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Gustav Schwab - Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

HERAKLES UND EURYTOS

Herakles, nach allen diesen Mühsalen endlich vom Dienste des Eurystheus befreit, kehrte nach Theben zurück. Mit seiner Gemahlin Megara, der er im Wahnsinne die Kinder umgebracht hatte, konnte er nicht mehr leben; er trat sie daher mit ihrem Willen seinem geliebten Vetter Iolaos zur Gattin ab und dachte selbst auf eine neue Vermählung. Seine Neigung wandte sich der schönen Iole zu, der Tochter des Königes Eurytos zu Öchalia auf der Insel Euböa, der den Herakles einst als Knaben in der Kunst des Bogenschießens unterrichtet hatte. Dieser König hatte seine Tochter demjenigen Wettkämpfer versprochen, der ihn und seine Söhne im Bogenschießen übertreffen würde. Auf diese Bekanntmachung eilte Herakles nach Öchalia und trat unter der Schar der Bewerber auf. Er bewies in diesem Wettkampfe, daß er kein unwürdiger Schüler des alten Eurytos gewesen; denn er besiegte ihn und seine Söhne. Der König hielt seinen Gast in allen Ehren; im Herz aber erschrak er gewaltig über dessen Sieg, denn er mußte an das Schicksal der Megara denken und fürchtete für seine Tochter ein gleiches Los. Er erklärte daher auf die Anfrage des Helden, sich wegen der Heirat noch längere Zeit zu bedenken zu wollen. Inzwischen war der älteste Sohn des Eurytos, Iphitos, ein Altersgenosse des Herakles, der eine neidlose Freude über die Stärke und Heldenherrlichkeit seines Gastes empfand, sein inniger Freund geworden und wandte alle Künste der Überredung an, um seinen Vater dem edlen Fremdling geneigter zu machen. Eurystos aber beharrte auf seiner Weigerung. Gekränkt verließ Herakles das Königshaus und irrte lang in der Fremde umher. Was ihm hier bei dem Könige Admet begegnet, soll der nächste Abschnitt erzählen. Mittlerweile kam ein Bote vor den König Eurytos und meldete, daß ein Räuber unter die Rinderherde des Königes gefallen sei. Es hatte dies der listige und betrügerische Autolykos verübt, dessen Diebereien weit und breit bekannt waren. Der erbitterte König aber sprach: "Dies hat kein anderer getan als Herakles; solche unedle Rache nimmt er, weil ich ihm, dem Mörder seiner Kinder, die Tochter versagt habe!" Iphitos verteidigte seinen Freund mit warmen Worten und erbot sich, selbst zu Herakles zu gehen und mit ihm die gestohlenen Rinder aufzusuchen. Dieser nahm den Königssohn gastlich auf und zeigte sich bereitwillig, den Zug mit ihm zu übernehmen. Indessen kehrten sie unverrichteter Dinge zurück, und als sie die Mauern von Tiryns bestiegen hatten, um mit den Blicken die Gegend durchschweifen und die gestohlenen Rinder irgendwo entdecken zu können, siehe, da bemächtigte sich der unselige Wahnsinn auf einmal wieder des Heldengeistes; Herakles, von Heras Zorn getrieben, hielt seinen treuen Freund Iphitos für einen Mitverschworenen des Vaters und stürzte ihn über die hohen Stadtmauern von Tiryns hinab.

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