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NUIT
Sermo I
Die Toten kamen zurück von
Jerusalem, wo sie nicht fanden, was sie
suchten. Sie begehrten bei mir Einlass und verlangten bei mir Lehre und
so lehrte ich sie:
Höret, ich beginne beim Nichts.
Das Nichts ist dasselbe wie die
Fülle. In der Unendlichkeit ist voll so gut wie leer. Das Nichts
ist leer und voll. Ihr könnt auch ebenso gut etwas anderes vom
Nichts sagen, zum Beispiel es sei weiß oder schwarz oder es sei
nicht, oder es sei. Ein Unendliches und Ewiges hat keine Eigenschaften,
weil es alle Eigenschaften hat. Das Nichts oder die Fülle nennen
wir das PLEROMA. Dort drin hört Denken und Sein auf, denn das
Ewige und Unendliche hat keine Eigenschaften. In ihm ist keiner, denn
er wäre dann vom Pleroma unterschieden und hätte
Eigenschaften, die ihn als etwas vom Pleroma unterschieden. Im Pleroma
ist nichts und alles: Es lohnt sich nicht über das Pleroma
nachzudenken, denn das hieße: Sich selber auflösen.
Die CREATUR ist nicht im Pleroma,
sondern in sich. Das Pleroma ist
Anfang und Ende der Creatur. Es geht durch sie hindurch, wie das
Sonnenlicht die Luft überall durchdringt. Obschon das Pleroma
durchaus hindurch geht, so hat die Creatur doch nicht Theil daran, so
wie ein vollkommen durchsichtiger Körper weder hell noch dunkel
wird durch das Licht, das durch ihn hindurch geht. Wir sind aber das
Pleroma selber, denn wir sind ein Theil des Ewigen und Unendlichen. Wir
haben aber nicht theil daran, sondern sind vom Pleroma unendlich weit
entfernt, nicht räumlich oder zeitlich, sondern WESENTLICH, indem
wir uns im Wesen vom Pleroma unterscheiden als Creatur, die in Zeit und
Raum beschränkt ist.
Indem wir aber Theile des Pleroma
sind, so ist das Pleroma auch in uns.
Auch im kleinsten Punkt ist das Pleroma unendlich, ewig und ganz, denn
klein und groß sind Eigenschaften, die in ihm enthalten sind. Es
ist dies Nichts, das überall ganz ist und unaufhörlich. Daher
rede ich von der Creatur als einem Theile des Pleroma, nur
sinnbildlich, denn das Pleroma ist wirklich nirgends geteilt, denn es
ist das Nichts. Wir sind auch das ganze Pleroma, denn sinnbildlich ist
das Pleroma der kleinste nur angenommene, nicht seiende Punkt in uns
und das unendliche Weltgewölbe um uns.
Warum aber sprechen wir denn
überhaupt vom Pleroma, wenn es doch
Alles und Nichts ist ? Ich rede davon, um irgendwo zu beginnen, und um
Euch den Wahn zu nehmen, dass irgendwo außen oder innen ein von
vornherein Festes oder irgendwie Bestimmtes sei. Alles sogenannte Feste
oder Bestimmte ist nur verhältnismäßig. Nur das dem
Wandel unterworfene ist fest und bestimmt. Das wandelbare aber ist die
Creatur, also ist sie das einzig feste und bestimmte, denn sie hat
Eigenschaften, ja sie ist selber Eigenschaft.
Wir erheben die Frage: wie ist die
Creatur entstanden? Die Creaturen
sind entstanden, nicht aber die Creatur, denn sie ist die Eigenschaft
des Pleroma selber, so gut wie die Nichtschöpfung, der ewige Tod.
Creatur ist immer und überall, Tod ist immer und überall. Das
Pleroma hat alles, Unterschiedenheit und Ununterschiedenheit.
Die Unterschiedenheit ist die Creatur.
Sie ist unterschieden.
Unterschiedenheit ist ihr Wesen, darum unterscheidet sie auch. Darum
unterscheidet der Mensch, denn sein Wesen ist Unterschiedenheit. Darum
unterscheidet er auch die Eigenschaften des Pleroma, die nicht sind. Er
unterscheidet sie aus seinem Wesen heraus. Darum muss der Mensch von
den Eigenschaften des Pleroma reden, die nicht sind.
Ihr sagt: Was nützt es, davon zu
reden? Du sagtest doch selbst, es
lohne sich nicht, über das Pleroma zu denken. Ich sagte Euch das,
um Euch vom Wahne zu befreien, dass man über das Pleroma denken
könne. Wenn wir die Eigenschaften des Pleroma unterscheiden, so
reden wir aus unsrer Unterschiedenheit und über unsre
Unterschiedenheit, und haben nichts gesagt über das Pleroma.
Über unsere Unterschiedenheit aber zu reden ist notwendig, damit
wir uns genügend unterscheiden können. Unser Wesen ist
Unterschiedenheit. Wenn wir diesem Wesen nicht getreu sind, so
unterscheiden wir uns ungenügend. Wir müssen darum
Unterscheidungen der Eigenschaften machen.
Ihr fragt: Was schadet es, sich nicht
zu unterscheiden? Wenn wir nicht
unterscheiden, dann geraten wir über unser Wesen hinaus, über
die Creatur hinaus und fallen in die Ununterschiedenheit, die die
andere Eigenschaft des Pleroma ist. Wir fallen in das Pleroma selber
und geben es auf, Creatur zu sein. Wir verfallen der Auflösung im
Nichts. Das ist der Tod der Creatur. Also sterben wir in dem
Maße, als wir nicht unterscheiden. Darum geht das natürliche
Streben der Creatur auf Unterschiedenheit, Kampf gegen
uranfängliche, gefährliche Gleichheit.
Dieß nennt man das PRlNCIPIUM
INDIVIDUATIONIS. Dieses Princip ist
das Wesen der Creatur. Ihr seht daraus, warum die Ununterschiedenheit
und das Nichtunterscheiden eine große Gefahr für die Creatur
ist. Darum müssen wir die Eigenschaften des Pleroma unterscheiden.
Die Eigenschaften sind die GEGENSATZPAARE, als
das Wirksame und das Unwirksame,
die Fülle und die Leere,
das Lebendige und das Tote,
das Verschiedene und das Gleiche,
das Helle und das Dunkle,
das Heiße und das Kalte,
Die Kraft und der Stoff,
die Zeit und der Raum,
das Gute und das Böse,
das Schöne und das
Häßliche,
das Eine und das Viele. etc.
Die Gegensatzpaare sind die
Eigenschaften des Pleroma, die nicht sind,
weil sie sich aufheben. Da wir das Pleroma selber sind, so haben wir
auch alle diese Eigenschaften in uns; da der Grund unsres Wesens
Unterschiedenheit ist, so haben wir die Eigenschaften im Namen und
Zeichen der Unterschiedenheit, das bedeutet:
Erstens: die Eigenschaften sind in uns
von einander unterschieden und
geschieden, darum heben sie sich nicht auf, sondern sind wirksam. Darum
sind wir das Opfer der Gegensatzpaare. In uns ist das Pleroma zerrissen.
Zweitens: Die Eigenschaften
gehören dem Pleroma, und wir
können und sollen sie nur im Namen und Zeichen der
Unterschiedenheit besitzen oder leben. Wir sollen uns von den
Eigenschaften unterscheiden. Im Pleroma heben sie sich auf, in uns
nicht. Unterscheidung von ihnen erlöst. Wenn wir nach dem Guten
oder Schönen streben, so vergessen wir unsres Wesens, das
Unterschiedenheit ist und wir verfallen den Eigenschaften des Pleroma,
als welche die Gegensatzpaare sind. Wir bemühen uns, das Gute und
Schöne zu erlangen, aber zugleich auch erfassen wir das Böse
und Hässliche, denn sie sind im Pleroma eins mit dem Guten und
Schönen. Wenn wir aber unserm Wesen getreu bleiben, nämlich
der Unterschiedenheit, dann unterscheiden wir uns vom Guten und
Schönen, und darum auch vom Bösen und Hässlichen, und
wir fallen nicht ins Pleroma, nämlich in das Nichts und in die
Auflösung
Ihr werfet ein: Du sagtest, dass das
Verschiedene und Gleiche auch
Eigenschaften des Pleroma seien. Wie ist es, wenn wir nach
Verschiedenheit streben? Sind wir dann nicht unserm Wesen getreu? Und
müssen wir dann auch der Gleichheit verfallen, wenn wir nach
Verschiedenheit streben?
Ihr sollt nicht vergessen, dass das
Pleroma keine Eigenschaften hat.
Wir erschaffen sie durch das Denken. Wenn Ihr also nach Verschiedenheit
oder Gleichheit oder sonstigen Eigenschaften strebt, so strebt Ihr nach
Gedanken, die Euch aus dem Pleroma zufließen, nämlich
Gedanken über die nichtseienden Eigenschaften des Pleroma. Indem
Ihr nach diesen Gedanken rennt, fallet Ihr wiederum ins Pleroma und
erreicht Verschiedenheit und Gleichheit zugleich. Nicht euer Denken,
sondern euer Wesen ist Unterschiedenheit. Darum sollt Ihr nicht nach
Verschiedenheit, wie Ihr sie denkt, streben, sondern NACH EUERM WESEN.
Darum giebt es im Grunde nur ein Streben, nämlich das Streben nach
dem eigenen Wesen. Wenn Ihr dieses Streben hättet, so brauchtet
Ihr auch gar nichts über das Pleroma und seine Eigenschaften zu
wissen und kämet doch zum richtigen Ziele kraft eures Wesens. Da
aber das Denken vom Wesen entfremdet, so muss ich Euch das Wissen
lehren, womit Ihr euer Denken im Zaume halten könnet.
Sermo II
Die Toten standen in der Nacht den
Wänden entlang und riefen: Von
Gott wollen wir wissen, wo ist Gott? Ist Gott tot? Gott ist nicht tot,
er ist so lebendig wie je. Gott ist Creatur denn er ist etwas
Bestimmtes und darum vom Pleroma unterschieden. Gott ist Eigenschaft
des Pleroma, und alles was ich von der Creatur sagte gilt auch von ihm.
Er unterscheidet sich aber von der
Creatur dadurch, dass er viel
undeutlicher und unbestimmbarer ist, als die Creatur. Er ist weniger
unterschieden als die Creatur, denn der Grund seines Wesens ist
wirksame Fülle, und nur insofern er bestimmt und unterschieden
ist, ist er Creatur, und insofern ist er die Verdeutlichung der
wirksamen Fülle des Pleroma.
Alles, was wir nicht unterscheiden,
fällt ins Pleroma und hebt
sich mit seinem Gegensatz auf. Darum, wenn wir Gott nicht
unterscheiden, so ist die wirksame Fülle für uns aufgehoben.
Gott ist auch das Pleroma selber, wie auch jeder kleinste Punkt im
Geschaffenen und im Ungeschaffenen das Pleroma selber ist.
Die wirksame Leere ist das Wesen des
Teufels. Gott und Teufel sind die
ersten Verdeutlichungen des Nichts, das wir Pleroma nennen. Es ist
gleichgültig, ob das Pleroma ist, oder nicht ist, denn es hebt
sich in allem selber auf. Nicht so die Creatur. Insofern Gott und
Teufel Creaturen sind, heben sie sich nicht auf, sondern bestehen gegen
einander als wirksame Gegensätze. Wir brauchen keinen Beweis
für ihr Sein, es genügt, dass wir immer wieder von ihnen
reden müssen. Auch wenn beide nicht wären, so würde die
Creatur, aus ihrem Wesen der Unterschiedenheit heraus, sie immer wieder
aus dem Pleroma heraus unterscheiden.Alles was die Unterscheidung aus
dem Pleroma herausnimmt, ist Gegensatzpaar, daher zu Gott immer auch
der Teufel gehört. Diese Zusammengehörigkeit ist so innig,
und wie Ihr erfahren habet, auch in euerem Leben so unauflösbar,
wie das Pleroma selber. Das kommt davon, dass die Beiden ganz nahe am
Pleroma stehen, in welchem alle Gegensätze aufgehoben und eins
sind.
Gott und Teufel sind unterschieden
durch voll und leer, Zeugung und
Zerstörung. Das WIRKENDE ist ihnen gemeinsam. Das Wirkende
verbindet sie. Darum steht das Wirkende über beiden und ist ein
Gott über Gott, denn es vereinigt die Fülle und die Leere in
ihrer Wirkung. Dies ist ein Gott, von dem Ihr nicht wusstet, denn die
Menschen vergaßen ihn. Wir nennen ihn mit seinem Namen ABRAXAS.
Er ist noch unbestimmter als Gott und Teufel.
ABRAXAS
Um Gott von ihm zu unterscheiden,
nennen wir Gott HELIOS oder Sonne.
Der Abraxas ist Wirkung, ihm steht nichts entgegen, als das
Unwirkliche, daher seine wirkende Natur sich frei entfaltet. Das
Unwirkliche ist nicht, und widersteht nicht. Der Abraxas steht
über der Sonne und über dem Teufel. Er ist das
unwahrscheinlich Wahrscheinliche, das unwirklich Wirkende. Hätte
das Pleroma ein Wesen, so wäre der Abraxas seine Verdeutlichung.
Er ist zwar das Wirkende selbst, aber
keine bestimmte Wirkung, sondern
Wirkung überhaupt. Er ist unwirklich wirkend, weil er keine
bestimmte Wirkung hat. Er ist auch Creatur, da er vom Pleroma
unterschieden ist. Die Sonne hat eine bestimmte Wirkung, ebenso der
Teufel, daher sie uns viel wirksamer erscheinen als der unbestimmbare
Abraxas. Er ist Kraft, Dauer, Wandel. Hier erhoben die Toten
großen Tumult denn sie waren Christen.
Sermo III
Die Toten kamen heran wie Nebel aus
Sümpfen und riefen: Rede uns
weiter über den obersten Gott.Der Abraxas ist der schwer
erkennbare Gott. Seine Macht ist die größte, denn der Mensch
sieht sie nicht. Von der Sonne sieht er das summum bonum, vom Teufel
das Infimum malum, vom Abraxas aber das in allen Hinsichten unbestimmte
LEBEN, welches die Mutter des Guten und des Übels ist. Das Leben
scheint kleiner und schwächer zu sein als das summum bonum,
weshalb es auch schwer ist zu denken, dass der Abraxas an Macht sogar
die Sonne übertreffe, die doch der strahlende Quell aller
Lebenskraft selber ist.
Der Abraxas ist Sonne und zugleich der
ewig saugende Schlund des
Leeren, des Verkleinerers und Zerstücklers, des Teufels. Die Macht
des Abraxas ist zwiefach. Ihr seht sie aber nicht, denn in Euern Augen
hebt sich das Gegeneinander gerichtete dieser Macht auf. Was Gott Sonne
spricht, ist Leben, was der Teufel spricht, ist Tod.
Der Abraxas aber spricht das
verehrungswürdige und verfluchte
Wort, das Leben und Tod zugleich ist. Der Abraxas zeugt Wahrheit und
Lüge, Gutes und Böses, Licht und Finsternis im selben
Wort, und in derselben Tat. Darum ist der Abraxas furchtbar. Er ist
prächtig wie der Löwe im Augenblick, wo er sein Opfer
niederschlägt. Er ist schön wie ein Frühlingstag. Ja, er
ist der große Pan selber und der kleine. Er ist Priapos. Er ist
das Monstrum der Unterwelt, ein Polyp mit tausend Armen,
beflügeltes Schlangengeringel, Raserei.
Er ist der Hermaphrodit des untersten
Anfanges. Er ist der Herr der
Kröten und Frösche, die im Wasser wohnen und ans Land
steigen, die am Mittag und um Mitternacht im Chore singen. Er ist das
Volle, das sich mit dem Leeren einigt. Er ist die heilige Begattung, Er
ist die Liebe und ihr Mord, Er ist der heilige und sein Verräter.
Er ist das hellste Licht des Tages und die tiefste Nacht des Wahnsinns.
Ihn sehen, heißt Blindheit, Ihn erkennen heißt Krankheit,
Ihn anbeten heißt Tod, Ihn fürchten heißt Weisheit,
Ihm nicht widerstehen heißt Erlösung.
Gott wohnt hinter der Sonne, der
Teufel wohnt hinter der Nacht. Was
Gott aus dem Licht gebiert, zieht der Teufel in die Nacht. Der Abraxas
aber ist die Welt, ihr Werden und Vergehen selber. Zu jeder Gabe des
Gottes Sonne stellt der Teufel seinen Fluch. Alles, was Ihr vom Gott
Sonne erbittet, zeugt eine Tat des Teufels. Alles, was Ihr mit Gott
Sonne erschafft, giebt dem Teufel Gewalt des Wirkens.
Das ist der furchtbare Abraxas.
Er ist die gewaltigste Creatur und in
ihm erschrickt die Creatur vor
sich selbst.
Er ist der geoffenbarte Widerspruch
der Creatur gegen das Pleroma und
sein Nichts.
Er ist das Entsetzen des Sohnes vor
der Mutter.
Er ist die Liebe der Mutter zum Sohne.
Er ist das Entzücken der Erde und
die Grausamkeit der Himmel.
Der Mensch erstarrt vor seinem Antlitz.
Vor ihm giebt es nicht Frage und nicht
Antwort.
Er ist das Leben der Creatur.
Er ist das Wirken der
Unterschiedenheit.
Er ist die Liebe des Menschen.
Er ist die Rede des Menschen.
Er ist der Schein und der Schatten des
Menschen.
Er ist die täuschende
Wirklichkeit.
Hier heulten und tobten die Toten,
denn sie waren Unvollendete.
Sermo IV
Die Toten füllten murrend den
Raum und sprachen: Rede zu uns von
Göttern und Teufeln, Verfluchter. Gott Sonne ist das höchste
Gut, der Teufel das Gegenteil, also habt Ihr zwei Götter. Es gibt
aber viele hohe Güter und viele schwere Übel, und darunter
giebt es zwei Gottteufel, der eine ist das BRENNENDE und der andere das
WACHSENDE. Das Brennende ist der EROS in Gestalt der Flamme. Sie
leuchtet, indem sie verzehrt. Das Wachsende ist der BAUM DES LEBENS, er
grünt, indem er wachsend lebendigen Stoff anhäuft. Der Eros
flammt auf und stirbt dahin, der Lebensbaum aber wächst langsam
und stetig durch ungemessene Zeiten.
Gutes und Übles einigt sich in
der Flamme. Gutes und Übles
einigt sich im Wachstum des Baumes. Leben und Liebe stehen in ihrer
Göttlichkeit gegeneinander. Unermesslich, wie das Heer der Sterne
ist die Zahl der Götter und Teufel. Jeder Stern ist ein Gott und
jeder Raum, den ein Stern füllt, ist ein Teufel. Das Leervolle des
Ganzen aber ist das Pleroma. Die Wirkung des Ganzen ist der Abraxas,
nur Unwirkliches steht ihm entgegen. Vier ist die Zahl der
Hauptgötter, denn vier ist die Zahl der Ausmessungen der Welt.
Eins ist der Anfang, der Gott Sonne.
Zwei ist der Eros, denn er verbindet
Zwei und breitet sich leuchtend
aus. Drei ist der Baum des Lebens, denn er füllt den Raum mit
Körpern. Vier ist der Teufel, denn er öffnet alles
Geschlossene; er löst auf alles Geformte und Körperliche, er
ist der Zerstörer, in dem Alles zu Nichts wird. Wohl mir, dass es
mir gegeben ist, die Vielheit und Verschiedenartigkeit der Götter
zu erkennen. Wehe Euch dass Ihr diese unvereinbare Vielheit durch den
einen Gott ersetzt. Dadurch schafft Ihr die Qual des Nichtverstehens
und die Verstümmelung der Creatur, deren Wesen und Trachten
Unterschiedenheit ist. Wie seid Ihr eurem Wesen getreu, wenn Ihr das
Viele zum Einen machen wollt? Was Ihr an den Göttern tut,
geschieht auch an Euch. Ihr werdet alle gleich gemacht und so ist euer
Wesen verstümmelt.
Um des Menschen willen herrsche
Gleichheit, aber nicht um Gottes
willen, denn der Götter sind viele, der Menschen aber wenige. Die
Götter sind mächtig, und ertragen ihre Mannigfaltigkeit, denn
wie die Sterne stehen sie in Einsamkeit und ungeheurer Entfernung von
einander. Die Menschen sind schwach und ertragen ihre Mannigfaltigkeit
nicht, denn sie wohnen nahe beisammen und bedürfen der
Gemeinschaft, um ihre Besonderheit tragen zu können. Um der
Erlösung willen lehre ich Euch das Verwerfliche, um dessentwillen
ich verworfen ward. Die Vielzahl der Götter entspricht der
Vielzahl der Menschen. Unzählige Götter harren der
Menschwerdung. Unzählige Götter sind Menschen gewesen. Der
Mensch hat am Wesen der Götter teil, er kommt von den Göttern
und geht zum Gotte.
So, wie es sich nicht lohnt über
das Pleroma nachzudenken, so
lohnt es sich nicht, die Vielheit der Götter zu verehren. Am
wenigsten lohnt es sich, den ersten Gott, die wirksame Fülle und
das summum bonum, zu verehren. Wir können durch unser Gebet nichts
dazu tun und nichts davon nehmen, denn die wirksame Leere schluckt
alles in sich auf. Die hellen Götter bilden die Himmelswelt, sie
ist vielfach und unendlich sich erweiternd und vergrößernd.
Ihr oberster Herr ist der Gott Sonne.
Die dunkeln Götter bilden die
Erdenwelt. Sie sind einfach und
unendlich sich verkleinernd und vermindernd. Ihr unterster Herr ist der
Teufel, der Mondgeist, der Trabant der Erde, kleiner und kälter
und toter als die Erde. Es ist kein Unterschied in der Macht der
himmlischen und der erdhaften Götter. Die himmlischen
vergrößern, die erdhaften verkleinern. Unermesslich ist
beiderlei Richtung.
Sermo V
Die Toten spotteten und riefen: Lehre
uns, Narr, von Kirche und
heiliger Gemeinschaft. Die Welt der Götter verdeutlicht sich in
der Geistigkeit und in der Geschlechtlichkeit. Die himmlischen
erscheinen in der Geistigkeit, die erdhaften in der Geschlechtlichkeit.
Geistigkeit empfängt und erfasst.
Sie ist weiblich und darum
nennen wir sie die MATER COELESTIS, die himmlische Mutter.
Geschlechtlichkeit zeugt und erschafft. Sie ist männlich und darum
nennen wir sie PHALLOS, den erdhaften Vater. Die Geschlechtlichkeit des
Mannes ist mehr erdhaft, die Geschlechtlichkeit des Weibes ist mehr
geistig. Die Geistigkeit des Mannes ist mehr himmlisch, sie geht zum
Größeren.
Die Geistigkeit des Weibes ist mehr
erdhaft, sie geht zum Kleineren.
Lügnerisch und teuflisch ist die Geistigkeit des Mannes, die zum
Kleineren geht. Lügnerisch und teuflisch ist die Geistigkeit des
Weibes, die zum Größern geht. Jeder gehe zu seiner Stelle.
Mann und Weib werden aneinander zum
Teufel, wenn sie ihre geistigen
Wege nicht trennen, denn das Wesen der Creatur ist Unterschiedenheit.
Die Geschlechtlichkeit des Mannes geht zum Erdhaften, die
Geschlechtlichkeit des Weibes geht zum Geistigen. Mann und Weib werden
aneinander zum Teufel, wenn sie ihre Geschlechtlichkeit nicht trennen.
Der Mann erkenne das Kleinere, das Weib das Größere.
Der Mensch unterscheide sich von der
Geistigkeit und von der
Geschlechtlichkeit. Er nenne die Geistigkeit Mutter und setze sie
zwischen Himmel und Erde. Er nenne die Geschlechtlichkeit Phallos und
setze ihn zwischen sich und die Erde, denn die Mutter und der Phallos
sind übermenschliche Dämonen und Verdeutlichungen der
Götterwelt. Sie sind uns wirksamer als die Götter, weil sie
unserm Wesen nahe verwandt sind. Wenn Ihr Euch von Geschlechtlichkeit
und von Geistigkeit nicht unterscheidet und sie nicht als Wesen
über Euch und um Euch betrachtet, so verfallt Ihr ihnen als
Eigenschaften des Pleroma. Geistigkeit und Geschlechtlichkeit sind
nicht Eure Eigenschaften, nicht Dinge, die Ihr besitzt und umfasst,
sondern sie besitzen und umfassen Euch, denn sie sind mächtige
Dämonen, Erscheinungsformen der Götter, und darum Dinge, die
über Euch hinaus reichen und an sich bestehen. Es hat einer nicht
eine Geistigkeit für sich oder eine Geschlechtlichkeit für
sich, sondern er steht unter dem Gesetz der Geistigkeit und der
Geschlechtlichkeit.
Darum entgeht keiner diesen
Dämonen. Ihr sollt sie ansehen als
Dämonen und als gemeinsame Sache und Gefahr, als gemeinsame Last,
die das Leben euch aufgebürdet hat. So ist Euch auch das Leben
eine gemeinsame Sache und Gefahr, ebenso auch die Götter und
zuvorderst der furchtbare Abraxas.
Der Mensch ist schwach, darum ist
Gemeinschaft unerläßlich;
ist es nicht die Gemeinschaft im Zeichen der Mutter, so ist es sie im
Zeichen des Phallos. Keine Gemeinschaft ist Leiden und Krankheit.
Gemeinschaft in jeglichem ist Zerrissenheit und Auflösung. Die
Unterschiedenheit führt zum Einzel sein. Einzel sein ist gegen
Gemeinschaft. Aber um der Schwäche des Menschen willen
gegenüber den Göttern und Dämonen und ihrem
unüberwindlichen Gesetz ist Gemeinschaft nötig. Darum sei so
viel Gemeinschaft als nötig, nicht um der Menschen willen, sondern
wegen der Götter. Die Götter zwingen Euch zur Gemeinschaft.
So viel sie Euch zwingen, so viel Gemeinschaft tut not, mehr ist von
Übel.
In der Gemeinschaft ordne sich jeder
dem andern unter, damit die
Gemeinschaft erhalten bleibe, denn Ihr bedürft ihrer. Im Einzel
sein ordne sich einer dem andern über, damit jeder zu sich selber
komme und Sklaverei vermeide. In der Gemeinschaft gelte Enthaltung, im
Einzel sein gelte Verschwendung. Die Gemeinschaft ist die Tiefe, das
Einzel sein ist Höhe. Das richtige Maß in Gemeinschaft
reinigt und erhält. Das richtige Maß im Einzel sein reinigt
und fügt hinzu. Die Gemeinschaft giebt uns die Wärme, das
Einzel sein giebt uns das Licht.
Sermo VI
Der Dämon der Geschlechtlichkeit
tritt zu unsrer Seele als eine
Schlange. Sie ist zur Hälfte Menschenseele und heißt
Gedankenwunsch. Der Dämon der Geistigkeit senkt sich in unsre
Seele herab als der weiße Vogel. Er ist zur Hälfte
Menschenseele und heißt Wunschgedanke.
Die Schlange ist eine erdhafte Seele,
halb dämonisch, ein Geist
und verwandt den Geistern der Toten. Wie diese, so schwärmt auch
sie herum in den Dingen der Erde und bewirkt, dass wir sie
fürchten, oder dass sie unsere Begehrlichkeit reizen. Die Schlange
ist weiblicher Natur und sucht immer die Gesellschaft der Toten, die an
die Erde gebannt sind, solche, die den Weg nicht hinüberfanden,
nämlich ins Einzel sein. Die Schlange ist eine Hure und buhlt mit
dem Teufel und mit den bösen Geistern, ein arger Tyrann und
Quälgeist, immer zu übelster Gemeinschaft verführend.
Der weiße Vogel ist eine halbhimmlische Seele des Menschen. Sie
weilt bei der Mutter und steigt bisweilen herab. Der Vogel ist
männlich und ist wirkender Gedanke. Er ist keusch und einsam, ein
Bote der Mutter. Er fliegt hoch über die Erde. Er gebietet das
Einzel sein. Er bringt Kunde von den Fernen, die vorangegangen und
vollendet sind. Er trägt unser Wort herum in den Dingen der Erde
und bewirkt, dass wir sie fürchten, oder dass sie unsere
Begehrlichkeit reizen.
Die Toten blickten mit Verachtung und
sprachen: Höre auf von
Göttern, Dämonen und Seelen zu reden. Das wussten wir im
Grunde schon längst.
Sermo VII
Des Nachts aber kamen die Toten wieder
mit kläglicher Gebärde
und sprachen: Noch eines, wir vergaßen davon zu reden, lehre uns
vom Menschen. Der Mensch ist ein Thor, durch das Ihr aus der
Außenwelt der Götter, Dämonen und Seelen eintretet in
die Innenwelt, aus der größeren Welt in die kleinere Welt.
Klein und nichtig ist der Mensch, schon habt Ihr ihn im Rücken,
und wiederum seid Ihr im unendlichen Raume, in der kleineren oder
inneren Unendlichkeit.In unermesslicher Entfernung steht ein einziger
Stern im Zenith.
Dies ist der eine Gott dieses Einen,
dies ist seine Welt, sein Pleroma,
seine Göttlichkeit. In dieser Welt ist der Mensch der Abraxas, der
seine Welt gebiert oder verschlingt. Dieser Stern ist der Gott und das
Ziel des Menschen. Dies ist sein einer führender Gott, in ihm geht
der Mensch zur Ruhe, zu ihm geht die lange Reise der Seele nach dem
Tode, in ihm erglänzt als Licht alles, was der Mensch aus der
größeren Welt zurückzieht. Zu diesem einen bete der
Mensch. Das Gebet mehrt das Licht des Sternes, es schlägt eine
Brücke über den Tod, es bereitet das Leben der kleineren
Welt, und mindert das hoffnungslose Wünschen der
größeren Welt. Wenn die größere Welt kalt wird,
leuchtet der Stern. Nichts ist zwischen dem Menschen und seinem einen
Gotte, sofern der Mensch seine Augen vom flammenden Schauspiel des
Abraxas abwenden kann. Mensch hier, Gott dort. Schwachheit und
Nichtigkeit hier, ewige Schöpferkraft dort. Hier ganz Dunkelheit
und feuchte Kühle, dort ganz Sonne.
Darauf schwiegen die Toten und stiegen
empor wie Rauch über dem
Feuer des Hirten, der des Nachts seiner Herde wartete.
ANAGRAMMA:
NAHTRIHECCUNDE
GAHINNEVERAHTUNIN
ZEHGESSURKLACH
ZUNNUS
Zitat:
"Jung ließ die
«Septem Sermones ad Mortuos»
(sieben Reden an die Toten) als Broschüre im Privatdruck
erscheinen. Er verschenkte sie gelegentlich an Freunde. Im Buchhandel
war sie nie erhältlich. Später bezeichnete er die
Unternehmung als eine «Jugendsünde» und bereute dies
im Nachhinein. Die Sprache entspricht ungefähr derjenigen des
«Roten Buches». Gegenüber den endlos langen
Gesprächen mit inneren Figuren im «Roten Buch» stellen
die «Septem Sermones» ein in sich abgeschlossenes Ganzes
dar. Darum wurden sie als Beispiel gewählt. Sie vermitteln einen,
wenn auch bruchstückhaften, Eindruck dessen was Jung in den Jahren
1913 bis 1917 in Atem gehalten, und was er damals gestaltet hatte. Die
Schrift enthält bildhafte Andeutungen oder Vorwegnahmen von
Gedanken, die in Jungs wissenschaftlichem Werk später eine Rolle
spielten, vor allem die Gegensatznatur des Geistes, des Lebens und der
psychologischen Aussage. Das Denken in Paradoxien war es, das Jung bei
den Gnostikern angezogen hatte. Deshalb identifizierte er sich hier mit
dem Gnostiker Basilides (anfangs des 2. Jahrhunderts n. Chr.) und hielt
sich zum Teil auch an dessen Terminologie, z. B. Gott als ABRAXAS. Dies
entsprach einer spielerischen und beabsichtigten Mystifizierung. Jung
gab seine Erlaubnis zur Publikation in seinem Erinnerungsbuch nur
zögernd und nur «um der Ehrlichkeit willen». Die
Auflösung des Anagramms am Schluß des Buches hat er nicht
verraten."
Dieser Text ist copyrightfrei.
Den Text bekam ich von Elements-Creactive _ zugesandt
Um das Anagramm aufzulösen, muss man die Buchstaben so umstellen, dass sinnvolle Begriffe entstehen. Schauen wir uns die Teile des Anagramms nacheinander an:
Durch Umstellen der Buchstaben erhalten wir „C.G. Jung“ und „Die sieben Belehrungen“:
Also ergibt sich: "Die sieben Belehrungen von C.G. Jung".
Durch Umstellen der Buchstaben erhalten wir „Nigrum Quintum Aevum“:
Also ergibt sich: "Nigrum Quintum Aevum".
Durch Umstellen der Buchstaben erhalten wir „Schwarze Gnosis“:
Also ergibt sich: "Schwarze Gnosis".
Durch Umstellen der Buchstaben erhalten wir „Sunnuz“, was „Sphinx“ bedeuten könnte:
Also ergibt sich: "Sunnuz".
Diese Lösungen ergeben einen Bezug zur esoterischen und gnostischen Thematik, die in C.G. Jungs Werk und seinen Bezügen zu den „Sieben Belehrungen der Toten“ deutlich wird.
Was ist so schön, daß es wohl an den Pforten des Paradieses stehen könnte ???
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