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schiller

Friedrich Schiller - Turandot, Prinzessin von China

Giacomo Puccini - Turandot - (Liebe und Haß in der Prinzessin vereint) - Nessun Dorma - Luciano Pavarotti, 7.7.1990 in den Caracalla Thermen in Rom

Nessun dorma (italienisch für ‚Keiner schlafe‘) ist die Arie des Prinzen Kalaf zu Beginn des 3. Aktes der Oper Turandot von Giacomo Puccini, die 1926 in Mailand uraufgeführt wurde.

In der Oper, deren Handlung vor 3000 Jahren im chinesischen Reich spielt, löst der fremde Prinz Kalaf das Rätsel der Prinzessin Turandot und gewinnt sie damit als Gemahlin. Er stellt der Prinzessin jedoch in Aussicht, sie von ihrem Heiratsversprechen zu entbinden, wenn sie bis Sonnenaufgang seinen Namen herausfinden würde. Daraufhin befiehlt Turandot, dass niemand in Peking schlafen dürfe, alle sollten nach dem Namen des unbekannten Prinzen fahnden. Die Untertanen werden mit der Todesstrafe bedroht, falls sie den Namen nicht herausfinden sollten.

Boten verkünden: Questa notte nessun dorma in Pechino – ‚Diese Nacht soll niemand schlafen in Peking‘. Daraufhin wiederholt der Chor die Worte Nessun dorma. Auch Kalaf greift diese Worte zu Beginn der Arie auf und zeigt sich standhaft und gewiss, dass die Prinzessin das Geheimnis seines Namens nicht lösen wird.

Oper von Giacomo Puccini

Herbert von Karajan Placido Domingo Katia Ricciarelli Barbara Hendricks Ruggero Raimondi Wiener Philharmoniker Wiener Staatsopernchor Wiener Sängerknaben

Erster Aufzug.

Zweiter Auftritt.
Dritter Auftritt.
Vierter Auftritt.
Fuenfter Auftritt.

Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.
Zweiter Auftritt.
Dritter Auftritt.
Vierter Auftritt.

Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.
Zweiter Auftritt.
Dritter Auftritt.
Vierter Auftritt.
Fuenfter Auftritt.
Sechster Auftritt.
Siebenter Auftritt.

Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.
Zweiter Auftritt.
Dritter Auftritt.
Vierter Auftritt.
Fuenfter Auftritt.
Sechster Auftritt.
Siebenter Auftritt.
Achter Auftritt.
Neunter Auftritt.
Zehnter Auftritt.
Eilfter Auftritt.

Fuenfter Aufzug.

Erster Auftritt.
Zweiter Auftritt.
Letzter Auftritt.

Turandot, Prinzessin von China - Friedrich Schiller.

Ein tragikomisches Maerchen nach Gozzi.

Personen:

Altoum, fabelhafter Kaiser von China.
Turandot, seine Tochter.
Adelma, eine tartarische Prinzessin, ihre Sklavin.
Zelima, eine andere Sklavin der Turandot.
Skirina, Mutter der Zelima.
Barak, ihr Gatte, ehmals Hofmeister des
Kalaf, Prinzen von Astrachan.
Timur, vertriebener Koenig von Astrachan.
Ismael, Begleiter des Prinzen von Samarcand.
Tartaglia, Minister.
Pantalon, Kanzler.
Truffaldin, Aufseher der Verschnittenen.
Brigella, Hauptmann der Wache.
Doctoren des Divans.
Sklaven und Sklavinnen des Serails.

Erster Aufzug.
Vorstadt von Peckin.

Prospekt eines Stadtthors. Eiserne Staebe ragen ueber demselben
hervor, worauf mehrere geschorne, mit tuerkischen Schoepfen
versehene Koepfe als Masken und so, dass sie als eine Zierrath
erscheinen koennen, symmetrisch aufgepflanzt sind.

Erster Auftritt.

Prinz Kalaf, in tartarischem Geschmack, etwas phantastisch
gekleidet, tritt aus einem Hause. Gleich darauf Barak, aus
der Stadt kommend.

Kalaf.
Habt Dank, ihr Goetter! Auch zu Peckin sollt' ich
Eine gute Seele finden!

Barak (in persischer Tracht, tritt auf, erblickt ihn und faehrt
erstaunt zurueck).
Seh' ich recht?
Prinz Kalaf! Wie? Er lebt noch!

Kalaf (ernennt ihn). Barak!

Barak (auf ihn zueilend). Herr!

Kalaf. Dich find' ich hier?

Barak. Euch seh' ich lebend wieder!
Und hier zu Peckin!

Kalaf. Schweig! Verrath mich nicht!
Beim grossen Lama, sprich! Wie bist du hier?

Barak. Durch ein Geschick der Goetter, muss ich glauben,
Da es mich hier mit Euch zusammenfuehrt.
An jenem Tag des Ungluecks, als ich sah,
Dass unsre Voelker flohen, der Tyrann
Von Tefflis unaufhaltsam in das Reich
Eindrang, floh ich nach Astrachan zurueck,
Bedeckt mit schweren Wunden. Hier vernahm ich,
Dass Ihr und Koenig Timur, Euer Vater,
Im Treffen umgekommen. Meinen Schmerz
Erzaehl' ich nicht; verloren gab ich Alles,
Und sinnlos eilt' ich zum Palaste nun,
Elmazen, Eure koenigliche Mutter,
Zu retten; doch ich suchte sie vergebens!
Schon zog der Sieger ein zu Astrachan,
Und in Verzweiflung eilt' ich aus den Thoren.
Von Land zu Lande irrt' ich fluechtig nun
Drei Jahre lang umher, ein Obdach suchend,
Bis ich zuletzt nach Peckin mich gefunden.
Hier unterm Namen Hassan glueckte mir's,
Durch treue Dienste einer Wittwe Gunst
Mir zu erwerben, und sie ward mein Weib.
Sie kennt mich nicht; ein Perser bin ich ihr.
Hier leb' ich nun, obwohl gering und arm
Nach meinem vor'gen Loos, doch ueberreich
In diesem Augenblicke, da ich Euch,
Den Prinzen Kalaf, meines Koenigs Sohn,
Den ich erzogen, den ich Jahre lang
Fuer todt beweint, im Leben wieder sehe!
—Wie aber lebend? Wie in Peckin hier?

Kalaf. Nenne mich nicht. Nach jener ungluecksel'gen Schlacht
Bei Astrachan, die uns das Reich gekostet,
Eilt' ich mit meinem Vater zum Palast;
Schnell rafften wir das Kostbarste zusammen,
Was sich an Edelsteinen fand, und flohn.
In Bauerntracht verhuellt, durchkreuzten wir,
Der Koenig und Elmaze, meine Mutter,
Die Wuesten und das felsigte Gebirg.
Gott, was erlitten wir nicht da! Am Fuss
Des Kaukasus raubt' eine wilde Horde
Von Malandrinen uns die Schaetze; nur
Das nackte Leben blieb uns zum Gewinn.
Wir mussten kaempfen mit des Hungers Qualen
Und jedes Elends mannigfacher Noth.
Den Vater trug ich bald und bald die Mutter
Auf meinen Schultern, eine theure Last.
Kaum wehrt' ich seiner wuethenden Verzweiflung,
Dass er den Dolch nicht auf sein Leben zuckte;
Die Mutter hielt ich kaum, dass sie, von Gram
Erschoepft, nicht niedersank! So kamen wir
Nach Jaik endlich, der Tartarenstadt,
Und hier, an der Moscheen Thor, musst' ich
Ein Bettler flehen um die magre Kost,
Der theuren Eltern Leben zu erhalten.
—Ein neues Unglueck! Unser grimm'ger Feind,
Der Khan von Tefflis, voll Tyrannenfurcht,
Misstrauend dem Geruecht von unserm Tode,
Er liess durch alle Laender uns verfolgen.
Vorausgeeilt schon war uns sein Befehl,
Der alle kleinen Koenige seiner Herrschaft
Aufbot, uns nachzuspaehn. Nur schnelle Flucht
Entzog uns seiner Spuerer Wachsamkeit—
Ach, wo verbaerg' sich ein gefallner Koenig!

Barak. O, nichts mehr! Eure Worte spalten mir
Das Herz! Ein grosser Fuerst in solchem Elend!
Doch sagt! Lebt mein Gebieter noch, und lebt
Elmaze, meine Koenigin?

Kalaf. Sie leben.
Und wisse, Barak, in der Noth allein
Bewaehret sich der Adel grosser Seelen.
—Wir kamen in der Karazanen Land;
Dort, in den Gaerten Koenig Keicobads,
Musst' ich zu Knechtes Diensten mich bequemen,
Dem bittern Hungertode zu entfliehn.
Mich sah Adelma dort, des Koenigs Tochter,
Mein Anblick ruehrte sie, es schien ihr Herz
Von zaertlichern Gefuehlen, als des Mitleids,
Sich fuer den fremden Gaertner zu bewegen.
Scharf sieht die Liebe, nimmer glaubte sie
Mich zu dem Loos, wo sie mich fand, geboren.
—Doch weiss ich nicht, welch boesen Sternes Macht
Der Karazanen Koenig Keicobad
Verblendete, den maecht'gen Altoum,
Den Grosskhan der Chinesen, zu bekriegen.
Das Volk erzaehlte Seltsames davon.
Was ich berichten kann, ist dies: Besiegt
Ward Keicobad, sein ganzer Stamm vertilgt;
Adelma selbst mit sieben andern Toechtern
Des Koenigs ward ertraenkt in einem Strome.
—Wir aber flohen in ein andres Land;
So kamen wir nach langem Irren endlich
Zu Berlas an—Was bleibt mir noch zu sagen?
Vier Jahre lang schafft' ich den Eltern Brod,
Dass ich um duerft'ges Taglohn Lasten trug.

Barak. Nicht weiter, Prinz. Vergessen wir das Elend,
Da ich Euch jetzt in kriegerischem Schmuck
Und Heldenstaat erblicke. Sagt. wie endlich
Das Glueck Euch guenstig ward?

Kalaf. Mir guenstig! Hoere!
Dem Khan von Berlas war ein edler Sperber
Entwischt, den er in hohem Werthe hielt.
Ich fand den Sperber, ueberbracht' ihn selbst
Dem Koenig—Dieser fragt nach meinem Namen;
Ich gebe mich fuer einen Elenden,
Der seine Eltern naehrt mit Lastentragen.
Drauf liess der Khan den Vater und die Mutter
Im Hospital versorgen. (Er haelt inne.) Barak! Dort,
Im Aufenthalt des allerhoechsten Elends,
Dort ist dein Koenig—deine Koenigin.
Auch dort nicht sicher, dort noch in Gefahr,
Erkannt zu werden und getoedtet!

Barak. Gott!

Kalaf. Mir liess der Kaiser diese Boerse reichen,
Ein schoenes Pferd und dieses Ritterkleid.
Den greisen Eltern sag' ich Lebewohl;
Ich gehe, rief ich, mein Geschick zu aendern,
Wo nicht, dies traur'ge Leben zu verlieren!
Was thaten sie nicht, mich zurueckzuhalten
Und, da ich standhaft blieb, mich zu begleiten!
Verhuet' es Gott, dass sie, von Angst gequaelt,
Nicht wirklich meinen Spuren nachgefolgt!
Hier bin ich nun, zu Peckin, unerkannt,
Viel hundert Meilen weit von meiner Heimath.
Entschlossen komm' ich her, dem grossen Khan
Vom Lande China als Soldat zu dienen,
Ob mir vielleicht die Sterne guenstig sind,
Durch tapfre That mein Schicksal zu verbessern.
—Ich weiss nicht, welche Festlichkeit die Stadt
Mit Fremden fuellt, dass kein Karvanserai
Mich aufnahm—Dort in jener schlechten Huette
Gab eine Frau aus gutem Herzen mir
Herberge.

Barak. Prinz, das ist mein Weib.

Kalaf. Dein Weib?
Preise dein Glueck, dass es ein fuehlend Herz
Zur Gattin dir gegeben! (Er reicht ihm die Hand.)
Jetzt leb' wohl.
Ich geh' zur Stadt. Mich treibt's, die Festlichkeit
Zu sehn, die so viel Menschen dort versammelt.
Dann zeig' ich mich dem grossen Khan und bitt'
Ihn um die Gunst, in seinem Heer zu dienen.

(Er will fort. Barak haelt ihn zurueck.)

Barak. Bleibt, Prinz! Wo wollt Ihr hin? Moegt Ihr das Aug'
An einem grausenvollen Schauspiel weiden?
O, wisset, edler Prinz—Ihr kamt hieher
Auf einen Schauplatz unerhoerter Thaten.

Kalaf. Wie so? Was meinst du?

Barak. Wie? Ihr wisst es nicht,
Dass Turandot, des Kaisers einz'ge Tochter,
Das ganze Reich in Leid versenkt und Thraenen?

Kalaf. Ja, schon vorlaengst im Karazanenland
Hoert' ich dergleichen—und die Rede ging,
Es sei der Prinz des Koenigs Keicobad
Auf eine seltsam jammervolle Art
Zu Peckin umgekommen—Eben dies
Hab' jenes Kriegesfeuer angeflammt,
Das mit dem Falle seines Reichs geendigt.
Doch Manches glaubt und schwatzt ein dummer Poebel,
Worueber der Verstaend'ge lacht—Darum
Sag' an, wie sich's verhaelt mit dieser Sache?

Barak. Des Grosskhans einz'ge Tochter, Turandot,
Durch ihren Geist beruehmt und ihre Schoenheit,
Die keines Malers Pinsel noch erreicht,
Wie viele Bildnisse von ihr auch in der Welt
Herumgehn, hegt so uebermueth'gen Sinn,
So grossen Abscheu vor der Ehe Banden,
Dass sich die groessten Koenige umsonst
Um ihre Hand bemueht—

Kalaf. Das alte Maerchen
Vernahm ich schon am Hofe Keicobads
Und lachte drob—Doch fahre weiter fort

Barak. Es ist kein Maerchen. Oft schon wollte sie
Der Khan, als einz'ge Erbin seines Reichs,
Mit Soehnen grosser Koenige vermaehlen.
Stets widersetzte sich die stolze Tochter,
Und, ach! zu blind ist seine Vaterliebe,
Als dass er Zwang zu brauchen sich erkuehnte.
Viel schwere Kriege schon erregte sie
Dem Vater, und obgleich noch immer Sieger
In jedem Kampf, so ist er doch ein Greis
Und unbeerbt wankt er dem Grabe zu.
Drum sprach er einsmals ernst und wohlbedaechtlich
Zu ihr die strengen Worte: Stoerrig Kind!
Entschliesse dich einmal, dich zu vermaehlen,
Wo nicht, so sinn' ein ander Mittel aus,
Dem Reich die ew'gen Kriege zu ersparen;
Denn ich bin alt; zu viele Koen'ge schon
Hab' ich zu Feinden, die dein Stolz verschmaehte.
Drum nenne mir ein Mittel, wie ich mich
Der wiederholten Werbungen erwehre,
Und leb' hernach und stirb, wie dir's gefaellt—
Erschuettert ward von diesem ernsten Wort
Die Stolze, rang umsonst, sich loszuwinden;
Die Kunst der Thraenen und der Bitten Macht
Erschoepfte sie, den Vater zu bewegen;
Doch unerbittlich blieb der Khan—Zuletzt
Verlangt sie von dem ungluecksel'gen Vater,
Verlangt—Hoert, was die Furie verlangte!

Kalaf. Ich hab's gehoert. Das abgeschmackte Maerchen
Hab' ich schon oft belacht—Hoer', ob ich's weiss!
Sie fordert' ein Edict von ihrem Vater,
Dass jedem Prinzen koeniglichen Stamms
Vergoennt sein soll, um ihre Hand zu werben.
Doch dieses sollte die Bedingung sein:
Im oeffentlichen Divan, vor dem Kaiser
Und seinen Raethen allen, wollte sie
Drei Raethsel ihm vorlegen. Loeste sie
Der Freier auf, so moeg' er ihre Hand
Und mit derselben Kron' und Reich empfangen.
Loest er sie nicht, so soll der Kaiser sich
Durch einen heil'gen Schwur auf seine Goetter
Verpflichten, den Ungluecklichen enthaupten
Zu lassen.—Sprich, ist's nicht so? Nun vollende
Dein Maerchen, wenn du's kannst vor langer Weile.

Barak. Mein Maerchen? Wollte Gott! Der Kaiser zwar
Empoert' sich erst dagegen; doch die Schlange
Verstand es, bald mit Schmeichelbitten, bald
Mit list'ger Redekunst das furchtbare
Gesetz dem schwachen Alten zu entlocken.
Was ist's denn auch? sprach sie mit arger List;
Kein Prinz der Erde wird so thoericht sein,
In solchem blut'gen Spiel sein Haupt zu wagen!
Der Freier Schwarm zieht sich geschreckt zurueck,
Ich werd' in Frieden leben. Wagt es dennoch
Ein Rasender, so ist's auf seine eigne
Gefahr, und meinen Vater trifft kein Tadel,
Wenn er ein heiliges Gesetz vollzieht!—
Beschworen ward das unnatuerliche
Gesetz und kund gemacht in allen Landen.

(Da Kalaf den Kopf schuettelt.)

—Ich wuenschte, dass ich Maerchen nur erzaehlte
Und sagen duerfte. Alles war ein Traum!

Kalaf. Weil du's erzaehlst, so glaub' ich das Gesetz.
Doch sicher war kein Prinz wahnsinnig gnug,
Sein Haupt daran zu setzen.

Barak (zeigt nach dem Stadtthor). Sehet, Prinz!
Die Koepfe alle, die dort auf den Thoren
Zu sehen sind, gehoerten Prinzen an,
Die toll genug das Abenteuer wagten
Und klaeglich ihren Untergang drin fanden,
Weil sie die Raethsel dieser Sphinx zu loesen
Nicht faehig waren.

Kalaf. Grausenvoller Anblick!
Und lebt ein solcher Thor, der seinen Kopf
Wagt, um ein Ungeheuer zu besitzen!

Barak. Nein! Sagt das nicht. Wer nur ihr Konterfei
Erblickt, das man sich zeigt in allen Laendern,
Fuehlt sich bewegt von solcher Zaubermacht,
Dass er sich blind dem Tod entgegen stuerzt,
Das goettergleiche Urbild zu besitzen.

Kalaf. Irgend ein Geck.

Barak. Nein, wahrlich! Auch der Kluegste.
Heut ist der Zulauf hier, weil man den Prinzen
Von Samarcanda, den verstaendigsten,
Den je die Welt gesehn, enthaupten wird.
Der Khan beseufzt die fuerchterliche Pflicht;
Doch ungeruehrt frohlockt die stolze Schoene.

(Man hoert in der Ferne den Schall von gedaempften Trommeln.)

Hoert! Hoert Ihr! Dieser dumpfe Trommelklang
Verkuendet, dass der Todesstreich geschieht;
Ihn nicht zu sehen, wich ich aus der Stadt.

Kalaf. Barak, du sagst mir unerhoerte Dinge.
Was? Konnte die Natur ein weibliches
Geschoepf wie diese Turandot erzeugen,
So ganz an Liebe leer und Menschlichkeit?

Barak. Mein Weib hat eine Tochter, die im Harem
Als Sklavin dient und uns Unglaubliches
Von ihrer schoenen Koenigin berichtet.
Ein Tiger ist sie, diese Turandot,
Doch gegen Maenner nur, die um sie werben.
Sonst ist sie guetig gegen alle Welt;
Stolz ist das einz'ge Laster, das sie schaendet.

Kalaf. Zur Hoelle, in den tiefsten Schlund hinab
Mit diesen Ungeheuern der Natur,
Die kalt und herzlos nur sich selber lieben!
Waer' ich ihr Vater, Flammen sollten sie
Verzehren.

Barak. Hier kommt Ismael, der Freund
Des Prinzen, der sein Leben jetzt verloren.
Er kommt voll Thraenen—Ismael!

 

Zweiter Auftritt.

Ismael zu den Vorigen.

Ismael (reicht dem Barak die Hand, heftig weinend). Er hat
Gelebt—Der Streich des Todes ist gefallen.
Ach! Warum fiel er nicht auf dieses Haupt!

Barak. Barmherz'ger Himmel!—Doch warum liesst Ihr
Geschehn, dass er im Divan der Gefahr
Sich blossgestellt?

Ismael. Mein Unglueck braucht noch Vorwurf.
Gewarnt hab' ich, beschworen und gefleht,
Wie es mein Herz, wie's meine Pflicht mich lehrte.
Umsonst! Des Freundes Stimme wurde nicht
Gehoert; die Macht der Goetter riss ihn fort.

Barak. Beruhigt Euch!

Ismael. Beruhigen? Niemals, niemals!
Ich hab' ihn sterben sehen. Sein Gefaehrte
War ich in seinem letzten Augenblick,
Und seine Abschiedsworte gruben sich
Wie spitz'ge Dolche mir ins tiefste Herz.
“Weine nicht!” sprach er. “Gern und freudig sterb' ich,
“Da ich die Liebste nicht besitzen kann.
“Mag es mein theurer Vater mir vergeben,
“Dass ich ohn' Abschied von ihm ging. Ach, nie
“Haett' er die Todesreise mir gestattet!
“Zeig' ihm dies Bildniss!

(Er zieht ein kleines Portrait an einem Band aus dem Busen.)

“Wenn er diese Schoenheit
“Erblickt, wird er den Sohn entschuldigen.”
Und an die Lippen drueckt' er jetzt, lautschluchzend,
Mit heft'gen Kuessen dies verhasste Bild,
Als koennt' er, sterbend selbst, nicht davon scheiden;
Drauf kniet' er nieder, und—mit einem Streich—
Noch zittert mir das Mark in den Gebeinen—
Sah ich Blut spritzen, sah den Rumpf hinfallen
Und hoch in Henkers Hand das theure Haupt;
Entsetzt und trostlos riss ich mich von dannen.

(Wirft das Bild in heftigem Unwillen auf den Boden.)

Verhasstes, ewig fluchenswerthes Bild!
Liege du hier, zertreten in dem Staub!
Koennt' ich sie selbst, die Tigerherzige,
Mit diesem Fusstritt so wie dich zermalmen!
Dass ich dich meinem Koenig ueberbraechte!
Nein, mich soll Samarcand nicht wieder sehn.
In eine Wueste will ich fliehn und dort,
Wo mich kein menschlich Ohr vernimmt, auf ewig
Um meinen vielgeliebten Prinzen weinen. (Geht ab.)

 

Dritter Auftritt.

Kalaf und Barak.

Barak (nach einer Pause).
Prinz Kalaf, habt Ihr's nun gehoert?

Kalaf. Ich stehe
Ganz voll Verwirrung, Schrecken und Erstaunen.
Wie aber mag dies unbeseelte Bild,
Das Werk des Malers, solchen Zauber wirken?

(Er will das Bildniss von der Erde nehmen.)

Barak (eilt auf ihn zu und haelt ihn zurueck).
Was macht Ihr!—Grosse Goetter!

Kalaf (laechelnd). Nun! Ein Bildniss
Nehm' ich vom Boden auf. Ich will sie doch
Betrachten, diese moerderische Schoenheit.

(Greift nach dem Bildniss und hebt es von der Erde auf.)

Barak (ihn haltend). Euch waere besser, der Medusa Haupt
Als diese toedtliche Gestalt zu sehn.
Weg! Weg damit! Ich kann es nicht gestatten.

Kalaf. Du bist nicht klug. Wenn du so schwach dich fuehlst,
Ich bin es nicht. Des Weibes Reiz hat nie
Mein Aug geruehrt, auch nur auf Augenblicke,
Viel weniger mein Herz besiegt. Und was
Lebend'ge Schoenheit nie bei mir vermocht,
Das sollten todte Pinselstriche wirken?
Unnuetze Sorgfalt, Barak—Mir liegt Andres
Am Herzen, als der Liebe Narrenspiel. (Will das Bildniss anschauen.)

Barak. Dennoch, mein Prinz—Ich warn' Euch—Thut es nicht!

Kalaf (ungeduldig). Zum Henker, Einfalt! Du beleidigst mich.

(Stoesst ihn zurueck, sieht das Bild an und geraeth in Erstaunen.
Nach einer Pause.)

Was seh' ich!

Barak (ringt verzweifelnd die Haende).
Weh' mir! Welches Unglueck!

Kalaf (fasst ihn lebhaft bei der Hand). Barak!

(Will reden, sieht aber wieder auf das Bild und betrachtet
es mit Entzuecken.)

Barak (fuer sich). Seid Zeugen, Goetter—Ich, ich bin nicht schuld,
Ich hab' es nicht verhindern koennen.

Kalaf. Barak!
—In diesen holden Augen, dieser suessen
Gestalt, in diesen sanften Zuegen kann
Das harte Herz, wovon du sprichst, nicht wohnen!

Barak. Ungluecklicher, was hoer' ich? Schoener noch
Unendlichmal, als dieses Bildniss zeigt,
Ist Turandot, sie selbst! Nie hat die Kunst
Des Pinsels ihren ganzen Reiz erreicht;
Doch ihres Herzens Stolz und Grausamkeit
Kann keine Sprache, keine Zunge nennen.
O, werft es von Euch, dies unselige,
Verwuenschte Bildniss! Euer Auge sauge
Kein toedtlich Gift aus dieser Mordgestalt!

Kalaf. Hinweg! Vergebens suchst du mich zu schrecken!
—Himmlische Anmuth! Warme, gluehende Lippen!
Augen der Liebesgoettin! Welcher Himmel,
Die Fuelle dieser Reize zu besitzen!

(Er steht in den Anblick des Bildes verloren, ploetzlich wendet er
sich zu Barak und ergreift seine Hand.)

Barak! Verrath mich nicht—Jetzt oder nie!
Dies ist der Augenblick, mein Glueck zu wagen.
Wozu dies Leben sparen, das ich hasse?
—Ich muss auf einen Zug die schoenste Frau
Der Erde und ein Kaiserthum mit ihr
Gewinnen oder dies verhasste Leben
Auf einen Zug verlieren—Schoenstes Werk!
Pfand meines Gluecks und meine suesse Hoffnung!
Ein neues Opfer ist fuer dich bereit
Und draengt sich wagend zu der furchtbarn Probe.
Sei guetig gegen mich—Doch, Barak, sprich!
Ich werde doch im Divan, eh' ich sterbe,
Das Urbild selbst von diesen Reizen sehn?

(Indem sieht man die fuerchterliche Larve eines Nachrichters
sich ueber dem Stadtthor erheben und einen neuen Kopf ueber
demselben aufpflanzen.—Der vorige Schall verstimmter Trommeln
begleitet diese Handlung.)

Barak. Ach, sehet, sehet, theurer Prinz, und schaudert!
Dies ist das Haupt des ungluecksel'gen Juenglings—
Wie es Euch anstarrt! Und dieselben Haende,
Die es dort aufgepflanzt, erwarten Euch.
O, kehret um! Kehrt um! Nicht moeglich ist's,
Die Raethsel dieser Loewin aufzuloesen.
Ich seh' im Geist schon Euer theures Haupt,
Ein Warnungszeichen allen Juenglingen,
In dieser furchtbarn Reihe sich erheben.

Kalaf (hat das aufgesteckte Haupt mit Nachdenken und Ruehrung
betrachtet).
Verlorner Juengling! Welche dunkle Macht
Reisst mich geheimnissvoll, unwiderstehlich
Hinauf in deine toedtliche Gesellschaft?

(Er bleibt nachsinnend stehen; dann wendet er sich zu Barak.)

—Wozu die Thraenen, Barak? Hast du mich
Nicht einmal schon fuer todt beweint? Komm, komm!
Entdecke keiner Seele, wer ich bin.
Vielleicht—wer weiss, ob nicht der Himmel, satt,
Mich zu verfolgen, mein Beginnen segnet
Und meinen armen Eltern Trost verleiht.
Wo nicht—Was hat ein Elender zu wagen?
Fuer deine Liebe will ich dankbar sein,
Wenn ich die Raethsel loese—Lebe wohl!

(Er will gehen, Barak haelt ihn zurueck, unterdessen kommt Skirina,
Baraks Weib, aus dem Hause.)

Barak. Nein, nimmermehr! Komm mir zu Hilfe, Frau!
Lass ihn nicht weg—Er geht, er ist verloren,
Der theure Fremdling geht, er will es wagen,
Die Raethsel dieser Furie zu loesen.

 

Vierter Auftritt.

Skirina zu den Vorigen.

Skirina (tritt ihm in den Weg).
O weh! Was hoer' ich? Seid Ihr nicht mein Gast?
Was treibt den zarten Juengling in den Tod?

Kalaf. Hier, gute Mutter! Dieses Goetterbild
Ruft mich zu meinem Schicksal. (Zeigt ihr das Bildnis.)

Skirina. Wehe mir!
Wie kam das hoell'sche Bild in seine Hand?

Barak. Durch blossen Zufall.

Kalaf (tritt zwischen Beide). Hassan! Gute Frau!
Zum Dank fuer Eure Gastfreundschaft behaltet
Mein Pferd! Auch diese Boerse nehmet hin!
Sie ist mein ganzer Reichthum—Ich—ich brauche
Fortan nichts weiter—denn ich komm' entweder
Reich wie ein Kaiser oder—nie zurueck!
—Wollt Ihr, so opfert einen Theil davon
Den ew'gen Goettern, theilt den Armen aus,
Damit sie Glueck auf mich herab erflehen;
Lebt wohl—Ich muss in mein Verhaengniss gehen! (Er eilt in die Stadt.)

 

Fuenfter Auftritt.

Barak und Skirina.

Barak (will ihm folgen)
Mein Herr! Mein armer Herr! Umsonst! Er geht!
Er hoert mich nicht!

Skirina (neugierig). Dein Herr? Du kennst ihn also?
O, sprich, wer ist der edelherz'ge Fremdling,
Der sich dem Tode weiht?

Barak. Lass diese Neugier!
Er ist geboren mit so hohem Geist,
Dass ich nicht ganz an dem Erfolg verzweifle.
—Komm, Skirina. All dieses Gold lass uns
Und Alles, was wir Eigenes besitzen,
Dem Fohi opfern und den Armen spenden!
Gebete sollen sie fuer ihn gen Himmel senden
Und sollen wund sich knien an den Altaeren,
Bis die erweichten Goetter sie erhoeren!

(Sie gehen nach ihrem Hause.)

Zweiter Aufzug.

Grosser Saal des Divans, mit zwei Pforten, davon die eine zu den
Zimmern des Kaisers, die andere ins Serail der Prinzessin Turandot
fuehrt.

 

Erster Auftritt.

Truffaldin, als Anfuehrer der Verschnittenen, steht gravitaetisch
in der Mitte der Scene und befiehlt seinen Schwarzen, welche
beschaeftigt sind, den Saal in Ordnung zu bringen. Bald darauf
Brigella.

Truffaldin. Frisch an das Werk! Ruehrt euch! Gleich wird der Divan
Beisammen sein.—Die Teppiche gelegt,
Die Throne aufgerichtet! Hier zur Rechten
Kommt kaiserliche Majestaet, links meine
Scharmante Hoheit, die Prinzess, zu sitzen!

Brigella (kommt und sieht sich verwundernd um).
Mein! Sagt mir, Truffaldin, was gibt's denn Neues,
Dass man den Divan schmueckt in solcher Eile?

Truffaldin (ohne auf ihn zu hoeren—zu den Schwarzen).
Acht Sessel dorthin fuer die Herrn Doktoren!
Sie haben hier zwar nicht viel zu dotieren;
Doch muessen sie, weil's was Gelehrtes gibt,
Mit ihren langen Baerten figurieren.

Brigella. So redet doch! Warum, wozu das alles?

Truffaldin. Warum? Wozu? Weil sich die Majestaet
Und meine schoene Koenigin, mit sammt
Den acht Doktoren und den Excellenzen,
Sogleich im Divan hier versammeln werden.
's hat sich ein neuer, frischer Prinz gemeldet,
Den's juckt, um einen Kopf sich zu verkuerzen.

Brigella. Was? Nicht drei Stunden sind's, dass man den letzten
Hat abgethan—

Truffaldin. Ja, Gott sei Dank! Es geht
Von statten! die Geschaefte gehen gut.

Brigella. Und dabei koennt Ihr scherzen, roher Kerl!
Euch freut wohl das barbarische Gemetzel?

Truffaldin. Warum soll mich's nicht freuen? Setzt's doch immer
Fuer meinen Schnabel was, wenn so ein Neuer
Die grosse Reise macht—denn jedesmal,
Dass meine Hoheit an der Hochzeitklippe
Vorbeischifft, gibt's im Harem Hochzeitkuchen.
Das ist einmal der Brauch, wir thun's nicht anders:
So viele Koepfe, so viel Feiertage!

Brigella. Das sind mir heillos niedertraechtige
Gesinnungen, so schwarz, wie Eure Larve.
Man sieht's Euch an, dass Ihr ein Halbmann seid,
Ein schmutziger Eunuch!—Ein Mensch, ich meine
Einer, der ganz ist, hat ein menschlich Herz
Im Leib und fuehlt Erbarmen.

Truffaldin. Was! Erbarmen!
Es heisst kein Mensch die Prinzen ihren Hals
Nach Peckin tragen, Niemand ruft sie her.
Sind sie freiwillig solche Tollhausnarren,
Moegen sie's haben! Auf dem Stadtthor steht's
Mit blut'gen Koepfen leserlich geschrieben,
Was hier zu holen ist—Wir nehmen Keinem
Den Kopf, der einen mitgebracht. Der hat
Ihn schon verloren, laengst, der ihn hier setzt!

Brigella. Ein saubrer Einfall, den galanten Prinzen,
Die ihr die Ehr' anthun und um sie werben,
Drei Raethsel aufzugeben und, wenn's einer
Nicht auf der Stelle trifft, ihn abzuschlachten!

Truffaldin. Mit nichten, Freund! Das ist ein praechtiger,
Exzellenter Einfall!—Werben kann ein Jeder;
Es ist nichts leichter, als aufs Freien reisen.
Man lebt auf fremde Kosten, thut sich guetlich,
Legt sich dem kuenft'gen Schwaeher in das Haus,
Und mancher juengre Sohn und Krippenreiter,
Der alle seine Staaten mit sich fuehrt
Im Mantelsack, lebt bloss vom Koerbeholen.
Es war nicht anders hier, als wie ein grosses
Wirthshaus von Prinzen und von Abenteurern,
Die um die reiche Kaisertochter freiten;
Denn auch der Schlechtste duenkt sich gut genug,
Die Haende nach der Schoensten auszustrecken.
Es war wie eine Freikomoedie,
Wo Alles kommt, bis meine Koenigin
Auf den scharmanten Einfall kam, das Haus
In vier und zwanzig Stunden rein zu machen.
—Eine andre haette ihre Liebeswerber
Auf blutig schwere Abenteuer aus-
Gesendet, sich mit Riesen 'rum zu schlagen,
Dem Schach zu Babel, wenn er Tafel haelt,
Drei Backenzaehne hoeflich auszuziehen,
Das tanzende Wasser und den singenden Baum
Zu holen und den Vogel, welcher redet—
Nichts von dem allem! Raethsel haben ihr
Beliebt! Drei zierlich wohlgesetzte Fragen!
Man kann dabei bequem und saeuberlich
In warmer Stube sitzen, und kein Schuh
Wird nass! Der Degen kommt nicht aus der Scheide,
Der Witz, der Scharfsinn aber muss heraus.
—Brigella, die versteht's! Die hat's gefunden,
Wie man die Narren sich vom Leibe haelt!

Brigella. 's kann Einer ein rechtschaffner Kavalier
Und Ehmann sein und doch die spitz'gen Dinger,
Die Raethsel, just nicht handzuhaben wissen.

Truffaldin. Da siehst du, Kamerad, wie gut und ehrlich
Es die Prinzess mit ihrem Freier meint,
Dass sie die Raethsel vor der Hochzeit aufgibt.
Nachher war's noch viel schlimmer. Loest er sie
Jetzt nicht, ei nun, so kommt er schnell und kurz
Mit einem frischen Gnadenhieb davon.
Doch, wer die stachelichten Raethsel nicht
Aufloest, die seine Frau ihm in der Eh'
Aufgibt, der ist verlesen und verloren!

Brigella. Ihr seid ein Narr, mit Euch ist nicht zu reden.
—So moegen's denn meintwegen Raethsel sein,
Wenn sie einmal die Wuth hat, ihren Witz
Zu zeigen—Aber muss sie denn die Prinzen
Just koepfen lassen, die nicht sinnreich gnug
Fuer ihre Raethsel sind—Das ist ja ganz
Barbarisch, rasend toll und unvernuenftig.
Wo hat man je gehoert, dass man den Leuten
Den Hals abschneidet, weil sie schwer begreifen?

Truffaldin. Und wie, du Schafskopf, will sie sich der Narren
Erwehren, die sich klug zu sein beduenken,
Wenn weiter nichts dabei zu wagen ist,
Als einmal sich im Divan zu beschimpfen?
Auf die Gefahr hin, sich zu prostituieren
Mit heiler Haut, laeuft Jeder auf dem Eis.
Wer fuerchtet sich vor Raethseln? Raethsel sind's
Gerad, was man fuers Leben gern mag hoeren.
Das hiess' den Koeder statt des Popanz's brauchen.
Und waere man auch wegen der Prinzessin
Und ihres vielen Gelds daheim geblieben,
So wuerde man der Raethsel wegen kommen.
Denn Jedem ist sein Scharfsinn und sein Witz
Am Ende lieber, als die schoenste Frau!

Brigella. Was aber kommt bei diesem ganzen Spiel
Heraus, als dass sie sitzen bleibt? Kein Mann,
Der seine Ruh liebt und bei Sinnen ist,
Wird so ein spitz'ges Nadelkissen nehmen.

Truffaldin. Das grosse Unglueck, keinen Mann zu kriegen!

(Man hoert einen Marsch in der Ferne.)

Brigella. Der Kaiser kommt.

Truffaldin. Marsch ihr in eure Kueche!
Ich gehe, meine Hoheit herzuholen. (Gehen ab zu verschiedenen Seiten.)

 

Zweiter Auftritt.

Ein Zug von Soldaten und Spielleuten. Darauf acht Doctoren,
pedantisch herausstaffiert; alsdann Pantalon und Tartaglia,
beide in Charaktermasken. Zuletzt der Grosskhan Altoum in
chinesischem Geschmack mit einiger Uebertreibung gekleidet.
Pantalon und Tartaglia stellen sich dem kaiserlichen Thron
gegenueber, die acht Doctoren in den Hintergrund, das uebrige
Gefolge auf die Seite, wo der kaiserliche Thron ist. Beim
Eintritt des Kaisers werfen sich alle mit ihren Stirnen auf
die Erde und verharren in dieser Stellung bis er den Thron
bestiegen hat. Die Doktoren nehmen auf ihren Stuehlen Platz.
Auf einen Wink, den Pantalon gibt, schweigt der Marsch.

Altoum. Wann, treue Diener, wird mein Jammer enden?
Kaum ist der edle Prinz von Samarcand
Begraben, unsre Thraenen fliessen noch,
Und schon ein neues Todesopfer naht,
Mein blutend Herz von neuem zu verwunden.
Grausame Tochter! Mir zur Qual geboren!
Was hilft's, dass ich den Augenblick verfluche,
Da ich auf das barbarische Gesetz
Dem furchtbaren Fohi den Schwur gethan.
Nicht brechen darf ich meinen Schwur, nicht ruehren
Laesst sich die Tochter, nicht zu schrecken sind
Die Freier! Nirgends Rath in meinem Unglueck!

Pantalon. Rath, Majestaet? Hat sich da was zu rathen!
Bei mir zu Hause, in der Christen Land,
In meiner lieben Vaterstadt Venedig,
Schwoert man auf solche Mordgesetze nicht,
Man weiss nichts von so naerrischen Mandaten.
Da hat man gar kein Beispiel und Exempel,
Dass sich die Herrn in Bilderchen vergafft
Und ihren Hals gewagt fuer ihre Maedchen.
Kein Frauensmensch bei uns geboren wird,
Wie Dame Kieselstein, die alle Maenner
Verschworen haette—Gott soll uns bewahren!
Das fiel uns auch im Traum nicht ein. Als ich
Daheim noch war, in meinen jungen Jahren,
Eh mich die Ehrensache, wie Ihr wisst,
Von Hause trieb und meine guten Sterne
An meines Kaisers Hof hieher gefuehrt,
Wo ich als Kanzler mich jetzt wohl befinde,
Da wusst' ich nichts von China, als es sei
Ein trefflichs Pulver gegen's kalte Fieber.
Und jetzt erstaun' ich ueber alle Massen,
Dass ich so curioese Braeuche hier
Vorfinde, so curjose Schwuere und Gesetze
Und so curjose Fraun und Herrn.
Erzaehlt' ich in Europa diese Sachen,
Sie wuerden mir unter die Nase lachen.

Altoum. Tartaglia, habt Ihr den neuen Wagehals
Besucht?

Tartaglia. Ja, Majestaet. Er hat den Fluegel
Des Kaiserschlosses inn', den man gewoehnlich
Den fremden Prinzen anzuweisen pflegt.
Ich bin entzueckt von seiner angenehmen
Gestalt und seinen prinzlichen Manieren.
's ist Jammerschade um das junge Blut,
Dass man es auf die Schlachtbank fuehren soll.
's Herz bricht mir! Ein so angenehmes Prinzchen!
Ich bin verliebt in ihn. Weiss Gott! Ich sah
In meinem Leben keinen huebschern Buben!

Altoum. Unseliges Gesetz! Verhasster Schwur!
—Die Opfer sind dem Fohi doch gebracht,
Dass er dem Unglueckseligen sein Licht
Verleihe, diese Raethsel zu ergruenden!
Ach, nimmer geb' ich dieser Hoffnung Raum!

Pantalon. An Opfern, Majestaet, ward nichts gespart.
Dreihundert fette Ochsen haben wir
Dem Tien dargebracht, dreihundert Pferde
Der Sonne und dem Mond dreihundert Schweine.

Altoum. So ruft ihn denn vor unser Angesicht!
(Ein Theil des Gefolges entfernt sich.)
—Man such' ihm seinen Vorsatz auszureden.
Und ihr, gelehrte Lichter meines Divans,
Kommt mir zu Hilfe—nehmt das Wort fuer mich,
Lasst' s nicht an Gruenden fehlen, wenn mir selbst
Der Schmerz die Zunge bindet.

Pantalon. Majestaet!
Wir werden unsern alten Witz nicht sparen,
Den wir in langen Jahren eingebracht.
Was hilft's? Wir predigen und sprechen uns
Die Lungen heiser, und er laesst sich eben
Den Hals abstechen, wie ein waelsches Huhn.

Tartaglia. Mit Eurer Gunst, Herr Kanzler Pantalon!
Ich habe Scharfsinn und Verstand bei ihm
Bemerkt, wer weiss!—Ich will nicht ganz verzagen.

Pantalon. Die Raethsel dieser Schlange sollt' er loesen?
Nein, nimmermehr!

 

Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Kalaf, von einer Wache begleitet. Er kniet vor
dem Kaiser nieder, die Hand auf der Stirn.

Altoum (nachdem er ihn eine Zeit lang betrachtet).
Steh auf, unkluger Juengling!

(Kalaf steht auf und stellt sich mit edelm Anstand in die
Mitte des Divans.)

—Die reizende Gestalt! Der edle Anstand!
Wie mir's ans Herz greift!—Sprich, Ungluecklicher!
Wer bist du? Welches Land gab dir das Leben?

Kalaf (schweigt einen Augenblick verlegen, dann mit einer
edeln Verbeugung). Monarch, vergoenne, dass ich meinen Namen
Verschweige.

Altoum. Wie? Mit welcher Stirn darfst du,
Ein unbekannter Fremdling, namenlos,
Um unsre kaiserliche Tochter werben?

Kalaf. Ich bin von koeniglichem Blut, ein Prinz, geboren.
Verhaengt der Himmel meinen Tod, so soll
Mein Name, mein Geschlecht, mein Vaterland
Kund werden, eh' ich sterbe, dass die Welt
Erfahre, nicht unwuerdig hab' ich mich
Des Bundes angemasst mit deiner Tochter.
Fuer jetzt geruhe meines Kaisers Gnade
Mich unerkannt zu lassen.

Altoum. Welcher Adel
In seinen Worten! Wie beklag' ich ihn!
—Doch wie, wenn du die Raethsel nun geloest,
Und nicht von wuerd'ger Herkunft—

Kalaf. Das Gesetz,
Monarch, ist nur fuer Koenige geschrieben.
Verleihe mir der Himmel, dass ich siege,
Und dann, wenn ich unkoeniglichen Stamms
Erfunden werde, soll mein fallend Haupt
Die Schuld der kuehnen Anmassung bezahlen,
Und unbeerdigt liege mein Gebein,
Der Kraehen Beute und der wilden Thiere.
Schon eine Seele lebt in dieser Stadt,
Die meinen Stand und Namen kann bezeugen.
Fuer jetzt geruhe meines Kaisers Gnade
Mich unerkannt zu lassen.

Altoum. Wohl! Es sei!
Dem Adel deiner Mienen, deiner Worte,
Holdsel'ger Juengling, kann ich Glauben nicht,
Gewaehrung nicht versagen—Moegst auch du
Geneigt sein, einem Kaiser zu willfahren,
Der hoch von seinem Thron herab dich fleht!
Entweiche, o entweiche der Gefahr,
Der du verblendet willst entgegen stuerzen,
Steh ab und fordre meines Reiches Haelfte!
So maechtig spricht's fuer dich in meiner Brust,
Dass ich dir gleichen Theil an meinem Thron
Auch ohne meiner Tochter Hand verspreche.
O, zwinge du mich nicht, Tyrann zu sein!
Schon schwer genug drueckt mich der Voelker Fluch,
Das Blut der Prinzen, die ich hingeopfert;
Drum, wenn das eigne Unglueck dich nicht ruehrt,
Lass meines dich erbarmen! Spare mir
Den Jammer, deine Leiche zu beweinen,
Die Tochter zu verfluchen und mich selbst,
Der die Verderbliche gezeugt, die Plage
Der Welt, die bittre Quelle meiner Thraenen!

Kalaf. Beruhige dich, Sire! Der Himmel weiss,
Wie ich im tiefsten Herzen dich beklage.
Nicht, wahrlich, von so mildgesinntem Vater
Hat Turandot Unmenschlichkeit geerbt.
Du hast nicht Schuld, es waere denn Verbrechen,
Sein Kind zu lieben und das Goetterbild,
Das uns bezaubert und uns selbst entrueckt,
Der Welt geschenkt zu haben—Deine Grossmuth
Spar' einem Gluecklicheren auf. Ich bin
Nicht wuerdig, Sire, dein Reich mit dir zu theilen.
Entweder ist's der Goetter Schluss und Rath,
Durch den Besitz der himmlischen Prinzessin
Mich zu begluecken—oder enden soll
Dies Leben, ohne sie mir eine Last!
Tod oder Turandot! Es gibt kein Drittes.

Pantalon. Ei, sagt mir, liebe Hoheit! Habt Ihr Euch
Die Koepfe ueberm Stadtthor wohl besehn?
Mehr sag' ich nicht. Was, Herr, in aller Welt
Treibt Euch, aus fernen Landen herzukommen
Und Euch frisch weg, wie Ihr vom Pferd gestiegen,
Mir nichts, dir nichts, wie einen Ziegenbock
Abthun zu lassen? Dame Turandot,
Das seid gewiss, dreht Euch drei Raethselchen,
Daran die sieben Weisen Griechenlands,
Mit sammt den siebenzig Dolmetschern sich
Die Naegel Jahre lang umsonst zerkauten.
Wir selbst, so alte Practici und grau
Geworden ueber Buechern, haben Noth,
Das Tiefe dieser Raethsel zu ergruenden.
Es sind nicht Raethsel aus dem Kinderfreund,
Nicht solches Zeug, wie das:
“Wer's sieht, fuer den ist's nicht bestellt,
“Wer's braucht, der zahlt dafuer kein Geld,
“Wer's macht, der will's nicht selbst ausfuellen,
“Wer's bewohnt, der thut es nicht mit Willen,”
Nein, es sind Raethsel von dem neusten Schnitt,
Und sind verfluchte Nuesse aufzuknacken.
Und wenn die Antwort nicht zum guten Glueck
Auf dem Papier, das man den Herrn Doktoren
Versiegelt uebergibt, geschrieben stuende,
Sie moechten's auch mit allem ihrem Witz
In einem Saeculum nicht ausstudieren.
Darum, Herr Milchbart, zieht in Frieden heim!
Ihr jammert mich, seid ein so junges Blut,
Und Schade waer's um Eure schoenen Haare.
Beharrt Ihr aber drauf, so steht ein Rettich
Des Gaertners fester, Herr, als Euer Kopf.

Kalaf. Ihr sprecht verlorne Worte, guter Alter.
Tod oder Turandot!

Tartaglia (stotternd). Tu—Turandot!
Zum Henker, welcher Steifsinn und Verblendung!
Hier spielt man nicht um waelsche Nuesse, Herr,
Noch um Kastanien—'s ist um den Kopf
Zu thun—den Kopf—bedenkt das wohl! Ich will
Sonst keinen Grund anfuehren als den einen;
Er ist nicht klein—den Kopf! Es gilt den Kopf.
Die Majestaet hoechstselbst, auf ihrem Thron,
Laesst sich herab, Euch vaeterlich zu warnen
Und abzurathen—Dreihundert Pferde sind
Der Sonne dargebracht, dreihundert Ochsen
Dem hoechsten Himmelsgott, dreihundert Kuehe
Den Sternen und dem Mond dreihundert Schweine.
Und Ihr seid stoerrig gnug und undankbar,
Das kaiserliche Herz so zu betrueben?
Waer' ueberall auch keine andre Dame
Mehr in der Welt, als diese Turandot,
Blieb's immer doch ein loser Streich von Euch,
Nehmt mir's nicht uebel, junger Herr. Es ist,
Weiss Gott! die pure Liebe und Erbarmniss,
Die mich so frei laesst von der Leber sprechen.
Den Kopf verlieren! Wisst Ihr, was das heisst?
Es ist nicht moeglich—

Kalaf. So in Wind zu reden!
Ihr habt in Wind gesprochen, alter Meister!
Tod oder Turandot!

Altoum. Nun denn, so hab' es!
Verderbe dich, und mich stuerz' in Verzweiflung! (Zu der Wache)
Man geh' und rufe meine Tochter her. (Wache geht hinaus.)
Sie kann sich heut am zweiten Opfer weiden.

Kalaf (gegen die Thuere gewendet, in heftiger Bewegung).
Sie kommt! Ich soll sie sehen! Ew'ge Maechte,
Das ist der grosse Augenblick! O, staerket
Mein Herz, dass mich der Anblick nicht verwirre,
Des Geistes Helle nicht mit Nacht umgebe!
Ich fuerchte keine als der Schoenheit Macht.
Ihr Goetter, gebt, dass ich mir selbst nicht fehle!
Ihr seht es, meine Seele wankt; Erwartung
Durchzittert mein Gebein und schnuert das Herz
Mir in der Brust zusammen.—Weise Richter
Des Divans! Richter ueber meine Tage!
O, zeiht mich nicht strafbaren Uebermuths,
Dass ich das Schicksal zu versuchen wage!
Bedauert mich! Beweint den Ungluecksvollen!
Ich habe hier kein Waehlen und kein Wollen!
Unwiderstehlich zwingend reisst es mich
Von hinnen, es ist maechtiger, als ich.

 

Vierter Auftritt.

Man hoert einen Marsch.

Truffaldin tritt auf, den Saebel an der Schulter, die Schwarzen
hinter ihm, darauf mehrere Sklavinnen, die zu den Trommeln
accompagnieren. Nach diesen Adelma und Zelima, jene in tartarischem
Anzug, beide verschleiert. Zelina traegt einen Schuessel mit
versiegelten Papieren. Truffaldin und seine Schwarzen werfen
sich im Vorbeiziehen vor dem Kaiser mit der Stirn auf die Erde
und stehen sogleich wieder auf; die Sklavinnen knieen nieder mit
der Hand auf der Stirn. Zuletzt erscheint Turandot verschleiert,
in reicher chinesischer Kleidung. majestaetisch und stolz. Die
Raethe und Doctoren werfen sich vor ihr mit dem Angesicht auf die
Erde. Altoum steht auf; die Prinzessin macht ihm, die Hand auf der
Stirn, eine abgemessene Verbeugung, steigt dann auf ihren Thron und
setzt sich. Zelima und Adelma nehmen zu ihren beiden Seiten Platz,
und die letztere den Zuschauern am naechsten. Truffaldin nimmt der
Zelima die Schluessel ab und vertheilt unter laecherlichen Ceremonien
die Zettel unter die acht Doctoren. Darauf entfernt er sich mit
denselben Verbeugungen, wie am Anfang, und der Marsch hoert auf.

Turandot (nach einer langen Pause).
Wer ist's, der sich aufs Neu vermessen schmeichelt,
Nach so viel klaeglich warnender Erfahrung,
In meine tiefen Raethsel einzudringen!
Der, seines eignen Lebens Feind, die Zahl
Der Todesopfer zu vermehren kommt!
Altoum (zeigt auf Kalaf. der erstaunt in der Mitte des Divans steht).
Der ist es, Tochter—wuerdig wohl ist er's,
Dass du freiwillig zum Gemahl ihn waehlest,
Ohn' ihn der furchtbarn Probe auszusetzen
Und neue Trauer diesem Land, dem Herzen
Des Vaters neue Stacheln zu bereiten.

Turandot (nachdem sie ihn eine Zeit lang betrachtet, leise zur Zelima).
O Himmel! Wie geschieht mir, Zelima!

Zelima. Was ist dir, Koenigin?

Turandot. Noch Keiner trat
Im Divan auf, der dieses Herz zu ruehren
Verstanden haette. Dieser weiss die Kunst.

Zelima. Drei leichte Raethsel denn, und Stolz—fahr hin!

Turandot. Was sagst du? Wie, Verwegne? Meine Ehre?

Adelma (hat waehrend dieser Rede den Prinzen mit hoechstem
Erstaunen betrachtet, fuer sich).
Taeuscht mich ein Traum? Was seh' ich, grosse Goetter!
Er ist's, der schoene Juengling ist's, den ich
Am Hofe meines Vaters Keicobad
Als niedern Knecht gesehn!—Er war ein Prinz!
Ein Koenigssohn! Wohl sagte mir's mein Herz;
O, meine Ahnung hat mich nicht betrogen!

Turandot. Prinz, noch ist's Zeit. Gebt das verwegene
Beginnen auf! Gebt's auf! Weicht aus dem Divan!
Der Himmel weiss, dass jene Zungen luegen,
Die mich der Haerte zeihn und Grausamkeit.
—Ich bin nicht grausam. Frei nur will ich leben;
Bloss keines Andern will ich sein; dies Recht,
Das auch dem allerniedrigsten der Menschen
Im Leib der Mutter anerschaffen ist,
Will ich behaupten, eines Kaisers Tochter.
Ich sehe durch ganz Asien das Weib
Erniedrigt und zum Sklavenjoch verdammt,
Und raechen will ich mein beleidigtes Geschlecht
An diesem stolzen Maennervolke, dem
Kein andrer Vorzug vor dem zaertern Weibe
Als rohe Staerke ward. Zur Waffe gab
Natur mir den erfindenden Verstand
Und Scharfsinn, meine Freiheit zu beschuetzen.
—Ich will nun einmal von dem Mann nichts wissen,
Ich hass' ihn, ich verachte seinen Stolz
Und Uebermuth—Nach allem Koestlichen
Streckt er begehrlich seine Haende aus;
Was seinem Sinn gefaellt, will er besitzen.
Hat die Natur mit Reizen mich geschmueckt,
Mit Geist begabt—warum ist's denn das Loos
Des Edeln in der Welt, dass es allein
Des Jaegers wilde Jagd nur reizt, wenn das Gemeine
In seinem Unwerth ruhig sich verbirgt?
Muss denn die Schoenheit eine Beute sein
Fuer Einen? Sie ist frei, so wie die Sonne,
Die allbeglueckend herrliche, am Himmel,
Der Quell des Lichts, die Freude aller Augen,
Doch Keines Sklavin und Leibeigenthum.

Kalaf. So hoher Sinn, so seltner Geistesadel
In dieser goettlichen Gestalt! Wer darf
Den Juengling schelten, der sein Leben
Fuer solchen Kampfpreis freudig setzt!—Wagt doch
Der Kaufmann um geringe Gueter Schiff
Und Mannschaft an ein wildes Element;
Es jagt der Held dem Schattenbild des Ruhms
Durchs blut'ge Feld des Todes nach—Und nur
Die Schoenheit waer' gefahrlos zu erwerben,
Die aller Gueter erstes, hoechstes ist?
Ich also zeih' Euch keiner Grausamkeit;
Doch nennt auch Ihr den Juengling nicht verwegen
Und hasst ihn nicht, weil er mit gluehnder Seele
Nach dem Unschaetzbaren zu streben wagt!
Ihr selber habt ihm seinen Preis gesetzt,
Womit es zu erkaufen ist—die Schranken
Sind offen fuer den Wuerdigen—Ich bin
Ein Prinz, ich hab' ein Leben dran zu wagen.
Kein Leben zwar des Gluecks; doch ist's mein Alles,
Und haett' ich's tausendmal, ich gaeb' es hin.

Zelima (leise zu Turandot).
Hoert Ihr, Prinzessin? Um der Goetter willen!
Drei leichte Raethsel! Er verdient's.

Adelma. Wie edel! Welche Liebenswuerdigkeit!
O, dass er mein sein koennte! Haett' ich damals
Gewusst, dass er ein Prinz geboren sei,
Als ich der suessen Freiheit mich noch freute!
—O, welche Liebe flammt in meiner Brust,
Seitdem ich ihn mir ebenbuertig weiss!
—Muth, Muth, mein Herz! Ich muss ihn noch besitzen.

(Zu Turandot.)
Prinzessin! Ihr verwirret Euch! Ihr schweigt!
Bedenket Euren Ruhm! Es gilt die Ehre!

Turandot. Und er allein riss' mich zum Mitleid hin?
Nein. Turandot, du musst dich selbst besiegen.
—Verwegener, wohlan! Macht Euch bereit!

Altoum. Prinz, Ihr beharrt noch?

Kalaf. Sire! ich wiederhol' es:
Tod oder Turandot! (Pantalon und Tartaglia geberden sich ungeduldig.)

Altoum. So lese man
Das blutige Mandat. Er hoer's und zittre!

(Tartaglia nimmt das Gesetzbuch aus dem Busen, kuesst es, legt es
sich auf die Brust, hernach auf die Stirn, dann ueberreicht er's
dem Pantalon.)

Pantalon (empfaengt das Gesetzbuch, nachdem er sich mit der Stirn
auf die Erde geworfen, steht auf und liest dann mit lauter Stimme.)
“Es kann sich jeder Prinz um Turandot bewerben,
“Doch erst drei Raethsel legt die Koenigin ihm vor.
“Loest er sie nicht, muss er vom Beile sterben,
“Und schaugetragen wird sein Haupt auf Peckins Thor.
“Loest er die Raethsel auf hat er die Braut gewonnen.
“So lautet das Gesetz. Wir schwoeren's bei der Sonnen.”

(Nach geendigter Vorlesung kuesst er das Buch, legt es sich auf
die Brust und Stirn und ueberreicht es dem Tartaglia, der sich
mit der Stirn auf die Erde wirft, es empfaengt und dem Altoum
praesentiert.)

Altoum (hebt die rechte Hand empor und legt sie auf das Buch).
O Blutgesetz! du meine Qual und Pein!
Ich schwoer's bei Fohis Haupt, du sollst vollzogen sein.

(Tartaglia steckt das Buch wieder in den Busen, es herrscht eine
lange Stille.)

Turandot (in declamatorischem Ton, aufstehend).
Der Baum, auf dem die Kinder
Der Sterblichen verbluehn,
Steinalt, nichts desto minder
Stets wieder jung und gruen;
Er kehrt auf einer Seite
Die Blaetter zu dem Licht;
Doch kohlschwarz ist die zweite
Und sieht die Sonne nicht.

Er setzet neue Ringe,
So oft er bluehet, an.
Das Alter aller Dinge
Zeigt er den Menschen an.
In seine gruene Rinden
Drueckt sich ein Name leicht,
Der nicht mehr ist zu finden,
Wenn sie verdorrt und bleicht.
So sprich, kannst du's ergruenden,
Was diesem Baume gleicht? (Sie setzt sich wieder).

Kalaf (nachdem er eine Zeitlang nachdenkend in die Hoehe gesehen,
verbeug sich gegen die Prinzessin).
Zu gluecklich, Koenigin, ist Euer Sklav,
Wenn keine dunklern Raethsel auf ihn warten.
Dieser alte Baum, der immer sich erneut,
Auf dem die Menschen wachsen und verbluehen,
Und dessen Blaetter auf der einen Seite
Die Sonne suchen, auf der andern fliehen,
In dessen Rinde sich so mancher Name schreibt,
Der nur, so lang sie gruen ist, bleibt.
—Er ist—das Jahr mit seinen Tagen und Naechten.

Pantalon (freudig).
Tartaglia! Getroffen!

Tartaglia. Auf ein Haar!

Doctoren (erbrechen ihre Zettel).
Optime! Optime! Optime! das Jahr, das
Jahr, das Jahr! Es ist das Jahr. (Musik faellt ein.)

Altoum (freudig). Der Goetter Gnade sei mit dir, mein Sohn,
Und helfe dir auch durch die andern Raethsel!

Zelima (bei Seite).
O Himmel, schuetz' ihn!

Adelma (gegen die Zuschauer). Himmel, schuetz' ihn nicht!
Lass nicht geschehn, dass ihn die Grausame
Gewinne, und die Liebende verliere!

Turandot (entruestet, fuer sich).
Er sollte siegen? Mir den Ruhm entreissen?
Nein, bei den Goettern! (Zu Kalaf.) Selbstzufriedner Thor!
Frohlocke nicht zu frueh! Merk' auf und loese!

(Steht wieder auf und faehrt in declamatorischem Tone fort.)

Kennst du das Bild auf zartem Grunde?
Es gibt sich selber Licht und Glanz.
Ein andres ist's zu jeder Stunde,
Und immer ist es frisch und ganz.
Im engsten Raum ist's ausgefuehrt,
Der kleinste Rahmen fasst es ein;
Doch alle Groesse, die dich ruehret,
kennst du durch dieses Bild allein.

Und kannst du den Krystall mir nennen?
Ihm gleicht an Werth kein Edelstein;
Er leuchtet, ohne je zu brennen,
Das ganze Weltall saugt er ein.
Der Himmel selbst ist abgemalet
In seinem wundervollen Ring;
Und doch ist, was er von sich strahlet,
Oft schoener, als was er empfing.

Kalaf (nach einem kurzen Nachdenken, sich gegen die
Prinzessin verbeugend).
Zuernt nicht, erhabne Schoene, dass ich mich
Erdreiste, Eure Raethsel aufzuloesen.
—Dies zarte Bild, das, in den kleinsten Rahmen
Gefasst, das Unermessliche uns zeigt,
Und der Krystall, in dem dies Bild sich malt
Und der noch Schoenres von sich strahlt—
Er ist das Aug, in das die Welt sich drueckt,
Dein Auge ist's, wenn es mir Liebe blickt.

Pantalon (springt freudig auf).
Tartaglia! Mein' Seel! Ins schwarze Fleck
Geschossen.

Tartaglia. Mitten hinein, so wahr ich lebe!

Doctoren (haben die Zettel eroeffnet).
Optime! Optime! Optime! Das Auge, das Auge,
Es ist das Auge. (Musik faellt ein.)

Altoum. Welch unverhofftes Glueck! Ihr guet'gen Goetter!
O, lasst ihn auch das letzte Ziel noch treffen!

Zelima (bei Seite). O, waere dies das letzte!

Adelma (gegen die Zuschauer).
Weh mir. Er siegt! Er ist fuer mich verloren! (Zu Turandot.)
Prinzessin, Euer Ruhm ist hin! Koennt Ihr's
Ertragen? Eure vor'gen Siege alle
Verschlingt ein einz'ger Augenblick.

Turandot (steht auf in heftigem Zorn). Eh soll
Die Welt zu Grunde gehn! Verwegner, wisse!
Ich hasse dich nur desto mehr, je mehr
Du hoffst mich zu besiegen, zu besitzen.
Erwarte nicht das letzte Raethsel! Flieh!
Weich aus dem Divan! Rette deine Seele!

Kalaf. Nur Euer Hass ist's, angebetete
Prinzessin, was mich schreckt und aengstiget.
Dies ungluecksel'ge Haupt sinkt in den Staub,
Wenn es nicht werth war. Euer Herz zu ruehren.

Altoum. Steh ab, geliebter Sohn! Versuche nicht
Die Goetter, die dir zweimal guenstig waren.
Jetzt kannst du dein gerettet Leben noch,
Gekroent mit Ehre, aus dem Divan tragen.
Nichts helfen dir zwei Siege, wenn der dritte
Dir, der entscheidende, misslingt—Je naeher
Dem Gipfel, desto schwerer ist der Fall.
—Und du—lass es genug sein, meine Tochter,
Steh ab, ihm neue Raethsel vorzulegen.
Er hat geleistet, was kein andrer Prinz
Vor ihm. Gib ihm die Hand, er ist sie werth,
Und endige die Proben.

(Zelima macht flehende, Adelma drohende Geberden gegen Turandot.)

Turandot. Ihm die Hand?
Die Proben ihm erlassen? Nein, drei Raethsel
Sagt das Gesetz. Es habe seinen Lauf.

Kalaf. Es habe seinen Lauf. Mein Schicksal liegt
In Goetterhand. Tod oder Turandot!

Turandot. Tod also! Tod! Hoerst du's?

(Sie steht auf und faehrt auf die vorige Art zu declamieren fort.)

Wie heisst das Ding, das Wen'ge schaetzen,
Doch ziert's des groessten Kaisers Hand;
Es ist gemacht, um zu verletzen,
Am naechsten ist's dem Schwert verwandt.
Kein Blut vergiesst's und macht doch tausend Wunden,
Niemand beraubt's und macht doch reich,
Es hat den Erdkreis ueberwunden,
Es macht das Leben sanft und gleich.
Die groessten Reiche hat's gegruendet,
Die aeltsten Staedte hat's erbaut;
Doch niemals hat es Krieg entzuendet,
Und Heil dem Volk, das ihm vertraut.
Fremdling, kannst du das Ding nicht rathen,
So weich aus diesen bluehenden Staaten!

(Mit den letzten Worten reisst sie sich ihren Schleier ab.)

Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister!
Stirb oder nenne mir das Ding!

Kalaf (ausser sich, haelt die Hand vor die Augen).
O Himmelsglanz! O Schoenheit, die mich blendet!

Altoum. Gott, er verwirrt sich, er ist ausser sich.
Fass dich, mein Sohn! O, sammle deine Sinne!

Zelima (fuer sich).
Mir bebt das Herz.

Adelma (gegen die Zuschauer). Mein bist du, theurer Fremdling!
Ich rette dich, die Liebe wird mich's lehren.

Pantalon (zu Kalaf).
Um Gotteswillen, nicht den Kopf verloren!
Nehmt Euch zusammen! Herz gefasst, mein Prinz!
O weh, o weh! Ich fuercht', er ist geliefert.

Tartaglia (gravitaetisch fuer sich).
Liess' es die Wuerde zu, wir gingen selbst zur Kueche
Nach einem Essigglas.

Turandot (hat den Prinzen, der noch immer ausser Fassung
da steht, unverwandt betrachtet).
Ungluecklicher!
Du wolltest dein Verderben. Hab' es nun!

Kalaf (hat sich gefasst und verbeugt sich mit einem ruhigen
Laecheln gegen Turandot).
Nur Eure Schoenheit, himmlische Prinzessin,
Die mich auf einmal ueberraschend, blendend
Umleuchtete, hat mir auf Augenblicke
Den Sinn geraubt. Ich bin nicht ueberwunden.
Dies Ding von Eisen, das nur Wen'ge schaetzen,
Das Chinas Kaiser selbst in seiner Hand
Zu Ehren bringt am ersten Tag des Jahrs,
Dies Werkzeug, das, unschuld'ger als das Schwert,
Dem frommen Fleiss den Erdkreis unterworfen—
Wer traete aus den oeden, wuesten Steppen
Der Tartarei, wo nur der Jaeger schwaermt,
Der Hirte weidet, in dies bluehende Land
Und saehe rings die Saatgefilde gruenen
Und hundert volkbelebte Staedte steigen,
Von friedlichen Gesetzen still beglueckt,
Und ehrte nicht das koestliche Geraethe,
Das allen diesen Segen schuf—den Pflug?

Pantalon. O, sei gebenedeit! Lass dich umhalsen!
Ich halte mich nicht mehr vor Freud' und Jubel.

Tartaglia. Gott segne Eure Majestaet! Es ist
Vorbei, und aller Jammer hat ein Ende.

Doctoren (haben die Zettel geoeffnet).
Der Pflug, der Pflug! Es ist der Pflug!

(Alle Instrumente fallen ein mit grossem Geraeusch. Turandot
ist auf ihrem Thron in Ohnmacht gesunken.)

Zelima (Um Turandot beschaeftigt).
Blickt auf, Prinzessin! Fasset Euch! Der Sieg
Ist sein; der schoene Prinz hat ueberwunden.

Adelma (an die Zuschauer).
Der Sieg ist sein! Er ist fuer mich verloren.
—Nein, nicht verloren! Hoffe noch, mein Herz!

(Altoum ist voll Freude, bedient von Pantalon und Tartaglia,
vom Throne gestiegen. Die Doctoren erheben sich alle von ihren
Sitzen und ziehen sich nach dem Hintergrund. Alle Thueren werden
geoeffnet. Man erblickt Volk. Alles dies geschieht, waehrend die
Musik fortdauert.)

Altoum (zu Turandot).
Nun hoerst du auf, mein Alter zu betrueben,
Grausames Kind! Genug ist dem Gesetz
Geschehen, alles Unglueck hat ein Ende.
—Kommt an mein Herz. geliebter Prinz, mit Freuden
Begruess' ich Euch als Eidam!

Turandot (ist wieder zu sich gekommen und stuerzt in sinnloser
Wuth von ihrem Throne, zwischen beide sich werfend).
Haltet ein!
Er hoffe nicht, mein Ehgemahl zu werden!
Die Probe war zu leicht. Er muss aufs neu'
Im Divan mir drei andre Raethsel loesen.
Man ueberraschte mich. Mir ward nicht Zeit
Vergoennt, mich zu bereiten, wie ich sollte.

Altoum. Grausame Tochter, deine Frist ist um!
Nicht hoffe mehr, uns listig zu beschwatzen.
Erfuellt ist die Bedingung des Gesetzes,
Mein ganzer Divan soll den Ausspruch thun.

Pantalon. Mit Eurer Gunst, Prinzessin Kieselherz!
Es braucht nicht neue Raethsel zuzuspitzen
Und neue Koepfe abzuhacken—Da!
Hier steht der Mann! Der hat's errathen! Kurz:
Das Gesetz hat seine Endschaft, und das Essen
Steht auf dem Tisch—Was sagt der Herr Collega?

Tartaglia. Das Gesetz ist aus, ganz aus, und damit Punctum.
Was sagen Ihre Wuerden, die Doctoren?

Doctoren. Das Gesetz ist aus. Das Koepfen hat ein Ende.
Auf Leid folgt Freud. Man gebe sich die Haende.

Altoum. So trete man den Zug zum Tempel an.
Der Fremde nenne sich, und auf der Stelle
Vollziehe man die Trauung—

Turandot (wirft sich ihm in den Weg). Aufschub, Vater!
Um aller Goetter willen!

Altoum. Keinen Aufschub!
Ich bin entschlossen. Undankbares Kind!
Schon allzulang zu meiner Schmach und Pein
Willfahr' ich deinem grausamen Begehren.
Dein Urtheil ist gesprochen; mit dem Blut
Von zehen Todesopfern ist's geschrieben,
Die ich um deinetwillen morden liess.
Mein Wort hab' ich geloest, nun loese du
Das Deine, oder, bei dem furchtbarn Haupt
Des Fohi sei's geschworen—

Turandot (wirft sich zu seinen Fuessen). O mein Vater!
Nur einen neuen Tag vergoennt mir—

Altoum. Nichts!
Ich will nichts weiter hoeren. Fort zum Tempel!

Turandot (ausser sich).
So werde mir der Tempel denn zum Grab!
Ich kann und will nicht seine Gattin sein,
Ich kann es nicht. Eh tausend Tode sterben,
Als diesem stolzen Mann mich unterwerfen,
Der blosse Name schon, schon der Gedanke,
Ihm unterthan zu sein, vernichtet mich.

Kalaf. Grausame, Unerbittliche, steht auf!
Wer koennte Euren Thraenen widerstehn? (Zu Altoum.)
Lasst Euch erbitten, Sire! Ich flehe selbst
Darum. Goennt Ihr den Aufschub, den sie fordert.
Wie koennt' ich gluecklich sein, wenn sie mich hasst!
Zu zaertlich lieb' ich sie—Ich kann's nicht tragen,
Ihr Leiden, ihren Schmerz zu sehn—Fuehllose!
Wenn dich des treusten Herzens treue Liebe
Nicht ruehren kann, wohlan, so triumphiere!
Ich werde nie dein Gatte sein mit Zwang.
O, saehest du in dies zerrissne Herz,
Gewiss, du fuehltest Mitleid—Dich geluestet
Nach meinem Blut? Es sei darum. Verstattet,
Die Probe zu erneuern, Sire—Willkommen
Ist mir der Tod. Ich wuensche nicht zu leben.

Altoum.
Nichts, nichts! Es ist beschlossen. Fort zum Tempel!
Kein anderer Versuch—Unkluger Juengling!

Turandot (faehrt rasend auf).
Zum Tempel denn! Doch am Altar wird Eure Tochter
Zu sterben wissen.

(Sie zieht einen Dolch und will gehen.)

Kalaf. Sterben! Grosse Goetter!
Nein, eh' es dahin kommt—Hoert mich, mein Kaiser!
Goenn' Eure Gnade mir die einz'ge Gunst.
—Zum zweitenmal will ich ihr im Divan,
Ich—ihr ein Raethsel aufzuloesen geben.
Und dieses ist: Wess Stamms und Namens ist
Der Prinz, der, um das Leben zu erhalten,
Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen
Und Lasten um geringen Lohn zu tragen;
Der endlich auf dem Gipfel seiner Hoffnung
Noch ungluecksel'ger ist, als je zuvor?
—Grausame Seele! Morgen frueh im Divan
Nennt mir des Vaters Namen und des Prinzen.
Vermoegt Ihr's nicht—so lasst mein Leiden enden
Und schenkt mir diese theure Hand! Nennt Ihr
Die Namen mir, so mag mein Haupt zum Opfer fallen.

Turandot. Ich bin's zufrieden, Prinz! Auf die Bedingung
Bin ich die Eurige.

Zelima (fuer sich). Ich soll von Neuem zittern!

Adelma (seitwaerts).
Ich darf von Neuem hoffen!

Altoum. Ich bin's nicht
Zufrieden. Nichts gestatt' ich. Das Gesetz
Will ich vollzogen wissen.

Kalaf (faellt ihm zu Fuessen). Maecht'ger Kaiser!
Wenn Bitten dich bewegen—wenn du mein,
Wenn du der Tochter Leben liebst, so duld' es!
Bewahren mich die Goetter vor der Schuld,
Dass sich ihr Geist nicht saettige. Er weide
Mit Wollust sich an meinem Blut—Sie loese
Im Divan, wenn sie Scharfsinn hat, mein Raethsel!

Turandot (fuer sich).
Er spottet meiner noch, wagt's, mir zu trotzen!

Altoum (zu Kalaf).
Unsinniger! Ihr wisst nicht, was Ihr fordert,
Wisst nicht, welch einen Geist sie in sich hat,
Das Tiefste auch versteht sie zu ergruenden.
—Sei's denn! Die neue Probe sei verstattet!
Sie sei des Bandes mit Euch los, kann sie
Im Divan morgen uns die Namen nennen.
Doch eines neuen Mordes Trauerspiel
Gestatt' ich nicht—Erraeth sie, was sie soll,
So zieht in Frieden Euren Weg—Genug
Des Blutes ist geflossen. Folgt mir, Prinz!
—Unkluger Juengling! Was habt Ihr gethan?

(Der Marsch wird wieder gehoert. Altoum geht gravitaetisch mit dem
Prinzen, Pantalon. Tartaglia, den Doctoren und der Leibwache
durch die Pforte ab, durch die er gekommen. Turandot, Adelma,
Zelima, Sklavinnen und Truffaldin mit den Verschnittenen entfernen
sich durch die andere Pforte, ihren ersten Marsch wiederholend.)

Dritter Aufzug.

Ein Zimmer im Serail.

 

Erster Auftritt.

Adelma allein.

Jetzt oder nie entspring' ich diesen Banden.
Fuenf Jahre trag' ich schon den gluehnden Hass
In meiner Brust verschlossen, heuchle Freundschaft
Und Treue fuer die Grausame, die mir
Den Bruder raubte, die mein ganz Geschlecht
Vertilgte, mich zu diesem Sklavenloos
Herunterstiess—In diesen Adern rinnt,
Wie in den ihren, koenigliches Blut;
Ich achte mich, wie sie, zum Thron geboren.
Und dienen soll ich ihr, mein Knie ihr beugen,
Die meines ganzen Hauses Moerderin,
Die meines Falles blut'ge Ursach ist.
Nicht laenger duld' ich den verhassten Zwang,
Erschoepft ist mir die Kraft, ich unterliege
Der lang getragnen Buerde der Verstellung.
Der Augenblick ist da, mich zu befrein,
Die Liebe soll den Rettungsweg mir bahnen.
All' meine Kuenste biet' ich auf—Entweder
Entdeck' ich sein Geheimniss oder schreck' ihn
Durch List aus diesen Mauern weg—Verhasste!
Du sollst ihn nicht besitzen! Diesen Dienst
Will ich aus falschem Herzen dir noch leisten.
Mir selber dien' ich, suesse Rache ueb' ich,
Dein Herz zerreiss' ich, da ich deinem Stolz
Verraethrisch diene—ich durchschaute dich!
Du liebst ihn, aber darfst es nicht gestehn.
Du musst ihn von dir stossen und verwerfen,
Wider dich selber musst du thoericht wuethen,
Den laecherlichen Ruhm dir zu bewahren;
Doch ewig bleibt der Pfeil in deiner Brust,
Ich kenn' ihn; nie vernarben seine Wunden.
—Dein Frieden ist vorbei! Du hast empfunden!

(Turandot erscheint im Hintergrund, auf Zelima gelehnt,
welche beschaeftigt ist, sie zu beruhigen.)

Sie kommt, sie ist's! Verzehrt von Scham und Wuth
Und von des Stolzes und der Liebe Streit!
Wie lab' ich mich an ihrer Seele Pein!
—Sie naehert sich—Lass hoeren, was sie spricht!

 

Zweiter Auftritt.

Turandot im Gespraech mit Zelima. Adelma, anfangs ungesehen.

Turandot. Hilf, rath mir, Zelima. Ich kann's nicht tragen,
Mich vor dem ganzen Divan ueberwunden
Zu geben!—Der Gedanke toedtet mich.

Zelima. Ist's moeglich, Koenigin? Ein so edler Prinz
So liebeathmend und so liebenswerth,
Kann nichts als Hass und Abscheu—

Turandot. Abscheu! Hass! (Sie besinnt sich)
—Ich hass' ihn, ja. Abscheulich ist er mir!
Er hat im Divan meinen Ruhm vernichtet.
In allen Landen wird man meine Schande
Erfahren, meiner Niederlage spotten.
O, rette mich—In aller Fruehe, will
Mein Vater, soll der Divan sich versammeln,
Und loes' ich nicht die aufgegebne Frage,
So soll in gleichem Augenblick das Band
Geflochten sein—“Wess Stamms und Namen ist
“Der Prinz, der, um sein Leben zu erhalten,
“Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen
“Und Lasten um geringen Preis zu tragen;
“Der endlich auf dem Gipfel seiner Hoffnung
“Noch ungluecksel'ger ist, als je zuvor?”—
—Dass dieser Prinz er selbst ist, seh' ich leicht.
Wie aber seinen Namen und Geschlecht
Entdecken, da ihn Niemand kennt, der Kaiser
Ihm selbst verstattet, unerkannt zu bleiben?
Geaengstigt, wie ich war, geschreckt, gedraengt,
Ging ich die Wette unbedachtsam ein.
Ich wollte Frist gewinnen—Aber wo
Die Moeglichkeit, es zu errathen? Sprich!
Wo eine Spur, die zu ihm leiten koennte?

Zelima. Es gibt hier kluge Frauen, Koenigin,
Die aus dem Thee-und Kaffeesatz wahrsagen—

Turandot. Du spottest meiner! Dahin kam's mit mir!

Zelima. Wozu auch ueberall der fremden Kuenste?
—O, seht ihn vor Euch stehn, den schoenen Prinzen!
Wie ruehrend seine Klage war! Wie zaertlich
Er aus zerrissnem Herzen zu Euch flehte!
Wie edelmuethig er, sein selbst vergessen,
Zu Eures Vaters Fuessen fuer Euch bat,
Fuer Euch, die kein Erbarmen mit ihm trug,
Zum zweitenmal sein kaum gerettet Leben
Darbot, um Eure Wuensche zu vergnuegen!

Turandot (weggewendet). Still, still davon!

Zelima. Ihr kehrt Euch von mir ab!
Ihr seid geruehrt! Ja, ja! Verbergt es nicht!
Und eine Thraene glaenzt in Eurem Auge—
O, schaemt Euch nicht der zarten Menschlichkeit!
Nie sah ich Euer Angesicht so schoen.
O, macht ein Ende! Kommt—

(Adelma ist im Begriff hervorzutreten.)

Turandot. Nichts mehr von ihm!
Er ist ein Mann. Ich hass' ihn, muss ihn hassen.
Ich weiss, dass alle Maenner treulos sind,
Nichts lieben koennen als sich selbst; hinweg-
Geworfen ist an dies verraeterische Geschlecht
Die schoene Neigung und die schoene Treue.
Geschmeid'ge Sklaven, wenn sie um uns werben,
Sind sie Tyrannen, gleich, wo sie besitzen.
Das blinde Wollen, den gereizten Stolz,
Das eigensinnig heftige Begehren,
Das nennen sie ihr Lieben und Verehren.
Das reisst sie blind zu unerhoerter That,
Das treibt sie selber auf den Todespfad;
Das Weib allein kennt wahre Liebestreue.
—Nicht weiter, sag' ich dir. Gewinnt er morgen,
Ist mir der Tod nicht schrecklicher, als er.
Mich sah' die Welt, die mir gehaessig ist,
Zu dem gemeinen Loos herabgewuerdigt
An eines Mannes und Gebieters Hand!
Nein, nein! So tief soll Turandot nicht sinken!
—Ich seine Braut! Eh' in das offne Grab
Mich stuerzen, als in eines Mannes Arme!

(Adelma hat sich wieder zurueckgezogen.)

Zelima. Wohl mag's Euch kosten, Koenigin, ich glaub' es,
Von Eurer stolzen Hoeh' herabzusteigen,
Auf der die Welt Euch staunend hat gesehn.
Was ist der eitle Ruhm, wenn Liebe spricht?
Gesteht es, Eure Stunde ist gekommen!
Weg mit dem Stolze! Weicht der staerkeren
Gewalt—Ihr hasst ihn nicht, koennt ihn nicht hassen,
Warum dem eignen Herzen widerstreben?
Ergebt Euch dem geliebten Mann, und mag
Alsdann die Welt die Glueckliche verhoehnen!

Adelma (ist horchend nach und nach naeher gekommen und
tritt jetzt hervor).
Wer von geringem Stand geboren ist,
Dem steht es an, wie Zelima zu denken.
Ein koenigliches Herz fuehlt koeniglich.
—Vergib mir! Zelima! Dir ist es nicht gegeben,
An einer Fuerstin Platz dich zu versetzen,
Die sich so hoch wie unsre Koenigin
Gestellt und jetzt, vor aller Menschen Augen,
Im Divan so herunter steigen soll,
Von einem schlechten Fremdling ueberwunden.
Mit meinen Augen sah ich den Triumph,
Den stolzen Hohn in aller Maenner Blicken,
Als er die Raetsel unsrer Koenigin,
Als waeren's Kinderfragen, spielend loeste,
Der ueberlegnen Einsicht stolz bewusst.
O, in die Erde haett' ich sinken moegen
Vor Scham und Wuth—Ich liebe meine schoene
Gebieterin; ihr Ruhm liegt mir am Herzen.
—Sie, die dem ganzen Volk der Maenner Hohn
Gesprochen, dieses Mannes Frau!

Turandot. Erbittre mich
Nicht mehr!

Zelima. Das grosse Unglueck, Frau zu werden!

Adelma. Schweig. Zelima! Man will von dir nicht wissen,
Wodurch ein edles Herz beleidigt wird.
Ich kann nicht schmeicheln. Grausam waer' es, hier
Zu schonen und die Wahrheit zu verhehlen.
Ist es schon hart genug, dass wir den Mann,
Den uebermuethigen, zum Herrn uns geben,
So liegt doch Trost darin, dass wir uns selbst
Mit freier Wahl und Gunst an ihn verschenken,
Und seine Grossmuth fesselt seinen Stolz.
Doch welches Loos trifft unsre Koenigin,
Wie hat sie selbst sich ihr Geschick verschlimmert!
Nicht ihrer freien Gunst und Zaertlichkeit,
Sich selbst nur, seinem siegenden Verstand
Wird sie der Stolze zu verdanken haben;
Als seine Beute fuehrt er sie davon—
Wird er sie achten, Grossmuth an ihr ueben,
Die keine gegen ihn bewies, auf Tod
Und Leben ihn um sie zu kaempfen zwang,
Ihm nur als Preis des Sieges heimgefallen?
Wird er bescheiden seines Rechtes brauchen,
Das er nur seinem Recht verdankt?

Turandot (in der heftigsten Bewegung). Adelma, wisse!
Find' ich die Namen nicht, mitten im Tempel
Durchstoss' ich diese Brust mit einem Dolch.

Adelma. Fasst Muth, Gebieterin. Verzweifelt nicht!
Kunst oder List muss uns das Raethsel loesen.

Zelima. Gut. Wenn Adelma mehr versteht, als ich,
Und Euch so zugethan ist, wie sie sagt,
So helfe sie und schaffe Rath.

Turandot. Adelma!
Geliebte Freundin! Hilf mir, schaffe Rath!
Ich kenn' ihn nicht, weiss nicht, woher er kommt;
Wie kann ich sein Geschlecht und Namen wissen?

Adelma (nachsinnend).
Lass sehn—Ich hab' es—hoerte man ihn nicht
Im Divan sagen, hier in dieser Stadt,
In Peckin, lebe Jemand, der ihn kenne?
Man muss nachspueren, muss die ganze Stadt
Umkehren, weder Gold noch Schaetze sparen—

Turandot. Nimm Gold und Edelsteine, spare nichts.
Kein Schatz ist mir zu gross, nur, dass ich's wisse!

Zelima. An wen uns damit wenden? Wo uns Raths
Erholen?—Und, gesetzt, wir faenden wirklich
Auf diesem Wege seinen Stand und Namen,
Wird es verborgen bleiben, dass Bestechung,
Nicht ihre Kunst das Raethsel uns verrathen?

Adelma. Wird Zelima wohl der Verraether sein?

Zelima. Das geht zu weit—Spart Euer Gold, Prinzessin!
Ich schwieg, ich hoffte Euer Herz zu ruehren,
Euch zu bewegen, diesen wuerdigsten
Von allen Prinzen, den Ihr selbst nicht hasset,
Freiwillig zu belohnen—Doch Ihr wollt es!
So siege meine Pflicht und mein Gehorsam!
—Wisst also! Meine Mutter Skirina
War eben bei mir, war entzueckt, zu hoeren,
Dass dieser Prinz die Raethsel aufgeloest,
Und von dem neuen Wettstreit noch nichts wissend,
Verrieth sie mir in ihrer ersten Freude,
Dass dieser Prinz in ihrem Haus geherbergt,
Dass Hassan ihn, ihr Gatte, sehr wohl kenne,
Wie seinen Herrn und lieben Freund ihn ehre.
Ich fragte nun nach seinem Stand und Namen;
Doch, dies sei noch ein Raethsel fuer sie selbst.
Spricht sie, das Hassan standhaft ihr verberge;
Doch hofft sie noch, es endlich zu ergruenden.
—Verdien' ich es nun noch, so zweifle meine
Gebieterin an meiner Treu' und Liebe!

(Geht ab mit Empfindlichkeit.)

Turandot (ihr nacheilend).
Bleib, Zelima! Bist du beleidigt?—Bleib!
Vergib der Freundin!

Adelma (haelt sie zurueck). Lassen wir sie ziehen!
Prinzessin, auf die Spur hat Zelima
Geholfen; unsre Sache ist es nun,
Mit Klugheit die Entdeckung zu verfolgen.
Denn Thorheit war's, zu hoffen, dass uns Hassan
Gutwillig das Geheimniss beichten werde,
Nun er den ganzen Werth desselben kennt.
Verschlagne List, ja, wenn die List nicht hilft,
Gewalt muss das Gestaendniss ihm entreissen;
Drum schnell—Kein Augenblick ist zu verlieren.
Herbei mit diesem Hassan ins Serail,
Eh' er gewarnt sich unserm Arm entzieht.
Kommt! Wo sind Eure Sklaven?

Turandot (faellt ihr um den Hals). Wie du willst,
Adelma! Freundin! Ich genehm'ge Alles.
Nur dass der Fremde nicht den Sieg erhalte! (Geht ab.)

Adelma. Jetzt, Liebe, steh mir bei! Dich ruf' ich an,
Du Maechtige, die Alles kann bezwingen!
Lass mich entzueckt der Sklaverei entspringen;
Der Stolz der Feindin oeffne mir die Bahn!
Hilf die Verhasste listig mir betruegen,
Den Freund gewinnen und mein Herz vergnuegen! (Geht ab.)

 

Dritter Auftritt.

Vorhalle des Palastes.

Kalaf und Barak kommen im Gespraech.

Kalaf. Wenn aber Niemand lebt in dieser Stadt,
Der Kundschaft von mir hat, als du allein,
Du treue Seele—Wenn mein vaeterliches Reich
Viel hundert Meilen weit von hier entlegen
Und schon acht Jahre lang verloren ist.
—Indessen, weisst du, lebten wir verborgen,
Und das Geruecht verbreitet unsern Tod—
Ach, Barak! Wer in Unglueck faellt, verliert
Sich leicht aus der Erinnerung der Menschen!

Barak. Nein, es war unbedacht gehandelt, Prinz.
Vergebt mir. Der Unglueckliche muss auch
Unmoeglichs fuerchten. Gegen ihn erheben
Die stummen Steine selber sich als Zeugen;
Die Wand hat Ohren, Mauern sind Verraether.
Ich kann, ich kann mich nicht zufrieden geben.
Das Glueck beguenstigt Euch, das schoenste Weib
Gewinnt Ihr wider Hoffen und Erwarten,
Gewinnt mit ihr ein grosses Koenigreich,
Und Eure weib'sche Zaertlichkeit raubt Euch
Auf einmal Alles wieder!

Kalaf. Haettest du
Ihr Leiden, ihren wilden Schmerz gesehn!

Barak. Auf Eurer Eltern Schmerz, die Ihr zu Berlas
Trostlos verlassen, haettet Ihr, und nicht
Auf eines Weibes Thraenen achten sollen!

Kalaf. Schilt meine Liebe nicht! Ich wollt' ihr gerne
Gefaellig sein.—Vielleicht, dass meine Grossmuth
Sie ruehrt, dass Dankbarkeit in ihrem Herzen—

Barak. Im Herzen dieser Schlange Dankbarkeit?
Das hoffet nie.

Kalaf. Entgehn kann sie mir nicht.
Wie faende sie mein Raethsel aus? Du, Barak,
Nicht wahr? Du hast mich nicht verrathen? Nicht?
Vielleicht, dass du im Stillen deinem Weibe
Vertraut hast, wer ich sei?

Barak. Ich? Keine Silbe.
Barak weiss Euren Winken zu gehorchen;
Doch weiss ich nicht, welch schwarze Ahnung mir
Den Sinn umnachtet und das Herz beklemmt!

 

Vierter Auftritt.

Die Vorigen. Pantalon. Tartaglia und Brigella mit Soldaten.

Pantalon. Sieh, sieh! Da ist er ja! Potz Element,
Wo steckt Ihr, Prinz? Was habt Ihr hier zu schaffen?
(Den Barak mit den Augen musternd.)
Und wer ist dieser Mann, mit dem Ihr schwatzt?

Barak (fuer sich). Weh' uns! Was wird das?

Tartaglia. Sprecht! Wer ist der Mann?

Kalaf. Ich kenn' ihn nicht. Ich fand ihn hier nur so
Von ohngefaehr, und weil ich muessig war,
Fragt' ich ihn um die Stadt und ihre Braeuche.

Tartaglia. Haltet zu Gnaden, Prinz! Ihr seid zu grad
Fuer diese falsche Welt; das gute Herz
Rennt mit dem Kopf davon—Heut frueh im Divan!
Wie Teufel kamt Ihr zu dem Narrenstreich,
Den Vogel wieder aus der Hand zu lassen!

Pantalon. Lasst' s gut sein. Was geschehn ist, ist geschehn.
Ihr wisst nicht, lieber junger Prinz, wie tief Ihr
Im Wasser steht, wie Euch von allen Seiten
Betrug umlauert und Verraetherstricke
Umgeben—Lassen wir Euch aus den Augen,
So richtet man Euch ab, wie einen Staar. (Zu Barak)
Herr Nachbar Naseweis, steckt Eure Nase
Wo anders hin—Beliebt es Eurer Hoheit
Ins Haus herein zu gehn—He da, Soldaten!
Nehmt ihn in eure Mitte!—Ihr, Brigella,
Wisst Eure Pflicht—Bewachet seine Thuer
Bis morgen fruehe zu des Divans Stunde.
Kein Mensch darf zu ihm ein! So will's der Kaiser.

(Zu Kalaf.)

Merkt Ihr? Er ist verliebt in Euch und fuerchtet,
Es moechte noch ein Unheil zwischen kommen.
Seid Ihr bis morgen nicht sein Schwiegersohn,
So, fuercht' ich, tragen wir den alten Herrn
Zu Grabe—Nichts fuer ungut, Prinz! Doch das
Von heute Morgen war—mit Eurer Gunst—
Ein Narrenstreich!—Ums Himmelswillen! Gebt Euch
Nicht bloss, lasst Euch den Namen nicht entlocken!

(Ihm ins Ohr zutraulich.)

Doch wollt Ihr ihn dem alten Pantalon
Ganz sachtchen, sachtchen in die Ohren wispern,
So wird er sich gar schoen dafuer bedanken.
Bekommt er diese Recompens?

Kalaf. Wie, Alter?
Gehorcht Ihr so dem Kaiser, Euerm Herrn?

Pantalon. Bravo! Scharmant!—Nun marsch! Voran, Brigella!
Habt Ihr's gehoert? Was steht Ihr hier und gaffet?

Brigella. Beliebet nur das Plaudern einzustellen,
So werd' ich thun, was meines Amtes ist.

Tartaglia. Passt ja wohl auf! Der Kopf steht drauf, Brigella.

Brigella. Ich habe meinen Kopf so lieb, als Ihr
Den Euren, Herr! 's braucht der Ermahnung nicht.

Tartaglia. Es juckt und brennt mich nach dem Namen—Uh!
Geruhtet Ihr, ihn mir zu sagen, Hoheit,
Recht wie ein Kleinod wollt' ich ihn bei mir
Vergraben und bewahren—Ja, das wollt' ich!

Kalaf. Umsonst versucht Ihr mich. Am naechsten Morgen
Erfahrt Ihr ihn. erfaehrt ihn alle Welt.

Tartaglia. Bravo! Bravissimo! Hol' mich der Teufel!

Pantalon. Nun, Gott befohlen, Prinz! (Zu Barak)
Und Ihr, Herr Schlingel!
Ihr thaetet besser, Eurer Arbeit nach
Zu gehn, als im Palast hier aufzupassen,
Versteht Ihr mich? (Geht ab.)

Tartaglia (sieht ihn scheel an). Ja wohl! Ja wohl! Ihr habt mir
So ein gewisses Ansehn—eine Miene,
Die mir nicht ausserordentlich gefaellt.
Ich rath' Euch Gutes, geht! (Folgt dem Pantalon.)

Brigella (zu Kalaf). Erlaubt mir, Prinz,
Dass ich Dem, der befehlen kann, gehorche.
Lasst's Euch gefallen, in dies Haus zu gehn.

Kalaf. Das will ich gerne. (Zu Barak leise.)
Freund, auf Wiedersehn!
Zu besserer Gelegenheit! Leb wohl!

Barak. Herr, ich bin Euer Sklav!

Brigella. Nur fort! Nur fort!
Und macht den Ceremonien ein Ende!

(Kalaf folgt den Soldaten, die ihn in ihre Mitte nehmen, Timur
tritt von der entgegengesetzten Seite auf, bemerkt ihn und macht
Geberden des Schreckens und Erstaunens.)

Barak (ihm nachsehend).
Der Himmel steh' dir bei, treuherz'ge Unschuld!
Was mich betrifft, ich huete meine Zunge.

 

Fuenfter Auftritt.

Timur, ein Greis in duerftiger Kleidung. Barak.

Timur (entsetzt, fuer sich).
Weh mir! Mein Sohn! Soldaten fuehren ihn
Gefangen fort! Sie fuehren ihn zum Tode!
Gewiss, gewiss, dass der Tyrann von Tefflis,
Der Raeuber meines Reichs, ihn bis nach Peckin
Verfolgen liess und seine Rache saettigt!
Doch mit ihm will ich sterben! (Eilt ihm nach und ruft laut.)
Kalaf! Kalaf!

Barak (tritt ihm in den Weg und haelt ihm das Schwert auf die Brust).
Halt ein, Ungluecklicher! Du bist des Todes!

(Pause. Beide sehen einander erstaunt an. Unterdessen hat sich
Kalaf mit den Soldaten entfernt.)

Wer bist du, Alter? Woher kommst du? Sprich!
Dass du den Namen dieses Juenglings weisst?

Timur. Was seh' ich? Gott! Du, Barak? Du in Peckin?
Du sein Verraether? Ein Rebell? Und zueckst
Das Schwert auf deinen Koenig?

Barak (laesst erstaunt das Schwert sinken). Grosse Goetter!
Ist's moeglich?—Timur?

Timur. Ja, Verraether!
Ich bin es, dein ungluecklicher Monarch,
Von aller Welt, nun auch von dir verrathen!
Was zoegerst du? Nimm dieses Leben hin!
Verhasst ist mir's, da ich die treusten Diener
Um schnoeden Vortheils willen undankbar
Und meinen Sohn dem Tod geopfert sehe!

Barak. Herr!—Herr! O Gott! Das ist mein Fuerst, mein Koenig!
Er ist's! Nur allzuwohl erkenn' ich ihn. (Faellt ihm zu Fuessen.)
In diesem Staub! In dieser Niedrigkeit!
Ihr Goetter, muss mein Auge dies erleben!
—Verzeiht, Gebieter, meiner blinden Wuth!
Die Liebe ist's zu Eurem Sohn, die Angst,
Die treue Sorge, die mich hingerissen.
So lieb Euch Eures Sohnes Heil, so komme
Der Name Kalaf nie aus Eurem Munde!
—Ich nenne mich hier Hassan. nicht mehr Barak—
—Ach, weh mir! Wenn uns Jemand hier behorchte!—
Sagt, ob Elmaze, meine Koenigin,
Sich auch mit Euch in dieser Stadt befindet?

Timur. Still, Barak—still! O, sprich mir nicht von ihr!
In unserm traur'gen Aufenthalt zu Berlas
Verzehrte sie der Gram um unsern Sohn,
—Sie starb in diesen lebensmueden Armen.

Barak. O die Bejammernswuerdige!

Timur. Ich floh!
Ich konnt' es, einsam, dort nicht mehr ertragen.
Des Sohnes Spuren folgend, frag' ich mich
Von Land zu Land, von einer Stadt zur andern.
Und jetzt, da mich nach langem Irren endlich
Der Goetter Hand hieher geleitet, ist
Mein erster Anblick der gefangne Sohn,
Den man zum Tode fuehrt.

Barak. Kommt, kommt, mein Koenig!
Befuerchtet nichts fuer Euren Sohn! Vielleicht
Dass ihn, eh noch der naechste Tag verlaufen,
Das hoechste Glueck belohnt und Euch mit ihm!
Nur, dass sein Name nicht, noch auch der Eure
Von Euern Lippen komme—Merkt Euch das!
Ich nenne mich hier Hassan, nicht mehr Barak.

Timur. Was fuer Geheimnisse—Erklaer' mir doch!

Barak. Kommt! Hier ist nicht der Ort, davon zu reden!
Folgt mir nach meiner Wohnung—Doch, was seh' ich?

(Skirina tritt aus dem Palast.)

Mein Weib aus dem Serail! O wehe mir!
Wir sind entdeckt! (Zu Skirina heftig.) Was hast du hier zu suchen?
Unglueckliche! Wo kommst du her?

 

Sechster Auftritt.

Skirina zu den Vorigen.

Skirina. Nun! Nun!
Aus dem Serail komm' ich, von meiner Tochter.
Die Freude trieb mich hin, dass unser Gast,
Der fremde Prinz, den Sieg davon getragen.
Die Neugier auch—Nun ja—Ich wollte sehn,
Wie dieser maennerscheuen Unholdin
Der Brautstand laesst—und freute mich darueber
Mit meiner Tochter Zelima.

Barak. Dacht' ich's doch!
Weib! Weib! Du weisst nicht Alles, und geschwaetzig
Wie eine Elster laeufst du ins Serail;
Ich suchte dich, es dir zu untersagen.
Umsonst! Zu spaet! Des Weibes Unverstand
Rennt immer vor des Mannes weisem Rath
Voraus—Was ist nicht alles dort getratscht,
Geplaudert worden! Nur heraus! Mir ist,
Ich hoere dich in deiner albernen
Entzueckung sagen: Dieser Unbekannte
Ist unser Gast; er wohnt bei uns; mein Mann
Kennt ihn und haelt ihn hoch in Ehren—Sprich,
Hast du's gesagt?

Skirina. Und wenn ich nun? Was waer's?

Barak. Nein, nein, gesteh es nur! Hast du's gesagt?

Skirina. Ich hab's gesagt. Warum sollt' ich's verbergen?
Sie wollten auch den Namen von mir wissen,
Und—dass ich's nur gestehe, ich versprach's.

Barak. Weh mir! Wir sind verloren!—Rasende!—

(Zu Timur sich wendend.)

Wir muessen fort! Wir muessen fliehn!

Timur. So sag' mir doch, was fuer Geheimnisse—

Barak. Fort! Fort aus Peckin! Keine Zeit verloren!

(Truffaldin zeigt sich im Hintergrund mit seinen Schwarzen.)

—Weh uns! Es ist zu spaet. Sie kommen schon!
Sie suchen mich, die Schwarzen, die Verschnittnen
Der fuerchterlichen Turandot—Sinnlose!
In welchen Jammer stuerzt uns deine Zunge!

(Truffaldin hat ihn bemerkt und bedeutet den Verschnittenen
durch Geberden, dass sie sich seiner bemaechtigen sollen.)

Ich kann nicht mehr entfliehen—Fliehe du,
Verbirg dich, rette dich und diesen Alten!

Timur. So sag' mir doch!

Barak. Fort! Keine Widerrede!
Ich bin entdeckt!—Verschlossen wie das Grab
Sei Euer Mund! Nie komme Euer Name,
Nie, nie der seine ueber Eure Lippen!
—Und du, Unglueckliche, wenn du das Uebel,
Das deine Zunge ueber uns gebracht,
Gut machen willst, verbirg dich, nicht in deiner,
In einer fremden Wohnung! Halte diesen
Verborgen, bis der naechste Tag zur Haelfte
Verstrichen ist—

Skirina. Willst du mir denn nicht sagen?

Timur. Willst du nicht mit uns fliehn?

Barak. Thut, was ich sage!
Werde mit mir, was will, wenn Ihr Euch rettet.

Skirina. Sprich, Hassan! Worin hab' ich denn gefehlt?

Timur. Erklaer' mir diese Raethsel.

Barak (heftig). Welche Marter!
Um aller Goetter willen, fort, und fragt
Nicht weiter! Sie umringen uns; es ist
Zu spaet, und alle Flucht ist jetzt vergebens.
—Die Namen, alter Mann, die Namen nur
Verschweigt, und Alles kann noch gluecklich enden!

 

Siebenter Auftritt.

Vorige. Truffaldin mit den Verschnittenen.

Truffaldin (ist nach und nach naeher gekommen, hat die Ausgaenge
besetzt und tritt nun hervor, mit uebertriebenen Geberden dem
Barak den Degen auf die Brust haltend).
Halt an und steht! Nicht von der Stelle! Nicht
Gemuckst! Der ist des Todes, der sich ruehrt.

Skirina. O wehe mir!

Barak. Ich weiss, Ihr sucht den Hassan.
Hier bin ich, fuehrt mich fort.

Truffaldin. Bst! Keinen Laermen!
's ist gut gemeint. Es soll Euch eine ganz
Absonderliche Gnad' und Ehr' geschehn.

Barak. Ja, ins Serail wollt Ihr mich fuehren, kommt!

Truffaldin. Gemach! Gemach! Ei, seht doch, welche Gunst
Euch widerfaehrt! Ins Harem! ins Serail
Der Koenigin—Ihr glueckliche Person!
's kommt keine Fliege ins Serail, sie wird
Erst wohl besichtigt und beschaut, ob sie
Ein Maennchen oder Weib, und ist's ein Maennchen,
Wird's ohne Gnad' gekreuzigt und gepfaehlt.
—Wer ist der Alte da?

Barak. Ein armer Bettler,
Den ich nicht kenne—Kommt und lasst uns gehn.

Truffaldin (betrachtet den Timur mit laecherlicher Genauigkeit).
Gemach! Gemach! Ein armer Bettler! Ei!
—Wir haben uns grossmuethig vorgesetzt,
Auch dieses armen Bettlers Glueck zu machen.
(Bemerkt und betrachtet die Skirina.)
—Wer ist die Weibsperson?

Barak. Was zoegerst du?
Ich weiss, dass deine Koenigin mich erwartet.
Lass diesen Greis! Das Weibsbild kenn' ich nicht,
Hab's nie gesehn und weiss nicht, wer sie ist.

Truffaldin (zornig). Du kennst sie nicht? Du hast sie nie gesehn?
Verdammte Luege! Was! Kenn' ich sie nicht
Als deine Frau und als die Mutter nicht
Der Sklavin Zelima? Hab' ich sie nicht
Zu hundert Malen im Serail gesehn,
Wenn sie der Tochter weisse Waesche brachte?

(Mit komischer Gravitaet zu den Verschnittenen.)

Merkt, Sklaven, den Befehl. den ich euch gebe!
Die drei Personen hier nehmt in Verwahrung,
Bewacht sie wohl, hoert ihr, lasst sie mit keiner
Lebend'gen Seele reden, und bei Nacht,
Sobald es still ist, fuehrt sie ins Serail!

Timur. O Gott! Was wird aus mir!

Skirina. Ich fass' es nicht.

Barak (zu Timur). Was aus dir werden soll, und was aus mir?
Ich werde Alles leiden. Leid' auch du!
Vergiss nicht, was ich dir empfahl—und, was
Dir auch begegne, huete deine Zunge!
—Jetzt hast du, thoericht Weib, was du gewollt.

Skirina. Gott steh uns bei!

Truffaldin (zu den Schwarzen). Ergreift sie! Fort mit ihnen!

(Gehen ab.)

Vierter Aufzug.

Vorhof mit Saeulen. In der Mitte eine Tafel mit einem maechtig
grossen Becken, voll von Goldstuecken.

 

Erster Auftritt.

Turandot. Zelima. Skirina. Timur. Barak.

(Barak und Timur stehen, jeder an einer Saeule, einander gegenueber,
die Verschnittenen um sie herum, alle mit entbloessten Saebeln und
Dolchen. Zelima und Skirina stehen weinend auf der einen, Turandot
drohend und streng auf der andern Seite.)

Turandot. Noch ist es Zeit. Noch lass' ich mich herab,
Zu bitten—Dieser aufgehaeufte Berg
Von Gold ist euer, wenn ihr mir in Gutem
Des Unbekannten Stand und Namen nennt.
Besteht ihr aber drauf, ihn zu verschweigen,
So sollen diese Dolche, die ihr hier
Auf euch gezueckt seht, euer Herz durchbohren!
He da, ihr Sklaven! Machet euch bereit.

(Die Verschnittenen halten ihnen ihre Dolche auf die Brust.)

Barak (zu Skirina). Nun, heillos Weib, nun siehst du, Skirina,
Wohin uns deine Plauderhaftigkeit gefuehrt.
—Prinzessin, saettigt Eure Wuth! Ich biete
Den Martern Trotz, die Ihr ersinnen koennt,
Ich bin bereit, den herbsten Tod zu leiden.
—Herbei, ihr Schwarzen! Auf, ihr Marterknechte.
Tyrannische Werkzeuge der Tyrannin,
Zerfleischt mich, toedtet mich, ich will es dulden.
—Sie hat ganz Recht, ich kenne diesen Prinzen
Und seinen Vater, Beider Namen weiss ich;
Doch keine Marter presst sie von mir aus,
Kein Gold verfuehrt mich; weniger als Staub,
Als schlechte Erde acht' ich diese Schaetze!
Du, meine Gattin, jammre nicht um mich!
Fuer Diesen Alten spare deine Thraenen,
Fuer ihn erweiche dieses Felsenherz,
Dass der Unschuldige gerettet werde!
Sein ganz Verbrechen ist, mein Freund zu sein.

Skirina (flehend zu Turandot).
O Koenigin, Erbarmen!

Timur. Niemand kuemmre sich
Um einen schwachen Alten, den die Goetter
Im Zorn verfolgen, dem der Tod Erloesung,
Das Leben eine Marter ist. Ich will
Dich retten, Freund, und sterben. Wisse denn,
Du Grausame—

Barak (unterbricht ihn). Um aller Goetter willen, schweigt!
Der Name komme nicht aus Eurem Munde!

Turandot (neugierig).
Du weisst ihn also, Greis?

Timur. Ob ich ihn weiss?
Unmenschliche!—Freund, sag' mir das Geheimniss,
Warum darf ich die Namen nicht entdecken?

Barak. Ihr toedtet ihn und uns, wenn Ihr sie nennt.

Turandot. Er will dich schrecken, Alter, fuerchte nichts!
Herbei, ihr Sklaven, zuechtigt den Verwegnen!

(Die Verschnittenen umgeben den Barak.)

Skirina. Ihr Goetter, helft! Mein Mann! Mein Mann!

Timur (tritt dazwischen). Halt! Haltet!
Was soll ich thun! Ihr Goetter, welche Marter!
—Prinzessin, schwoert mir's zu bei Eurem Haupt,
Bei Euren Goettern schwoert mir, dass sein Leben
Und dieses Fremdlings Leben ungefaehrdet
Sein soll—Mein eignes acht' ich nichts und will
Es freudig Eurer Wuth zum Opfer geben—
Schwoert mir das zu, und Ihr sollt Alles wissen.

Turandot. Bei meinem Haupt, zum furchtbarn Fohi schwoer' ich,
Dass weder seinem Leben, noch des Prinzen,
Noch irgend eines hier Gefaehrde droht—

Barak (unterbricht sie).
Halt, Luegnerin—Nicht weiter—Glaubt ihr nicht!
Verraetherei lauscht hinter diesem Schwur.
—Schwoert, Turandot, schwoert, dass der Unbekannte
Euer Gatte werden soll, im Augenblick,
Da wir die Namen Euch entdeckt, wie recht
Und billig ist; Ihr wisst es, Undankbare!
Schwoert, wenn Ihr koennt und duerft, dass er, verschmaeht
Von Euch, nicht in Verzweiflung sterben wird
Durch seine eigne Hand—Und schwoert uns zu,
Dass, wenn wir Euch die Namen nun entdeckt,
Fuer unser Leben nichts zu fuerchten sei,
Noch, dass ein ew'ger Kerker uns lebendig
Begraben und der Welt verbergen soll—
Dies schwoert uns, und der Erste bin ich selbst,
Der Euch die beiden Namen nennt!

Timur. Was fuer Geheimnisse sind dies! Ihr Goetter,
Nehmt diese Qual und Herzensangst von mir!

Turandot. Ich bin der Worte mued—Ergreift sie, Sklaven!
Durchbohret sie!

Skirina. O Koenigin! Erbarmen!

(Die Verschnittenen sind im Begriff, zu gehorchen, aber Skirina
und Zelima werfen sich dazwischen.)

Barak. Nun siehst du, Greis, das Herz der Tigerin!

Timur (niedergeworfen).
Mein Sohn! Dir weih' ich freudig dieses Leben.
Die Mutter ging voran, ihr folg' ich nach.

Turandot (betroffen, wehrt den Sklaven).
Sein Sohn! Was hoer' ich! Haltet!—Du ein Prinz?
Ein Koenig? Du des Unbekannten Vater?

Timur. Ja, Grausame! Ich bin ein Koenig—bin
Ein Vater, den der Jammer niederdrueckt!

Barak. O Koenig! Was habt Ihr gethan!

Skirina. Ein Koenig!
In solchem Elend!

Zelima. Allgerechte Goetter!

Turandot (in tiefes Sinnen verloren, nicht ohne Ruehrung).
Ein Koenig und in solcher Schmach!—Sein Vater!
Des ungluecksel'gen Juenglings, den ich mich
Zu hassen zwinge und nicht hassen kann!
—O der Bejammernswuerdige—Wie wird mir!
Das Herz im tiefsten Busen wendet sich!
Sein Vater!—Und er selbst—Sagt' er nicht so?
Genoethiget, als niedrer Knecht zu dienen
Und Lasten um geringen Sold zu tragen!
O Menschlichkeit! O Schicksal!

Barak. Turandot,
Dies ist ein Koenig! Scheuet Euch und schaudert
Zurueck, die heil'gen Glieder zu verletzen!
Wenn solches Jammers Groesse Euch nicht ruehrt,
Euch nicht das Mitleid, nicht die Menschlichkeit
Entwaffnen kann, lasst Euch die Scham besiegen.
Ehrt Eures eignen greisen Vaters Haupt
In diesem Greis—O, schaendet Euch nicht selbst
Durch eine That, die Euer Blut entehrte!
Genug dass Ihr die Juenglinge gemordet,
Schonet das Alter, das ohnmaechtige,
Das auch die Goetter zum Erbarmen zwingt!

Zelima (wirft sich zu ihren Fuessen).
Ihr seid bewegt, Ihr koennt nicht widerstehn.
O, gebt dem Mitleid und der Gnade Raum,
Lasst Euch die Groesse dieses Jammers ruehren!

 

Zweiter Auftritt.

Adelma zu den Vorigen.

Turandot (ihr entgegen).
Kommst du, Adelma? Hilf mir! O, schaff' Rath!
Ich bin entwaffnet—Ich bin ausser mir!
Dies ist sein Vater, ein Monarch und Koenig!

Adelma. Ich hoerte Alles. Fort mit diesen Beiden,
Schafft dieses Gold hinweg, der Kaiser naht!

Turandot. Mein Vater? Wie?

Adelma. Ist auf dem Weg hieher. (Zu den Schwarzen)
Fort, eh wir ueberfallen werden! Sklaven,
Fuehrt diese Beiden in die untersten
Gewoelbe des Serails, dort haltet sie
Verborgen bis auf weitere Befehle! (Zu Turandot)
Es ist umsonst. Wir muessen der Gewalt
Entsagen. Nichts kann retten, als die List.
—Ich habe einen Anschlag—Skirina,
Ihr bleibt zurueck. Auch Zelima soll bleiben.

Barak (zu Timur). Weh uns, mein Fuerst! Die Goetter moegen wissen,
Welch neues Schreckniss ansgebruetet wird!
—Weib! Tochter! Seid getreu, o, haltet fest,
Lasst euch von diesen Schlangen nicht verfuehren!

Turandot (zu den Schwarzen).
Ihr wisset den Befehl. Fort, fort mit ihnen
In des Serails verborgenste Gewoelbe!

Timur. Fall' Eure ganze Rache auf mein Haupt!
Nur ihm, nur meinem Sohn erzeiget Mitleid!

Barak. Mitleid in dieser Furie! Verrathen
Ist Euer Sohn, und uns, ich seh' es klar,
Wird ew'ge Nacht dem Aug der Welt verbergen.
Man fuehrt uns aus dem Angesicht der Menschen,
Wohin kein Lichtstrahl und kein Auge dringt,
Und unser Schmerz kein fuehlend Ohr erreicht! (Zur Prinzessin.)
Die Welt kannst du, der Menschen Auge blenden,
Doch zittre vor der Goetter Rachgericht!
Magst du im Schlund der Erde sie verstecken,
Lass tausend Todtengruefte sie bedecken,
Sie bringen deine Uebelthat ans Licht.

(Er folgt mit Timur den Verschnittenen, welche zugleich die
Tafel und das Becken mit den Goldstuecken hinwegtragen.)

 

Dritter Auftritt.

Turandot. Adelma. Zelima und Skirina.

Turandot (zu Adelma). Auf dich verlass' ich mich, du einz'ge Freundin!
O, sage, sprich, wie du mich retten willst.

Adelma. Die Wachen, die auf Altoums Befehl
Des Prinzen Zimmer hueten, sind gewonnen.
Man kann zu ihm hineingehn, mit ihm sprechen—
Und was ist dann nicht moeglich, wenn wir klug
Die Furcht, die Ueberredung spielen lassen.
Denn arglos ist sein Herz und gibt sich leicht
Der Schmeichelstimme des Verraethers hin.
Wenn Skirina, wenn Zelima mir nur
Behilflich sind und ihre Rolle spielen,
So zweifelt nicht, mein Anschlag soll gelingen.

Turandot (zu Skirina). So lieb dir Hassans Leben, Skirina!
Er ist in meiner Macht, ich kann ihn toedten.

Skirina. Was Ihr befehlt, ich bin bereit zu Allem,
Wenn ich nur meines Hassans Leben rette.

Turandot (zu Zelima). So werth dir meine Gunst ist, Zelima.—

Zelima. Auf meinen Eifer zaehlt und meine Treue!

Adelma. So kommt. Kein Augenblick ist zu verlieren (Sie gehen ab.)

Turandot. Geht, geht! Thut, was sie sagt.

 

Vierter Auftritt.

Turandot allein.

Was sinnt Adelma?
Wird sie mich retten? Goetter, steht ihr bei!
Kann ich mich noch mit diesem Siege kroenen,
Wess Name wird dann groesser sein, als meiner?
Wer wird es wagen, sich in Geisteskraft
Mit Turandot zu messen?—Welche Lust,
Im Divan, vor der wartenden Versammlung,
Die Namen ihm ins Angesicht zu werfen
Und ihn beschaemt von meinem Thron zu weisen!
—Und doch ist mir's, als wuerd' es mich betrueben!
Mir ist, als saeh' ich ihn, verzweiflungsvoll,
Zu meinen Fuessen seinen Geist verhauchen,
Und dieser Anblick dringt mir in das Herz.
—Wie, Turandot? Wo ist der edle Stolz
Der grossen Seele? Hat's ihn auch gekraenkt,
Im Divan ueber dich zu triumphieren?
Was wird dein Antheil sein, wenn er auch hier
Den Sieg dir abgewinnt?—Recht hat Adelma!
Zu weit ist es gekommen! Umkehr ist
Nicht moeglich!—Du musst siegen oder fallen!
Besiegt von einem, ist besiegt von allen!

 

Fuenfter Auftritt.

Turandot. Altoum. Pantalon und Tartaglia folgen ihm in einiger
Entfernung nach.

Altoum (in einem Briefe lesend und in tiefen Gedanken, fuer sich).
So musste dieser blutige Tyrann
Von Tefflis enden! Kalaf, Timurs Sohn,
Aus seiner Vaeter Reich vertrieben, fluechtig
Von Land zu Lande schweifend, muss hieher
Nach Peckin kommen und durch seltsame
Verkettung der Geschicke gluecklich werden!
So fuehrt das Schicksal an verborgnem Band
Den Menschen auf geheimnissvollen Pfaden!
Doch ueber ihm wacht eine Goetterhand,
Und wunderbar entwirret sich der Faden.

Pantalon (leise zu Tartaglia).
Rappelt's der Majestaet? Was koemmt sie an,
Dass sie in Versen mit sich selber spricht?

Tartaglia (leise zu Pantalon).
Still, still! Es ist ein Bote angelangt
Aus fernen Landen—Was er brachte, mag
Der Teufel wissen!

Altoum (steckt den Brief in den Busen und wendet sich zu
seiner Tochter).
Turandot! Die Stunden
Entfliehen, die Entscheidung rueckt heran,
Und schlaflos irrst du im Serail umher,
Zerquaelst dich, das Unmoegliche zu wissen.
—Vergebens quaelst du dich. Es ist umsonst,
Ich aber hab' es ohne Mueh' erfahren.
—Sieh diesen Brief. Hier stehen beide Namen
Und Alles, was sie kenntlich macht. So eben
Bringt ihn ein Bote mir aus fernen Landen.
Ich halt' ihn wohl verschlossen und bewacht,
Bis dieser naechste Tag vorueber ist.
Der unbekannte Prinz ist wirklich Koenig
Und eines Koenigs Sohn—Es ist unmoeglich,
Dass du errathest, wer sie beide seien.
Ihr Reich liegt allzufern von hier, der Name
Ist kaum zu Peckin ausgesprochen worden.
—Doch sieh, weil ich's als Vater mit dir meine,
Komm' ich in spaeter Nacht noch her—Kann es
Dir Freude machen, dich zum zweitenmal
Im Divan dem Gelaechter blosszustellen,
Dem Hohn des Poebels, der mit Ungeduld
Drauf wartet, deinen Stolz gebeugt zu sehn?
Denn abgesinnt, du weisst's, ist dir das Volk,
Kaum werd' ich seiner Wuth gebieten koennen,
Wenn du im Divan nun verstummen musst.
—Sieh liebes Kind, dies fuehrte mich hieher.

(Zu Pantalon und Tartaglia.)

Lasst uns allein! (Jene entfernen sich ungern und zaudernd.)

 

Sechster Auftritt.

Turandot und Altoum.

Altoum (nachdem jene weg sind, naehert sich ihr und fasst sie
vertraulich bei der Hand).
Ich komme, deine Ehre
Zu retten.

Turandot. Meine Ehre, Sire? Spart Euch
Die Mueh! Nicht Rettung brauch' ich meiner Ehre—
Ich werde mir im Divan morgen selbst
Zu helfen wissen.

Altoum. Ach, du schmeichelst dir
Mit eitler Hoffnung. Glaube mir's, mein Kind,
Unmoeglich ist's, zu wissen, was du hoffst.
Ich les' in deinen Angen, deinen wild
Verwirrten Zuegen deine Qual und Angst.
Ich bin dein Vater; sieh, ich hab' dich lieb.
—Wir sind allein—Sei offen gegen mich!
Bekenn' es frei—weisst du die beiden Namen?

Turandot. Ob ich sie weiss, wird man im Divan hoeren.

Altoum. Nein, Kind, du weisst sie nicht, kannst sie nicht wissen.
Wenn du sie weisst, so sag' mir's im Vertrauen.
Ich lasse dann den Ungluecksel'gen wissen,
Dass er verrathen ist, und lass' ihn still
Aus meinen Staaten ziehn. So meidest du
Den Hass des Volks—und mit dem Sieg zugleich
Traegst du den Ruhm der Grossmuth noch davon,
Dass du dem Ueberwundenen die Schmach
Der oeffentlichen Niederlage spartest.
—Um dieses Einz'ge bitt' ich dich, mein Kind!
Wirst du's dem Vater, der dich liebt, versagen?

Turandot. Ich weiss die Namen oder weiss sie nicht,
Genug! Hat er im Divan meiner nicht
Geschont, brauch' ich auch seiner nicht zu schonen.
Gerechtigkeit geschehe! Oeffentlich,
Wenn ich sie weiss, soll man die Namen hoeren.

Altoum (will ungeduldig werden, zwingt sich aber und faehrt mit
Maessigung und Milde fort).
Durft' er dich schonen? Galt es nicht sein Leben?
Galt es nicht, was ihm mehr war, deine Hand?
Dich zu gewinnen und sich selbst zu retten,
Musst' er den Sieg im Divan dir entreissen.
—Nur einen Augenblick leg' deinen Zorn
Bei Seite, Kind—Gib Raum der Ueberlegung!
Sieh, dieses Haupt setz' ich zum Pfand, du weisst
Die Namen nicht—Ich aber weiss sie—hier (auf den Brief zeigend)
Stehn sie geschrieben, und ich sag' sie dir.
—Der Divan soll sich in der Frueh' versammeln,
Der Unbekannte oeffentlich erscheinen;
Mit seinem Namen redest du ihn an;
Er soll beschaemt, vom Blitz getroffen, stehen,
Verzweifelnd jammern und vor Schmerz vergehen;
Vollkommen sei sein Fall und dein Triumph.
Doch nun, wenn du so tief ihn hast gebeugt
Erheb' ihn wieder! Frei, aus eigner Wahl
Reich' ihm die Hand und endige sein Leiden.
—Komm, meine Tochter, schwoere mir, dass du
Das thun willst, und sogleich—wir sind allein—
Sollst du die Namen wissen. Das Geheimniss,
Ich schwoere dir, soll mit uns beiden sterben.
So loest der Knote sich erfreulich auf;
Du kroenest dich mit neuem Siegesruhm,
Versoehnest dir durch schoene Edelthat
Die Herzen meines Volks, gewinnst dir selbst
Den Wuerdigsten der Erde zum Gemahl,
Erfreuest, troestest nach so langem Gram
In seinem hohen Alter deinen Vater.

Turandot (ist waehrend dieser Rede in eine immer zunehmende
Bewegung gerathen).
Ach, wie viel arge List gebraucht mein Vater!
—Was soll ich thun? Mich auf Adelmas Wort
Verlassen und dem ungewissen Glueck
Vertraun? Soll ich vom Vater mir die Namen
Entdecken lassen und den Nacken beugen
In das verhasste Joch?—Furchtbare Wahl!

(Sie steht unentschlossen in heftigem Kampf mit sich selbst.)

Herunter, stolzes Herz! Bequeme dich!
Dem Vater nachzugeben ist nicht Schande!

(Indem sie einige Schritte gegen Altoum macht, steht sie
ploetzlich wieder still.)

Doch wenn Adelma—sie versprach so kuehn,
So zuversichtlich—wenn sie's nun erforschte,
Und uebereilt haett' ich den Schwur gethan?

Altoum. Was sinnest du und schwankest, meine Tochter,
In zweifelnden Gedanken hin und her?
Soll etwa diese Angst mich ueberreden,
Dass du des Sieges dich versichert haltest?
O Kind, gib deines Vaters Bitte nach—

Turandot. Es sei! Ich wag es drauf. Ich will Adelma
Erwarten—So gar dringend ist mein Vater?
Ein sichres Zeichen, dass es moeglich ist,
Ich koenne, was er fuerchtet, durch mich selbst
Erfahren—Er versteht sich mit dem Prinzen!
Nicht anders! Von ihm selbst hat er die Namen;
Es ist ein abgeredet Spiel; ich bin
Verrathen, und man spottet meiner!

Altoum. Nun?
Was zauderst du? Hoer auf, dich selbst zu quaelen,
Entschliesse dich!

Turandot. Ich bin entschlossen—Morgen
In aller Frueh' versammle sich der Divan.

Altoum. Du bist entschlossen, es aufs Aeusserste,
Auf oeffentliche Schande hin zu wagen?

Turandot. Entschlossen, Sire, die Probe zu bestehen.

Altoum (in heftigem Zorn).
Unsinnige! Verstockte! Blindes Herz!
Noch blinder als die Albernste des Poebels!
Ich bin gewiss, wie meines eignen Haupts,
Dass du dich oeffentlich beschimpfst, dass dir's
Unmoeglich ist, das Raethsel aufzuloesen.
Wohlan! Der Divan soll versammelt werden,
Und in der Naehe gleich sei der Altar!
Der Priester halte sich bereit, im Augenblick,
Da du verstummst, beim lauten Hohngelaechter
Des Volks die Trauung zu vollziehn. Du hast
Den Vater nicht gehoert, da er dich flehte.
Leb' oder stirb! Er wird dich auch nicht hoeren! (Er geht ab.)

Turandot. Adelma! Freundin! Retterin! Wo bist du?
Verlassen bin ich von der ganzen Welt.
Mein Vater hat im Zorn mich aufgegeben,
Von dir allein erwart' ich Heil und Leben. (Entfernt sich von der
andere Seite.)

 

Siebenter Auftritt.

Die Scene verwandelt sich in ein praechtiges Gemach mit mehreren
Ausgaengen. Im Hintergrund steht ein orientalisches Ruhebett fuer
Kalaf. Es ist finstere Nacht.

Kalaf. Brigella mit einer Fackel.

(Kalaf geht in tiefen Gedanken auf und ab, Brigella betrachtet
ihn mit Kopfschuetteln.)

Brigella. 's hat eben Drei geschlagen, Prinz, und Ihr
Seid nun genau dreihundert sechzigmal
In diesem Zimmer auf und ab spaziert.
Verzeiht! Mir liegt der Schlaf in allen Gliedern,
Und wenn Ihr selbst ein wenig ruhen wolltet,
Es koennt' nicht schaden.

Kalaf. Du hast Recht, Brigella.
Mein sorgenvoller Geist treibt mich umher;
Doch du magst gehen und dich schlafen legen.

Brigella (geht, kommt aber gleich wieder zurueck).
Ein Wort zur Nachricht, Hoheit—Wenn Euch hier
Von ohngefaehr so was erscheinen sollte—
Macht Eure Sache gut—Ihr seid gewarnt!

Kalaf. Erscheinungen? Wie so? An diesem Ort?
(Mustert mit unruhigen Blicke das Zimmer.)

Brigella. Du lieber Himmel! Uns ist zwar verboten
Bei Lebensstrafe, Niemand einzulassen.
Doch—arme Diener! Herr, Ihr wisst ja wohl!
Der Kaiser ist der Kaiser, die Prinzess
Ist, so zu sagen, Kaiserin—und was
Die in den Kopf sich setzt, das muss geschehn!
's wird Einem sauer, Hoheit, zwischen zwei
Dachtraufen trocknen Kleides durchzukommen.
—Versteht mich wohl. Man moechte seine Pflicht
Gern ehrlich thun—Doch man eruebrigte
Auch gern etwas fuer seine alten Tage.
Herr, unsereins ist halter uebel dran!

Kalaf. Wie? Sollte man mir gar ans Leben wollen?
Brigella, rede!

Brigella. Gott soll mich bewahren!
Allein bedenkt die Neugier, die man hat,
Zu wissen, wer Ihr seid. Es koennte sich
Zum Beispiel fuegen, dass—durchs Schluesselloch—
Ein Geist—ein Unhold—eine Hexe kaeme,
Euch zu versuchen—Gnug! Ihr seid gewarnt!
Versteht mich—Arme Diener, arme Schelme!

Kalaf (laechelnd). Sei ausser Sorgen. Ich verstehe dich
Und werde mich in Acht zu nehmen wissen.

Brigella. Thut das, und somit Gott befohlen, Herr.
Ums Himmels willen, bringt mich nicht ins Unglueck!

(Gegen die Zuschauer.)

Es kann geschehen, dass man einen Beutel
Mit Golde ausschlaegt—moeglich ist's! Was mich betrifft,
Ich that mein Bestes, und ich konnt' es nicht. (Er geht ab.)

Kalaf. Er hat mir Argwohn in mein Herz gepflanzt.
Wer koennte mich hier ueberfallen wollen?
Und lass die Teufel aus der Hoelle selbst
Ankommen, dieses Herz wird standhaft bleiben. (Er tritt ans Fenster.)
Der Tag ist nicht mehr weit, ich werde nun
Nicht lange mehr auf dieser Folter liegen.
Indess versuch' ich es, ob ich vielleicht
Den Schlaf auf diese Augen locken kann.

(Indem er sich auf das Ruhebette niederlassen will, oeffnet sich
eine von den Thueren.)

 

Achter Auftritt.

Kalaf. Skirina in maennlicher Kleidung und mit einer Maske vor
dem Gesicht.

Skirina (furchtsam sich naehernd).
Mein lieber Herr—Herr—O, wie zittert mir
Das Herz!

Kalaf (auffahrend). Wer bist du, und was suchst du hier?

Skirina (nimmt die Maske vom Gesicht).
Kennt Ihr mich nicht? Ich bin ja Skirina,
Des armen Hassans Weib und Eure Wirthin.
Verkleidet hab' ich durch die Wachen mich
Herein gestohlen—Ach! was hab' ich Euch
Nicht alles zu erzaehlen—Doch die Angst
Erstickt mich, und die Kniee zittern mir;
Ich kann vor Thraenen nicht zu Worte kommen.

Kalaf. Sprecht, gute Frau. Was habt Ihr mir zu sagen?

Skirina (sich immer schuechtern umsehend).
Mein armer Mann haelt sich versteckt. Es ward
Der Turandot gesagt, dass er Euch kenne.
Nun wird ihm nachgespuert an allen Orten,
Ihn ins Serail zu schleppen und ihm dort
Gewaltsam Euren Namen abzupressen.
Wird er entdeckt, so ist's um ihn geschehn;
Denn eher will er unter Martern sterben,
Als Euch verrathen.

Kalaf. Treuer, wackrer Diener!
—Ach, die Unmenschliche!

Skirina. Ihr habt noch mehr
Von mir zu hoeren—Euer Vater ist
In meinem Haus.

Kalaf. Was sagst du? Grosse Goetter!

Skirina. Von Eurer Mutter zum trostlosen Wittwer
Gemacht—

Kalaf. O meine Mutter!

Skirina. Hoert mich weiter!
Er weiss, dass man Euch hier bewacht; er zittert
Fuer Euer Leben; er ist ausser sich;
Er will verzweifelnd vor den Kaiser dringen,
Sich ihm entdecken, kost' es, was es wolle;
Mit meinem Sohne, ruft er, will ich sterben!
Vergebens such' ich ihn zurueck zu halten,
Sein Ohr ist taub, er hoert nur seinen Schmerz;
Nur das Versprechen, das ich ihm gethan,
Ein troestend Schreiben ihm von Eurer Hand
Mit Eures Namens Unterschrift zu bringen,
Das ihm Versichrung gibt von Eurem Leben,
Hielt ihn vom Aeussersten zurueck! So hab' ich mich
Hieher gewagt und in Gefahr gesetzt,
Dem kummervollen Greise Trost zu bringen.

Kalaf. Mein Vater hier in Peckin! Meine Mutter
Im Grab!—Du hintergehst mich, Skirina!

Skirina. Mich strafe Fohi, wenn ich Euch das luege!

Kalaf. Bejammernswerther Vater! Arme Mutter!

Skirina (dringend). Kein Augenblick ist zu verlieren! Kommt!
Bedenkt Euch nicht; schreibt diese wen'gen Worte.
Fehlt Euch das Noethige, ich bracht' es mit.

(Sie zieht eine Schreibtafel hervor.)

Genug, wenn dieser kummervolle Greis
Zwei Zeilen nur von Eurer Hand erhaelt,
Dass Ihr noch lebt und dass Ihr Gutes hofft.
Sonst treibt ihn die Verzweiflung an den Hof,
Er nennt sich dort, und Alles ist verloren.

Kalaf. Ja, gib mir diese Tafel!

(Er ist im Begriff zu schreiben, haelt aber ploetzlich inne und
sieht sie forschend an.)
Skirina!
Hast du nicht eine Tochter im Serail?
—Ja, ja, ganz recht. Sie dient Sklavin dort
Der Turandot; dein Mann hat mir's gesagt.

Skirina. Nun ja! Wie kommt Ihr darauf?

Kalaf. Skirina!
Geh nur zurueck und sage meinem Vater
Von meinetwegen, dass er ohne Furcht
Geheimen Zutritt bei dem Kaiser fordre
Und ihm entdecke, was sein Herz ihn heisst.
Ich bin's zufrieden.

Skirina (betroffen). Ihr verweigert mir
Den Brief? Ein Wort von Eurer Hand genuegt.

Kalaf. Nein, Skirina, ich schreibe nicht. Erst morgen
Erfaehrt man, wer ich bin—Ich wundre mich,
Dass Hassans Weib mich zu verrathen sucht.

Skirina. Ich Euch verrathen! Guter Gott! (Fuer sich.)
Adelma mag denn selbst ihr Spiel vollenden. (Zu Kalaf.)
Wohl, Prinz! Wie's Euch beliebt! Ich geh' nach Hause,
Ich richte Eure Botschaft aus; doch glaubt' ich nicht,
Nach so viel uebernommener Gefahr
Und Muehe Euren Argwohn zu verdienen. (Im Abgehen.)
Adelma wacht, und Dieser schlummert nicht. (Entfernt sich.)

Kalaf. Erscheinungen!—Du sagtest recht, Brigella!
Doch, dass mein Vater hier in Peckin sei
Und meine Mutter todt, hat dieses Weib
Mit einem heil'gen Eide mir bekraeftigt!
Kommt doch das Unglueck nie allein! Ach, nur
Zu glaubhaft ist der Mund, der Boeses meldet!

(Die entgegengesetzte Thuere oeffnet sich.)

Noch ein Gespenst! Lass sehen, was es will!

 

Neunter Auftritt.

Kalaf. Zelima.

Zelima. Prinz, ich bin eine Sklavin der Prinzessin
Und bringe gute Botschaft.

Kalaf. Gaeb's der Himmel!
Wohl waer' es Zeit, dass auch das Gute kaeme!
Ich hoffe nichts, ich schmeichle mir mit nichts;
Zu fuehllos ist das Herz der Turandot.

Zelima. Wohl wahr, ich leugn' es nicht—und dennoch, Prinz,
Gelang es Euch, dies stolze Herz zu ruehren.
Euch ganz allein; Ihr seid der Erste—Zwar
Sie selbst besteht darauf, dass sie Euch hasse;
Doch ich bin ganz gewiss, dass sie Euch liebt.
Die Erde thu' sich auf und reisse mich
In ihren Schlund hinab, wenn ich das luege!

Kalaf. Gut, gut, ich glaube dir. Die Botschaft ist
Nicht schlimm. Hast du noch Mehreres zu sagen?

Zelima (naehertretend). Ich muss Euch im Vertrauen sagen, Prinz,
Der Stolz, der Ehrgeiz treibt sie zur Verzweiflung.
Sie sieht nun ein, dass sie Unmoegliches
Sich aufgebuerdet, und vergeht vor Scham,
Dass sie im Divan nach so vielen Siegen
Vor aller Welt zu Schanden werden soll.
Der Abgrund oeffne sich und schlinge mich
Hinab, wenn ich mit Luegen Euch berichte!

Kalaf. Ruf nicht so grosses Unglueck auf dich her!
Ich glaube dir. Geh, sage der Prinzessin,
Leicht sei es ihr, in diesem Streit zu siegen;
Mehr als durch ihren glaenzenden Verstand
Wird sich ihr Ruhm erheben, wenn ihr Herz
Empfinden lernt, wenn sie der Welt beweist,
Sie koenne Mitleid fuehlen, koenne sich
Entschliessen, einen Liebenden zu troesten
Und einen greisen Vater zu erfreun.
Ist dies etwa die gute Botschaft, sprich,
Die ich zu hoeren habe?

Zelima. Nein, mein Prinz!
Wir geben uns so leichten Kaufes nicht;
Man muss Geduld mit unsrer Schwachheit haben.
—Hoert an!

Kalaf. Ich hoere.

Zelima. Die Prinzessin schickt mich.
—Sie bittet Euch um einen Dienst—Lasst sie
Die Namen wissen, und im Uebrigen
Vertraut Euch kuehnlich ihrer Grossmuth an.
Sie will nur ihre Eigenliebe retten,
Nur ihre Ehre vor dem Divan loesen.
Voll Guete steigt sie dann von ihrem Thron
Und reicht freiwillig Euch die schoene Rechte.
—Entschliesst Euch, Prinz. Ihr waget nichts dabei.
Gewinnt mit Guete dieses stolze Herz,
So wird nicht Zwang, so wird die Liebe sie,
Die zaertlichste, in Eure Arme fuehren.

Kalaf (sieht ihr scharf ins Gesicht, mit einem bittern Laecheln).
Hier, Sklavin, hast du den gewohnten Schluss
Der Rede weggelassen.

Zelima. Welchen Schluss?

Kalaf. Die Erde oeffne sich und schlinge mich
Hinab, wenn ich Unwahres Euch berichte.

Zelima. So glaubt Ihr, Prinz, dass ich Euch Luegen sage?

Kalaf. Ich glaub' es fast—und glaub' es so gewiss,
Dass ich in dein Begehren nimmermehr
Kann willigen. Kehr' um zu der Prinzessin!
Sag' ihr, mein einz'ger Ehrgeiz sei ihr Herz,
Und meiner gluehnden Liebe moege sie
Verzeihn, dass ich die Bitte muss versagen.

Zelima. Bedachtet Ihr, was dieser Eigensinn
Euch kosten kann?

Kalaf. Mag er mein Leben kosten!

Zelima. Es bleibt dabei, er wird's Euch kosten, Prinz!
—Beharrt Ihr drauf, mir nichts zu offenbaren?

Kalaf. Nichts!

Zelima. Lebet wohl! (Im Abgehen.) Die Muehe konnt' ich sparen!

Kalaf (allein). Geht, wesenlose Larven! Meinen Sinn
Macht Ihr nicht wankend. Andre Sorgen sind's,
Die mir das Herz beklemmen—Skirinas
Bericht ist's, was mich aengstiget—Mein Vater
In Peckin! Meine Mutter todt! Muth, Muth, mein Herz!
In wenig Stunden ist das Loos geworfen.
Koennt' ich den kurzen Zwischenraum im Arm
Des Schlafs vertraeumen! Der gequaelte Geist
Sucht Ruhe, und mich daeucht, ich fuehle schon
Den Gott die sanften Fluegel um mich breiten.

(Er legt sich auf das Ruhebette und schlaeft ein.)

 

Zehnter Auftritt.

Adelma tritt auf, das Gesicht verschleiert, eine Wachskerze in
der Hand. Kalaf schlafend.

Adelma. Nicht Alles soll misslingen—Hab' ich gleich
Vergebens alle Kuenste des Betrugs
Verschwendet, ihm die Namen zu entlocken,
So werd' ich doch nicht eben so umsonst
Versuchen, ihn aus Peckin wegzufuehren
Und mit dem schoenen Raube zu entfliehn.
—O heisserflehter Augenblick! Jetzt, Liebe!
Die mir bis jetzt den kuehnen Muth verliehn,
So manche Schranke mir schon ueberstiegen,
Dein Feuer lass auf meinen Lippen gluehn!
Hilf mir in diesem schwersten Kampfe siegen!

(Sie betrachtet den Schlafenden.)

Der Liebste schlaeft. Sei ruhig, pochend Herz,
Erzittre nicht! Nicht gern, ihr holden Augen,
Scheuch' ich den goldnen Schlummer von euch weg;
Doch schon ergraut der Tag, ich darf nicht saeumen.

(Sie naehert sich ihm und beruehrt ihn sanft.)

Prinz, wachet auf!

Kalaf (erwachend). Wer stoeret meinen Schlummer?
Ein neues Trugbild? Nachtgespenst, verschwinde!
Wird mir kein Augenblick der Ruh vergoennt?

Adelma. Warum so heftig, Prinz? Was fuerchtet Ihr?
Nicht eine Feindin ist's, die vor Euch steht;
Nicht Euern Namen will ich Euch entlocken.

Kalaf. Ist dies dein Zweck, so spare deine Mueh.
Ich sag' es dir voraus, du wirst mich nicht betruegen.

Adelma. Betruegen? Ich? Verdien' ich den Verdacht?
Sagt an! War hier nicht Skirina bei Euch,
Mit einem Brief Euch listig zu versuchen?

Kalaf. Wohl war sie hier.

Adelma. Doch hat sie nichts erlangt?

Kalaf. Dass ich ein solcher Thor gewesen waere!

Adelma. Gott sei's gedankt!—War eine Sklavin hier,
Mit trueglicher Vorspieglung Euch zu blenden?

Kalaf. Solch eine Sklavin war in Wahrheit hier,
Doch zog sie leer ab—wie auch du wirst gehn.

Adelma. Der Argwohn schmerzt, doch leicht verzeih' ich ihn.
Lernt mich erst kennen! Setzt Euch! Hoert mich an,
Und dann verdammt mich als Betruegerin! (Sie setzt sich, er folgt.)

Kalaf. So redet denn und sagt, was ich Euch soll.

Adelma. Erst seht mich naeher an—Beschaut mich wohl!
Wer denkt Ihr, dass ich sei?

Kalaf. Dies hohe Wesen,
Der edle Anstand zwingt mir Ehrfurcht ab.
Das Kleid bezeichnet eine niedre Sklavin,
Die ich, wo ich nicht irre, schon im Divan
Gesehen und ihr Los beklagt.

Adelma. Auch ich
Hab' Euch—die Goetter wissen es, wie innig—
Bejammert, Prinz! Es sind fuenf Jahre nun,
Da ich, noch selber eine Guenstlingin
Des Gluecks, in niederm Sklavenstand Euch sah.
Schon damals sagte mir's mein Herz, dass Euch
Geburt zu einem bessern Loos berufen.
Ich weiss, dass ich gethan, was ich gekonnt,
Euch ein unwuerdig Schicksal zu erleichtern.
Weiss, dass mein Aug sich Euch verstaendlich machte,
Soweit es einer Koenigstochter ziemte. (Sie entschleiert sich.)
Seht her, mein Prinz, und sagt mir! Dies Gesicht,
Habt Ihr es nie gesehn in Eurem Leben?

Kalaf. Adelma! Ew'ge Goetter! Seh' ich recht?

Adelma. Ihr sehet in unwuerd'gen Sklavenbanden
Die Tochter Keicobads, des Koeniges
Der Karazanen, einst zum Thron bestimmt,
Jetzt zu der Knechtschaft Schmach herabgestossen.

Kalaf. Die Welt hat Euch fuer todt beweint. In welcher
Gestalt, weh mir, muss ich Euch wieder finden!
Euch hier als eine Sklavin des Serails,
Die Koenigin, die edle Fuerstentochter!

Adelma. Und als die Sklavin dieser Turandot,
Der grausamen Ursache meines Falles!
Vernehmt mein ganzes Unglueck, Prinz! Mir lebte
Ein Bruder, ein geliebter, theurer Juengling,
Den diese stolze Turandot, wie Euch,
Bezauberte—Er wagte sich im Divan.

(Sie haelt inne, von Schluchzen und Thraenen unterbrochen.)

Unter den Haeuptern, die man auf dem Thore
Zu Peckin sieht—entsetzensvoller Anblick!—
Erblicktet Ihr auch das geliebte Haupt
Des theuren Bruders, den ich noch beweine.

Kalaf. Unglueckliche! So log die Sage nicht!
So ist sie wahr, die klaegliche Geschichte,
Die ich fuer eine Fabel nur gehalten!

Adelma. Mein Vater Keicobad, ein kuehner Mann,
Nur seinem Schmerz gehorchend, ueberzog
Die Staaten Altoums mit Heeresmacht,
Des Sohnes Mord zu raechen—Ach, das Glueck
War ihm nicht guenstig! Maennlich fechtend fiel er
Mit allen seinen Soehnen in der Schlacht.
Ich selbst, mit meiner Mutter, meinen Schwestern,
Ward auf Befehl des wuethenden Veziers,
Der unsern Stamm verfolgte, in den Strom
Geworfen. Jene kamen um; nur mich
Errettete die Menschlichkeit des Kaisers,
Der in dem Augenblick ans Ufer kam.
Er schalt die Graeuelthat und liess im Strom
Nach meinem jammervollen Leben fischen.
Schon halb entseelt werd' ich zum Strand gezogen;
Man ruft ins Leben mich zurueck; ich werde
Der Turandot als Sklavin uebergeben,
Zu gluecklich noch, das Leben als Geschenk
Von eines Feindes Grossmuth zu empfangen.
O, lebt in Eurem Busen menschliches Gefuehl,
So lasst mein Schicksal Euch zu Herzen gehn!
Denkt, was ich leide! Denkt, wie es ins Herz
Mir schneidet, sie, die meinen ganzen Stamm
Vertilgt, als eine Sklavin zu bedienen.

Kalaf. Mich jammert Euer Unglueck. Ja, Prinzessin,
Aufricht'ge Thraenen zoll' ich Eurem Leiden—
Doch Euer grausam Loos, nicht Turandot
Klagt an—Eu'r Bruder fiel durch eigne Schuld,
Euer Vater stuerzte sich und sein Geschlecht
Durch uebereilten Rathschluss ins Verderben.
Sagt, was kann ich, selbst ein Ungluecklicher,
Ein Ball der Schicksalsmaechte, fuer Euch thun?
Ersteig' ich morgen meiner Wuensche Gipfel,
So sollt Ihr frei und gluecklich sein—Doch jetzt
Kann Euer Unglueck nichts als meins vermehren.

Adelma. Der Unbekannten konntet Ihr misstrauen;
Ihr kennt mich nun—Der Fuerstin werdet Ihr,
Der Koenigstochter, glauben, was sie Euch
Ans Mitleid sagen muss und lieber noch
Aus Zaertlichkeit, aus Liebe sagen moechte.
—O, moechte dies befangne Herz mir trauen,
Wenn ich jetzt wider die Geliebte zeuge!

Kalaf. Adelma, sprecht, was habt Ihr mir zu sagen?

Adelma. Wisst also, Prinz—Doch nein, Ihr werdet glauben
Ich sei gekommen, Euch zu taeuschen, werdet
Mit jenen feilen Seelen mich verwechseln,
Die fuer das Sklavenjoch geboren sind.

Kalaf. Quaelt mich nicht laenger! Ich beschwoer' Euch, sprecht!
Was ist's? Was habt Ihr mir von ihr zu sagen,
Die meines Lebens einz'ge Goettin ist?

Adelma (bei Seite). Gib Himmel, dass ich jetzt ihn ueberrede!

(Zu Kalaf sich wendend.)

Prinz, diese Turandot, die schaendliche,
Herzlose, falsche, hat Befehl gegeben,
Euch heut am fruehen Morgen zu ermorden.
—Dies ist die Liebe Eurer Lebensgoettin!

Kalaf. Mich zu ermorden?

Adelma. Ja, Euch zu ermorden!
Beim ersten Schritt aus diesem Zimmer tauchen
Sich zwanzig Degenspitzen Euch ins Herz,
So hat es die Unmenschliche befohlen.

Kalaf (steht schnell auf und geht gegen die Thuere).
Ich will die Wache unterrichten.

Adelma (haelt ihn zurueck). Bleibt!
Wo wollt Ihr hin? Ihr hofft noch, Euch zu retten?
Ungluecklicher, Ihr wisst nicht, wo Ihr seid,
Dass Euch des Mordes Netze rings umgeben!
Dieselben Wachen, die der Kaiser Euch
Zu Huetern Eures Lebens gab, sie sind—
Gedingt von seiner Tochter, Euch zu toedten.

Kalaf (ausser sich, laut und heftig mit dem Ausdruck des
innigsten Leides).
O Timur! Timur! Ungluecksel'ger Vater!
So muss dein Kalaf endigen! Du musst
Nach Peckin kommen, auf sein Grab zu weinen!
Das ist der Trost, den dir dein Sohn versprach!
—Furchtbares Schicksal!

(Er verhuellt sein Gesicht, ganz seinem Schmerz hingegeben.)

Adelma (fuer sich, mit frohem Erstaunen). Kalaf! Timurs Sohn!
Gluecksel'ger Fund!—Fall' es nun, wie es wolle!
Entgeh' er meinen Schlingen auch, ich trage
Mit diesen Namen sein Geschick in Haenden.

Kalaf. So bin ich mitten unter den Soldaten,
Die man zum Schutz mir an die Seite gab,
Verrathen! Ach, wohl sagte mir's vorhin
Der feilen Sklaven einer, dass Bestechung
Und Furcht des Maechtigen das schwache Band
Der Treue loesen—Leben, fahre hin!
Vergeblich ist's, dem grausamen Gestirn,
Das uns verfolgt, zu widerstehn—Du sollst
Den Willen haben, Grausame—dein Aug
An meinem Blute weiden! Suesses Leben,
Fahr hin! Nicht zu entfliehen ist dem Schicksal.

Adelma (mit Feuer). Prinz, zum Entfliehen zeig' ich Euch die Wege,
Nicht muess'ge Thraenen bloss hab' ich fuer Euch.
Gewacht hab' ich indess, gesorgt, gehandelt,
Kein Gold gespart, die Hueter zu bestechen.
Der Weg ist offen. Folgt mir! Euch vom Tode,
Mich aus den Banden zu befreien, komm' ich.
Die Pferde warten, die Gefaehrten sind
Bereit. Lasst uns aus diesen Mauern fliehen,
Worauf der Fluch der Goetter liegt. Der Khan
Von Berlas ist mein Freund, ist mir durch Bande
Des Bluts verknuepft und heilige Vertraege.
Er wird uns schuetzen, seine Staaten oeffnen,
Uns Waffen leihen, meiner Vaeter Reich
Zurueck zu nehmen, dass ich mit Euch theile,
Wenn Ihr der Liebe Opfer nicht verschmaeht.
Verschmaeht Ihr's aber und verachtet mich,
So ist die Tartarei noch reich genug
An Fuerstentoechtern, dieser Turandot
An Schoenheit gleich und zaertlicher als sie.
Aus ihnen waehlt Euch eine wuerdige
Gemahlin aus! Ich—will mein Herz besiegen,
Nur rettet, rettet dieses theure Leben!

(Sie spricht das Folgende mit immer steigender Lebhaftigkeit, indem
sie ihn bei der Hand ergreift und mit sich fortzureissen sucht.)

O, kommt! Die Zeit entflieht, indem wir sprechen.
Die Haehne kraehn, schon regt sich's im Palast,
Todbringend steigt der Morgen schon herauf.
Fort, eh der Rettung Pforten sich verschliessen!

Kalaf. Grossmuethige Adelma! Einz'ge Freundin!
Wie schmerzt es mich, dass ich nach Berlas Euch
Nicht folgen, nicht der Freiheit suess Geschenk,
Nicht Euer vaeterliches Reich zurueck
Euch geben kann—Was wuerde Altoum
Zu dieser heimlichen Entweichung sagen?
Macht' ich nicht schaendlichen Verraths mich schuldig,
Wenn ich, des Gastrechts heilige Gebraeuche
Verletzend, aus dem innersten Serail
Die werthgehaltne Sklavin ihm entfuehrte?
—Mein Herz ist nicht mehr mein, Adelma. Selbst
Der Tod, den jene Stolze mir bereitet,
Wird mir willkommen sein von ihrer Hand.
—Flieht ohne mich, flieht, und geleiten Euch
Die Goetter! Ich erwarte hier mein Schicksal.
Noch troestlich ist's, fuer Turandot zu sterben,
Wenn ich nicht leben kann fuer sie—Lebt wohl!

Adelma. Sinnloser! Ihr beharrt? Ihr seid entschlossen?

Kalaf. Zu bleiben und den Mordstreich zu erwarten.

Adelma. Ha, Undankbarer! Nicht die Liebe ist's,
Die Euch zurueckhaelt—Ihr verachtet mich!
Ihr waehlt den Tod, um nur nicht mir zu folgen!
Verschmaehet meine Hand, verachtet mich;
Nur flieht, nur rettet, rettet Euer Leben!

Kalaf. Verschwendet Eure Worte nicht vergebens;
Ich bleibe und erwarte mein Geschick.

Adelma. So bleibet denn! Auch ich will Sklavin bleiben,
Ohn' Euch verschmaeh' ich auch der Freiheit Glueck.
Lass sehn, wer von uns beiden, wenn es gilt,
Dem Tode kuehner trotzt! (Von ihm wegtretend.)
Waer' ich die Erste,
Die durch Bestaendigkeit ans Ziel gelangte? (Fuer sich. Mit Accent.)
Kalaf! Sohn Timurs! (Verneigt sich spottend.)
Unbekannter Prinz!
Lebt wohl! (Geht ab.)

Kalaf (allein). Wird diese Schreckensnacht nicht enden?
Wer hat auf solcher Folter je gezittert?
Und endet sie, welch neues groessres Schreckniss
Bereitet mir der Tag! Aus welchen Haenden!
Hat meine edelmuethig treue Liebe
Solches um dich verdient, tyrannisch Herz!
—Wohlan! Den Himmel faerbt das Morgenroth,
Die Sonne steigt herauf, und allen Wesen
Bringt sie das Leben, mir bringt sie den Tod!
Geduld, mein Herz, dein Schicksal wird sich loesen!

 

Eilfter Auftritt.

Brigella. Kalaf.

Brigella. Der Divan wird versammelt, Herr. Die Stunde
Ist da. Macht Euch bereit!

Kalaf (misst ihn mit wilden, scheuen Blicken). Bist du das Werkzeug?
Wo hast du deinen Dolch versteckt? Mach's kurz!
Vollziehe die Befehle, die du hast!
Du raubst mir nichts, worauf ich Werth noch legte.

Brigella. Was fuer Befehle, Herr? Ich habe keinen
Befehl, als Euch zum Divan zu begleiten,
Wo Alles schon versammelt ist.

Kalaf (nach einigem Nachsinnen, resigniert). Lass uns denn gehn!
Ich weiss, dass ich den Divan lebend nicht
Erreichen werde—Sieh, ob ich dem Tod
Beherzt entgegen treten kann.

Brigella (sieht ihn erstaunt an).
Was Teufel schwatzt er da von Tod und Sterben?
Verwuenschtes Weibervolk! Sie haben ihn
In dieser ganzen Nacht nicht schlafen lassen;
Nun ist er gar im Kopf verrueckt!

Kalaf (wirft das Schwert auf den Boden). Da liegt
Mein Schwert. Ich will mich nicht zur Wehre setzen.
Die Grausame erfahre wenigstens,
Dass ich die unbeschuetzte Brust von selbst
Dem Streich des Todes dargeboten habe!

(Er geht ab und wird, sowie er hinaustritt, von kriegerischem
Spiel empfangen.)

Fuenfter Aufzug.

Die Scene ist die vom zweiten Aufzug.

Im Hintergrunde des Divans steht ein Altar mit einer chinesischen
Gottheit und zwei Priestern, welche nach Aufziehung eines Vorhangs
sichtbar werden.—Bei Eroeffnung des Akts sitzt Altoum auf seinem
Throne. Pantalon und Tartaglia stehen zu seinen beiden Seiten; die
acht Doktoren an ihrem Platze, die Wache unter dem Gewehre.

 

Erster Auftritt.

Altoum. Pantalon. Tartaglia. Doctoren. Wache. Gleich darauf Kalaf.

Kalaf (tritt mit einer stuermischen Bewegung in den Saal, voll
Argwohn hinter sich schauend. In der Mitte der Scene verbeugt
er sich gegen den Kaiser, dann fuer sich).
Wie? Ich bin lebend hier—Mit jedem Schritt
Erwartet' ich die zwanzig Schwerter in der Brust
Zu fuehlen, und, von Niemand angefallen,
Hab' ich den ganzen Weg znrueckgelegt?
So haette mir Adelma falsche Botschaft
Verkuendet—oder Turandot entdeckte
Die Namen, und mein Unglueck ist gewiss!

Altoum. Mein Sohn! ich sehe deinen Blick umwoelkt,
Dich quaelen Furcht und Zweifel—Fuerchte nichts mehr!
Bald werd' ich deine Stirn erheitert sehn,
In wenig Stunden endet deine Pruefung.
—Geheimnisse von freudenreichem Inhalt
Hab' ich fuer dich—Noch will ich sie im Busen
Verschliessen, theurer Juengling, bis dein Herz,
Der Freude offen, sie vernehmen kann.
—Doch merke dir: Nie kommt das Glueck allein;
Es folgt ihm stets, mit reicher Gaben Fuelle
Beladen, die Begleitung nach—Du bist
Mein Sohn, mein Eidam! Turandot ist dein!
Dreimal hat sie in dieser Nacht zu mir
Gesendet, mich beschworen und gefleht,
Sie von der furchtbarn Probe loszusprechen.
Daraus erkenne, ob du Ursach hast,
Sie mit getrostem Herzen zu erwarten.

Pantalon (zuversichtlich).
Das koennt Ihr, Hoheit! Auf mein Wort! Was das
Betrifft, damit hat's seine Richtigkeit.
Nehmt meinen Glueckwunsch an! Heut ist die Hochzeit.
Zweimal ward ich in dieser Nacht zu ihr
Geholt; sie hatt' es gar zu eilig; kaum
Liess sie mir Zeit, den Fuss in die Pantoffel
Zu stecken; ungefruehstueckt ging ich hin;
Es war so grimmig kalt, dass mir der Bart
Noch zittert—Aufschub sollt' ich ihr verschaffen,
Rath schaffen sollt' ich—bei der Majestaet
Fuersprach einlegen—Ja, was sollt' ich nicht!
's war mir ein rechtes Gaudium und Labsal,
Ich leugn' es nicht, sie desperat zu sehn.

Tartaglia. Ich ward um sechs Uhr zu ihr hin beschieden;
Der Tag brach eben an; sie hatte nicht
Geschlafen und sah aus wie eine Eule.
Wohl eine halbe Stunde bat sie mich,
Gab mir die schoensten Worte, doch umsonst!
Ich glaube gar, ich hab' ihr bittre Dinge
Gesagt vor Ungeduld und grimm'ger Kaelte.

Altoum. Seht, wie sie bis zum letzten Augenblick
Noch zaudert! Doch sie sperret sich umsonst.
Gemessene Befehle sind gegeben,
Dass sie durchaus im Divan muss erscheinen,
Und ist's mit Guete nicht, so ist's mit Zwang.
Sie selbst hat mich durch ihren Eigensinn
Berechtigt, diese Strenge zu gebrauchen.
Erfahre sie die Schande nun, die ich
Umsonst ihr sparen wollte—Freue dich,
Mein Sohn! Nun ist's an dir, zu triumphiren!

Kalaf. Ich dank' Euch, Sire. Mich freuen kann ich nicht.
Zu schmerzlich leid' ich selbst, dass der Geliebten
Um meinetwillen Zwang geschehen soll.
Viel lieber wollt' ich—Ach, ich koennte nicht!
Was waere Leben ohne sie?—Vielleicht
Gelingt es endlich meiner zaertlichen
Bewerbung, ihren Abscheu zu besiegen,
Ihn einst vielleicht in Liebe zu verwandeln.
Mein ganzes Wollen soll ihr Sklave sein,
Und all mein hoechstes Wuenschen ihre Liebe.
Wer eine Gunst bei mir erlangen will,
Wird keines andern Fuersprachs noethig haben,
Als eines Winks aus ihrem schoenen Aug.
Kein Nein aus meinem Munde soll sie kraenken,
Solang die Parze meinen Faden spinnt;
Soweit die Welle meines Lebens rinnt,
Soll sie mein einzig Traeumen sein und Denken!

Altoum. Auf denn! Man zoegre laenger nicht! Der Divan
Werde zum Tempel! Man erhebe den Altar!
Der Priester halte sich bereit! Sie soll
Bei ihrem Eintritt gleich ihr Schicksal lesen
Und soll erfahren, dass ich wollen kann,
Was ich ihr schwur.

(Der hintere Vorhang wird aufgezogen; man erblickt den chinesischen
Goetzen, den Altar und die Priester, Alles mit Kerzen beleuchtet.)

Man oeffne alle Pforten.
Das ganze Volk soll freien Eingang haben!
Zeit ist's, dass dieses undankbare Kind
Den tausendfachen Kummer uns bezahle,
Den sie auf unser greises Haupt gehaeuft.

(Man hoert einen lugubren Marsch mit gedaempften Trommeln. Bald
darauf zeigt sich Truffaldin mit Verschnittenen; hinter ihnen
die Sklavinnen, darauf Turandot, alle in schwarzen Floeren, die
Frauen in schwarzen Schleiern.)

Pantalon. Sie kommt! Sie kommt! Still! Welche Klagmusik!
Welch trauriges Gepraeng! Ein Hochzeitmarsch,
Der voellig einem Leichenzuge gleicht!

(Der Aufzug erfolgt ganz auf dieselbe Weise und mit denselben
Ceremonien wie im zweiten Akt.)

 

Zweiter Auftritt.

Vorige. Turandot. Adelma. Zelima. Ihre Sklavinnen und Verschnittenen.

Turandot (nachdem sie ihren Thron bestiegen, und eine allgemeine
Stille erfolgt, zu Kalaf.)
Dies Traurgepraenge, unbekannter Prinz,
Und dieser Schmerz, den mein Gefolge zeigt,
Ich weiss, ist Eurem Auge suesse Weide.
Ich sehe den Altar geschmueckt, den Priester
Zu meiner Trauung schon bereit, ich lese
Den Hohn in jedem Blick und moechte weinen.
Was Kunst und tiefe Wissenschaft nur immer
Vermochten, hab' ich angewandt, den Sieg
Euch zu entreissen, diesem Augenblick,
Der meinen Ruhm vernichtet, zu entziehen;
Doch endlich muss ich meinem Schicksal weichen.

Kalaf. O, laese Turandot in meinem Herzen,
Wie ihre Trauer meine Freude daempft,
Gewiss, es wuerde ihren Zorn entwaffnen.
War's ein Vergehn, nach solchem Gut zu streben,
Ein Frevel waer's, es zaghaft aufzugeben!

Altoum. Prinz, der Herablassung ist sie nicht werth.
An ihr ist's jetzo, sich herabzugeben!
Kann sie's mit edelm Anstand nicht, mag sie
Sich darein finden. wie sie kann—Man schreite
Zum Werk! Der Instrumente froher Schar
Verkuende laut—

Turandot. Gemach! Damit ist's noch zu frueh!

(Aufstehend und zu Kalaf sich wendend.)

Vollkommner konnte mein Triumph nicht sein,
Als dein getaeuschtes Herz in suesse Hoffnung
Erst einzuwiegen und mit einemmal
Nun in den Abgrund nieder dich zu schlendern.

(Langsam und mit erhobner Stimme.)

Hoer', Kalaf, Timurs Sohn, verlass den Divan!
Die beiden Namen hat mein Geist gefunden,
Such' eine andre Braut—Weh dir und Allen,
Die sich im Kampf mit Turandot versuchen!

Kalaf. O, ich Ungluecklicher!

Altoum. Ist's moeglich? Goetter!

Pantalon. Heil'ge Katharina! (Zu Tartaglia.)
Geht heim! Lasst Euch den Bart auszwicken, Doctor!

Tartaglia. Allerhoechster Tien! Mein Verstand steht still!

Kalaf. Alles verloren! Alle Hoffnung todt!
—Wer steht mir bei? Ach, mir kann Niemand helfen!
Ich bin mein eigner Moerder; meine Liebe
Verlier' ich, weil ich allzusehr geliebt!
—Warum hab' ich die Raethsel gestern nicht
Mit Fleiss verfehlt, so laege dieses Haupt
Jetzt ruhig in dem ew'gen Schlaf des Todes,
Und meine bange Seele haette Luft.
Warum, zu guet'ger Kaiser, musstet Ihr
Das Blutgesetz zu meinem Vortheil mildern,
Dass ich mit meinem Haupt dafuer bezahlte,
Wenn sie mein Raethsel aufgeloest—So waere
Ihr Sieg vollkommen und ihr Herz befriedigt!

(Ein unwilliges Gemurmel entsteht im Hintergrund.)

Altoum. Kalaf! Mein Alter unterliegt dem Schmerz;
Der unversehne Blitzstrahl schlaegt mich nieder.

Turandot (bei Seite zu Zelima).
Sein tiefer Jammer ruehrt mich, Zelima!
Ich weiss mein Herz nicht mehr vor ihm zu schuetzen.

Zelima (leise zu Turandot).
O, so ergebt Euch einmal! Macht ein Ende!
Ihr seht, Ihr hoert, das Volk wird ungeduldig!

Adelma (fuer sich). An diesem Augenblick haengt Tod und Leben!

Kalaf. Und braucht's denn des Gesetzes Schwert, ein Leben
Zu endigen, das laenger mir zu tragen
Unmoeglich ist? (Er tritt an den Thron der Turandot.)
Ja, Unversoehnliche!
Sieh hier den Kalaf, den du kennst—den du
Als einen namenlosen Fremdling hasstest,
Den du jetzt kennst und fortfaehrst zu verschmaehn!
Verlohnte sich's, ein Dasein zu verlaengern,
Das so ganz werthlos ist vor deinen Augen?
Du sollst befriedigt werden, Grausame.
Nicht laenger soll mein Anblick diese Sonne
Beleidigen—Zu deinen Fuessen—

(Er zieht einen Dolch und will sich durchstechen. In demselben
Augenblick macht Adelma eine Bewegung, ihn zurueck zu halten,
und Turandot stuerzt von ihrem Thron.)

Turandot (ihm in den Arm fallend, mit dem Ausdruck des Schreckens
und der Liebe).
Kalaf!

(Beide sehen einander mit unverwandten Blicken an und bleiben
eine Zeit lang unbeweglich in dieser Stellung.)

Altoum. Was seh' ich!

Kalaf (nach einer Pause). Du? Du hinderst meinen Tod?
Ist das dein Mitleid, dass ich leben soll,
Ein Leben ohne Hoffnung, ohne Liebe?
Meiner Verzweiflung denkst du zu gebieten?
—Hier endet deine Macht. Du kannst mich toedten;
Doch mich zum Leben zwingen kannst du nicht.
Lass mich, und wenn noch Mitleid in dir glimmt,
So zeig' es meinem jammervollen Vater.
Er ist zu Peckin, er bedarf des Trostes;
Denn auch des Alters letzte Stuetze noch,
Den theuren einz'gen Sohn raubt ihm das Schicksal.

(Er will sich toedten.)

Turandot (wirft sich ihm in die Arme).
Lebt, Kalaf! Leben sollt Ihr—und fuer mich!
Ich bin besiegt. Ich will mein Herz nicht mehr
Verbergen—Eile, Zelima, den beiden
Verlassenen, du kennst sie, Trost zu bringen,
Freiheit und Freude zu verkuenden—Eile!

Zelima. Ach, und wie gerne!

Adelma (fuer sich). Es ist Zeit, zu sterben.
Die Hoffnung ist verloren.

Kalaf. Traeum' ich, Goetter?

Turandot. Ich will mich keines Ruhms anmassen, Prinz,
Der mir nicht zukommt. Wisset denn, es wisse
Es alle Welt. Nicht meiner Wissenschaft,
Dem Zufall, Eurer eignen Uebereilung
Verdank' ich das Geheimniss Eures Namens.
Ihr selbst, Ihr liesset gegen meine Sklavin
Adelma beide Namen Euch entschluepfen.
Durch sie bin ich dazu gelangt—Ihr also habt
Gesiegt, nicht ich, und Euer ist der Preis.
—Doch nicht bloss, um Gerechtigkeit zu ueben
Und dem Gesetz genug zu thun—Nein, Prinz!
Um meinem eignen Herzen zu gehorchen,
Schenk' ich mich Euch—Ach, es war Euer, gleich
Im ersten Augenblick, da ich Euch sah!

Adelma. O nie gefuehlte Marter!

Kalaf (der diese ganze Zeit ueber wie ein Traeumender gestanden,
scheint jetzt erst zu sich selbst zu kommen und schliesst die
Prinzessin mit Entzueckung in seine Arme).
Ihr die Meine?
O, toedte mich nicht, Uebermass der Wonne!

Altoum. Die Goetter segnen dich, geliebte Tochter,
Dass du mein Alter endlich willst erfreun.
Verziehen sei dir jedes vor'ge Leid,
Der Augenblick heilt jede Herzenswunde.

Pantalon. Hochzeit! Hochzeit! Macht Platz, ihr Herrn Doctoren!

Tartaglia. Platz! Platz! Der Bund sei alsogleich beschworen!

Adelma. Ja, lebe, Grausamer, und lebe gluecklich
Mit ihr, die meine Seele hasst! (Zu Turandot.)
Ja, wisse,
Dass ich dich nie geliebt, dass ich dich hasse
Und nur aus Hass gehandelt, wie ich that.
Die Namen sagt' ich dir, um den Geliebten
Aus deinem Arm zu reissen und mit ihm,
Der meine Liebe war, eh du ihn sahst,
In gluecklichere Laender mich zu fluechten.
Noch diese Nacht, da ich zu deinem Dienst
Geschaeftig schien, versucht' ich alle Listen—
Selbst die Verleumdung spart' ich nicht—zur Flucht
Mit mir ihn zu bereden; doch umsonst!
In seinem Schmerz entschluepften ihm die Namen,
Und ich verrieth sie dir; du solltest siegen,
Verbannt von deinem Angesicht sollt' er
In meinen Arm sich werfen—Eitle Hoffnung!
Zu innig liebt' er dich und waehlte lieber,
Durch dich zu sterben, als fuer mich zu leben!
Verloren hab' ich alle meine Muehen;
Nur eins steht noch in meiner Macht. Ich stamme
Wie du von koeniglichem Blut und muss erroethen,
Dass ich so langte Sklavenfesseln trug.
In dir muss ich die blut'ge Feindin hassen.
Du hast mir Vater, Mutter, Brueder, Schwestern,
Mir Alles, was mir theuer war, geraubt,
Und nun auch den Geliebten raubst du mir.
So nimm auch noch die Letzte meines Stammes,
Mich selbst zum Raube hin—Ich will nicht leben!

(Sie hebt den Dolch, welchen Turandot dem Kalaf entrissen,
von der Erde auf.)
Verzweiflung zueckte diesen Dolch; er hat
Das Herz gefunden, das er spalten soll. (Sie will sich erstechen).

Kalaf (faellt ihr in den Arm).
Fasst Euch, Adelma!

Adelma. Lass mich, Undankbarer!
In ihrem Arm dich sehen? Nimmermehr!

Kalaf. Ihr sollt nicht sterben. Eurem gluecklichen
Verrathe dank' ich's, dass dies schoene Herz,
Dem Zwange feind, mich edelmuethig frei
Begluecken konnte—Guetiger Monarch,
Wenn meine heissen Bitten was vermoegen,
So habe sie die Freiheit zum Geschenk,
Und unsere Glueckes erstes Unterpfand
Sei eine Glueckliche!

Turandot. Auch ich, mein Vater,
Vereinige mein Bitten mit dem seinen.
Zu hassenswerth, ich fuehl' es, muss ich ihr
Erscheinen; mir verzeihen kann sie nie
Und koennte nie an mein Verzeihen glauben.
Sie werde frei, und ist ein groesser Glueck
Fuer sie noch uebrig, so gewaehrt es ihr.
Wir haben viele Thraenen fliessen machen
Und muessen eilen, Freude zu verbreiten.

Pantalon. Ums Himmelwillen, Sire, schreibt ihr den Laufpass,
So schnell Ihr koennt, und gebt ihr, wenn sie's fordert,
Ein ganzes Koenigreich noch auf den Weg.
Mir ist ganz weh und bang, dass unsre Freude
In Rauch aufgeht solang ein wuethend Weib
Sich unter einem Dach mit Euch befindet.

Altoum (zu Turandot).
An solchem Freudentag, den du mir schenkst,
Soll meine Milde keine Grenzen kennen.
Nicht bloss die Freiheit schenk' ich ihr. Sie nehme
Die vaeterlichen Staaten auch zurueck
Und theile sie mit einem wuerd'gen Gatten,
Der klug sei und den Maechtigen nicht reize.

Adelma. Sire—Koenigin—ich bin beschaemt, verwirrt,
So grosse Huld und Milde drueckt mich nieder.
Die Zeit vielleicht, die alle Wunden heilt,
Wird meinen Kummer lindern—Jetzt vergoennt mir
Zu schweigen und von eurem Angesicht
Zu gehn—Denn nur der Thraenen bin ich faehig,
Die unaufhaltsam diesem Aug entstroemen.

(Sie geht ab mit verhuelltem Gesicht, noch einen gluehenden
Blick auf Kalaf werfend, ehe sie scheidet.)

 

Letzter Auftritt.

Die Vorigen, ohne Adelma. Gegen das Ende Timur, Barak,
Skirina und Zelima.

Kalaf. Mein Vater, o, wo find' ich dich, wo bist du,
Dass ich die Fuelle meines Gluecks in deinen Busen
Ausgiesse?

Turandot (verlegen und beschaemt).
Kalaf, Euer edler Vater ist
Bei mir, ist hier—In diesem Augenblicke
Fuehlt er sein Glueck—Verlangt nicht mehr zu wissen,
Nicht ein Gestaendniss, das mich schamroth macht,
Vor allen diesen Zeugen zu vernehmen.

Altoum. Timur bei dir? Wo ist er?—Freue dich,
Mein Sohn. Dies Kaiserreich hast du gewonnen;
Auch dein verlornes Reich ist wieder dein.
Ermordet ist der grausame Tyrann,
Der dich beraubte! Deines Volkes Stimme
Ruft dich zurueck auf deiner Vaeter Thron,
Den dir ein treuer Diener aufbewahrt.
Durch alle Laender hat dich seine Botschaft
Gesucht, und selbst zu mir ist sie gedrungen.
—Dies Blatt enthaelt das Ende deines Ungluecks.

(Ueberreicht ihm einen Brief.)

Kalaf (wirft einen Blick hinein und steht eine Zeit lang in
sprachloser Ruehrung).
Goetter des Himmels! Mein Entzuecken ist
Droben bei euch, die Lippe ist versiegelt.

(In diesem Augenblick oeffnet sich der Saal. Timur und Barak
treten herein, von Zelima und ihrer Mutter begleitet. Wie Kalaf
seinen Vater erblickt, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen
entgegen. Barak sinkt zu Kalafs Fuessen, indem sich Zelima und
ihre Mutter vor der Turandot niederwerfen, welche sie guetig
aufhebt. Altoum, Pantalon und Tartaglia stehen geruehrt. Unter
diesen Bewegungen faellt der Vorhang.)

Friedrich Schiller - Kassandra

Den Giorgio kennst du, aber was ist mit diesem Giorgio ?

 

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