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Wir hatten noch nicht fünfhundert Stadien zurück gelegt, so erblickten wir einen sehr großen und dichten Wald von Fichten und Cypressen. Anfangs hielten wir es für festes Land; aber es war ein tiefes Meer, das mit Bäumen ohne Wurzeln bepflanzt war. Demungeachtet standen die Bäume gerade und unbeweglich, oder schienen uns vielmehr so entgegen zu schwimmen. Wie wir ihnen nun nahe genug waren, um alles genau zu erkundigen, geriethen wir in großen Zweifel was wir anfangen sollten. Durch die Bäume durch zu kommen, war keine Möglichkeit, denn sie standen in geschloßnen Reyhen dicht an einander; und wieder umzukehren, schien uns auch nicht rathsam. Ich erstieg also den größten dieser Bäume um mich auf allen Seiten umzusehen, was es eigentlich für eine Bewandtniß mit der Sache hätte; und da sah ich, daß der Wald sich gegen funfzig Stadien und drüber erstrecke, und dann wieder ein neues Meer angehe. Ich kam also auf den Einfall, unser Schiff auf die Wipfel der Bäume, die ungemein dicht waren, zu versetzen, und es, wo möglich, über sie weg in das jenseitige Meer zu ziehen. Wie gedacht, so gethan. Wir machten unser Schiff an ein großes Tau fest, stiegen auf die Bäume, und zogen es, wiewohl mit unendlicher Mühe, zu uns herauf; setzten es dann auf die obersten Äste, spannten alle Segel auf, und segelten, mit einem guten frischen Winde hinter uns, so leicht darüber weg, als ob wir noch auf dem Wasser wären1). Wie wir endlich diesen Wald zurückgelegt hatten, kamen wir wieder an die See, ließen unser Schiff wieder herab, und fuhren durch ein crystallhelles durchsichtiges Wasser so lange fort, bis wir bey einer großen Wasserkluft still zu halten genöthigt waren, die dadurch entstanden war, daß das Wasser sich von einander gespalten, und in seiner Art etwas dem, was man zu Lande einen Erdfall nennt, ähnliches hervorgebracht hatte. Es hätte wenig gefehlt, daß unser Schiff in diesen Abgrund hinabgezogen worden wäre, wenn wir nicht noch zu rechter Zeit alle Segel eingerafft hätten. Wie wir nun die Köpfe hervorstreckten und hinunter guckten, sahen wir eine Tieffe von tausend Stadien wenigstens, vor der uns Sinne und Verstand still stunden. Wie wir uns aber besser umsahen, wurden wir in der Ferne einer wässernen Brücke gewahr, die über diesen Abgrund geworfen war, und die Oberfläche des dieß- und jenseitigen Meeres mit einander vereinigte. Wir ruderten nun mit solcher Macht, bis wir unser Schiff auf diese Brücke brachten, und kamen solcher Gestalt, was wir nicht hatten hoffen dürfen, glücklich, wiewohl mit unsäglicher Arbeit, hinüber.

Nun befanden wir uns in einem stillen Meere, und kamen an eine kleine, leicht zugangbare und bewohnte Insel; aber ihre Einwohner waren Wilde mit Ochsenköpfen und Hörnern, wie man bey uns den Minotaurus zu bilden pflegt; daher sie denn auch vermuthlich den Nahmen Ochsenköpfler2) führen. Sobald wir am Lande waren, giengen wir aus, unsre Wasserfässer zu füllen, und wo möglich auch etwas zu essen zu bekommen, denn wir hatten nichts mehr. Wasser fanden wir ziemlich bald, sahen aber sonst nichts das uns Hoffnung gemacht hätte, auch Lebensmittel zu finden, ausser daß wir nicht sehr weit von uns ein Gebrüll hörten, das von einer zahlreichen Heerde Hornvieh zu kommen schien. Wie wir aber, in dieser Hoffnung, ein wenig weiter fortgiengen, fanden wir eine Art von Menschen vor uns. Sobald sie uns gewahr wurden, fielen sie über uns her, und ergriffen drey der unsrigen; wir übrigen flohen dem Meere zu. Weil wir aber nicht gesonnen waren unsere Cameraden ungerochen im Stich zu lassen, griffen wir sämmtlich zu den Waffen, und giengen auf die Bucephalen loß, die wir eben im Begriff fanden, das Fleisch unsrer erschlagenen Gefährten zu theilen. Wir setzten sie aber in einen so großen Schrecken, daß sie alle die Flucht ergriffen. Wir setzten ihnen nach, tödteten ihrer gegen funfzig, ergriffen zwey lebendig, und kehrten sogleich mit unsern Gefangenen zurück. Nahrungsmittel aber hatten wir nicht gefunden. Die übrigen trugen nun drauf an, daß wir die Gefangenen abschlachten sollten; ich aber war nicht dieser Meinung, sondern entschlossen, sie so lange in gefänglicher Verwahrung zu halten, bis die Ältesten der Bucephalen kommen, und sich erbieten würden, sie loszukaufen. Es zeigte sich bald daß ich recht hatte; denn wir wurden gewahr, daß sie uns zuwinkten, und in einem traurigen und flehenden Tone zu uns herüber brüllten. Wir traten also in eine Art von Unterhandlung mit ihnen; sie gaben uns als Lösegeld, eine Menge Käse, Zwiebeln und gedörrter Fische, nebst vier dreybeinichten Hirschen, bey welchen nehmlich die zwey Hinterfüße wie bey andern, die vordern aber in Einen zusammengewachsen waren. Hiefür gaben wir ihnen die Gefangenen zurück, und nachdem wir uns noch einen einzigen Tag aufgehalten, schifften wir uns wieder ein, und fuhren ab.

Nun fiengen uns an Fische von allerley Arten zu Gesichte zu kommen, wir sahen Vögel fliegen, kurz es stellten sich alle Zeichen ein, woraus man auf die Nähe eines festen Landes schließt. Bald darauf sahen wir Männer, die sich einer ganz neuen Art zu schiffen bedienten; denn sie waren Schiff und Schiffer zugleich. Ihre Manier ist diese. Sie legen sich auf den Rücken ins Wasser, richten dann was ihr wißt, (womit sie ungewöhnlich stark versehen sind) in die Höhe, hängen ein Segel daran, dessen untere Taue sie in den Händen halten, und segeln so vor dem Winde daher. Nach ihnen kamen Andere, die auf großen Stücken Kork saßen, und sich von zwey vorgespannten Delphinen fortziehen ließen, die sie mit Zügeln und Leitseilen regierten. Diese Leute thaten uns weder leides, noch flohen sie vor uns; sie fuhren ruhig und ohne Scheu um uns herum, bewunderten die Gestalt unsers Fahrzeuges, und betrachteten es von allen Seiten.

Da es Abend wurde, landeten wir an einer kleinen Insel an, die von Weibern bewohnt wird, welche, wie es uns dünkte, Griechisch redeten. Auch kamen sie uns entgegen, nahmen uns bey der Hand, und hießen uns gar freundlich willkommen. Sie waren alle schön, jung, und in hetärischem Geschmacke herausgeputzt, und trugen lange Röcke die auf dem Boden nachschleppten. Wir vernahmen von ihnen daß ihre Insel Kabalusa, und ihre Stadt Hydamardia heisse3). Diese Frauenzimmer wurden bald so bekannt mit uns, daß jede einen von uns mit sich in ihr Haus nahm, und verlangte daß er ihr Gast seyn sollte. Ich meines Orts blieb ein wenig zurück, weil mir bey allen diesen Anscheinungen nichts gutes schwahnte; und indem ich mich genauer umschaue, sehe ich eine Menge Menschenknochen und Schädel herumliegen. Darüber ein Geschrey zu erheben, meine Gefährten zusammenzurufen, und zu den Waffen zu greifen, fand ich nicht für gut: sondern ich zog meine Malve hervor, und bat sie sehr eifrig, mir aus dieser Noth glücklich herauszuhelfen. Wie mir nun, nicht lange hernach, meine Wirthin aufwartete, sah ich, daß sie, anstatt Beine wie ein Weib zu haben, Eselsfüße und Eselshufe hatte. Sogleich geh ich mit gezognem Degen auf sie loß, bemächtige mich ihrer, binde sie, und nöthige sie, mir alle meine Fragen zu beantworten. Sie gesteht also, wiewohl ungern genug, sie seyen eine Art Meerweiber, Eselsfüßlerinnen genannt4), und nährten sich von den Fremden, die ihnen in die Hände fielen. Denn, sagte sie, wenn wir sie nur erst trunken gemacht und in unsern Armen eingeschläfert haben, so sind wir bald mit ihnen fertig. Auf diesen Bescheid hin ließ ich sie gebunden liegen, stieg auf das Dach, rief meine Gefährten zusammen, entdeckte ihnen alles, zeigte ihnen die Menschengebeine, und führte sie zu meiner Gefangenen hinein. Aber ehe wirs uns versahen, zerfloß sie in Wasser und schwand aus unsern Augen. Indessen stieß ich doch, um einen Versuch zu machen, mit dem Degen ins Wasser, und sogleich wurde es zu Blut.

Wir hatten nun nichts eiligeres als unserm Schiffe zuzulauffen und davon zu fahren. Wie der Tag wieder anbrach, erblickten wir die Küste eines festen Landes, und vermutheten sogleich, es werde dasjenige seyn, das dem worauf wir wohnen gegenüber liegt. Unser erstes war, auf unsre Knie zu fallen und unser Gebet zu verrichten. Hierauf giengen wir mit einander zu Rathe, wozu wir uns nun entschließen sollten? da denn einige der Meynung waren, daß wir, nach einer kurzen Landung, gerades Weges wieder zurückkehren sollten, wo wir hergekommen, andere hingegen trugen darauf an, das Schiff zu verlassen, uns mitten ins Land hinein zu wagen, und zu versuchen was mit den Einwohnern zu machen sey. Während wir aber so hin und her räsonierten, überfiel uns ein entsetzlicher Sturm, und warf unser Fahrzeug mit solcher Gewalt gegen die Küste, daß es in Stücken gieng, und wir große Noth hatten, jeder mit seinen Waffen und dem was er etwa sonst noch retten konnte, ans Land zu schwimmen.

Und dieß ist es also, was mir, bis zu meiner Ankunft in besagtem andern Welttheile, auf dem Ocean, und während meiner Fahrt durch die Inseln, und in der Luft, hernach im Wallfische, und nachdem wir wieder herausgekommen, bey den Heroen und unter den Träumen, und endlich bey den Ochsenköpflern und Eselsfüßlerinnen, begegnet ist. Was nun weiter auf dem festen Lande erfolgte, davon werde ich in den folgenden Büchern ausführlichen Bericht erstatten5).


  1. Der Griechische Text hat hier noch folgenden Beysatz, dabey fiel mir denn der Vers des Dichters Antimachus ein, toisin d' ulhenta dia ploon ercomenoisin. Ein solcher mitten aus einer Periode ausgehobener Vers aus einem nicht mehr vorhandenen Gedichte ist nicht gut zu übersetzen: indessen sagt er wörtlich so viel als: »ihnen, da sie so mitten die waldichte Flotte durchfuhren« (begegnete nehmlich dieß oder das). Der Lateinische Übersetzer giebt es, ich weiß nicht recht warum: per sylvestre illis navi venientibus aequor, vermuthlich um das Spiel unsers Reisebeschreibers mit dem ulhenti plow deutlicher zu machen. Ich habe fürs beste gehalten, diese Kleinigkeit die den deutschen Leser nur aufhielte und nicht ein Körnchen Salz für ihn enthält, lieber gar wegzulassen. Was übrigens den Dichter Antimachus betrifft, aus dessen epischem Gedichte Thebais, der citierte Vers genommen scheint, so lebte er in den Zeiten des Perikles; und Plato hatte ihn in seiner Jugend als einen alten Mann gesehen. Dieser dichterische Philosoph schätzte seine Werke so hoch, daß er einen eigenen Abgeordneten nach Kolophon oder nach Klaros (woher Antimachus gebürtig war) schickte, um alles daselbst zu sammeln, was von seinen Gedichten aufzutreiben wäre. Quinctilian räumt ihm die zweyte Stelle unter den Heldendichtern ein, und der Kayser Hadrianus (dessen Geschmack nicht immer der beste war) setzte ihn sogar über Homer, und gieng (sagt man) wirklich damit um, die Werke des GöttIichen Dichters, zum Vortheil seines Günstlings, gänzlich zu vertilgen - welches hoffentlich Sr. Kayserl. Maj. nicht Ernst war. Ungeachtet ihm die Alten vorwerfen, daß er schwülstig gewesen, läßt sich doch aus der Achtung die ein Plato und Quinctilian für ihn hatten, vermuthen, daß der Verlust seiner Thebais für die Literatur nicht gleichgültig ist. Zurück
     
  2. Bucephalen. Zurück
     
  3. Die Deutung dieser barbarisch griechischen Wörter quält die Ausleger umsonst. Vielleicht sind sie durch die Abschreiber entstellt worden, vielleicht auch nicht. Das Beste ist wohl, wir thun als ob - nichts daran gelegen sey. Zurück
     
  4. Onoskeleen. Zurück
     
  5. Es gebührte sich, eine Geschichte, worin alles Lüge ist, mit einem Versprechen, das der Verfasser nie zu halten dachte, zu beschließen. Unsern Lesern aber, die den zauberischen Reiz dieser seltsamen Composition nun an sich selbst erfahren haben werden, und besonders jungen Dichtern, empfehle ich genauer nachzuforschen, wo der Talisman liege, der diese wunderbare Wirkung hervorbringt. Sie werden finden, daß mehr Kunst in diesem Spiel einer (dem Anschein nach) ohne alles Gesetz ausschweifenden Imagination verborgen ist, als man bey einem flüchtigen Anblick meynen sollte. Ohne ihrem eigenen Nachdenken vorzugreiffen, bemerke ich nur dieses wenige.
    1. Lukian erhält seine Leser in beständiger Erwartung, durch etwas neues, das noch abenteuerlicher ist als das vorhergehende, überrascht zu werden; und verstärkt das Vergnügen, das aus dem Wunderbaren der Sache selbst entspringt, noch durch das Erstaunen über die Energie und Verwegenheit der Imagination, welche die Schöpferin so unerhörter Dinge ist.
    2. Die treuherzige Unbefangenheit, womit er diese Dinge erzählt, imponiert eben dadurch, daß der Erzähler sie selbst zu glauben scheint, der Einbildungskraft des Lesers, und macht sie auch ihm für den Moment um so glaublicher, weil sie ihm, trotz ihrer Unmöglichkeit, als wirklich geschehen vorgestellt werden, und gleichsam vor seinen Augen entstehen.
    3. Je unnatürlicher die Hirngeschöpfe und Traumbegebenheiten sind, die er erzählt, desto leichter geht er darüber hin; das erstaunlichste ist immer das, worüber er selbst am wenigsten erstaunt, und wovon er in einem so gelaßnen Tone spricht als ob es die alltäglichste Sache wäre.
    4. Er hält uns nie so lange bey Einer Scene seiner Zauberlaterne auf, daß sie uns lange Weile machen könnte, und läßt auf eine erstaunliche oder widersinnige Begebenheit so schnell eine noch erstaunlichere, noch tollere folgen, daß man keine Zeit hat die Täuschung wahrzunehmen. Rechnet man noch hinzu die große Mannichfaltigkeit der Fictionen, die angenehme Abwechslung tragischer und komischer, lieblicher und grausenhafter, Bilder und Scenen, die häuffigen Anspielungen und Satyrischen Züge, womit besonders das zweyte Buch gewürzt ist, und endlich die grazienvolle Lebhaftigkeit des Styls, und die fröhliche Laune und Leichtigkeit des Geistes, die das alles ohne die geringste Anstrengung hervorgebracht zu haben scheint: so ist, däucht mich, die Frage: wie ein so frivoles Werkchen verständigen Lesern so viel Vergnügen machen könne? hinlänglich aufgelöst. Tiefer in diese Materie einzudringen, ist nicht dieses Ortes.
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Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der Ursprungsdatei.

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