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Simon. Und zwar sind mir geschickte Steuermänner und kunsterfahrne Kutscher bekannt, die dem ungeachtet herabgeworfen wurden, und Arm und Bein brachen oder gar ums Leben kamen: aber daß einem Parasiten seine Kunst jemals so gefehlt hätte, wird niemand sagen können. Da nun also die Parasitik weder eine bloße Naturgabe noch eine Unkunst sondern ein System von praktischen Kenntnissen ist, so wird es von nun an etwas ausgemachtes zwischen uns bleiben müssen, daß sie eine Kunst sey.

Tychiades. Soviel ich aus dem bisherigen schließen kann. Nun fehlt nur noch daß du uns eine tüchtige Definition der Parasitik giebst.

Simon. Da hast du recht. Mich däucht man könnte sie am besten so definiren: die Parasitik ist eine Kunst auf andrer Unkosten zu essen und zu trinken, deren Zweck das sinnliche Vergnügen ist.

Tychiades. Du scheinst mir deine Kunst sehr gut definirt zu haben: nur magst du zusehen, daß du über deinen Zweck nicht mit gewissen Philosophen Händel bekommst.1)

Simon. Mir ist genug, wenn sichs zeigt, daß das letzte Ziel der Glückseligkeit und der Parasitik eines und eben dasselbe ist. Und dieß beweise ich so. Selbst der weise Homer, von Bewunderung der Parasitischen Lebensart hingerissen, bezeugt daß sie die glücklichste und beneidenswürdigste unter allen sey, in diesen Versen:

Nein, ich kann in der Welt nichts angenehmers mir denken,
als wenn Fröhlichkeit sich des ganzen Volkes bemächtigt,
und in den Häusern die Gäste, in Reyhen sitzend, dem Sänger
horchen, indem vor ihnen vollauf die Tische bedeckt sind
mit Gebacknem und Fleisch, und der Schenke den Wein aus der Kumpe
fleissig schöpft und ringsum in vollen Bechern vertheilet:2)

Und als ob er den hohen Werth, den er auf diese Glückseligkeit setzt, noch nicht genug ausgedruckt habe, setzt er, um seine Gesinnung noch offenbarer zu erklären, noch hinzu:

Ja, dies nennet mein Herz die höchste Wonne des Lebens!

Das heißt doch, sollt' ich denken, deutlich genug gesagt, daß er das höchste Gut in das Parasitische Leben setze. Und diese Rede legt er nicht etwa dem ersten dem besten in den Mund, sondern dem Weisesten aller Griechen seiner Zeit. Gewiß, hätte Ulysses das höchste Gut der Stoiker anpreisen wollen, an Gelegenheit dazu fehlte es ihm nicht, und er hätte, da er den Philoktet aus Lemnos zurückhohlt, da er Ilium verwüstet, da er die fliehenden Griechen zurückruft, etc. etc. oder, da er, mit Geiselstriemen von seiner eigenen Hand bedeckt, in bettelhaften stoischen Lumpen nach Troja kommt, eine solche Erklärung recht gut anbringen können. Ja sogar da er das Leben der Epikuräer bey der Nymfe Kalypso lebte, da es ihm frey stand seine Tage in Müßiggang und Wollust zuzubringen, bey einer Tochter des Atlas zu liegen, und kurz, sich alle Arten von sanften Leibes- und Gemüthsbewegungen3) zu verschaffen, nennt er dieß nicht die höchste Wonne des Lebens: das Parasitenleben allein ist ihm dieses Nahmens würdig. Denn zu seiner Zeit nannte man die Parasiten Dätymonen4). Übrigens hat Epikur den Parasiten höchst unverschämter Weise ihr höchstes Gut gestohlen, da er die Eudämonie d. i. Wohlleben und seinem Genius gütlich thun, zu dem seinigen macht. Denn daß dieß wahrer Diebstahl, und die Wollust in der That keine Sache des Epikuräers, sondern des Parasiten ist, will ich dir sogleich beweisen. Ich setze voraus, daß die Wollust in einem Zustande besteht, der von aller Beschwerde und unruhigen Bewegung des Leibes sowohl als der Seele frey ist. Beydes erhält der Parasit, der Epikuräer hingegen weder das eine noch das andere. Denn wer sich darum bekümmert was die Erde für eine Figur habe, ob es unendlich viele Welten gebe, wie groß die Sonne sey und wie weit sie von uns abstehe, wie die ersten Elemente beschaffen seyen, und ob es Götter gebe oder nicht, ja wer sogar über das höchste Gut selbst immer mit andern im Streit lebt, der bringt sein Leben nicht nur in den gemeinen menschlichen, sondern sogar in weltbürgerlichen Unruhen zu. Der Parasit hingegen, dem alles recht ist, und der sich gar nicht einfallen läßt daß etwas besser seyn sollte oder könnte als es ist, lebt von allen diesen Dingen unangefochten in vollkommnen Sorglosigkeit und Windstille, läßt sich Essen und Trinken schmecken, und schläft Hände und Füße herabhängend auf dem Rücken, wie Homers Ulyß, da er von Scheria nach Hause fährt. - Doch, ich habe ausserdem noch einen andern Beweis warum die Wollust den Epikur nichts angeht. Denn, kurz und gut, Epikur mit aller seiner Weisheit hat entweder zu essen oder nicht. Hat er nichts zu essen, so wird es um Leben und Wohlleben bald geschehen seyn: hat er aber zu essen, so hat ers entweder von sich selbst, oder von einem andern. Im letztern Fall ist er ein Parasit, und also nicht das wofür er sich ausgiebt: im erstern kann er nicht angenehm leben.

Tychiades. Wie so?

Simon. Wenn er von sich selbst zu leben hat, so folgen eine Menge Dinge daraus die ihm das Vergnügen des Lebens verbittern. Um nur etwas davon zu berühren: muß nicht wer angenehm leben will, seine Begierden, so wie sie ihn anwandeln, gleich befriedigen können?

Tychiades. So scheint es.

Simon. Bey einem der alles vollauf hat, mag das angehen; aber nicht bey dem der wenig oder nichts hat. Ein Armer kann also kein Weiser nach Epikuräischem Zuschnitte seyn, und das höchste Gut ist keine Sache für ihn: aber auch der Reiche, den sein Vermögen in den Stand setzt seine Lüste überflüßig zu befriedigen, kann nicht dazu gelangen. Warum? Weil es eine unvermeidliche Nothwendigkeit ist, daß, wer sein eigenes verzehrt, sich eine Menge Unannehmlichkeiten gefallen lassen muß. Bald muß er sich mit seinem Koche, der ihm schlecht zu essen giebt, herumzanken, oder, wenn er das nicht will, schlecht essen und also eines Vergnügens entbehren; bald mit seinem Verwalter, wenn er nicht gut wirthschaftet. Oder ists nicht so?

Tychiades. Ich dächte wenigstens.

Simon. Epikur muß also im einen Falle wie im andern seines höchsten Gutes verfehlen. Der Parasit hingegen hat keinen Koch über den er sich erzürnen könnte, kein Landgut, keinen Hausverwalter, kein Geld dessen Verlust ihn schmerzen würde, und hat doch zu essen und zu trinken die Fülle, ohne von einer einzigen der Beschwerlichkeiten, womit jener geplagt ist, angefochten zu werden. - Daß die Parasitik eine Kunst sey, wäre also aus allem diesem hinlänglich dargethan: nun muß auch noch gezeigt werden, daß sie die beste ist; und zwar nicht bloß überhaupt daß sie besser als alle andre Künste ist, sondern auch insonderheit, daß sie einer jeden derselben vorgeht. Keine andere Kunst kann ohne Lehrjahre, Arbeit, Furcht und Schläge erlernt werden; lauter Dinge die jedermann verabscheut. Die Parasitische ist die einzige, meines Wissens, die man ohne Mühe erlernen kann. Wer ist jemals mit verweinten Augen von einem Gastmal weggegangen, wie wir viele von ihren Lehrmeistern gehen sehen? Oder wer ist jemals mit einem grisgrämlichen Gesichte zu Gaste gegangen, wie diejenigen die zur Schule gehen? Im Gegentheil, der Parasit hat eine solche Freude an seiner Kunst, daß er sich sogar ungerufen bey einem Schmause einstellt: da hingegen die Lehrlinge der andern Künste öfters solchen Abscheu vor denselben haben, daß sie nicht selten aus der Schule laufen ehe sie noch was gelernt haben. Und verdient nicht auch der Umstand hiebey in Betrachtung zu kommen, daß die Eltern kein besser Mittel wissen den Fleiß ihrer Kinder in den andern Künsten zu belohnen, als mit dem was dem Parasiten etwas alltägliches ist? »Der Junge hat, beym Jupiter, heute schön geschrieben, sagen sie, gebt ihm was zu essen! - er hat nicht hübsch geschrieben, gebt ihm nichts!« - Von so großer Wirkung scheint den Leuten das Essen sowohl zum Belohnen als zum Bestrafen zu seyn. Sodann ist der Genuß bey den übrigen Künsten etwas das erst aufs Lernen folgt: sie tragen Früchte, aber als eine späte Belohnung der vorhergegangenen Arbeit, und der Weg dazu ist lang und steil: die Parasitik hingegen ist unter allen Künsten die einzige die im Lernen selbst schon den Genuß der Kunst gewährt, und, so zu sagen, mit dem ersten Schritt ihr Ziel erreicht. Nicht nur einige, sondern im Grund' alle Künste werden bloß darum erlernt, damit sie dereinst ihren Meister nähren sollen: der Parasit nährt sich von der seinigen schon beym ersten Versuche. Der Ackermann pflügt sein Feld nicht um des Pflügens - der Zimmermann zimmert sein Holz nicht um des Zimmerns willen; seine Arbeit ist nur das Mittel zu einem entfernten Zwecke: bey dem Parasiten hingegen ist Zweck und Mittel eines und eben dasselbe. Noch weiter. Wer weiß nicht daß alle übrige Künstler und Professionsverwandte sich die meiste Zeit mit saurer Arbeit placken müssen und in einem ganzen Monat nicht mehr als einen oder zwey Feyertage haben? Auch eine ganze Stadt begeht ihre gesetzten Festtage entweder jährlich oder monatlich, und das heissen die Leute sich was zu gute thun: der Parasit hingegen hat alle Monate genau dreyssig Feyertage, und das ganze Jahr ist ein einziges Fest für ihn. Ferner: Wer es in irgend einer andern Kunst hoch bringen will, muß wenig essen und trinken und beynahe die Diät eines Kranken beobachten: denn es ist eine alte Erfahrung, daß ein voller Magen zum lernen träg ist. Noch mehr: alle andere Künste sind ohne gewisse Werkzeuge (die mit Kosten angeschafft werden müssen) ihrem Besitzer unnütz; niemand kann ohne Flöte flöten, ohne Violine5) geigen, oder ohne Pferd reiten: die einzige Parasitenkunst ist sich selbst so genug und macht es ihrem Meister so bequem, daß er sie ohne Hülfe irgend eines Werkzeuges ausüben kann. Wer eine andere Kunst lernen will, muß dafür bezahlen: wer die meinige lernt, wird dafür bezahlt. Andere Professionen kann man nicht ohne Lehrmeister lernen: die Parasitenkunst bedarf dessen nicht; sie ist eine Gabe des Himmels, und man wird zum Parasiten, wie Sokrates6) sagt daß man zum Poeten werde, von Gottes Gnaden.7) Auch verdient noch bemerkt zu werden, daß die Parasitenkunst sich überall, selbst auf Reisen zu Wasser und zu Lande, ausüben läßt, welches bey den meisten übrigen nicht angeht. Endlich ist auch das kein geringer Vorzug der erstern, daß die andern Künste einen Hang zur Parasitik zu haben scheinen, diese hingegen sich mit keiner andern abzugeben braucht noch verlangt.


  1. Nehmlich mit den Stoikern, deren ewiges Wortgezänke mit den Epikuräern über den Zweck des Lebens, oder das sogenannte höchste Gut, Lukian hier, wie öfters, verspottet. Zum Unglück liegt der Stachel der Pläsanterie in Wortspielen, die in der Übersetzung verlohren gehen. Zurück
     
  2. Odyssee IX, 5. u. f. Homer braucht das Wort teloV und scheint in Verbindung desselben mit dem Beyworte cariesteron nichts anders haben sagen wollen, als das angenehmste was ein Mensch sich denken könne; weil aber teloV auch Endzweck und in der Sprache der Stoiker und andrer Philosophen oft das höchste Gut bedeutet. so bedient sich der Parasit dieses Umstandes, sich auf Homers Rechnung über die Philosophen zu mockiren. Zurück
     
  3. So definirten die Epikuräer das was sie Wollust nannten. Zurück
     
  4. Dätymonen sind, der Etymologie nach, Gäste, Parasiten, Mitesser. Zurück
     
  5. Im Griechischen: Lyra. Zurück
     
  6. S. Platons Ion. Opp. Vol. IV. p. 187. Zurück
     
  7. Das ist zwar gerade das Gegentheil dessen was er kurz vorher behauptet hatte: aber man muß von einem Parasiten nicht fodern, daß er immer mit sich selbst übereinstimme, und an ihm ist die Inconsequenz eine Grazie. Zurück

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Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der Ursprungsdatei.

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