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Käßmann – Schluss mit dem Verständnis

Einerseits bin ich traurig, daß Frau Dr. Käßmann ihre Ämter niedergelegt hat, andererseits finde ich den Schritt absolut richtig.
Jetzt stöbere ich schon die ganze Zeit durch die verfügbaren Artikel der Tagespresse, und habe endlich einen Artikel gefunden, der mir aus der Seele spricht, und den ich unterschreiben würde. Stefan Weigel von der Financial Times Deutschland hat ihn geschrieben – und ich möchte Euch hier im Blog eine Kopie davon hereinkopieren.
Herzliche Grüße, Susanne

Artikel von Stefan Weigel in der FTD

Käßmanns Trunkenheitsfahrt – Schluss mit dem Verständnis!
Kommentar
Man kann viele Fehler verzeihen. Sogar wenn Bischöfe betrunken Auto fahren. Aber wir sollten endlich wieder den Mut haben, falsches Verhalten auch öffentlich zu ächten. von Stefan Weigel
Sie ist zurückgetreten. Gott sei Dank! Margot Käßmann, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat nach ihrer Trunkenheitsfahrt ihre Ämter als EKD-Ratsvorsitzende und als hannoversche Landesbischöfin niedergelegt. Der Schritt der Vorsitzenden kommt zügig, ist klar, nachvollziehbar und verdient Respekt. Was weniger Respekt verdient, ist allerdings die Haltung der evangelischen Kirche in diesem Fall. “In ungeteiltem Vertrauen überlässt der Rat seiner Vorsitzenden die Entscheidung über den Weg, der dann gemeinsam eingeschlagen werden soll”, ließ der Rat der Evangelischen Kirche verlauten. Man stelle sich einmütig hinter Frau Käßmann. Einmütig? Hinter Frau Käßmann? Darf ich mal fragen, warum? Weil man da die Fahne nicht so riecht?
Liebe Ratsmitglieder der evangelischen Kirche, ich will Euch mal eines sagen: Ich habe einen Sohn, der in wenigen Wochen konfirmiert wird. Einen 13-jährigen Jungen, der sich wie viele Kinder seines Alters manchmal älter fühlt, als er ist, und der manchmal fragt, ob er nicht wie viele Kinder seines Alters endlich auch mal ein Bier trinken darf. Bis jetzt habe ich dieses Ansinnen immer abschlägig beschieden – mit recht guten Argumenten, wie ich finde. Bislang hat er das auch immer verstanden und akzeptiert, vermutlich auch, weil er im tiefsten Innern seines Herzens weiß, dass es falsch ist, wenn ein 13-Jähriger Bier trinkt. Er lernt ja auch gerade im Konfirmandenunterricht, wie man richtiges von falschem Verhalten unterscheidet.

So weit, so gut. Aber jetzt kommt Eure Chefin um die Kurve. Eine Bischöfin der evangelischen Kirche gießt sich abends schön einen auf die Lampe, steigt dann ins Auto und donnert besoffen bei Rot über die Ampel. Ein Verhalten, das selbst jemand als falsch erkennen kann, der nicht zwölf Semester Theologie studiert hat, sogar jemand, der nicht den Konfirmandenunterricht besucht.

Und was macht Ihr, liebe Ratsmitglieder? Ihr sagt nicht, dass Frau Käßmann als Vorbild nicht mehr tragbar ist. Ihr fordert sie nicht auf, schleunigst zurückzutreten. Zumindest tut Ihr das nicht öffentlich. Ihr stellt Euch stattdessen hinter sie und sprecht Ihr Euer ungeteiltes Vertrauen aus. Klar. Schließlich kann jeder mal einen Fehler machen. Stimmt ja auch. Das darf jeder. Aber mal unter uns, liebe Ratsmitglieder, Ihr dürft ausnahmsweise ruhig sagen, wenn Ihr etwas richtig mies findet. Das würde man Kirchenvertretern zur Not mal durchgehen lassen. Es soll sogar Menschen geben, die genau das von Euch erwarten. Vielleicht wolltet Ihr Frau Käßmann die Gelegenheit geben, gesichtswahrend aus freien Stücken zurückzutreten. Das wäre immerhin ein ehrenwertes Motiv.
Aber ganz ehrlich, das müsst Ihr nicht. Ihr seid nämlich kein Sportverband, der verbrämt die sexuellen Eskapaden seiner Angestellten erklären muss, und Ihr seid auch kein Unternehmen, das der Öffentlichkeit die Steuerhinterziehung des eigenen Vorstandsvorsitzenden möglichst so zu verkaufen hat, dass die Firma keinen Imageschaden erleidet. Ihr seid, na klingelt’s, eine Kirche. Und es wäre schön, wenn Ihr Euch auch so benehmen würdet.
Denn irgendwann fängt dieses Land an zu verrotten, weil ständig jeder für alles Verständnis hat. Für die armen katholischen Priester, die ja durch den Zölibat geradezu gezwungen sind, sich an Kindern zu vergehen; für den deutschen Mittelstand, den die Steuerpolitik quasi nach Liechtenstein treibt, oder für die Millionen von Hartz-IV-Empfängern, die durch staatliche Willkür und das ungerechte Sozialhilfesystem gleichsam von regelmäßiger Arbeit ferngehalten werden. Und vermutlich kommt demnächst auch noch jemand auf die Idee, den armen Polier in Schutz zu nehmen, der die Eisenteile, die eigentlich die Kölner U-Bahntunnel vor dem Einsturz sichern sollten, an einen Schrotthändler verkauft hat. Kann man verstehen, bei den saumäßigen Löhnen, die auf dem Bau gezahlt werden. Der Mann muss ja sicher auch eine Familie durchbringen. Kann man alles verstehen, wer will schließlich den ersten Stein werfen?
Natürlich leisten wir alle selbst einen erheblichen Beitrag zu diesem Prozess, weil wir im privaten Umfeld falsches Verhalten tolerieren: Wir haben Verständnis, wenn unsere Freunde nach der Party betrunken mit dem Auto nach Hause fahren, ist schließlich nicht mehr so viel los auf der Straße um die Zeit; wenn der Schwiegervater das Ferienhaus auf Mallorca bar bezahlt, der zahlt ohnehin den Spitzensteuersatz; wenn der Nachbar beim Einkommensnachweis ein bisschen mogelt, damit die Kindergartengebühr nicht so hoch ist, denn Eltern mit Kindern sind gestraft genug, oder wenn der Kollege in Frührente geht, obwohl er durchaus noch arbeiten könnte, weil der in seinem Leben weiß Gott genug geschuftet hat.
Für alles haben wir Verständnis. Manches machen wir sogar selbst. Macht schließlich jeder. Menschlich verständlich – aber trotzdem falsch. Wir sollten endlich damit anfangen, falsches Verhalten auch offen zu ächten. Man darf Fehler verzeihen. Aber Voraussetzung dafür ist, dass wir Fehler auch Fehler nennen. Und zwar offen. Und es wäre schön, liebe Kirchenvertreter, wenn Ihr uns dazu ermutigen würdet. Am besten, indem Ihr mit gutem Beispiel vorangeht.

ENDE

Bischöfin Dr. Käßmann zurückgetreten

Liebe Frau Dr. Käßmann, meine Hochachtung, das war eine sehr gute und konsequente Entscheidung.

Mit folgenden Worten kommentierten Sie Ihren Rücktritt:

Am vergangenen Samstagabend habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch wenn ich ihn bereue, und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigterweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, kann und will ich nicht darüber hinweg sehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind. Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so wie ich sie hatte. Die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird.

Einer meiner Ratgeber hat mir gestern ein Wort von Jesus Sirach mit auf den Weg gegeben: „Bleibe bei dem, was dir dein Herz rät“ (37,17). Und mein Herz sagt mir ganz klar: Ich kann nicht mit der notwendigen Autorität im Amt bleiben. So manches, was ich lese, ist mit der Würde dieses Amtes nicht vereinbar. Aber mir geht es neben dem Amt auch um Respekt und Achtung vor mir selbst und um meine Gradlinigkeit, die mir viel bedeutet.

Hiermit erkläre ich, dass ich mit sofortiger Wirkung von allen meinen kirchlichen Ämtern zurücktrete. Ich war mehr als 10 Jahre mit Leib und Seele Bischöfin und habe all meine Kraft in diese Aufgabe gegeben. Ich bleibe Pastorin der hannoverschen Landeskirche. Ich habe 25 Jahre nach meiner Ordination vielfältige Erfahrungen gesammelt, die ich gern an anderer Stelle einbringen werde.

Es tut mir Leid, dass ich viele enttäusche, die mich gebeten haben, im Amt zu bleiben, ja die mich vertrauensvoll in diese Ämter gewählt haben. Ich danke allen Menschen, die mich so wunderbar getragen und gestützt haben, für alle Grüße und Blumen, die meiner Seele sehr gut getan haben in diesen Tagen. Dem Rat der EKD danke ich sehr, dass er mir gestern Abend deutlich sein Vertrauen ausgesprochen hat.

Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der hannoverschen Landeskirche und in der EKD, die mich haupt- und ehrenamtlich unterstützt haben. Insbesondere danke ich meinem engsten Team, das mir in manchem Sturm die Treue gehalten hat. Ich danke allen Freundinnen und Freunden, allen guten Ratgebern. Und ich danke meinen vier Töchtern, dass sie meine Entscheidung so klar und deutlich mittragen und heute hier sind.

Zuletzt: Ich weiß aus vorangegangenen Krisen: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Für diese Glaubensüberzeugung bin ich auch heute dankbar.