krank an der Wunde, die ihm Koon, der Sohn des Antenor, mit dem Speere gebohrt hatte.

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