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Simplicissimus

Inhaltsverzeichnis - Das erste Buch - Das zweite Buch - Das dritte Buch - Das vierte Buch - Das fünfte Buch - CONTINUATIO

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch - DAS VIERTE BUCH


Das 1. Kapitel:
Wie und aus was Ursachen der Jäger nach Frankreich praktiziert worden

Das 2. Kapitel:
Simplicius bekommt einen bessern Kostherrn als er zuvor einen gehabt

Das 3. Kapitel:
Wie er sich für einen Komödianten gebrauchen läßt, und einen neuen Namen bekommt

Das 4. Kapitel:
Beau Alman wird wider seinen Willen in den Venusberg geführt

Das 5. Kapitel:
Wie es ihm darinnen erging, und wie er wieder herauskam

Das 6. Kapitel:
Simplicius macht sich heimlich weg, und wie ihm der Stein geschnitten wird, als er vermeint, er habe mal de Nable

Das 7. Kapitel:
Wie Simplicius Kalender macht, und als ihm das Wasser ans Maul ging schwimmen lernte

Das 8. Kapitel:
Wie er ein landfahrender Storcher und Leutbetrüger worden

Das 9. Kapitel:
Wie dem Doktor die Muskete zuschlägt unter dem Hauptmann Schmalhansen

Das 10. Kapitel:
Simplicius überstehet ein unlustig Bad im Rhein

Das 11. Kapitel:
Warum die Geistlichen keine Hasen essen sollen, die mit Stricken gefangen worden

Das 12. Kapitel:
Simplicius wird unverhofft von der Muskete erlöst

Das 13. Kapitel:
Handelt von dem Orden der Merode-Brüder

Das 14. Kapitel:
Ein gefährlicher Zweikampf um Leib und Leben, in welchem doch jeder dem Tod entrinnet

Das 15. Kapitel:
Wie Olivier seine buschklöpferischen Übeltaten noch wohl zu entschuldigen vermeinte

Das 16. Kapitel:
Wie er Herzbruders Weissagung zu seinem Vorteil auslegt und deswegen seinen ärgsten Feind liebet

Das 17. Kapitel:
Simplicii Gedanken sind andächtiger, wenn er auf die Rauberei gehet, als des Oliviers in der Kirchen

Das 18. Kapitel:
Olivier erzählt sein Herkommen, und wie er sich in seiner Jugend, vornehmlich aber in der Schul gehalten

Das 19. Kapitel:
Wie er zu Lüttich studiert, und sich daselbst gehalten habe

Das 20. Kapitel:
Heimkunft und Abschied des ehrbaren Studiosi, und wie er im Krieg seine Beförderung gesucht

Das 21. Kapitel:
Wie des Herzbruders Prophezei Simplicius dem Olivier erfüllt, als keiner den andern kannte

Das 22. Kapitel:
Wie es einem gehet, und was es sei, wenn es ihm hund- oder katzenübel geht

Das 23. Kapitel:
Ein Stücklein, zum Exempel desjenigen Handwerks, das Olivier trieb, worin er ein Meister war und Simplicius ein Lehrjung sein sollte

Das 24. Kapitel:
Olivier beißt ins Gras, und nimmt noch ihrer sechs mit sich

Das 25. Kapitel:
Simplicius kommt reich davon, hingegen zieht Herzbruder sehr elend auf

Das 26. Kapitel:
Ist das letzte in diesem vierten Buch, weil keines mehr hernach folget

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Das 1. Kapitel

Wie und aus was Ursachen der Jäger nach Frankreich praktiziert worden

Allzuscharf macht schartig, und wenn man den Bogen überspannet, so muß er endlich zerbrechen; der Poß, den ich meinem Kostherrn mit dem Hasen riß, war mir nicht genug, sondern ich unterstund noch mehr seinen unersättlichen Geiz zu strafen, ich lehrete seine Kostgänger, wie sie die versalzene Butter wässern und dadurch das überflüssige Salz herausziehen, die harten Käs aber, wie die Parmesaner, schaben und mit Wein anfeuchten sollten, welches dem Geizhals lauter Stich ins Herz waren; ich zog durch meine Kunststück über Tisch das Wasser aus dem Wein und machte ein Lied, in welchem ich den Geizigen einer Sau verglich, von welcher man nichts Guts zu hoffen, bis sie der Metzger tot auf dem Schragen liegen hätte. Damit verursachte ich, daß er mich mit folgender Untreu wieder brav bezahlte, weil ich solche Sachen in seinem Haus zu üben nicht bestellt war.
Die zween jungen von Adel bekamen einen Wechsel, und Befehl von ihren Eltern, sich nach Frankreich zu begeben und die Sprach zu lernen, eben als unsers Kostherrn teutscher Knecht anderwärts auf der Reis war, und dem welschen (sagt' unser Kostherr) dürfte er die Pferd in Frankreich nicht vertrauen, weil er ihn noch nit recht kennete, denn er besorgte, wie er vorgab, er möchte das Wiederkommen vergessen und ihn um die Pferd bringen; bat mich derowegen, ob ich ihm nicht den großen Dienst tun und beide Edelleut mit seinen Pferden, weil ohnedas meine Sach in vier Wochen noch nicht erörtert werden könnte, nach Paris führen wollte? Er hingegen wollte indessen meine Geschäfte, wenn ich ihm deswegen vollkommene Gewalt geben würde, so getreulich befördern, als ob ich persönlich gegenwärtig wäre. Die von Adel ersuchten mich deswegen auch, und mein eigener Vorwitz, Frankreich zu besehen, riet mir solches gleichfalls, weil ichs jetzt ohne sondern Unkosten tun konnte und ich ohnedas die vier Wochen auf der faulen Bärnhaut daliegen und noch Geld dazu verzehren müßte: Also machte ich mich mit diesen Edelleuten anstatt eines Postillions auf den Weg, auf welchem mir nichts Merkwürdiges zuhanden stieß: Da wir aber nach Paris kamen und bei unsers Kostherrn Korrespondenten, bei dem die Edelleut auch ihren Wechsel empfingen, einkehrten, wurde ich den andern Tag nit allein mit den Pferden arrestiert, sondern derjenige, so vorgab, mein Kostherr wäre ihm ein Summa Gelds zu tun schuldig, griff mit Gutheißung desselben Viertel-Commissarii zu und versilberte die Pferd, Gott geb, was ich dazu sagte; also saß ich da, wie Matz von Dresden, und wußte mir selbst nicht zu helfen, viel weniger zu raten, wie ich einen so weiten und damals sehr unsichern Weg wieder zurückkommen sollte. Die von Adel bezeugten ein groß Mitleiden mit mir und verehrten mich desto ehrlicher mit einem guten Trinkgeld, wollten mich auch nicht ehender von sich lassen, bis ich entweder einen guten Herrn oder eine gute Gelegenheit hätte, wieder nach Teutschland zu kommen: Sie dingten sich ein Losament, und ich hielt mich etlich Tag bei ihnen auf, damit ich dem einen, so wegen der fernen Reis, deren er nicht gewohnt, etwas unpäßlich worden, aufwartete. Und demnach ich mich so fein anließ, schenkt' er mir sein Kleid, so er ablegte, dann er sich auf die neue Mode kleiden ließ. Ihr Rat war, ich sollte nur immer ein paar Jahr in Paris bleiben und die Sprach lernen; das ich zu Köln zu holen hätte, würde mir nicht entlaufen. Da ich nun so in der Wahl stund und noch zweifelte, was ich tun wollte, hörte mich einsmals der Medicus, so meinen kranken Junker zu kurieren alle Tag zu uns kam, auf der Lauten schlagen und ein teutsch Liedlein darein singen, das ihm so wohl gefiel, daß er mir ein gute Bestallung anbot samt seinem Tisch, da ich mich zu ihm begeben und seine zween Söhn unterrichten wollte, denn er wußte schon besser wie mein Handel stund als ich selbst und daß ich einen guten Herrn nit ausschlagen würde: Also wurden wir des Handels miteinander bald eins, weil beide Edelleute das Beste dazu redeten und mich trefflich rekommendierten, ich verdingte mich aber nit länger als von einem Vierteljahr zum andern.
Dieser Doktor redte so gut teutsch als ich und das Italienisch wie seine Muttersprach, derhalben versprach ich mich desto lieber zu ihm. Als ich nun die Letze zehrte mit meinen Edelleuten, war er auch dabei, und mir gingen üble Grillen im Kopf herum, denn da lag mir mein frischgenommen Weib, mein versprochen Fähnlein und mein Schatz zu Köln im Sinn, von welchem allen ich mich so leichtfertig hinwegzubegeben bereden lassen, und da wir von unsers gewesenen Kostherrn Geiz zu reden kamen, fiel mir zu, und ich sagte auch über Tisch: "Wer weiß, ob vielleicht unser Kostherr mich nicht mit Fleiß hieher praktiziert, damit er das Meinig zu Köln erheben und behalten möge." Der Doktor antwort, das könne wohl sein, vornehmlich wenn er glaube, daß ich ein Kerl von geringem Herkommen sei. "Nein", antwort der eine Edelmann, "wenn er zu solchem End hiehergeschickt worden ist, daß er hier bleiben sollte, so ists darum geschehen, weil er ihm seines Geizes wegen so viel Drangsal antat." Der Kranke fing an: "Ich glaub aber ein andere Ursach; Als ich neulich in meiner Kammer stund und unser Kostherr mit seinem Welschen ein laut Gespräch hielt, horchte ich, warums doch zu tun sein möchte? und vernahm endlich aus des Welschen geradbrechten Worten: Der Jäger verfuchsschwänzte ihn bei der Frauen und sage, er warte der Pferd nicht recht! Welches aber der eifersüchtige Gauch wegen seiner üblen Redkunst unrecht und auf etwas Unehrlichs verstund und derowegen dem Welschen zusprach, er sollte nur bleiben, der Jäger müsse bald hinweg. Er hat auch seither sein Weib scheel angesehen und mit ihr viel ernstlicher gekollert als zuvor, so ich an dem Narrn mit Fleiß in acht genommen."
Der Doktor sagte: "Es sei geschehen aus was für einer Ursach es wolle, so laß ich wohl gelten, daß die Sach so angestellt worden, daß Er hier bleiben muß; Er lasse sich aber das nicht irren, ich will Ihm schon wieder mit guter Gelegenheit nach Teutschland verhelfen, Er schreibe ihm nur, daß er den Schatz wohl beobachte, sonst werde er scharfe Rechenschaft darum geben müssen. Dies gibt mir einen Argwohn, daß es ein angestellter Handel sei, weil derjenige, so sich für den Kreditor dargeben, Euers Kostherrn und seines hiesigen Korrespondenten sehr guter Freund ist, und ich will glauben, daß Ihr die Obligation, kraft deren er die Pferd angepackt und verkauft hat, jetzt erst mit Euch gebracht habt."

Das 2. Kapitel

Simplicius bekommt einen bessern Kostherrn als er zuvor einen gehabt

Monsigneur Canard, so hieß mein neuer Herr, erbot sich, mir mit Rat und Tat beholfen zu sein, damit ich des Meinigen zu Köln nicht verlustigt würde, denn er sah wohl, daß ich traurig war. Sobald er mich in seine Wohnung brachte, begehrte er, ich wollte ihm erzählen, wie meine Sachen beschaffen wären, damit er sich drein finden und Ratschläg ersinnen könnte, wie mir am besten zu helfen sei. Ich gedachte wohl, daß ich nicht viel gülte, wenn ich mein Herkommen öffnen sollte, gab mich derhalben für einen armen teutschen Edelmann aus, der weder Vater noch Mutter, sondern nur noch etliche Verwandte in einer Festung hätte, darin schwedische Garnison läge. Welches ich aber vor meinem Kostherrn und beiden von Adel, als welche kaiserliche Partei hielten, verborgen halten müssen, damit sie das Meinige, als ein Gut so dem Feind zuständig, nit an sich zögen: Meine Meinung wäre, ich wollte an den Kommandanten bemeldter Festung schreiben, als unter dessen Regiment ich die Stell eines Fähnrichs hätte, und ihn nicht allein berichten, wasgestalten ich hieher praktiziert worden, sondern ihn auch bitten, daß er belieben wollte, sich des Meinigen habhaft zu machen, und solches bis ich wieder Gelegenheit kriege, zum Regiment zu kommen, indessen meinen Freunden zuzustellen. Canard befand mein Vorhaben ratsam und versprach mir, die Schreiben an ihren Ort zu bestellen, und sollten sie gleich nach Mexico oder in China lauten. Demnach verfertigte ich Schreiben an meine Liebste, an meinen Schwährvater und an den Obristen de S. A. Kommandanten in L., an welchen ich auch das Copert richtete und ihm die übrigen beiden beischloß: Der Inhalt war, daß ich mit ehestem mich wieder einstellen wollte, da ich nur Mittel an die Hand kriegte, ein so weite Reis zu vollenden, und bat beides meinen Schwäher und den Obristen, daß sie vermittels der Militiae das Meinige zu bekommen unterstehen wollten, ehe Gras darüber wachse, berichtete daneben, wieviel es an Gold, Silber und Kleinodien sei. Solche Brief verfertigte ich in duplo, ein Teil bestellt' Mons. Canard, das ander gab ich auf die Post, damit wenn irgend das eine nicht überkäme, jedoch das ander einliefe. Also wurde ich wieder fröhlich und instruierte meines Herrn zween Söhn desto leichter, die als junge Prinzen erzogen wurden, denn weil Mons. Canard sehr reich, also war er auch überaus hoffärtig und wollte sich sehen lassen; welche Krankheit er von großen Herren an sich genommen, weil er gleichsam täglich mit Fürsten umging und ihnen alles nachäffte; sein Haus war wie eines Grafen Hofhaltung, in welcher kein anderer Mangel erschien, als daß man ihn nit auch einen gnädigen Herrn nennete, und seine Imagination war so groß, daß er auch einem Marquis, da ihn etwa einer zu besuchen kam, nicht höher als seinesgleichen traktierte; er teilte zwar geringen Leuten auch von seinen Mitteln mit, er nahm aber kein gering Geld, sondern schenkte ihnen eher ihre Schuldigkeit, damit er einen großen Namen haben möchte. Weil ich ziemlich kurios war und wußte, daß er mit meiner Person prangte, wenn ich neben andern Dienern hinter ihm hertrat und er Kranke besuchte, also half ich ihm auch stets in seinem Laboratorio arzneien, davon wurde ich ziemlich gemein mit ihm, wie er denn ohnedas die teutsche Sprach gern redete, sagte derowegen einsmals zu ihm: Warum er sich nit von seinem adeligen Sitz schreibe, den er neulich nahend Paris um 20 000 Kronen gekauft hätte? item, warum er lauter Doctores aus seinen Söhnen zu machen gedenke und sie so streng studieren lasse, ob nicht besser wäre, daß er ihnen (indem er doch den Adel schon hätte) wie andere Kavalier irgends Ämter kaufe und sie also vollkommen in den adeligen Stand treten lasse? "Nein", antwortet' er, "wenn ich zu einem Fürsten komme, so heißts: ›Herr Doktor, Er setze sich nieder‹; zum Edelmann aber wird gesagt: ›Wart auf!‹" Ich sagte: "Weiß aber der Herr Doktor nicht, daß ein Arzt dreierlei Angesichter hat, das erste eines Engels, wenn ihn der Kranke ansichtig wird, das ander eines Gottes, wenn er hilft, das dritte eines Teufels, wenn man gesund ist und ihn wieder abschafft: Also währt solche Ehr nicht länger, als solang dem Kranken der Wind im Leib herumgehet, wenn er aber hinaus ist und das Rumpeln aufhöret, so hat die Ehr ein End und heißts alsdann auch: ›Doktor, vor der Tür ists dein!‹ Hat demnach der Edelmann mehr Ehr von seinem Stehen als ein Doktor von seinem Sitzen, weil er nämlich seinem Prinzen beständig aufwartet und die Ehr hat, niemals von seiner Seiten zu kommen; der Herr Doktor hat neulich etwas von einem Fürsten in Mund genommen und demselben seinen Geschmack abgewinnen müssen, ich wollte lieber zehen Jahr stehen und aufwerten, ehe ich eines andern Kot versuchen wollte, und wenn man mich gleich auf lauter Rosen setzen wollte." Er antwortet': "Das mußte ich nicht tun, sondern tats gern, damit, wenn der Fürst sähe, wie sauer michs ankäme, seinen Zustand recht zu erkundigen, meine Verehrung desto größer würde; und warum wollte ich dessen Kot nit versuchen, der mir etlich hundert Pistoln dafür zu Lohn gibt, ich aber hingegen ihm nichts gebe, wenn er noch gar was anders von mir muß fressen? Ihr redet von der Sach wie ein Teutscher, wenn Ihr aber einer andern Nation wäret, so wollte ich sagen, Ihr hättet davon geredt wie ein Narr!" Mit dieser Sentenz nahm ich vorlieb, weil ich sah, daß er sich erzürnen wollte, und damit ich ihn wieder auf ein gute Laun brächte, bat ich, er wollte meiner Einfalt etwas zugut halten, und brachte etwas Annehmlichers auf die Bahn.

Das 3. Kapitel

Wie er sich für einen Komödianten gebrauchen läßt, und einen neuen Namen bekommt

Gleichwie Mons. Canard mehr Wildbret hinwegzuwerfen, als mancher zu fressen hat, der ein eigene Wildbahn vermag, und ihm mehr Zahmes verehrt wurde, als er und die Seinigen verzehren konnten; also hatte er täglich viel Schmarotzer, so daß es ihm gleichsah, als ob er ein freie Tafel gehalten hätte: Einsmals besuchten ihn des Königs Zeremonienmeister und andere vornehme Personen vom Hof, denen er ein fürstliche Kollation darstellete, weil er wohl wußte wen er zum Freund behalten sollte, nämlich diejenigen, so stets um den König waren oder sonst bei demselben wohl stunden; damit er nun denselben den allergeneigtesten Willen erzeige und ihnen alle Lust machen möchte, begehrte er, ich wollte ihm zu Ehren und der ansehenlichen Gesellschaft zu Gefallen ein teutsch Liedlein in meine Laute hören lassen; ich folgte gern, weil ich eben in Laun war, wie denn die Musici gemeiniglich seltsame Grillenfänger sind; befliß mich derhalben das beste Geschirr zu machen, und contentierte demnach die Anwesenden so wohl, daß der Zeremonienmeister sagte: Es wäre immer schad, daß ich nit die französische Sprach könnte, er wollte mich sonst trefflich wohl beim König und der Königin anbringen; mein Herr aber, so besorgte, ich möchte ihm aus seinen Diensten entzuckt werden, antwortet' ihm, daß ich einer von Adel sei und nit lang in Frankreich zu verbleiben gedächte, würde mich demnach schwerlich für einen Musikanten gebrauchen lassen. Darauf sagte der Zeremonienmeister, daß er sein Tag nit ein so seltene Schönheit, ein so klare Stimm und ein so künstlichen Lautenisten an einer Person gefunden, es sollte ehest vorm König im Louvre eine Comoedia gespielt werden, wenn er mich dazu gebrauchen könnte, so verhoffte er große Ehr mit mir einzulegen; das hielt mir Mons. Canard vor, ich antwortet ihm: "Wenn man mir sagt', was für eine Person ich präsentieren und was für Lieder ich in meine Lauten singen sollte, so könnte ich ja beides die Melodeien und Lieder auswendig lernen und solche in meine Laute singen, wenn sie schon in französischer Sprach wären, es möchte ja leicht mein Verstand so gut sein als eines Schülerknaben, die man hierzu auch zu gebrauchen pflege, unangesehen sie erst beides Wort und Gebärden lernen müßten." Als mich der Zeremonienmeister so willig sah, mußte ich ihm versprechen, den andern Tag ins Louvre zu kommen, um zu probiern, ob ich mich dazu schickte; also stellte ich mich auf die bestimmte Zeit ein, die Melodeien der unterschiedlichen Lieder, so ich zu singen hatte, schlug ich gleich perfekt auf dem Instrument, weil ich das Tabulaturbuch vor mir hatte, empfing demnach die französischen Lieder, solche auswendig und die Aussprach recht zu lernen, welche mir zugleich verteutscht wurden, damit ich mich mit den Gebärden danach richten könnte; solches kam mich gar nicht schwer an, also daß ichs eher konnte, als sichs jemand versah, und zwar dergestalt, wenn man mich singen hörte (maßen mir Monsig. Canard das Lob gab), daß der Tausendste geschworen hätte, ich wäre ein geborner Franzos. Und da wir die Comoedia zu probieren das erstemal zusammenkamen, wußte ich mich so kläglich mit meinen Liedern, Melodeien und Gebärden zu stellen, daß sie alle glaubten, ich hätte des Orphei Person mehr agiert, als den ich damals präsentieren und mich um meine Eurydike so übel gehaben mußte. Ich hab die Tag meines Lebens keinen so angenehmen Tag gehabt, als mir derjenige war, an welchem diese Comoedia gespielt wurde: Mons. Canard gab mir etwas ein, meine Stimm desto klarer zu machen, und da er meine Schönheit mit Oleo Talci erhöhern und meine halbkrausen Haar, die von Schwärze glitzerten, verpudern wollte, fand er, daß er mich nur damit verstellte, ich wurde mit einem Lorbeerkranz bekrönet und in ein antikisch meergrün Kleid angetan, in welchem man mir den ganzen Hals, das Oberteil der Brust, die Arm bis hinter die Ellenbogen und die Knie von den halben Schenkeln an bis auf die halben Waden nackend und bloß sehen konnte, um solches schlug ich einen leibfarbenen taffeten Mantel, der sich mehr einem Feldzeichen verglich: in solchem Kleid löffelt ich um meine Eurydike, rief die Venus mit einem schönen Liedlein um Beistand an und brachte endlich meine Liebste davon, in welchem Actu ich mich trefflich zu stellen und meine Liebste mit Seufzern und spielenden Augen anzublicken wußte. Nachdem ich aber meine Eurydiken verloren, zog ich ein ganz schwarzes Habit an auf die vorige Mode gemacht, aus welchem meine weiße Haut hervorschien wie der Schnee; in solchem beklagte ich meine verlorne Gemahlin und bildete mir die Sach so erbärmlich ein, daß mir mitten in meinen traurigen Liedern und Melodeien die Tränen herausrücken und das Weinen dem Singen den Paß verlegen wollte; doch langte ich mit einer schönen Manier hinaus bis ich vor Plutonem und Proserpinam in die Hölle kam, denselben stellte ich in einem sehr beweglichen Lied ihre Lieb, die sie beide zusammen trügen, vor Augen, und bat sie, dabei abzunehmen mit was großem Schmerzen ich und Eurydike voneinander geschieden worden wären, bat demnach mit den allerandächtigsten Gebärden, und zwar alles in meine Harfe singend, sie wollten mir solche wieder zukommen lassen, und nachdem ich das Jawort erhalten, bedankte ich mich mit einem fröhlichen Lied gegen sie und wußte das Angesicht samt Gebärden und Stimme so fröhlich zu verkehren, daß sich alle anwesenden Zuseher darüber verwunderten. Da ich aber meine Eurydike wieder ohnversehens verlor, bildet ich mir die größte Gefahr ein, darein je ein Mensch geraten könnte, und wurde davon so bleich, als ob mir ohnmächtig werden wollen, denn weil ich damals allein auf der Schaubühne war und alle Spectatores auf mich sahen, befliß ich mich meiner Sachen desto eiferiger, und bekam die Ehr davon, daß ich am besten agiert hätte. Nachgehends setzte ich mich auf einen Felsen und fing an, den Verlust meiner Liebsten mit erbärmlichen Worten und einer traurigen Melodei zu beklagen und alle Kreaturen um Mitleiden anzurufen, darauf stellten sich allerhand zahme und wilde Tier, Berg, Bäum und dergleichen bei mir ein, also daß es in Wahrheit ein Ansehen hatte, als ob alles mit Zauberei übernatürlicher Weis wäre zugericht worden. Keinen andern Fehler beging ich, als zuletzt, da ich allen Weibern abgesagt, von den Bacchis erwürgt und ins Wasser geworfen war (welches zugericht gewesen, daß man nur meinen Kopf sah, denn mein übriger Leib stand unter der Schaubühne in guter Sicherheit), da mich der Drach benagen sollte, der Kerl aber, so im Drachen stak denselben zu regieren, meinen Kopf nicht sehen konnte und dahero des Drachen Kopf neben dem meinigen grasen ließ, das kam mir so lächerlich vor, daß ich mir nit abbrechen konnte darüber zu schmollen, welches die Dames, so mich gar wohl betrachteten, in acht nahmen.
Von dieser Comoedia bekam ich neben dem Lob, das mir männiglich gab, nicht allein eine treffliche Verehrung, sondern ich kriegte auch einen andern Namen, indem mich forthin die Franzosen nicht anders als Beau Alman nenneten. Es wurden noch mehr dergleichen Spiel und Ballett gehalten, dieweil man die Fasnacht zelebrierte, in welchen ich mich gleichfalls gebrauchen ließ, befand aber zuletzt, daß ich von andern geneidet wurde, weil ich die Spectatores und sonderlich die Weiber gewaltig zog, ihre Augen auf mich zu wenden, tat michs derowegen ab, sonderlich als ich einsmals ziemlich Stöß kriegte, da ich als ein Herkules, gleichsam nackend in einer Löwenhaut, mit Acheloo um die Dejaniram kämpfte, da man mirs gröber machte, als in einem Spiel der Gebrauch ist.

Das 4. Kapitel

Beau Alman wird wider seinen Willen in den Venusberg geführt

Hierdurch wurde ich bei hohen Personen bekannt, und es schien, als ob mir das Glück wieder auf ein neues hätte leuchten wollen, denn mir wurden gar des Königs Dienste angeboten, welches manchem großen Hansen nicht widerfährt. Einsmals kam ein Lakai, der sprach meinen Monsig. Canard an und bracht ihm meinetwegen ein Brieflein, eben als ich bei ihm in seinem Laboratorio saß und reverberierte (denn ich hatte aus Lust bei meinem Doktor schon perlutiern, resolviern, sublimiern, coaguliern, digeriern, calciniern, filtriern und dergleichen unzählig viel alkühmistisehe Arbeit gelernet, dadurch er seine Arzneien zuzurichten pflegte). "Monsieur Beau Alman", sagte er zu mir, "dies Schreiben betrifft Euch: Es schicket ein vornehmer Herr nach Euch, der begehrt, Ihr wollet gleich zu ihm kommen, er wolle Euch ansprechen und vernehmen, ob Euch nicht belieben seinen Sohn auf der Lauten zu informieren? Er bitt mich, Euch zuzusprechen, daß Ihr ihm diesen Gang nit abschlagen wollet, mit sehr courtoisem Versprechen, Euch diese Mühe mit freundlicher Dankbarkeit zu belohnen." Ich antwortet, wenn ich seinet (verstehe Mons. Canards) wegen jemand dienen könne, so würde ich meinen Fleiß nit sparen. Darauf sagte er, ich sollte mich nur anders anziehen, mit diesem Lakaien zu gehen, indessen bis ich fertig, wollte er mir etwas zu essen fertig machen lassen, denn ich hätte ein ziemlich weiten Weg zu gehen, daß ich kaum vor Abend an den bestimmten Ort kommen würde: Also putzte ich mich ziemlich und verschluckte in Eil etwas von der Kollation, sonderlich aber ein paar kleiner delikater Würstlein, welche, als mich deuchte, ziemlich stark apothekerten; ging demnach mit gedachtem Lakaien durch seltsame Umweg einer Stund lang, bis wir gegen Abend vor eine Gartentür kamen, die nur zugelehnt war, dieselbe stieß der Lakai vollends auf, und demnach ich hinter ihm hineingetreten, schlug er selbige wieder zu, führte mich nachgehends in das Lusthaus, so in einem Eck des Gartens stund, und demnach wir einen ziemlich langen Gang passierten, klopfte er vor einer Tür, so von einer alten adeligen Dame stracks aufgemacht wurde; diese hieß mich in teutscher Sprach sehr höflich willkomm sein und zu ihr vollends hineintreten, der Lakai aber, so kein Teutsch konnte, nahm mit tiefer Reverenz seinen Abschied. Die Alte nahm mich bei der Hand und führte mich vollend ins Zimmer, das rund umher mit den köstlichsten Tapeten behängt, zumal sonsten auch schön geziert war; sie hieß mich niedersitzen, damit ich verschnauben und zugleich vernehmen könnte, aus was Ursachen ich an diesen Ort geholet; ich folgte gern und setzte mich auf einen Sessel, den sie mir zu einem Feuer stellte, so in demselben Saal wegen ziemlicher Kält brannte; sie aber setzte sich neben mich auf einen andern, und sagte: "Monsieur, wenn Er etwas von den Kräften der Liebe weiß, daß nämlich solche die allertapfersten, stärksten und klügsten Männer überwältige und zu beherrschen pflege, so wird Er sich um so viel desto weniger verwundern, wenn dieselbe auch ein schwaches Weibsbild meistert; Er ist nicht seiner Lauten halber, wie man Ihn und Mons. Canard überredt gehabt, von einem Herrn, aber wohl seiner übertrefflichen Schönheit halber von der allervortrefflichsten Dame in Paris hieher berufen worden, die sich allbereit des Tods verstehet, da sie nit bald des Herrn überirdische Gestalt zu beschauen und sich damit zu erquicken das Glück haben sollte: Derowegen hat sie mit befohlen, dem Herrn, als meinem Landsmann, solches anzuzeigen, und ihn höher zu bitten als Venus ihren Adonidem, daß Er diesen Abend sich bei ihr einfinden und seine Schönheit genugsam von ihr betrachten lasse, welches Er ihr verhoffentlich als einer vornehmen Dame nit abschlagen wird." Ich antwortet: "Madame, ich weiß nicht was ich gedenken, viel weniger hierauf sagen solle! Ich erkenne mich nicht danach beschaffen zu sein, daß eine Dame von so hoher Qualität nach meiner Wenigkeit verlangen sollte; überdas kommt mir in Sinn, wenn die Dam, so mich zu sehen begehrt, so vortrefflich und vornehm sei, als mir mein hochgeehrte Frau Landsmännin verbracht, daß sie wohl bei früherer Tagszeit nach mir schicken dürfen und mich nicht erst hieher an diesen einsamen Ort, bei so spätem Abend, hätte berufen lassen; warum hat sie nicht befohlen, ich solle stracks Wegs zu ihr kommen? Was hab ich in diesem Garten zu tun? Mein hochg. Frau Landsmännin vergebe mir, wenn ich als ein verlassener Fremder in die Furcht gerate, man wolle mich sonst hintergehen, sintemal man mir gesagt, ich sollte zu einem Herrn kommen, so sich schon im Werk anders befindet; sollte ich aber merken, daß man mir so verräterisch mit bösen Tücken an Leib wollte kommen, würde ich vor meinem Tod meinen Degen noch zu gebrauchen wissen!" "Sachte, sachte, mein hochgeehrter Herr Landsmann, Er lasse diese unnötigen Gedanken aus dem Sinn" (antwortet' sie mir), "die Weibsbilder sind seltsam und vorsichtig in ihren Anschlägen, daß man sich nit gleich anfangs so leicht darein schicken kann; wenn diejenige, die Ihn über alles liebet, gern hätte, daß Er Wissenschaft von ihrer Person haben sollte, so hätte sie Ihn freilich nit erst hieher, sondern den geraden Weg zu sich kommen lassen; dort liegt eine Kappe, (wies damit auf den Tisch) die muß der Herr ohnedas aufsetzen, wenn Er von hier aus zu ihr geführt wird, weil sie auch so gar nit will, daß Er den Ort, geschweig bei wem Er gesteckt, wissen solle; bitte und ermahne demnach den Herrn so hoch als ich immer kann, Er erzeige sich gegen diese Dame sowohl wie es ihre Hoheit als ihre gegen Ihn tragende unaussprechliche Liebe meritiert, da Er anders gewärtig sein will zu erfahren, daß sie mächtig genug sei, seinen Hochmut und Verachtung, auch in diesem Augenblick, zu strafen: Wird Er sich aber der Gebühr nach gegen sie einstellen, so sei Er versichert, daß Ihm auch der geringste Tritt, den Er ihretwegen getan, nicht ohnbelohnt verbleiben wird."
Es wurde allgemach finster, und ich hatte allerhand Sorgen und furchtsame Gedanken, also daß ich da saß wie ein geschnitzt Bild, konnte mir auch wohl einbilden, daß ich von diesem Ort so leicht nicht wieder entrinnen könnte, ich willigte denn in alles, so man mir zumutete; sagte derhalben zu der Alten: "Nun denn, mein hochgeehrte Frau Landsmännin, wenn ihm denn so ist, wie Sie mir vorgebracht, so vertraue ich meine Person Ihrer angebornen teutschen Redlichkeit, der Hoffnung, Sie werde nicht zulassen, viel weniger selbst vermittlen, daß einem unschuldigen Teutschen eine Untreu widerfahre, Sie vollbringe, was Ihr meinetwegen befohlen ist, die Dame, von der Sie mir gesagt, wird verhoffentlich keine Basiliskenaugen haben, mir den Hals abzusehen." "Ei behüt Gott", sagte sie, "es wäre schad, wenn ein solcher Leib, mit welchem unsere ganze Nation prangen kann, jetzt schon sterben sollte, Er wird mehr Ergötzung finden, als Er sich sein Tag niemals einbilden dürfen." Wie sie meine Einwilligung hatte, rufte sie Jean und Pierre, diese traten alsobald, jeder in vollem blanken Küraß, von dem Scheitel bis auf die Fußsohlen gewaffnet, mit einer Hellebarden und Pistol in der Hand hinter einer Tapezerei hervor, davon ich dergestalt erschrack, daß ich mich ganz entfärbte; die Alte nahm solches wahr und sagte lächlend: "Man muß sich so nit fürchten, wenn man zum Frauenzimmer gehet", befahl darauf ihnen beiden, sie sollten ihren Harnisch ablegen, die Latern nehmen und nur mit ihren Pistolen mitgehen; demnach streifte sie mir die Kappe, die von schwarzem Sammet war, übern Kopf, trug meinen Hut unterm Arm und führet' mich durch seltsame Weg an der Hand: Ich spürte wohl, daß ich durch viel Türen und auch über einen gepflasterten Weg passierte, endlich mußte ich etwa nach einer halben Viertelstund eine kleine steinerne Stiegen steigen, da tat sich ein klein Türlein auf, von dannen kam ich über einen besetzten Gang und mußte eine Windelstiegen hinauf, folgends etliche Staffeln wieder hinab, allda sich etwa sechs Schritt weiters eine Tür öffnet', als ich endlich durch solche kam, zog mir die Alte die Kappe wieder herunter, da befand ich mich in einem Saal, der da überaus zierlich aufgeputzet war, die Wände waren mit schönen Gemälden, das Tresor mit Silbergeschirr und das Bett so darinnen stund, mit Umhängen von güldenen Stücken geziert; in der Mitten stand der Tisch prächtig gedeckt, und bei dem Feur befand sich eine Badwanne, die wohl hübsch war, aber meinem Bedünken nach schändet' sie den ganzen Saal; die Alte sagte zu mir: "Nun willkomm Herr Landsmann, kann Er noch sagen, daß man Ihn mit Verräterei hintergehe? Er lege nur allen Unmut ab und erzeige sich wie neulich auf dem Theatro, da Er seine Eurydiken wieder vom Plutone erhielt, ich versichere Ihn, Er wird hier eine schönere antreffen, als Er dort eine verloren."

Das 5. Kapitel

Wie es ihm darinnen erging, und wie er wieder herauskam

Ich hörte schon an diesen Worten, daß ich mich nicht nur an diesem Ort beschauen lassen, sondern noch gar was anders tun sollte; sagte derowegen zu meiner alten Landsmännin: Es wäre einem Durstigen wenig damit geholfen, wenn er bei einem verbotenen Brunnen säße; sie aber sagte, man sei in Frankreich nit so mißgünstig, daß man einem das Wasser verbiete, sonderlich wo dessen ein Überfluß sei. "Ja", sagte ich, "Madame, Sie sagt mir wohl davon, wenn ich nicht schon verheiratet wäre!" "Das sind Possen" (antwortet' das gottlose Weib), "man wird Euch solches heut nacht nit glauben, denn die verehelichten Kavalier ziehen selten nach Frankreich, und ob gleich dem so wäre, kann ich doch nit glauben, daß der Herr so albern sei, eher Durst zu sterben, als aus einem fremden Brunnen zu trinken, sonderlich wenn er vielleicht lustiger ist und besser Wasser hat als sein eigener." Dies war unser Diskurs, dieweil mir eine adelige Jungfer, so dem Feuer pflegte, Schuh und Strümpf auszog, die ich überall im Finstern besudelt hatte, wie denn Paris ohnedas eine sehr kotige Stadt ist. Gleich hierauf kam Befehl, daß man mich noch vor dem Essen baden sollte, denn bemeldtes Jungfräulein gang ab und zu und brachte das Badgezeug, so alles nach Bisam und wohlriechender Seifen roch, das Leinengerät war vom reinesten Cammertuch und mit teuren holländischen Spitzen besetzt; ich wollte mich schämen und vor der Alten nicht nackend sehen lassen, aber es half nichts, ich mußte dran und mich von ihr ausreiben lassen, das Jungferchen aber mußte ein Weil abtreten; nach dem Bad wurde mir ein zartes Hemd gegeben und ein köstlicher Schlafpelz von veielblauem Taffet angelegt, samt einem Paar seidener Strümpfe von gleicher Farb, so war die Schlafhaub samt den Pantoffeln mit Gold und Perlen gestickt, also daß ich nach dem Bad dort saß zu protzen wie der Herz-König. Indessen mir nun meine Alte das Haar trocknet' und kämpelt', denn sie pflegte meiner wie einem Fürsten oder kleinen Kinde, trug mehrgemeldtes Jungfräulein die Speisen auf, und nachdem der Tisch überstellt war, traten drei heroische junge Damen in den Saal, welche ihre alabasterweißen Brüste zwar ziemlich weit entblößt trugen, vor den Angesichtern aber ganz vermaskiert; sie dünkten mich alle drei vortrefflich schön zu sein, aber doch war eine viel schöner als die anderen; ich machte ihnen ganz stillschweigend einen tiefen Bückling, und sie bedankten sich gegen mich mit gleichen Zeremonien, welches natürlich sah, als ob etliche Stummen beieinander gewesen, so die Redenden agiert hätten, sie setzten sich alle drei zugleich nieder, daß ich also nit erraten konnte, welche die vornehmste unter ihnen gewesen, viel weniger welcher ich zu dienen da war; Die erste Red war, ob ich nit Französisch könnte? Meine Landsmännin sagte: "Nein." Hierauf versetzte die ander, sie sollte mir sagen, ich wollte belieben niederzusitzen, als solches geschehen, befahl die dritte meiner Dolmetscherin, sie sollte sich auch setzen: Woraus ich abermal nicht abnehmen mögen, welche die vornehmste unter ihnen war. Ich saß neben der Alten gerad gegen diesen dreien Damen über, und ist demnach meine Schönheit ohn Zweifel neben einem so alten Geripp desto besser hervorgeschienen. Sie blickten mich alle drei sehr andächtig an, und ich dürfte schwören, daß sie viel hundert Seufzer gehen ließen: Ihre Augen konnte ich nit sehen funklen wegen der Masken, die sie vor sich hatten. Meine Alte fragte mich (sonst konnte niemand mit mir reden), welche ich unter diesen dreien für die schönste hielte? Ich antwortet, daß ich keine Wahl darunter sehen könnte. Hierüber fing sie an zu lachen, daß man ihr alle vier Zähn sah, die sie noch im Maul hatte, und fragte, warum das? Ich antwortet, weil ich sie nit recht sehen könnte, doch so viel ich sähe, wären sie alle drei nit häßlich. Dieses, was die Alte gefragt, und ich geantwort, wollten die Damen wissen; mein Alte verdolmetschte es und log noch dazu, ich hätte gesagt, einer jeden Mund wäre hunderttausendmal Küssens werte denn ich konnte ihnen die Mäuler unter den Masken wohl sehen, sonderlich derer, so gerad mir gegenüber saß. Mit diesem Fuchsschwanz machte die Alte, daß ich dieselbe für die vornehmste hielt und sie auch desto eiferiger betrachtete. Dies war all unser Diskurs über Tisch, und ich stellte mich, als ob ich kein französisch Wort verstünde. Weil es denn so still herging, machten wir desto ehe Feirabend: Darauf wünschten mir die Damen eine gute Nacht und gingen ihres Wegs, denen ich das Geleite nit weiter als bis an die Tür geben durfte, so die Alte gleich nach ihnen zuriegelte. Da ich das sah, fragte ich, wo ich denn schlafen müßte? Sie antwortet', ich müßte bei ihr in gegenwärtigem Bett vorlieb nehmen; ich sagte, das Bett wäre gut genug, wenn nur auch eine von jenen dreien darin läge! "ja", sagte die Alte, "es wird Euch fürwahr heunt keine von ihnen zuteil." Indem wir so plauderten, zog eine schöne Dam, die im Bett lag, den Umhang etwas zurück und sagte zu der Alten, sie sollte aufhören zu schwätzen und schlafengehen! Darauf nahm ich ihr das Licht und wollte sehen, wer im Bett läge? Sie aber löschte solches aus und sagte: "Herr, wenn Ihm Sein Kopf lieb ist, so unterstehe Er sich dessen nit, was Er im Sinn hat; Er lege sich und sei versichert, da Er mit Ernst sich bemühen wird, diese Dame wider ihren Willen zu sehen, daß Er nimmermehr lebendig von hinnen kommt!" Damit ging sie durch und beschloß die Tür, die Jungfer aber, so dem Feur gewartet, löscht' das auch vollends aus und ging hinter einer Tapezerei durch ein verborgene Tür auch hinweg. Hierauf sagte die Dame, so im Bett lag: "Allez Mons. Beau Alman, gee schlaff mein Herz, gom, rick su mir!" So viel hatte sie die Alte Teutsch gelehret; ich begab mich zum Bett zu sehen, wie denn dem Ding zu tun sein möchte? und sobald ich hinzukam, fiel sie mir um den Hals, bewillkommte mich mit vielem Küssen und biß mir vor hitziger Begierde schier die unter Lefzen herab; ja sie fing an, meinen Schlafpelz aufzuknöpfeln und das Hemd gleichsam zu zerreißen, zog mich also zu sich und stellte sich vor unsinniger Liebe also an, daß nicht auszusagen. Sie konnte nichts anders Teutsch, als ›Rick su mir mein Herz!‹ das übrige gab sie sonst mit Gebärden zu verstehen. Ich gedachte zwar heim an meine Liebste, aber was halfs, ich war leider ein Mensch und fand ein solche wohlproportionierte Kreatur und zwar von solcher Lieblichkeit, daß ich wohl ein Block hätte sein müssen, wenn ich keusch hätte davonkommen sollen.
Dergestalt bracht ich acht Tag und soviel Nächt an diesem Ort zu, und ich glaube, daß die andern drei auch bei mir gelegen sind, denn sie redeten nicht alle wie die erste und stellten sich auch nicht so närrisch. Wiewohl ich nun acht ganzer Tage bei diesen vier Damen war, so kann ich doch nit sagen, daß mir zugelassen worden, eine einzige anders als durch eine Florhauben, oder es sei denn finster gewesen, im bloßen Angesicht zu beschauen. Nach geendigter Zeit der acht Tag setzt' man mich im Hof mit verbundenen Augen in eine zugemachte Kutsche zu meiner Alten, die mir unterwegs die Augen wieder aufband, und führte mich in meines Herrn Hof, alsdann fuhr die Kutsche wieder schnell hinweg. Meine Verehrung war zweihundert Pistolet, und da ich die Alte fragte, ob ich niemand kein Trinkgeld davon geben sollte? sagte sie: "Beileib nichts denn wenn Ihr solches tätet, so würde es die Dames verdrießen; ja sie würden gedenken, Ihr bildet Euch ein, Ihr wäret in einem Hurenhaus gewesen, da man alles belohnen muß." Nachgehends bekam ich noch mehr dergleichen Kunden, welche mirs so grob machten, daß ich endlich aus Unvermögen der Narrenpossen ganz überdrüssig wurde.

Das 6. Kapitel

Simplicius macht sich heimlich weg, und wie ihm der Stein geschnitten wird, als er vermeint, er habe mal de Nable

Durch diese meine Hantierung brachte ich beides an Geld und andern Sachen so viel Verehrungen zusammen, daß mir angst dabei wurde, und verwunderte ich mich nit mehr, daß sich die Weibsbilder ins Bordell begeben und ein Handwerk aus dieser viehischen Unfläterei machen, weil es so trefflich wohl einträgt. Aber ich fing an und ging in mich selber nit zwar aus Gottseligkeit oder Trieb meines Gewissens, sondern aus Sorg, daß ich einmal auf so einer Kürbe ertappt und nach Verdienst bezahlt werden möchte: Derhalben trachtet ich, wieder nach Teutschland zu kommen, und das um so viel desto mehr, weil der Kommandant zu L. mir geschrieben, daß er etliche kölnische Kaufleute bei den Köpfen gekriegt, die er nit aus Händen lassen wollte, es seien ihm denn meine Sachen zuvor eingehändigt: Item, daß er mir das versprochene Fähnlein noch aufhalte und meiner noch vor dem Frühling gewärtig sein wollte, denn sonst, wo ich in der Zeit nit käme, mußte er die Stell mit einem andern besetzen; so schickte mir mein Weib auch ein Brieflein dabei, das voll liebreicher Bezeugungen ihres großen Verlangens war: hätte sie aber gewußt, wie ich so ehrbar gelebt, so sollte sie mir wohl einen andern Gruß hineingesetzt haben.
Ich konnte nur wohl einbilden, daß ich mit Monsig. Canards Konsens schwerlich hinwegkäme, gedacht derhalben heimlich durchzugehen, sobald ich Gelegenheit haben könnte, so mir zu meinem großen Unglück auch anging. Denn als ich einsmals etliche Offizier von der weimarischen Armee antraf, gab ich mich ihnen zu erkennen, daß ich nämlich ein Fähnrich von des Obristen de S. A. Regiment und in meinen eigenen Geschäften ein Zeitlang in Paris gewesen, nunmehr aber entschlossen sei, mich wieder zum Regiment zu begeben, mit Bitt, sie wollten mich in ihre Gesellschaft zu einem Reisgefährten mitnehmen: Also eröffneten sie mir den Tag ihres Aufbruchs und nahmen mich willig auf, ich kaufte mir einen Klepper und montierte mich auf die Reis so heimlich als ich konnte, packte mein Geld zusamm (so ohngefähr bei fünfhundert Dublonen waren, die ich alle den gottlosen Weibsbildern abverdient hatte), und machte mich ohne von Mons. Canard gegebene Erlaubnis mit ihnen fort; schrieb ihm aber zurück und datiert das Schreiben zu Maastricht, damit er meinen sollte, ich wäre auf Köln gangen, darin nahm ich meinen Abschied, mit Vermelden, daß mir unmöglich gewesen länger zu bleiben, weil ich seine aromatischen Würste nicht mehr verdauen hätte können.
Im zweiten Nachtlager von Paris aus wurde mir natürlich wie einem der den Rotlauf bekommt, und mein Kopf tat mir so grausam wehe, daß mir unmöglich war aufzustehen. Es war in einem gar schlechten Dorf, darin ich keinen Medicum haben konnte, und was das Ärgste war, so hatte ich auch niemand der mir wartete, denn die Offizier reisten des Morgens früh ihres Wegs fort gegen das Elsaß zu und ließen mich, als einen der sie nichts anginge, gleichsam todkrank daliegen, doch befahlen sie bei ihrem Abschied dem Wirt mich und mein Pferd und hinterließen bei dem Schulzen im Dorf, daß er mich als einen Kriegsoffizier, der dem König diene, beobachten sollte.
Also lag ich ein paar Tag dort, daß ich nichts von mir selber wußte, sondern wie ein Hirnschelliger fabelte, man brachte den Pfaffen, derselbe konnte aber nichts Verständiges von mir vernehmen. Und weil er sah, daß er mir die Seel nit arzneien konnte, gedacht er auf Mittel, dem Leib nach Vermögen zu Hilf zu kommen, allermaßen er mir eine Ader öffnen, ein Schweißtrank eingeben und in ein warmes Bett legen lassen, zu schwitzen; das bekam mir so wohl, daß ich mich in derselben Nacht wieder besann wo ich war und wie ich dahin kommen und krank worden wäre. Am folgenden Morgen kam obgemeldter Pfaff wieder zu mir und fand mich ganz desperat, dieweil mir nicht allein all mein Geld entführt war, sondern auch nit anders meinte, als hätte ich (s. v.) ›die lieben Franzosen‹, weil sie mir billiger als so viel Pistolen gebührten und ich auch über dem ganzen Leib so voller Flecken war als ein Tiger; ich konnte weder gehen, stehen, sitzen noch liegen, da war keine Geduld bei mir, denn gleichwie ich nicht glauben konnte, daß mir Gott das verlorne Geld beschert hätte, also war ich jetzt so ungehalten, daß ich sagte, der Teufel hätte mirs wieder weggeführt! Ja ich stellte mich nicht anders, als ob ich ganz verzweifeln hätte wollen, daß also der gute Pfarrer genug an mir zu trösten hatte, weil mich der Schuh an zweien Orten so heftig drückte. "Mein Freund", sagt' er, "stellt Euch doch als ein vernünftiger Mensch, wenn Ihr Euch ja nit in Eurem Kreuz anlassen könnet wie ein frommer Christ; was macht Ihr, wollt Ihr zu Eurem Geld auch das Leben, und was mehr ist, auch die Seligkeit verlieren?" Ich antwortet: "Nach dem Geld fragte ich nichts, wenn ich nur diese abscheuliche verfluchte Krankheit nit am Hals hätte oder wäre nur an Ort und Enden, da ich wieder kuriert werden könnte!" "Ihr müßt Euch gedulden", antwort der Geistliche, "wie müssen die armen kleinen Kinder tun, deren in hiesigem Dorf über fünfzig daran krank liegen?" Wie ich hörte, daß auch Kinder damit behaftet, war ich alsbalden herzhafter, denn ich konnte ja leicht gedenken, daß selbige diese garstige Seuch nit kriegen würden; nahm derowegen mein Felleisen zur Hand und suchte, was es etwa noch vermochte, aber da war ohne das weiß Gezeug nichts Schätzbares innen als ein Kapsel mit einer Damen Conterfait, rund herum mit Rubinen besetzt, so mir eine zu Paris verehrt hatte; ich nahm das Conterfait heraus und stellte das übrige dem Geistlichen zu, mit Bitt, solches in der nächsten Stadt zu versilbern, damit ich etwas zu verzehren haben möchte: Dies ging dahin, daß ich kaum den dritten Teil seines Werts dafür kriegte, und weil es nit lang daurte, mußte auch mein Klepper fort, damit reichte ich kärglich hinaus, bis die Purpeln anfingen zu dörren und mir wieder besser wurde.

Das 7. Kapitel

Wie Simplicius Kalender macht, und als ihm das Wasser ans Maul ging schwimmen lernte

Womit einer sündiget, damit pflegt einer auch gestraft zu werden, diese Kindsblattern richteten mich dergestalt zu, daß ich hinfüro vor den Weibsbildern gute Ruhe hatte; ich kriegte Gruben im Gesicht, daß ich aussah wie ein Scheurtenne, darin man Erbsen gedroschen, ja ich wurde so häßlich, daß sich meine schönen krausen Haar, in welchem sich so manch Weibsbild verstrickt, meiner schämten, und ihre Heimat verließen; an deren Statt bekam ich andere, die sich den Sauborsten vergleichen ließen, daß ich also notwendig eine Perücke tragen mußte, und gleichwie auswendig an der Haut keine Zierd mehr übrigblieb, also ging meine liebliche Stimm auch dahin, dann ich den Hals voller Blattern gehabt, meine Augen, die man hiebevor niemal ohne Liebesfeur finden können, eine jede zu entzünden, sahen jetzt so rot und triefend aus wie eines achtzigjährigen Weibs, das den Cornelium hat. Und über das alles so war ich in fremden Landen, kannte weder Hund noch Menschen, ders treulich mit mir meinte, verstund die Sprach nicht und hatte allbereit kein Geld mehr übrig.
Da fing ich erst an hinter mich zu gedenken und die herrlichen Gelegenheiten zu bejammern, die mir hiebevor zu Beförderung meiner Wohlfahrt angestanden, ich aber so liederlich hatte verstreichen lassen; Ich sah erst zurück und merkte, daß mein extraordinari Glück im Krieg und mein gefundener Schatz nichts anders als eine Ursach und Vorbereitung zu meinem Unglück gewesen, welches mich nimmermehr so weit hinunter hätte werfen können, da es mich nit zuvor durch falsche Blick angeschaut und so hoch erhaben hätte, ja ich fand, daß dasjenige Gute, so mir begegnet und ich für gut gehalten, bös gewesen und mich in das äußerste Verderben geleitet hatte; da war kein Einsiedel mehr, ders treulich mit mir gemeint, kein Obrist Ramsay, der mich in meinem Elend aufgenommen, kein Pfarrer, der mir das Beste geraten, und in Summa kein einziger Mensch, der mir etwas zugut getan hätte; sondern da mein Geld hin war, hieß es, ich sollte auch fort und meine Gelegenheit anderswo suchen, und hätte ich wie der verlorne Sohn mit den Säuen vorlieb nehmen sollen. Damals gedacht ich erst an desjenigen Pfarrherrn guten Rat, der da vermeinte, ich sollte meine Mittel und Jugend zu den Studiis anwenden, aber es war viel zu spät mit der Scher, dem Vogel die Flügel zu beschneiden, weil er schon entflogen; O schnelle und unglückselige Veränderung! vor vier Wochen war ich ein Kerl, der die Fürsten zur Verwunderung bewegte, das Frauenzimmer entzückte und dem Volk als ein Meisterstück der Natur, ja wie ein Engel vorkam, jetzt aber so ohnwert, daß mich die Hund anpißten. Ich machte wohl tausend und aber tausenderlei Gedanken, was ich angreifen wollte, denn der Wirt stieß mich aus dem Haus, da ich nichts mehr bezahlen konnte, ich hätte mich gern unterhalten lassen, es wollte mich aber kein Werber für einen Soldaten annehmen, weil ich als ein grindiger Kuckuck aussah; arbeiten konnte ich nit, denn ich war noch zu matt und überdas noch keiner gewohnt. Nichts tröstete mich mehr, als daß es gegen den Sommer ging und ich mich zur Not hinter einer Hecken behelfen konnte, weil mich niemand mehr im Haus wollte leiden. Ich hatte mein stattlich Kleid noch, das ich mir auf die Reis machen lassen, samt einem Felleisen voll kostbar Leinengezeug, das mir aber niemand abkaufen wollte, weil jeder sorgte, ich möchte ihm auch eine Krankheit damit an Hals hängen. Solches nahm ich auf den Buckel, den Degen in die Hand und den Weg unter die Füß, der mich in ein klein Städtlein trug, so gleichwohl ein eigene Apothek vermochte; in dieselbe ging ich und ließ mir eine Salbe zurichten, die mir die Urschlechtenmäler im Gesicht vertreiben sollte, und weil ich kein Geld hatte, gab ich dem Apothekergesellen ein schön zart Hemd dafür, der nit so ekel war wie andere Narren, so keine Kleider von mir haben wollten. Ich gedachte, wenn du nur der schändlichen Flecken los wirst, so wird sichs schon auch wieder mit deinem Elend bessern; und weil mich der Apotheker tröstete, man würde mir über acht Tag ohne die tiefen Narben, so mir die Purpeln in die Haut gefressen, wenig mehr ansehen, war ich schon beherzter. Es war eben Markt daselbst und auf demselben befand sich ein Zahnbrecher, der trefflich Geld lösete, da er doch liederlich Ding den Leuten dafür anhängte: "Narr", sagte ich zu mir selber, "was machst du daß du nicht auch so einen Kram aufrichtest? bist du solang bei Mons. Canard gewesen und hast nit soviel gelernet, ein einfältigen Bauren zu betrügen und dein Maulfutter davon zu gewinnen, so mußt du wohl ein elender Tropf sein."

Das 8. Kapitel

Wie er ein landfahrender Storcher und Leutbetrüger worden

Ich mochte damals fressen wie ein Drescher, denn mein Magen war nicht zu ersättigen, wiewohl ich nichts mehr im Vorrat hatte, als noch einen einzigen güldenen Ring mit einem Demant, der etwa zwanzig Kronen wert war, den versilberte ich um zwölfe, und demnach ich mir leicht einbilden konnte, daß dies bald aus sein würde, da ich nichts dazugewann, resolviert ich mich, ein Arzt zu werden. Ich kaufte mir die Materialia zu dem Theriaca Diatessaron und richtete mir denselben zu; alsdann machte ich aus Kräutern, Wurzeln, Butter und etlichen Olitäten eine grüne Salbe zu allerhand Wunden, damit man auch wohl ein gedrückt Pferd hätte heilen können, item aus Galmei, Kieselsteinen, Krebsaugen, Schmirgel und Trippel ein Pulver, weiße Zähn damit zu machen; ferner ein blau Wasser aus Lauge, Kupfer, Sal ammoniacum und Camphor für den Scharbock, Mundfäule, Zahn- und Augenwehe, bekam auch ein Haufen blecherne und hölzerne Büchslein, Papier und Gläslein, meine War dareinzuschmieren, und damit es auch ein Ansehen haben möchte, ließ ich mir einen französischen Zettel konzipieren und drucken, darinnen man sehen konnte, wozu ein und anders gut war. In dreien Tagen war ich mit meiner Arbeit fertig, und hatte kaum drei Kronen in die Apothek und für Geschirr angewendet, da ich dies Städtlein verließ. Also packte ich auf und nahm mir vor, von einem Dorf zum andern bis in das Elsaß hinein zu wandern und meine War unterwegs an Mann zu bringen; folgends zu Straßburg, als in einer neutralen Stadt, mich mit Gelegenheit auf den Rhein zu setzen, mit Kaufleuten wieder nach Köln zu begeben und von dort aus meinen Weg zu meinem Weib zu nehmen; das Vorhaben war gut, aber der Anschlag fehlte weit!
Da ich das erstemal mit meiner Quacksalberei vor eine Kirche kam und feil hatte, war die Losung gar schlecht, weil ich viel zu blöd war, mir auch sowohl die Sprach als storgerische Aufschneiderei nicht vonstatten gehen wollte; sah demnach gleich, daß ichs anderst angreifen müßte, wenn ich Geld einnehmen wollte. Ich ging mit meinem Kram in das Wirtshaus und vernahm über Tisch vom Wirt, daß den Nachmittag allerhand Leut unter der Linden vor seinem Haus zusammenkommen würden, da dürfte ich dann wohl so etwas verkaufen, wenn ich gute War hätte, allein gebe es der Betrüger so viel im Land, daß die Leut gewaltig mit dem Geld zurückhielten, wenn sie keine gewisse Prob vor Augen sähen, daß der Theriak ausbündig gut wäre. Als ich dergestalt vernahm, wo es mangelte, bekam ich ein halbes Trinkgläslein voll guten Straßburger Branntewein und fing eine Art Krotten, die man Reling oder Möhmlein nennet, so im Frühling und Sommer in den unsaubern Pfützen sitzen und singen, sind goldgelb oder fast rotgelb und unten am Bauch schwarz gescheckigt, gar unlustig anzusehen: Ein solches setzt ich in ein Schoppenglas mit Wasser und stellts neben meine War auf einen Tisch unter der Linden. Wie sich nun die Leut anfingen zu versammlen und um mich herumstunden, vermeinten etliche, ich würde mit der Kluft, so ich von der Wirtin aus ihrer Küchen entlehnt, die Zähn ausbrechen, ich aber fing an: "Ihr Herrn und gueti Freund (denn ich konnte noch gar wenig Französisch reden) bin ich kein Brech-dir-die-Zahn-aus, allein hab ich gut Wasser für die Aug, es mach all die Flüß aus die rode Aug." "Ja", antwortet' einer, "man siehets an Euren Augen wohl, die sehen ja aus wie zween Irrwisch." Ich sagte: "Das ist wahr, wenn ich aber der Wasser für mich nicht hab, so wär ich wohl gar blind werd, ich verkauf sonst der Wasser nit, der Theriak und der Pulver für die weiße Zähn und das Wundsalb will ich verkauf und der Wasser noch dazu schenk; ich bin kein Schreier oder Bescheiß-dir-die-Leut, hab ich mein Theriak feil, wenn ich sie habe probiert und sie dir nit gefallt, so darfst du sie mir nit kauf ab." Indem ließ ich einen von dem Umstand eins von meinen Theriakbüchslein auswählen, aus demselben tat ich etwa einer Erbsen groß in meinen Branntewein, den die Leut für Wasser ansahen, zertrieb ihn darin und kriegte hierauf mit der Kluft das Möhmlein aus dem Glas mit Wasser, und sagte: "Secht ihr gueti Freund, wann dies giftig Wurm kann mein Theriak trink und sterbe nit, so ist der Ding nit nutz, dann kauf ihr mir nit ab." Hiemit steckte ich die arme Krott, welche im Wasser geboren und erzogen und kein ander Element oder Liquor leiden konnte, in meinen Branntewein und hielt es mit einem Papier zu, daß es nit herausspringen konnte; da fing es dergestalt an darin zu wüten und zu zapplen, ja viel ärger zu tun, als ob ichs auf glühende Kohlen geworfen hätte, weil ihm der Branntewein viel zu stark war, und nachdem es so ein kleine Weil getrieben, verreckt' es und streckt' alle viere von sich. Die Baurn sperrten Maul und Beutel auf, da sie diese so gewisse Prob mit ihren Augen angesehen hatten; da war in ihrem Sinn kein besserer Theriak in der Welt als der meinige, und hatte ich genug zu tun, den Plunder in die Zettel zu wickeln und Geld dafür einzunehmen; es waren etliche unter ihnen, die kauftens wohl drei-, vier-, fünf- und sechsfach, damit sie ja auf den Notfall mit so köstlicher Giftlatwerge versehen wären, ja sie kauften auch für ihre Freund und Verwandte, die an andern Orten wohnten, daß ich also mit der Narrnweis, da doch kein Marktag war, denselben Abend zehen Kronen löste, und doch noch mehr als die Hälfte meiner War behielt. Ich machte mich noch dieselbe Nacht in ein ander Dorf, weil ich sorgte, es möchte etwa auch ein Baur so kurios sein und eine Krott in ein Wasser setzen, meinen Theriak zu probiern, und wenn es dann mißlinge, mir der Buckel geräumt werden. Damit ich aber gleichwohl auch die Vortrefflichkeit meiner Giftlatwerge auf ein andere Manier erweisen könnte, machte ich mir aus Mehl, Saffran und Gallus einen gelben Arsenicum und aus Mehl und Victril einen Mercurium sublimatum, und wenn ich die Prob tun wollte, hatte ich zwei gleiche Gläser mit frischem Wasser auf dem Tisch, davon das eine ziemlich stark mit Aqua fort oder Spiritus Victril vermischt war, in dasselbe zerrührte ich ein wenig von meinem Theriak und schabte alsdann von meinen beiden Giften soviel als genug war hinein, davon wurde das eine Wasser, so keinen Theriak und also auch kein Aqua fort hatte, so schwarz wie eine Tinte, das ander aber blieb wegen des Scheidwassers wie es war. "Ha", sagten dann die Leut, "seht, das ist fürwahr ein köstlicher Theriak, so um ein gering Geld!" Wenn ich dann beide untereinander goß, so wurde wieder alles klar; davon zogen dann die guten Baurn ihre Beutel und kauften mir ab, welches nicht allein meinem hungrigen Magen wohl zupaß kam, sondern ich machte mich auch wieder beritten, prosperierte noch dazu viel Geld auf meiner Reis und kam glücklich an die teutsche Grenz. Darum ihr lieben Baurn, glaubt den fremden Marktschreiern so leicht nicht, ihr werdet sonst von ihnen betrogen, als welche nicht euer Gesundheit, sondern euer Geld suchen.

Das 9. Kapitel

Wie dem Doktor die Muskete zuschlägt unter dem Hauptmann Schmalhansen

Da ich durch Lothringen passierte, ging mir meine War aus, und weilen ich die Garnisonen scheuete, hatte ich keine Gelegenheit andere zuzurichten, derhalben mußte ich wohl was anders anfangen, bis ich wieder Theriak machen könnte. Ich kaufte mir zwei Maß Branntewein, färbte ihn mit Saffran, füllte ihn in halblötige Gläslein und verkaufte solchen den Leuten für ein köstlich Güldenwasser, das gut fürs Fieber sei, brachte also diesen Branntewein auf dreißig Gulden. Und demnach mirs auch an kleinen Gläslein zerrinnen wollte, ich aber von einer Glashütten hörete, die in dem Fleckensteinischen Gebiet läge, begab ich mich darauf zu, mich wieder zu montiern, und indem ich so Abweg suchte, wurde ich ungefähr von einer Partei aus Philippsburg, die sich auf dem Schloß Wagelnburg aufhielt, gefangen; kam also um all dasjenige, was ich den Leuten auf der Reis durch meine Betrügerei abgezwackt hatte, und weil der Baur, so mir den Weg zu weisen mitging, zu den Kerln gesagt, ich wäre ein Doktor, wurde ich wider des Teufels Dank für einen Doktor nach Philippsburg geführt.
Daselbst wurde ich examiniert und scheuete mich gar nit zu sagen wer ich wäre, so man mir aber nicht glauben, sondern mehr aus mir machen wollte, als ich hätte sein können, denn ich sollte und mußte ein Doktor sein; ich mußte schwören, daß ich unter die kaiserlichen Dragoner in Soest gehörig, und erzählte ferner bei Eidspflicht alles, so mir von selbiger Zeit an bis hieher begegnet und was ich jetzo zu tun vorhabens: Aber es hieß, der Kaiser brauche sowohl in Philippsburg als in Soest Soldaten, man würde mir bei ihnen Aufenthalt geben, bis ich gleichwohl mit guter Gelegenheit zu meinem Regiment kommen könnte; wenn mir aber dieser Vorschlag nit schmeckte, so möchte ich im Stockhaus vorliebnehmen, und mich, bis ich wieder loskäme, als einen Doktor traktieren lassen, für welchen sie mich denn auch gefangen bekommen hätten.
Also kam ich vom Pferd auf den Esel und mußte ein Musketier werden wider meinen Willen; das kam mich blutsauer an, weil der Schmalhans dort herrschte und das Kommißbrot daselbst schrecklich klein war; ich sage nit vergeblich schrecklich klein, denn ich erschrak alle Morgen, wenn ichs empfing, weil ich wußte, daß ich mich denselben ganzen Tag damit behelfen mußte, da ichs doch ohn einzige Mühe auf einmal aufreiben konnte. Und die Wahrheit zu bekennen, so ists wohl ein elende Kreatur um einen Musketierer, der solchergestalt sein Leben in einer Garnison zubringen und sich allein mit dem lieben trocken Brot, und noch dazu kaum halb satt, behelfen muß; denn da ist keiner anders als ein Gefangener, der mit Wasser und Brot der Trübsal sein armselig Leben verzögert, ja ein Gefangener hats noch besser, denn er darf weder wachen, Runden gehen, noch Schildwacht stehen, sondern bleibt in seiner Ruhe liegen und hat so wohl Hoffnung als ein so elender Garnisoner, mit der Zeit einmal aus solchem Gefängnis zu kommen. Zwar waren auch etliche, die ihr Auskommen um ein Kleines besser hatten und auf unterschiedliche Gattungen, doch kein einzige Manier, die mir beliebte und solchergestalt mein Maulfutter zu erobern anständig sein wollte: Denn etliche nahmen (und sollten es auch verlaufene Huren gewesen sein) in solchem Elend keiner andern Ursach halber Weiber, als daß sie durch solche entweder mit Arbeiten, als Nähen, Waschen, Spinnen oder mit Krämpeln und Schachern oder wohl gar mit Stehlen ernährt werden sollen; da war eine Fähnrich unter den Weibern, die hatte ihre Gage wie ein Gefreiter; ein andere war Hebamme, und bracht dadurch sich selbsten und ihrem Mann manchen guten Schmaus zuwegen; ein andere konnte stärken und waschen, diese wuschen den ledigen Offiziern und Soldaten Hemden, Strümpf, Schlafhosen und ich weiß nicht was als mehr, davon sie ihre sonderen Namen kriegten; andere verkauften Tobak und versahen der Kerl ihre Pfeifen, die dessen Mangel hatten; andere handelten mit Branntewein und waren im Ruf, daß sie ihn mit Wasser, so sich von ihnen selbsten destilliert, verfälschten, davon es doch seine Prob nicht verlor; ein andere war eine Näherin und konnte allerhand Stich und Model machen, damit sie Geld erwarb; ein andere wußte sich blößlich aus dem Feld zu ernähren, im Winter grub sie Schnecken, im Frühling grasete sie Salat, im Sommer nahm sie Vogelnester aus und im Herbst wußte sie sonst tausenderlei Schnabelweid zu kriegen; etliche trugen Holz zu verkaufen wie die Esel; und andere handelten auch mit etwas anderm. Solchergestalt nun meine Nahrung zu haben war nicht für mich, denn ich hatte schon ein Weib. Etliche Kerl ernährten sich mit Spielen, weil sie es besser als Spitzbuben konnten und ihren einfältigen Kameraden das Ihrige mit falschen Würfeln und Karten abzuzwacken wußten, solche Profession aber war mir ein Ekel. Andere arbeiteten auf der Schanz und sonsten wie die Bestien, aber hiezu war ich zu faul; etliche konnten und trieben etwa ein Handwerk, ich Tropf aber hatte keines gelernt; zwar wenn man einen Musikanten vonnöten gehabt hätte, so wär ich wohl bestanden, aber dasselbe Hungerland behalf sich nur mit Trommeln und Pfeifen, etliche schillerten für andere und kamen Tag und Nacht niemal von der Wacht, ich aber wollte liebet hungern, als meinen Leib so abmergeln; etliche brachten sich mit Parteigehen durch, mir aber wurde nicht einmal vor das Tor zu gehen vertraut; etliche konnten besser mausen als Katzen, ich aber haßte solche Hantierung wie die Pest. In Summa, wo ich mich nur hinkehrte, da konnte ich nichts ergreifen, das meinen Magen hätte stillen mögen. Und was mich am allermeisten verdroß, war dieses, daß ich mich noch dazu mußte foppen lassen, wenn die Bursch sagten: "Solltest du ein Doktor sein und kannst anders keine Kunst, als Hunger leiden?" Endlich zwang mich die Not, daß ich etlich schöne Karpfen aus dem Graben zu mir auf den Wall gaukelte, sobald es aber der Obrist inne wurde, mußte ich den Esel dafür reiten, und war mir meine Kunst ferner zu üben bei Hängen verboten. Zuletzt war anderer Unglück mein Glück, denn nachdem ich etliche Gelbsüchtige und ein paar Febrizitanten kurierte, die einen besondern Glauben an mir gehabt haben müssen, wurde mir erlaubt, vor die Festung zu gehen, meinem Vorwand nach, Wurzel und Kräuter zu meinen Arzneien zu sammlen, da richtet ich hingegen den Hasen mit Stricken, und hatte das Glück, daß ich die erste Nacht zween bekam, dieselben bracht ich dem Obristen und erhielt dadurch nicht allein einen Taler zur Verehrung, sondern auch Erlaubnis, daß ich hinaus dürfte gehen, den Hasen nachzustellen, wenn ich die Wacht nit hätte. Weil denn nun das Land ziemlich erödet und niemand war, der diese Tier auffing, zumal sie sich trefflich gemehret hatten, also kam das Wasser wieder auf meine Mühl, maßen es das Ansehen hatte, als ob es mit Hasen schneiete oder ich in meine Strick bannen könnte. Da die Offizier sahen, daß man mir trauen dürfte, wurde ich auch mit andern hinaus auf Partei gelassen, da fing ich nun mein soestisch Leben wieder an, außer daß ich keine Parteien führen und kommandieren dürfte wie hiebevor in Westfalen, denn es war vonnöten, zuvor Weg und Steg zu wissen und den Rheinstrom zu kennen.

Das 10. Kapitel

Simplicius überstehet ein unlustig Bad im Rhein

Noch ein paar Stücklein will ich erzählen, ehe ich sage, wie ich wieder von der Muskete erlöset worden; eins von großer Leib- und Lebensgefahr, daraus ich durch Gottes Gnad entronnen, das ander von der Seelengefahr, darinnen ich hartnäckiger Weis stecken blieb, denn ich will meine Untugenden so wenig verhehlen als meine Tugenden, damit nicht allein meine Histori ziemlich ganz sei, sondern der ohngewanderte Leser auch erfahre, was für seltsame Kauzen es in der Welt gibt.
Wie zu End des vorigen Kapitels gemeldet, so durfte ich auch mit andern auf Partei, so in Garnisonen nit jedem liederlichen Kunden, sondern rechtschaffenen Soldaten gegönnet wird: Also gingen nun unser neunzehn einsmals miteinander durch die Unter-Markgrafschaft hinauf, oberhalb Straßburg einem baslerischen Schiff aufzupassen, wobei heimlich etliche weimarische Offizierer und Güter sein sollten. Wir kriegten überhalb Ottenheim ein Fischernachen, uns damit überzusetzen und in ein Werder zu legen, so gar vorteilhaftig lag, die ankommenden Schiff ans Land zu zwingen, maßen zehen von uns durch den Fischer glücklich übergeführt wurden; als aber einer aus uns, der sonst wohl fahren konnte, die übrigen neune, darunter ich mich befand, auch holte, schlug der Nachen ohnversehens um, daß wir also urplötzlich miteinander im Rhein lagen. Ich sah mich nit viel nach den andern um, sondern gedachte auf mich selbst. Ob ich mich nun zwar aus allen Kräften spreizte und alle Vorteil der guten Schwimmer brauchte, so spielte dennoch der Strom mit mir wie mit einem Ballen, indem er mich bald über- bald untersich in Grund warf, ich hielt mich so ritterlich, daß ich oft über ihn kam, Atem zu schöpfen; wäre es aber um etwas kälter gewesen, so hätte ich mich nimmermehr so lang enthalten und mit dem Leben entrinnen können: Ich versuchte oft ans Ufer zu gelangen, so mir aber die Wirbel nit zuließen, als die mich von einer Seite zur andern warfen, und ob ich zwar in Kürze unter Goldscheur kam, so wurde mir doch die Zeit so lang, daß ich schier an meinem Leben verzweifelte. Demnach ich aber die Gegend bei dem Dorf Goldscheur passiert hatte und mich bereits drein ergeben, ich würde meinen Weg durch die Straßburger Rheinbrücke entweder tot oder lebendig nehmen müssen, wurde ich eines großen Baums gewahr, dessen Äste unweit vor mir aus dem Wasser hervorreichten, der Strom ging streng und recta drauf zu, derhalben wandte ich alle übrigen Kräfte an, den Baum zu erlangen, welches mir denn trefflich glückte, also daß ich beides durchs Wasser und meine Mühe auf den größten Ast, den ich anfänglich für einen Baum angesehen, zu sitzen kam, derselbe wurde aber von den Strudeln und Wellen dergestalt tribuliert, daß er ohn Unterlaß auf- und niederknappen mußte, und derhalben mein Magen also erschüttert, daß ich Lung und Leber hätte ausspeien mögen. Ich konnte mich kümmerlich darauf halten, weil mir ganz seltsam vor den Augen wurde, ich hätte mich gern wieder ins Wasser gelassen, befand aber wohl, daß ich nit Manns genug wäre, nur den hunderten Teil solcher Arbeit auszustehen, dergleichen ich schon überstritten hatte, mußte derowegen verbleiben und auf ein ungewisse Erlösung hoffen, die nur Gott ungefähr schicken müßte, da ich anderst mit dem Leben davonkommen sollte. Aber mein Gewissen gab mir hierzu einen schlechten Trost, indem es mir vorhielt, daß ich solche gnadenreiche Hilfe nun ein paar Jahr her so liederlich verscherzt; jedoch hoffte ich ein Bessers und fing so andächtig an zu beten, als ob ich in einem Kloster erzogen worden wäre; ich setzte mir vor, inskünftig frömmer zu leben, und tat unterschiedliche Gelübde: Ich widersagte dem Soldatenleben und verschwor das Parteigehen auf ewig, schmiß auch meine Patrontasch samt dem Ranzen von mir und ließ mich nit anderst an, als ob ich wieder ein Einsiedel werden, meine Sünden büßen und der Barmherzigkeit Gottes für meine hoffende Erlösung bis in mein End danken wollte: Und indem ich dergestalt auf dem Ast bei zwei oder drei Stunden lang zwischen Furcht und Hoffnung zugebracht, kam dasjenige Schiff den Rhein herunter, dem ich hätte aufpassen helfen sollen. Ich erhub meine Stimm erbärmlich und schrie um Gottes und des jüngsten Gerichts willen um Hilf, und nachdem sie unweit von mir vorüberfahren mußten, und dahero meine Gefahr und elenden Stand desto eigentlicher sahen, wurde jeder im Schiff zur Barmherzigkeit bewegt, maßen sie gleich ans Land fuhren, sich zu unterreden, wie mir möchte zu helfen sein.
Weil denn wegen der vielen Wirbel, die es rund um mich herum gab und von den Wurzeln und Ästen des Baums verursacht wurden, ohne Lebensgefahr weder zu mir zu schwimmen noch mit großen und kleinen Schiffen zu mir zu fahren war, also erforderte meine Hilf lange Bedenkzeit; wie aber mir unterdessen zumut gewesen, ist leicht zu erachten: Zuletzt schickten sie zween Kerl mit einem Nachen oberhalb meiner in den Fluß, die mir ein Seil zufließen ließen und das eine End davon bei sich behielten, das ander End aber bracht ich mit großer Mühe zuwegen und band es um meinen Leib so gut ich konnte, daß ich also an demselben wie ein Fisch an einer Angelschnur in den Nachen gezogen und auf das Schiff gebracht wurde.
Da ich nun dergestalt dem Tod entronnen, hätte ich billig am Ufer auf die Knie fallen und der göttlichen Güte für meine Erlösung danken, auch sonst mein Leben zu bessern einen Anfang machen sollen, wie ich denn solches in meinen höchsten Nöten gelobt und versprochen. Ja hintersich naus! Denn da man mich fragte, wer ich sei? und wie ich in diese Gefahr geraten wäre? fing ich an, diesen Burschen vorzulügen, daß der Himmel hätte erschwarzen mögen; denn ich dachte, wenn du ihnen sagst, daß du sie hast plündern helfen wollen, so schmeißen sie dich alsbald wieder in Rhein; gab mich also für einen vertriebenen Organisten aus und sagte, nachdem ich auf Straßburg gewollt, um über Rhein irgendeinen Schul- oder andern Dienst zu suchen, hätte mich eine Partei ertappt, ausgezogen und in den Rhein geworfen, welcher mich auf gegenwärtigen Baum geführt. Und nachdem ich diese meine Lügen wohl füttern konnte, zumalen auch mit Schwüren bekräftigte, wurde mir geglaubt und mit Speis und Trank alles Gute erwiesen, mich wieder zu erquicken, wie ichs denn trefflich vonnöten hatte.
Beim Zoll zu Straßburg stiegen die meisten ans Land, und ich mit ihnen, da ich mich denn gegen dieselben hoch bedankte und unter andern eines jungen Kaufherrn gewahr wurde, dessen Angesicht, Gang und Gebärden mir zu erkennen gaben, daß ich ihn zuvor mehr gesehen, konnte mich aber nicht besinnen, wo? vernahm aber an der Sprach, daß es eben derjenige Kornett war, so mich hiebevor gefangen bekommen, ich wußte aber nicht zu ersinnen, wie er aus einem so braven jungen Soldaten zu einem Kaufmann worden, vornehmlich weil er ein geborner Kavalier war: die Begierde zu wissen, ob mich meine Augen und Ohren betrügen oder nicht, trieben mich dahin, daß ich zu ihm ging, und sagte: "Monsieur Schönstein, ist Er's oder ist Er's nicht?" Er aber antwort: "Ich bin keiner von Schönstein, sondern ein Kaufmann"; da sagte ich: "So bin ich auch kein Jäger von Soest nit, sondern ein Organist oder vielmehr ein landläufiger Bettler!" "O Bruder", sagt' hingegen jener, "was Teufels machst du, wo ziehest du herum?" Ich sagte: "Bruder, wenn du vom Himmel versehen bist, mir das Leben erhalten zu helfen, wie nun zum zweitenmal geschehen ist, so erfordert ohn Zweifel mein Fatum, daß ich alsdann nit weit von dir sei." Hierauf nahmen wir einander in die Arm, als zwei getreue Freund, die hiebevor beiderseits versprochen, einander bis in Tod zu lieben. Ich mußte bei ihm einkehren, und alles erzählen wie mir ergangen, seit ich von L. nach Köln verreist, meinen Schatz abzuholen, verschwieg ihm auch nit, wasgestalt ich mit einer Partei ihrem Schiff hätte aufpassen wollen und wie es uns drüber erging; aber wie ich zu Paris gehaust, davon schwieg ist stockstill, denn ich sorgte, er möchte es zu L. ausbringen und mir deswegen bei meinem Weib einen bösen Rauch machen. Hingegen vertraute er mir, daß er von der hessischen Generalität zu Herzog Bernhard, dem Fürsten von Weimar, geschickt worden, wegen allerhand Sachen von großer Importanz, das Kriegswesen betreffend, Relation zu tun und künftiger Kampagne und Anschläg halber zu konferieren, welches er nunmehr verrichtet und in Gestalt eines Kaufmanns, wie ich denn vor Augen sähe, auf der Zurückreis begriffen sei. Benebens erzählte er mir auch, daß meine Liebste bei seiner Abreis großen Leibs und neben ihren Eltern und Verwandten noch in gutem Wohlstand gewesen; item daß mir der Obrist das Fähnlein noch aufhalte, und vexierte mich daneben, weil mich die Urschlechten so verderbt hätten, daß mich weder mein Weib noch das andere Frauenzimmer zu L. für den Jäger mehr annehmen werde, etc. Demnach redten wir miteinander ab, daß ich bei ihm verbleiben und mit solcher Gelegenheit wieder nach L. kehren sollte, so ein erwünschte Sach für mich war. Und weil ich nichts als Lumpen an mir hatte, streckt' er mir etwas an Geld vor, damit ich mich wie ein Gadendiener montierte.
Man sagt aber, wenn ein Ding nit sein soll, so geschiehts nicht, das erfuhr ich auch, denn da wir den Rhein hinunterfuhren und das Schiff zu Rheinhausen visitiert wurde, erkannten mich die Philippsburger, welche mich wieder anpackten und nach Philippsburg führten, allda ich wieder wie zuvor einen Musketierer abgeben mußte, welches meinen guten Kornett ja so sehr verdroß als mich selbsten, weil wir uns wieder scheiden mußten, so durfte er sich auch meiner nicht hoch annehmen, denn er hatt' mit sich selbst zu tun sich durchzubringen.

Das 11. Kapitel

Warum die Geistlichen keine Hasen essen sollen, die mit Stricken gefangen worden

Also hat nun der günstige Leser vernommen, in was für einer Lebensgefahr ich gesteckt; betreffend aber die Gefahr meiner Seelen, ist zu wissen, daß ich unter meiner Muskete ein rechter wilder Mensch war, der sich um Gott und sein Wort nichts bekümmerte, keine Bosheit war mir zuviel, da waren alle Gnaden und Wohltaten, die ich von Gott jemals empfangen, allerdings vergessen, so bat ich auch weder um das Zeitlich noch Ewig, sondern lebte auf den alten Kaiser hinein wie ein Vieh. Niemand hätte mir glauben können, daß ich bei einem so frommen Einsiedel wäre erzogen worden; selten kam ich in die Kirch und gar nicht zur Beicht, und gleichwie mir meiner Seelen Heil nichts anlag, also betrübte ich meinen Nebenmenschen desto mehr: Wo ich nur jemand berücken konnte, unterließ ichs nit, ja ich wollte noch Ruhm davon haben; so daß schier keiner ohngeschimpft von mir kam, davon kriegte ich oft dichte Stöß und noch öfter den Esel zu reiten, ja man bedrohete mich mit Galgen und Wippe, aber es half alles nichts, ich trieb meine gottlose Weis fort, daß es das Ansehen hatte, als ob ich das desperat spielte und mit Fleiß der Höllen zurennete. Und ob ich gleich keine Übeltat beging, dadurch ich das Leben verwirkt hätte, so war ich jedoch so ruchlos, daß man (außer den Zauberern und Sodomiten) kaum einen wüstern Menschen antreffen mögen.
Dies nahm unser Regiments-Kaplan an mir in acht, und weil er ein rechter frommer Seeleneiferer war, schickte er auf die österliche Zeit nach mir, zu vernehmen, warum ich mich nicht bei der Beicht und Kommunion eingestellt hätte? Ich traktierte ihn aber nach seinen vielen treuherzigen Erinnerungen wie hiebevor den Pfarrer zu L. Also daß der gute Herr nichts mit mir ausrichten konnte. Und indem es schien, als ob Christus und Tauf an mir verloren wäre, sagte er zum Beschluß: "Ach du elender Mensch! ich habe vermeint, du irrest aus Unwissenheit, aber nun merke ich, daß du aus lauter Bosheit und gleichsam vorsetzlicher Weis zu sündigen fortfährest, ach wer vermeinst du wohl, der ein Mitleiden mit deiner armen Seel und ihrer Verdammnis haben werde? Meinesteils protestiere ich vor Gott und der Welt, daß ich an deiner Verdammnis keine Schuld haben will, weil ich getan und noch ferner gern unverdrossen tun wollte, was zu Beförderung deiner Seligkeit vonnöten wäre. Es wird mir aber besorglich künftig mehrers zu tun nit obliegen, denn daß ich deinen Leib, wenn ihn deine arme Seel in solchem verdammten Stand verläßt, an kein geweiht Ort zu andern frommen abgestorbenen Christen begraben, sondern auf den Schindwasen bei die Cadavera des verreckten Viehs hinschleppen lasse oder an denjenigen Ort, da man andere Gottsvergessene und Verzweifelte hintut!"
Diese ernstliche Bedrohung fruchtete ebensowenig als die vorigen Ermahnungen, und zwar nur der Ursach halber, weil ich mich vorm Beichten schämte; O ich großer Narr! Ich erzählte oft meine Bubenstück bei ganzen Gesellschaften und log noch dazu, aber jetzt, da ich mich bekehren und einem einzigen Menschen, an Gottes Statt, meine Sünden demütig bekennen sollte, Vergebung zu empfangen, war ich ein verstockter Stumm! Ich sage recht ›verstockt‹, blieb auch verstockt, denn ich antwortet: "Ich diene dem Kaiser für einen Soldaten, wenn ich nun auch sterbe als ein Soldat, so wirds kein Wunder sein, da ich gleich andern Soldaten (die nit allezeit auf das Geweihte begraben werden können, sondern irgends auf dem Feld, in Gräben oder in der Wölf und Raben Mägen vorlieb nehmen müssen) mich auch außerhalb des Kirchhofs behelfen werde."
Also schied ich vom Geistlichen, der mit seinem heiligen Seeleneifer anders nichts um mich verdient, als daß ich ihm einsmals einen Hasen abschlug, den er inständig von mir begehrte, mit Vorwand, weil er sich selbst an einem Strick erhenkt und ums Leben gebracht, daß sich dannenhero nit gebühre, daß er als ein Verzweifelter in ein geweihtes Erdreich begraben werden sollte.

Das 12. Kapitel

Simplicius wird unverhofft von der Muskete erlöst

Also folgte bei mir keine Besserung, sondern ich wurde je länger je ärger, der Obrist sagte einsmals zu mir, er wollte mich, da ich kein gut tun wollte, mit einem Schelmen hinwegschicken; weil ich aber wohl wußte, daß es ihm nit Ernst war, sagte ich, dies könne leicht geschehen, wenn er mir nur den Steckenknecht mitgebe; also ließ er mich wiederum passiern, weil er sich wohl einbilden konnte, daß ichs für keine Straf, sondern für eine Wohltat halten würde, wenn er mich laufen ließe. Mußte demnach wider meines Herzen Willen ein Musketier bleiben, und Hunger leiden bis in den Sommer hinein. je mehr sich aber der Graf von Götz mit seiner Armee näherte, je mehrers näherte sich auch meine Erlösung: Denn als selbiger zu Bruchsal das Hauptquartier hatte, wurde mein Herzbruder, dem ich im Lager vor Magdeburg mit meinem Geld getreulich geholfen, von der Generalität mit etlichen Verrichtungen in die Festung geschickt, da man ihm die höchste Ehr antat. Ich stund eben vor des Obristen Quartier Schildwacht, und ob er zwar ein schwarzen sammeten Rock antrug, so erkannte ich ihn jedoch gleich im ersten Anblick, hatte aber nicht das Herz, ihn sogleich anzusprechen, denn ich mußte sorgen, er würde der Welt Lauf nach sich meiner schämen oder mich sonst nit kennen wollen, weil er den Kleidern nach in einem hohen Stand, ich aber nur ein lausiger Musketier wäre. Nachdem ich aber abgelöst wurde, erkundigte ich bei dessen Dienern seinen Stand und Namen, damit ich versichert sei, daß ich vielleicht keinen andern für ihn anspräche, und hatte dennoch das Herz nit ihn anzureden, sondern schrieb dieses Brieflein, und ließ es ihm am Morgen durch seinen Kammerdiener einhändigen:
Monsieur, etc. Wenn meinem Hochg. Herrn beliebte, denjenigen, den Er hiebevor durch Seine Tapferkeit in der Schlacht bei Wittstock aus Eisen und Banden errettet, auch anjetzo durch Sein vortrefflich Ansehen aus dem allerarmseligsten Stand von der Welt zu erlösen, wohinein er als ein Ball des unbeständigen Glücks geraten; so würde Ihm solches nicht allein nicht schwer fallen, sondern Er würde Sich auch für einen ewigen Diener obligiern Seinen ohnedas getreu-verbundenen, anjetzo aber allerelendesten und verlassenen
S. Simplicissimum.
Sobald er solches gelesen, ließ er mich zu sich hineinkommen, sagte: "Landsmann, wo ist der Kerl, der Euch dies Schreiben gegeben?" Ich antwort: "Herr, er liegt in hiesiger Festung gefangen." "Wohl", sagt' er, "so gehet zu ihm und sagt, ich woll ihm davonhelfen und sollt er schon den Strick an Hals kriegen." Ich sagte: "Herr, es wird solcher Mühe nit bedürfen, ich bin der arme Simplicius selbsten, der jetzt kommt, Demselben sowohl für die Erlösung bei Wittstock zu danken, als Ihn zu bitten, mich wieder von der Musket zu erledigen, so ich wider meinen Willen zu tragen gezwungen wurde." Er ließ mich nit völlig ausreden, sondern bezeugte mit Umfangen, wie geneigt er sei, mir zu helfen; in Summa, er tat alles was ein getreuer Freund gegen den andern tun soll, und ehe er mich fragte, wie ich in die Festung und in solche Dienstbarkeit geraten? schickte er seinen Diener zum Juden, Pferd und Kleider für mich zu kaufen; indessen erzählte ich ihm, wie mirs ergangen, seit sein Vater vor Magdeburg gestorben, und als er vernahm, daß ich der Jäger von Soest (von dem er so manch rühmlich Soldatenstück gehöret) gewesen, beklagte er, daß er solches nit ehe gewußt hätte, denn er mir damals gar wohl zu einer Kompagnie hätte verhelfen können.
Als nun der Jud mit einer ganzen Taglöhnerlast von allerhand Soldatenkleidern daherkam, las er mir das Beste heraus, ließ michs anziehen und nahm mich mit sich zum Obristen, zu dem sagte er: "Herr, ich hab in Seiner Garnison gegenwärtigen Kerl angetroffen, dem ich so hoch verobligiert bin, daß ich ihn in so niedrigem Stand, wennschon seine Qualitäten keinen bessern montierten, nit lassen kann; bitte derowegen den Herrn Obristen, Er wolle mir den Gefallen erweisen, und ihn entweder besser akkommodieren, oder zulassen, daß ich ihn mit mir nehme, um ihm bei der Armee fortzuhelfen, wozu vielleicht der Herr Obriste hier die Gelegenheit nit hat." Der Obrist verkreuzigte sich vor Verwunderung, daß er mich einmal loben hörte, und sagte: "Mein hochgeehrter Herr vergeb mir, wenn ich glaube, Ihm beliebe nur zu probieren, ob ich Ihm auch so willig zu dienen sei, als Er dessen wohl wert ist, und wofern Er so gesinnet, so begehre Er etwas anders, das in meiner Gewalt steht, so wird Er meine Willfährigkeit im Werk erfahren: Was aber diesen Kerl anbelangt, ist solcher nicht eigentlich mir, sondern seinem Vorgeben nach unter ein Regiment Dragoner gehörig, daneben ein solch schlimmer Gast, der meinem Profosen, seit er hier ist, mehr Arbeit geben als sonst ein ganze Kompagnie, so daß ich von ihm glauben muß, er könne in keinem Wasser ersaufen." Endet' damit seine Red lachend, und wünschte mir Glück ins Feld.
Dies war meinem Herzbruder noch nicht genug, sondern er bat den Obristen auch, er wollte sich nicht zuwider sein lassen, mich mit an seine Tafel zu nehmen, so er auch erhielt; er tats aber zu dem Ende, daß er dem Obristen in meiner Gegenwart erzähle, was er in Westfalen nur diskursent von dem Grafen von der Wahl und dem Kommandanten in Soest von mir gehöret hätte: welches alles er nun dergestalt herausstrich, daß alle Zuhörer mich für einen guten Soldaten halten mußten; dabei hielt ich mich so bescheiden, daß der Obrist und seine Leut, die mich zuvor gekannt, nicht anders glauben konnten, als ich wäre mit andern Kleidern auch ein ganz anderer Mensch worden. Und demnach der Obrist auch wissen wollte, woher mir der Nam Doktor zukommen wäre? erzählt ich ihm meine ganze Reis von Paris aus bis nach Philippsburg, und wieviel Bauern ich betrogen, mein Maulfutter zu gewinnen, darüber sie ziemlich lachten. Endlich gestund ich unverhohlen, daß ich willens gewesen, ihn Obristen mit allerhand Bosheiten dergestalt zu perturbiern und abzumatten, daß er mich endlich aus der Garnison hätte schaffen müssen, dafern er anders wegen der vielen Klagen in Ruhe vor mir leben wollen.
Darauf erzählte der Obrist viel Bubenstücklein, die ich begangen, solang ich in der Garnison gewesen, wie ich nämlich Erbsen gesotten, oben mit Schmalz übergossen, und solche für eitel Schmalz verkauft; item ganze Säck voll Sand für Salz, indem ich die Säck unten mit Sand und oben mit Salz gefüllt, sodann, wie ich einem hie, dem andern dort einen Bärn angebunden und die Leut mit Pasquillen vexiert. Also daß man die ganze Mahlzeit nur von mir zu reden hatte; hätte ich aber keinen so ansehenlichen Freund gehabt, so wären alle meine Taten strafwürdig gewesen. Dabei nahm ich ein Exempel, wie es bei Hof hergehen müsse, wenn ein böser Bub des Fürsten Gunst hat.
Nach geendigtem Imbiß hatte der Jud kein Pferd, so meinem Herzbruder für mich gefallen wollte, weil er aber in solcher Ästimation war, daß der Obrist seine Gunst schwerlich entbehren konnte, also verehrte er ihm eins mit Sattel und Zeug aus seinem Stall, auf welches sich Herr Simplicius setzte und mit seinem Herzbruder freudenvoll zur Festung hinausritt, teils seiner Kameraden riefen ihm nach: "Glück zu Bruder, Glück zu!" teils aber aus Neid: "Je größer Schalk, je größer Glück."

Das 13. Kapitel

Handelt von dem Orden der Merode-Brüder

Unterwegs redete Herzbruder mit mir ab, daß ich mich für seinen Vetter ausgeben sollte, damit ich desto mehr geehrt würde, hingegen wollte er mir noch ein Pferd samt einem Knecht verschaffen und mich zum Neuneckischen Regiment tun, bei dem ich mich als ein Freireuter aufhalten könnte, bis ein Offizierstelle bei der Armee ledig würde, zu der er mir helfen könnte.
Also wurde ich in Eil wieder ein Kerl, der einem braven Soldaten gleichsah, ich tat aber denselben Sommer wenig Taten, als daß ich am Schwarzwald hin und wieder etliche Kühe stehlen half und mir das Breisgau und Elsaß ziemlich bekannt machte. Im übrigen hatte ich abermal wenig Stern, denn nachdem mir mein Knecht samt dem Pferd bei Kenzingen von den Weimarischen gefangen wurde, mußte ich das ander desto härter strapaziern und endlich gar hinreiten, daß ich mich also in den Orden der Merode-Brüder begeben mußte. Mein Herzbruder hatte mich zwar gern wieder montiert, weil ich aber so bald mit den ersten zweien Pferden fertig worden, hielt er zurück und gedachte mich zappeln zu lassen, bis ich mich besser vorzusehen lernte; so begehrte ich solches auch nit, denn ich fand an meinen Mitkonsorten eine so angenehme Gesellschaft, daß ich mir bis an die Winterquartier keinen bessern Handel wünschte.
Ich muß nur ein wenig erzählen, was die Merode-Brüder für Leut sind, weilen sich ohn Zweifel etliche finden, sonderlich die Kriegsunerfahrnen, so nichts davon wissen: so hab ich bisher noch keinen Skribenten angetroffen, der etwas von ihren Gebräuchen, Gewohnheiten, Rechten und Privilegien seinen Schriften einverleibt hätte, ohnangesehen es wohl wert ist, daß nit allein die jetzigen Feldherrn, sondern auch der Baursmann wisse, was es für ein Zunft sei. Betreffend nun erstlich ihren Namen, will ich nit hoffen, daß es demjenigen tapfern Kavalier, unter dem sie solchen bekommen, ein Schimpf sei, sonst wollte ichs nit einem jeden so öffentlich auf die Nas binden: Ich hab eine Art Schuh gesehen, die hatten anstatt Löcher krumme Näht, damit sie desto besser durch den Kot stampfen sollten; sollte nur einer deswegen den Mansfelder selbst für einen Pechfarzer schelten, den wollte ich für einen Phantasten halten. Ebenso muß man diesen Namen auch verstehen, der nicht abgehen wird, solang die Teutschen kriegen, es hat aber ein solche Beschaffenheit damit: Als dieser Kavalier einsmals ein neugeworben Regiment zur Armee brachte, waren die Kerl so schwacher baufälliger Natur, wie die französischen Britannier, daß sie also das Marschiern und ander Ungemach, das ein Soldat im Feld ausstehen muß, nit erleiden konnten, derowegen denn ihre Brigade zeitlich so schwach wurde, daß sie kaum die Fähnlein mehr bedecken konnte, und wo man einen oder mehr Kranke und Lahme auf dem Markt, in Häusern und hinter den Zäunen und Hecken antraf und fragte: "Was Regiments?" so war gemeiniglich die Antwort: "Von Merode!" Davon entsprang, daß man endlich alle diejenigen, sie wären gleich krank oder gesund, verwundt oder nit, wenn sie nur außerhalb der Zugordnung daherzottelten, oder sonst nicht bei ihren Regimentern ihr Quartier im Feld nahmen, Merode-Brüder nannte, welche Bursch man zuvor Säusenger und Immenschneider geheißen hatte; denn sie sind wie die Brumser in den Immenfässern, welche, wenn sie ihren Stachel verloren haben, nicht mehr arbeiten noch Honig machen, sondern nur fressen können; wenn ein Reuter sein Pferd und ein Musketier seine Gesundheit verliert oder ihm Weib und Kind erkrankt und zurückbleiben will, so ists schon anderthalb Paar Merode-Brüder, ein Gesindlein, so sich mit nichts besser als mit den Zigeunern vergleicht, weil es nicht allein nach seinem Belieben vor, nach, neben und mitten unter der Armee herumstreicht, sondern auch demselben beides an Sitten und Gewohnheit ähnlich ist, da siehet man sie haufenweis beieinander (wie die Feldhühner im Winter) hinter den Hecken, im Schatten oder nach ihrer Gelegenheit an der Sonnen oder irgends um ein Feur herumliegen, Tabak zu saufen und zu faulenzen, wenn unterdessen anderwärts ein rechtschaffener Soldat beim Fähnlein Hitz, Durst, Hunger, Frost und allerhand Elend überstehet. Dort geht eine Schar neben dem Marsch her auf die Mauserei, wenn indessen manch armer Soldat vor Mattigkeit unter seinen Wagen versinken möchte. Sie spolieren vor, neben und hinter der Armee alles was sie antreffen, und was sie nicht genießen können, verderben sie, also daß die Regimenter, wenn sie in die Quartier oder ins Lager kommen, oft nicht einen guten Trunk Wasser finden, und wenn sie allen Ernstes angehalten werden, bei der Bagage zu bleiben, so wird man oft beinahe dieselbe stärker finden als die Armee selbst ist; wenn sie aber gesellenweis marschieren, quartieren, kampieren und hausieren, so haben sie keinen Wachtmeister, der sie kommandiert, keinen Feldweibel oder Sergeanten, der ihnen das Wams ausklopft, keinen Korporal, der sie wachen heißt, keinen Tambour, der sie des Zapfenstreichs, der Schar- und Tagwacht erinnert, und in Summa niemand, der sie anstatt des Adjutanten in Battaglia stellt oder anstatt des Fouriers einlogiert, sondern leben vielmehr wie die Freiherren. Wenn aber etwas an Kommiß der Soldateska zukommt, so sind sie die ersten, die ihr Teil holen, ob sie es gleich nit verdient. Hingegen sind die Rumormeister und Generalgewaltiger ihr allergrößte Pest, als welche ihnen zuzeiten, wenn sie es zu bunt machen, eiserne Silbergeschirr an Händ und Füß legen oder sie wohl gar mit einem hänfenen Kragen zieren und an ihren allerbesten Häls aufhenken lassen.
Sie wachen nicht, sie schanzen nicht, sie stürmen nicht und kommen auch in keine Schlachtordnung, und sie ernähren sich doch! Was aber der Feldherr, der Landmann und die Armada selbst, bei der sich viel solches Gesinds befindet, für Schaden davon haben, ist nicht zu beschreiben. Der heilloseste Reuterjung, der nichts tut als fouragieren, ist dem Feldherrn nützer als tausend Merode-Brüder, die ein Handwerk draus machen und ohne Not auf der Bärnhaut liegen; sie werden vom Gegenteil hinweggefangen und von den Baurn an teils Orten auf die Finger geklopft, dadurch wird die Armee gemindert und der Feind gestärkt, und wenngleich ein so liederlicher Schlingel (ich meine nicht die armen Kranken, sondern die unberittenen Reuter, die unachtsamerweis ihre Pferd verderben lassen und sich auf Merode begeben, damit sie ihre Haut schonen können) durch den Sommer davonkommt, so hat man nichts anders von ihm, als daß man ihn auf den Winter mit großem Kosten wieder montieren muß, damit er künftigen Feldzug wieder etwas zu verlieren habe; man sollte sie zusammkuppeln wie die Windhund und sie in den Garnisonen kriegen lehren oder gar auf die Galeern schmieden, wenn sie nit auch zu Fuß im Feld das ihrige tun wollten, bis sie gleichwohl wieder Pferd kriegten. Ich geschweige hier, wie manches Dorf durch sie sowohl unachtsam- als vorsätzlicherweis verbrannt wird, wie manchen Kerl sie von ihrer eigenen Armee absetzen, plündern, heimlich bestehlen und wohl gar niedermachen, auch wie mancher Spion sich unter ihnen aufhalten kann, wenn er nämlich nur ein Regiment und Kompagnie aus der Armada zu nennen weiß. Ein solcher ehrbarer Bruder nun war ich damals auch und verbliebs bis den Tag vor der Wittenweirer Schlacht, zu welcher Zeit das Hauptquartier in Schuttern war; denn als ich damals mit meinen Kameraden in das Geroldseckische ging, Kühe oder Ochsen zu stehlen, wie unser Gewohnheit war, wurde ich von den Weimarischen gefangen, die uns viel besser zu traktieren wußten, denn sie luden uns Musketen auf und stießen uns hin und wieder unter die Regimenter, ich zwar kam unter das Hattsteinische.

Das 14. Kapitel

Ein gefährlicher Zweikampf um Leib und Leben, in welchem doch jeder dem Tod entrinnet

Ich konnte damals greifen, daß ich nur zum Unglück geboren, denn ungefähr vier Wochen zuvor, ehe das gedachte Treffen geschah, hörete ich etliche Götzische gemeine Offizier von ihrem Krieg diskurrieren, da sagte einer: "Ohngeschlagen gehets diesen Sommer nicht ab! Schlagen wir dann den Feind, so müssen wir den künftigen Winter Freiburg und die Waldstädt einnehmen; kriegen wir aber Stöß, so kriegen wir auch Winterquartier." Auf diese Prophezei machte ich meinen richtigen Schluß, und sagte bei mir selbst: "Nun freue dich Simplici, du wirst künftigen Frühling guten See- und Neckarwein trinken, und genießen, was die Weimarischen verdienen werden." Aber ich betrog mich weit, denn weil ich nunmehr weimarisch war, so war ich auch prädestiniert, Breisach belagern zu helfen, maßen solche Belagerung gleich nach mehrbemeldter Wittenweirer Schlacht völlig ins Werk gesetzt wurde, da ich denn wie andere Musketier Tag und Nacht wachen und schanzen mußte und nichts davon hatte, als daß ich lernte wie man mit den Approchen einer Festung zusetzen muß, darauf ich vor Magdeburg wenig Achtung geben. Im übrigen aber war es lausig bei mir bestellt, weil je zwo oder drei aufeinander saßen, der Beutel war leer, Wein, Bier und Fleisch ein Rarität, Äpfel und halb Brot genug mein bestes Wildbret.
Solches war mir sauer zu ertragen, Ursach, wenn ich zurück an die ägyptischen Fleischtöpf, das ist, an die westfälischen Schinken und Knackwürst zu L. gedachte. Ich gedachte niemal mehr an mein Weib, als wenn ich in meinem Zelt lag und vor Frost halb erstarrt war, da sagte ich denn oft zu mir selber: "Hui Simplici, meinst du auch wohl, es geschehe dir Unrecht, wenn dir einer wieder wettspielte, was du zu Paris begangen?" Und mit solchen Gedanken quälte ich mich wie ein ander eifersüchtiger Hahnrei, da ich doch meinem Weib nichts als Ehr und Tugend zutrauen konnte; zuletzt wurde ich so ungeduldig, daß ich meinem Kapitän eröffnete, wie meine Sachen bestellt wären, schrieb auch auf der Post nach L. und erhielt vom Obristen de S. A. und meinem Schwährvater, daß sie durch ihre Schreiben bei dem Fürsten von Weimar zuwegen brachten, daß mich mein Kapitän mit einem Paß mußte laufen lassen.
Ungefähr eine Woche oder vier vor Weihnachten marschiert ich mit einem guten Feurrohr vom Lager ab, das Breisgau hinunter, der Meinung, selbige Weihnachtmeß zu Straßburg zwanzig Taler, von meinem Schwähr übermacht, zu empfangen und mich mit Kaufleuten den Rhein hinunter zu begeben, da es doch unterwegs viel kaiserliche Garnisonen hatte: Als ich aber bei Endingen vorbei passiert' und zu einem einzigen Haus kam, geschah ein Schuß nach mir, so daß mir die Kugel den Rand am Hut verletzt', und gleich darauf sprang ein starker vierschrötiger Kerl aus dem Haus auf mich los, der schrie, ich sollte das Gewehr ablegen; ich antwort: "Bei Gott Landsmann, dir zu Gefallen nicht", und zog den Hahnen über. Er aber wischte mit einem Ding von Leder, das mehr einem Henkersschwert als Degen gleichsah, und eilete damit auf mich zu: Wie ich nun seinen Ernst spürte, schlug ich an und traf ihn dergestalt an die Stirn, daß er herumdurmelte und endlich zu Boden fiel; dieses mir zunutz zu machen, rang ich ihm geschwind sein Schwert aus der Faust und wollts ihm in Leib stoßen; da es aber nicht durchgehen wollte, sprang er wieder unversehens auf die Füß, erwischte mich beim Haar und ich ihn auch, sein Schwert aber hatte ich schon weggeworfen, darauf fingen wir ein solch ernstlich Spiel miteinander an, so eines jeden verbitterte Stärk genugsam zu erkennen gab, und konnt doch keiner des andern Meister werden; bald lag ich, bald lag er oben, und im Hui kamen wir wieder auf die Füß, so aber nicht lang dauerte, weil je einer des andern Tod suchte; das Blut, so mir häufig zu Nas und Mund herauslief, spie ich meinem Feind ins Gesicht, weil ers so hitzig begehrte, das war mir gut, denn es hinderte ihn am Sehen. Also zogen wir einander bei anderthalb Stund im Schnee herum, davon wurden wir so matt, daß allem Ansehen nach des einen Unkräften des andern Müdigkeit allein mit den Fäusten nicht völlig überwinden, noch einer den andern aus eigenen Kräften und ohne Waffen vollends zum Tod hätte bringen mögen.
Die Ringkunst, darin ich mich zu L. oft übte, kam mir damals wohl zustatten, sonst hätte ich ohne Zweifel eingebüßt, denn mein Feind war viel stärker als ich und überdas eisenfest. Als wir einander fast tödlich abgemattet, sagte er endlich: "Bruder, hör auf, ich ergeb mich dir zu eigen!" Ich sagte: "Du solltest mich anfänglich haben passieren lassen." "Was hast du mehr", antwortet' jener, "wenn ich gleich sterbe?" "Und was hättest du gehabt", sagte ich, "wenn du mich hättest niedergeschossen, sintemal ich kein Heller Geld bei mir hab!" Darauf bat er um Verzeihung, und ich mich erweichen und ihn aufstehen ließ, nachdem er mir zuvor teur geschworen, daß er nit allein Frieden halten, sondern auch mein treuer Freund und Diener sein wollte. Ich hätte ihm aber weder geglaubt noch getraut, wenn mir seine verübten leichtfertigen Handlungen bekannt gewesen wären.
Da wir nun beide auf waren, gaben wir einander die Händ, daß alles was geschehen, vergessen sein sollte, und verwunderte sich einer über den andern, daß er seinen Meister gefunden, denn jener meinte, ich sei auch mit einer solchen Schelmenhaut wie er überzogen gewesen; ich ließ ihn auch dabei bleiben, damit, wenn er sein Gewehr bekäme, sich nicht noch einmal an mich reiben dürfte. Er hatte von meinem Schuß ein große Beul an der Stirn, und ich hatte mich sehr verblutet, doch klagte keiner mehr als den Hals, welche so zugerichtet, daß keiner den Kopf aufrecht tragen konnte.
Weil es denn gegen Abend war und mir mein Gegenteil erzählen tat, daß ich bis an die Kinzig weder Hund noch Katz, viel weniger einen Menschen antreffen würde, er aber hingegen ohnweit von der Straß in einem abgelegenen Häuslein ein gut Fleisch und einen Trunk zum besten hätte. Also ließ ich mich überreden, und ging mit ihm, da er denn unterwegs oft mit Seufzern bezeugte, wie leid ihm sei, daß er mich beleidigt habe.

Das 15. Kapitel

Wie Olivier seine buschklöpferischen Übeltaten noch wohl zu entschuldigen vermeinte

Ein resoluter Soldat, der sich darein ergeben, sein Leben zu wagen und gering zu achten, ist wohl ein dummes Vieh! Man hätte tausend Kerl gefunden, darunter kein einziger das Herz gehabt hätte, mit einem solchen, der ihn erst als ein Mörder angegriffen, an ein unbekannt Ort zu Gast zu gehen: Ich fragt ihn auf dem Weg, was Volks er sei? da sagte er, er hätte für diesmal keinen Herrn, sondern kriege für sich selbst, und fragte zugleich, was Volks denn ich sei? Ich sagte, daß ich weimarisch gewesen, nunmehr aber mein Abschied hätte und gesinnet wäre, mich nach Haus zu begeben; darauf fragte er, wie ich hieße? und da ich antwortet: "Simplicius", kehrt' er sich um (denn ich ließ ihn vorangehen, weil ich ihm nit traute) und sah mir steif ins Gesicht: "Heißt du nicht auch Simplicissimus?" "Ja", antwortet ich, "der ist ein Schelm der seinen Namen verleugnet, wie heißt aber du?" "Ach Bruder", antwortet' er, "so bin ich Olivier, den du wohl vor Magdeburg wirst gekannt haben"; warf damit sein Rohr von sich und fiel auf die Knie nieder, mich um Verzeihung zu bitten, daß er mich so übel gemeint hätte, sagend, er könnte sich wohl einbilden, daß er keinen bessern Freund in der Welt bekomme, als er an mir einen haben würde, weil ich nach des alten Herzbruders Prophezei seinen Tod so tapfer rächen sollte: Ich hingegen wollte mich über ein so seltsame Zusammenkunft verwundern, er aber sagte: "Das ist nichts Neues, Berg und Tal kommt nit zusammen, das ist mir aber seltsam, daß wir beide uns so verändert haben, sintemal ich aus einem Secretario ein Waldfischer, du aber aus einem Narrn zu einem so tapfern Soldaten worden! Sei versichert Bruder, wenn unserer zehentausend wären, daß wir morgenden Tags Breisach entsetzen und uns endlich zu Herren der ganzen Welt machen wollten."
In solchem Diskurs passierten wir, da es eben Nacht worden, in ein klein abgelegen Taglöhnerhäuslein; und ob mir zwar solche Prahlerei nit gefiel, so gab ich ihm doch recht, vornehmlich weil mir sein schelmisch falsch Gemüt bekannt war, und ob ich ihm zwar im geringsten nichts Guts zutraute, so ging ich doch mit ihm in besagtes Häuslein, in welchem ein Baur eben die Stub einhitzte, dem sagte er: "Hast du etwas gekocht?" "Nein", sagt' der Baur, "ich hab ja den gebratenen Kalbsschlegel noch, den ich heute von Waldkirch brachte." "Nun denn", antwort Olivier, "so gehe und lang her was du hast, und bringe zugleich das Fäßlein Wein mit."
Als der Baur fort war, sagte ich zu Olivier: "Bruder (ich nennt ihn so, damit ich desto sicherer vor ihm wäre), du hast einen willigen Wirt!" "Das dank", sagte er, "dem Schelmen der Teufel, ich ernähr ihn ja mit Weib und Kind, und er macht noch dazu für sich selbst gute Beuten, ich lasse ihm alle Kleider, die ich erobere, solche zu seinem Nutzen anzuwenden." Ich fragte, wo er denn sein Weib und Kind hätte? da sagte Olivier, daß er sie nach Freiburg geflehnt, die er alle Woch zweimal besuche und ihm von dort aus sowohl die Victualia als Kraut und Lot zubringe. Ferner berichtet' er mich, daß er diese Freibeuterei schon lang getrieben und ihm besser zuschlage, als wenn er einem Herrn diene, er gedächte auch nit aufzuhören, bis er seinen Beutel rechtschaffen gespickt hätte. Ich sagte: "Bruder, du lebest in einem gefährlichen Stand, und wenn du über solcher Rauberei ergriffen würdest, wie meinst du wohl, daß man mit dir umging?" "Ha", sagte er, "ich höre wohl, daß du noch der alte Simplicius bist; ich weiß wohl, daß derjenige so kegeln will, auch aufsetzen muß; du mußt aber das wissen, daß die Herren von Nürnberg keinen henken lassen, sie haben ihn denn." Ich antwortet: "Gesetzt aber Bruder, du werdest nicht ertappt, das doch sehr mißlich stehet, denn der Krug gehet so lang zum Brunnen, bis er einmal zerbricht, so ist dennoch ein solch Leben, wie du führest, das allerschändlichste von der Welt, daß ich also nit glaube, daß du darin zu sterben begehrest." "Was", sagte er, "das schändlichste? Mein tapferer Simplici, ich versichere dich, daß die Räuberei das alleradeligste Exercitium ist, das man dieser Zeit auf der Welt haben kann! Sag mir, wie viel Königreich und Fürstentümer sind nicht mit Gewalt erraubt und zuwegen gebracht worden? Oder wo wirds einem König oder Fürsten auf dem ganzen Erdboden für übel aufgenommen, wenn er seiner Länder Intraden genießt, die doch gemeinlich durch ihrer Vorfahren verübte Gewalt zuwegen gebracht worden? Was könnte doch adeliger genennet werden als eben das Handwerk, dessen ich mich jetzt bediene? Ich merke dir an, daß du mir gern vorhalten wolltest, daß ihrer viel wegen Mordens, Raubens und Stehlens seien gerädert, gehenkt und geköpft worden? das weiß ich zuvor wohl, denn das befehlen die Gesetze, du wirst aber keine anderen als arme und geringe Dieb haben henken sehen, welches auch billig ist, weil sie sich dieser vortrefflichen Übung haben unterfangen dürfen, die doch niemandem als herzhaften Gemütern gebührt und vorbehalten ist: Wo hast du jemals eine vornehme Standsperson durch die Justitiam strafen sehen, um daß sie ihr Land zuviel beschwert habe? ja was noch mehr ist, wird doch kein Wucherer gestraft, der diese herrliche Kunst heimlich treibt und zwar unter dem Deckmantel christlicher Lieb, warum wollte denn ich strafbar sein, der ich solche öffentlich, auf gut Alt-Teutsch, ohn einzige Bemäntelung und Gleisnerei übe? Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen; ich bin eines recht aufrichtigen Gemüts, und treibe diese Manier zu leben frei öffentlich ohne alle Scheu; ich fechte und wag mein Leben darüber wie die alten Helden, weiß auch, daß diejenigen Hantierungen, dabei der so sie treibt, in Gefahr stehen muß, zugelassen sind; weil ich denn mein Leben in Gefahr setze, so folgt unwidersprechlich, daß mirs billig und erlaubt sei, diese Kunst zu üben."
Hierauf antwortet ich: "Gesetzt, Rauben und Stehlen sei dir erlaubt oder nicht, so weiß ich gleichwohl, daß es wider das Gesetz der Natur ist, das da nicht will, daß einer einem andern tun solle, das er nicht will, daß es ihm geschehe; so ist solche Unbilligkeit auch wider die weltlichen Gesetz, welche befehlen, daß die Dieb gehenkt, die Räuber geköpft und die Mörder geradbrecht werden sollen; und letztlich so ist es auch wider Gott, so das Vornehmste ist, weil er keine Sünde ungestraft läßt." "Es ist, wie ich vor gesagt", antwort Olivier, "du bist noch Simplicius, der den Machiavellum noch nit studiert hat; könnte ich aber auf solche Art eine Monarchiam aufrichten, so wollte ich sehen, wer mir alsdann viel dawider predigte." Wir hätten noch mehr miteinander diskutiert, weil aber der Baur mit dem Essen und Trinken kam, saßen wir zusammen und stillten unsere Mägen, dessen ich denn trefflich hoch vonnöten hatte.

Das 16. Kapitel

Wie er Herzbruders Weissagung zu seinem Vorteil auslegt und deswegen seinen ärgsten Feind liebet

Unser Essen war weiß Brot und ein gebratener kalter Kalbsschlegel, dabei hatten wir einen guten Trunk Wein und ein warme Stub. "Gelt Simplici", sagt' Olivier, "hier ists besser als vor Breisach in den Laufgräben?" Ich sagte: "Das wohl, wenn man solch Leben mit gewisser Sicherheit und bessern Ehren zu genießen hätte." Darüber lachte er überlaut, und sagte: "Sind denn die armen Teufel in den Laufgräben sicherer als wir, die sich all Augenblick eines Ausfalls besorgen müssen? Mein lieber Simplici, ich sehe zwar wohl, daß du deine Narrnkapp abgelegt, hingegen aber deinen närrischen Kopf noch behalten hast, der nicht begreifen kann, was gut oder bös ist, und wenn du ein anderer als derjenige Simplicius wärest, der nach des alten Herzbruders Wahrsagung meinen Tod rächen solle, so wollte ich dich bekennen lehren, daß ich ein edler Leben führe als ein Freiherr." Ich gedachte, was will das werden, du mußt ander Wort hervorsuchen als bisher, sonst möcht dich dieser Unmensch, so jetzt den Baurn fein zu Hilf hat, erst kaputt machen, sagte derhalben: "Wo ist sein Tag je erhört worden, daß der Lehrjung das Handwerk besser verstehe als der Lehrmeister? Bruder, hast du ein so edel glückselig Leben wie du vorgibst, so mache mich deiner Glückseligkeit auch teilhaftig, sintemal ich eines guten Glücks hoch vonnöten." Darauf antwort Olivier: "Bruder sei versichert, daß ich dich so hoch liebe als mich selbsten und daß mir die Beleidigung, so ich dir heut zugefügt, viel weher tut als die Kugel, damit du mich an meine Stirn troffen, als du dich meiner wie ein tapferer rechtschaffener Kerl erwehrtest, warum wollte ich dir denn etwas versagen können? Wenn dirs beliebt, so bleibe bei mir, ich will für dich sorgen als für mich selbsten, hast du aber keine Lust bei mir zu sein, so will ich dir ein gut Stück Geld geben und begleiten, wohin du willst. Damit du aber glaubest, daß mir diese Wort von Herzen gehen, so will ich dir die Ursach sagen, warum ich dich so hoch halte: Du weißt dich zu erinnern, wie richtig der alte Herzbruder mit seinen Prophezeiungen zugetroffen, schaue, derselbe hat mir vor Magdeburg diese Wort geweissagt, die ich bishero fleißig im Gedächtnis behalten: ›Olivier, siehe unsern Narrn an wie du willst, so wird er dennoch durch seine Tapferkeit dich erschrecken und dir den größten Possen erweisen, der dir dein Lebtag je geschehen wird, weil du ihn dazu verursachest in einer Zeit, darin ihr beide einander nicht erkennet gehabt, doch wird er dir nit allein dein Leben schenken, so in seinen Händen gestanden, sondern er wird auch über ein Zeitlang hernach an dasjenig Ort kommen, da du erschlagen wirst, daselbst wird er glückselig deinen Tod rächen.‹ Dieser Weissagung halber, liebster Simplici, bin ich bereit mit dir das Herz im Leib zu teilen, denn gleichwie schon ein Teil davon erfüllt, indem ich dir Ursach geben, daß du mich als ein tapferer Soldat vor den Kopf geschossen und mir mein Schwert genommen (das mir freilich noch keiner getan), mir auch das Leben gelassen, da ich unter dir lag und gleichsam im Blut erstickte; also zweifle ich nicht, daß das übrige von meinem Tod auch im wenigsten fehlschlagen werde. Aus solcher Rach nun, liebster Bruder, muß ich schließen, daß du mein getreuer Freund seiest, denn dafern du es nicht wärest, so würdest du solche Rach auch nicht über dich nehmen; da hast du nun die Concepta meines Herzens, jetzt sag mir auch, was du zu tun gesinnet seiest?" Ich gedachte: "Trau dir der Teufel, ich nicht! nehm ich Geld von dir auf den Weg, so möchtest du mich erst niedermachen, bleib ich denn bei dir, so muß ich sorgen, ich dürfte mit dir gevierteilt werden"; setzte mir demnach vor, ich wollt ihm eine Nas drehen, bei ihm zu bleiben, bis ich mit Gelegenheit von ihm kommen könnte, sagte derhalben, so er mich leiden möchte, wollte ich mich ein Tag oder acht bei ihm aufhalten zu sehen, ob ich solche Art zu leben gewöhnen könnte, gefiel mirs, so sollte er beides einen getreuen Freund und guten Soldaten an mir haben, gefiel mirs nit, so sei allezeit gut voneinander scheiden. Darauf setzt' er mir mit dem Trunk zu, ich getraute aber auch nicht und stellte mich voll ehe ichs war zu sehen, ob er vielleicht an mich wollte, wenn ich mich nicht mehr defendieren könnte.
Indessen plagten mich die Müllerflöhe trefflich, deren ich eine ziemliche Quantität von Breisach mit mir gebracht hatte, denn sie wollten sich in der Wärme nicht mehr in meinen Lumpen behelfen, sondern spazierten heraus, sich auch lustig zu machen. Dieses nahm Olivier an mir gewahr und fragte, ob ich Läus hätte? Ich sagte: "Ja freilich, mehr als ich mein Lebtag Dukaten zu bekommen getraue." "So mußt du nit reden", sagte Olivier, "wenn du bei mir bleibest, so kannst du noch wohl mehr Dukaten kriegen, als du jetzt Läus hast." Ich antwortet: "Das ist so unmöglich, als ich jetzt meine Läus abschaffen kann." "O ja", sagte er, "es ist beides möglich", und befahl gleich dem Baurn, mir ein Kleid zu holen, das unfern vom Haus in einem hohlen Baum stak, das war ein grauer Hut, ein Koller von Elen, ein Paar rote scharlachner Hosen und ein grauer Rock, Strümpf und Schuh wollte er mir morgen geben. Da ich solche Guttat von ihm sah, getraute ich ihm schon etwas Bessers zu als zuvor und ging fröhlich schlafen.

Das 17. Kapitel

Simplicii Gedanken sind andächtiger, wenn er auf die Rauberei sehet, als des Oliviers in der Kirchen

Am Morgen gegen Tag sagte Olivier: "Auf Simplici, wir wollen in Gottes Namen hinaus, zu sehen, was etwa zu bekommen sein möchte." "Ach Gott", gedacht ich, "soll ich denn nun in deinem hochheiligen Namen auf die Rauberei gehen? und bin hiebevor, nachdem ich von meinem Einsiedel kam, nit so kühn gewesen, ohne Erstaunen zuzuhören, wenn einer zum andern sagte. ›Komm Bruder, wir wollen in Gottes Namen ein Maß Wein miteinander saufen‹; weil ichs für eine doppelte Sünd hielt, wenn einer in deinem Namen sich vollzöffe. O himmlischer Vater, wie hab ich mich verändert! O getreuer Gott, was wird endlich aus mir werden, wenn ich nicht wieder umkehre? Ach hemme meinen Lauf, der mich so richtig zur Höllen bringt, da ich nit Buß tue!" Mit dergleichen Worten und Gedanken folgete ich Olivier in ein Dorf, darinnen keine lebendige Kreatur war, da stiegen wir des fernen Aussehens halber auf den Kirchturm; auf demselben hatte er die Strümpf und Schuh verborgen, die er mir den Abend zuvor versprochen, neben zwei Laib Brot, etlich Stück gesotten dörr Fleisch und ein Fäßlein halb voll Wein im Vorrat, mit welchem er sich allein gern acht Tag hätte behelfen können. Indem ich nun meine Verehrung anzog, erzählt' er mir, daß er an diesem Ort pflege aufzupassen, wenn er eine gute Beut zu holen gedächte, deswegen er sich denn so wohl proviantiert, mit dem Anhang, daß er noch etlich solcher Örter hätte, die mit Speis und Trank versehen wären, damit wenn Bläsi an einem Ort nicht zu Haus wäre, er ihn am andern finden könnte. Ich mußte zwar seine Klugheit loben, gab ihm aber zu verstehen, daß es doch nicht schön stünde, ein so heiligen Ort, der Gott gewidmet sei, dergestalt zu beflecken. "Was", sagte er, "beflecken? - die Kirchen, da sie reden könnten, würden gestehen, daß sie dasjenige, was ich in ihnen begehe, gegen die Laster, so hiebevor in ihnen begangen worden, noch für gar gering aufnehmen müßten; wie mancher und wie manche meinest du wohl, die seit Erbauung dieser Kirch hereingetreten seien unter dem Schein, Gott zu dienen, da sie doch nur herkommen, ihre neuen Kleider, ihre schöne Gestalt, ihre Präeminenz und sonst so etwas sehen zu lassen? da kommt einer zur Kirchen wie ein Pfau und stellt sich vorm Altar, als ob er den Heiligen die Füß abbeten wollte; dort stehet einer in einem Eck zu seufzen wie der Zöllner im Tempel, welche Seufzer aber nur zu seiner Liebsten gehen, in deren Angesicht er seine Augen weidet, um deretwillen er sich auch eingestellt: Ein ander kommt vor, oder wenns wohl gerät, in die Kirch mit einem Gebund Brief, wie einer der ein Brandsteur sammlet, mehr seine Zinsleut zu mahnen als zu beten; hätte er aber nit gewußt, daß seine Debitores zur Kirch kommen mußten, so wäre er fein daheim über seinen Registern sitzen blieben: ja es geschieht zuzeiten, wenn teils Obrigkeiten einer Gemeind im Dorf etwas anzudeuten hat, so muß es der Bot am Sonntag bei der Kirchen tun, daher sich mancher Bauer vor der Kirch ärger als ein armer Sünder vor dem Richthaus fürchtet: Meinest du nicht, es werden auch von denjenigen in die Kirch begraben, die Schwert, Galgen, Feuer und Rad verdient hätten? Mancher könnte seine Buhlerei nicht zu End bringen, da ihm die Kirch nit beförderlich wäre; ist etwas zu verkaufen oder zu verleihen, so wirds an teils Orten an die Kirchtür geschlagen; wenn mancher Wucherer die ganze Woche keine Zeit nimmt, seiner Schinderei nachzusinnen, so sitzt er unter währendem Gottesdienst in der Kirch und dichtet, wie der Judenspieß zu führen sei; da sitzen sie hier und dort unter der Meß und Predigt miteinander zu diskurriern, gerad als ob die Kirch nur zu dem End gebauet wäre, da werden denn oft Sachen beratschlagt, deren man an Privatörtern nicht gedenken dürfte; teils sitzen dort und schlafen, als ob sie es verdingt hätten; etliche tun nichts anders als Leut ausrichten, und sagen: ›Ach wie hat der Pfarrer diesen oder jenen so artlich in seiner Predigt getroffen!‹ Andere geben fleißig Achtung auf des Pfarrers Vorbringen, aber nit zu dem End, daß sie sich daraus bessern, sondern damit sie ihren Seelsorger, wenn er nur im geringsten anstößt (wie sie es verstehen), durchziehen und tadlen möchten; ich geschweig hier derjenigen Historien, so ich gelesen, was für Buhlschaften durch Kupplerei in den Kirchen hin und wieder ihren Anfang und End genommen, so fällt mir auch, was ich von dieser Materi noch zu reden hätte, jetzt nicht alles ein: Dies mußt du doch noch wissen, daß die Menschen nit allein in ihrem Leben die Kirchen mit Lastern beschmutzen, sondern auch nach ihrem Tod dieselbe mit Eitelkeit und Torheit erfüllen; sobald du in eine Kirche kommest, so wirst du an den Grabsteinen und Epitaphien sehen, wie diejenigen noch prangen, die doch die Würm schon längst gefressen, siehest du dann in die Höhe, so kommen dir mehr Schild, Helm, Waffen, Degen, Fahnen, Stiefel, Sporn und dergleichen Ding ins Gesicht, als in mancher Rüstkammer, daß also kein Wunder, daß sich die Bauern diesen Krieg über an etlichen Orten aus den Kirchen wie aus Festungen um das Ihrige gewehrt: Warum sollte mir nicht erlaubt sein, mir sage ich, als einem Soldaten, daß ich mein Handwerk in der Kirchen treibe? da doch hiebevor zween geistliche Väter in einer Kirch nur des Vorsitzes halber ein solch Blutbad angestellt, daß die Kirch mehr einem Schlachthaus der Metzger als heiligen Ort gleichgesehen: Ich zwar ließ es noch unterwegen, wenn man nur den Gottesdienst zu verrichten herkäme, da ich doch ein Weltmensch bin; jene aber, als Geistliche, respektierten doch die hohe Majestät des römischen Kaisers nicht. Warum sollte mir verboten sein, meine Nahrung vermittelst der Kirche zu suchen, da sich doch sonst so viel Menschen von derselben ernähren? Ists billig, daß mancher Reiche um ein Stück Geld in die Kirche begraben wird, sein und seiner Freundschaft Hoffart zu bezeugen, und daß hingegen der Arme (der doch so wohl ein Christ als jener, ja vielleicht ein frömmerer Mensch gewesen) so nichts zu geben hat, außerhalb in einem Winkel verscharret werden muß; es ist ein Ding wie mans macht, wenn ich hätte gewußt, daß du Bedenken trügest, in der Kirch aufzupassen, so hätte ich mich bedacht, dir anderst zu antworten, indessen nimm ein Weil mit diesem vorlieb, bis ich dich einmal anders berede."
Ich hätte dem Olivier gern geantwort, daß solches auch liederliche Leut wären so wohl als er, welche die Kirchen verunehren, und daß dieselbigen ihren Lohn schon drum finden würden; weil ich ihm aber ohnedas nicht traute und ungern noch einmal mit ihm gestritten hätte, ließ ich ihn recht haben. Hernach begehrte er, ich wollte ihm erzählen, wie mirs ergangen, seit wir vor Wittstock voneinander kommen, und dann warum ich Narrnkleider angehabt, als ich im Magdeburgischen Lager angelangt? Weil ich aber wegen Halsschmerzen gar zu unlustig, entschuldigte ich mich, mit Bitt, er wollte mir doch zuvor seinen Lebenslauf erzählen, der vielleicht possierliche Schnitz in sich hielte; dies sagte er mir zu, und fing sein ruchlos Leben nachfolgendergestalt an zu erzählen.

Das 18. Kapitel

Olivier erzählt sein Herkommen, und wie er sich in seiner Jugend, vornehmlich aber in der Schul gehalten

"Mein Vater", sagte Olivier, "ist unweit der Stadt Aachen von geringen Leuten geboren worden, derowegen er denn bei einem reichen Kaufmann, der mit dem Kupferhandel schacherte, in seiner Jugend dienen mußte; bei demselben hielt er sich so fein, daß er ihn schreiben, lesen und rechnen lernen ließ und ihn über seinen ganzen Handel setzte, wie Potiphar den Joseph; dies schlug auch beiden Teilen wohl zu, denn der Kaufmann wurde wegen meines Vaters Fleiß und Vorsichtigkeit je länger je reicher, mein Vater selbst aber, der guten Tag halber, je länger je stolzer, so gar, daß er sich auch seiner Eltern schämte und solche verachtete, das sie oft vergeblich beklagten. Wie nun mein Vater das fünfundzwanzigste Jahr seines Alters erreichte, starb der Kaufmann und verließ sein alte Wittib samt deren einziger Tochter, die kürzlich in ein Pfann getreten und sich von einem Gadenhengst ein Junges zweigen lassen, selbiges aber folgte seinem Großvater am Totenreihen bald nach: Da nun mein Vater sah, daß die Tochter vater- und kinder-, aber nicht geldlos worden, achtet' er nicht, daß sie keinen Kranz mehr tragen durfte, sondern erwog ihren Reichtum und machte sich bei ihr zutäppisch, so ihre Mutter gern zuließ, nit allein, damit ihre Tochter wieder zu Ehren käme, sondern weil mein Vater um den ganzen Handel alle Wissenschaft hatte, zumalen auch sonst mit dem Judenspieß trefflich fechten konnte. Also wurde mein Vater durch solche Heirat unversehens ein reicher Kaufmann, ich aber sein erster Erb, den er wegen seines Überflusses zärtlich aufziehen ließ, ich wurde in Kleidungen gehalten wie ein Edelmann, in Essen wie ein Freiherr, und in der übrigen Wartung wie ein Graf, welches ich alles mehr dem Kupfer und Galmei, als dem Silber und Gold zu danken.
Ehe ich das siebente Jahr völlig überlebte, erzeigte sich schon, was aus mir werden wollte, denn was zur Nessel werden soll, brennt beizeiten; kein Schelmstück war mir zuviel, und wo ich einem konnte einen Possen reißen, unterließ ichs nicht, denn mich weder Vater noch Mutter hierum strafte; ich terminierte mit meinesgleichen bösen Buben durch dünn und dick auf der Gassen herum und hatte schon das Herz, mit stärkern als ich war herumzuschlagen, kriegte ich dann Stöß, so sagten meine Eltern: ›Was ist das? soll so ein großer Flegel sich mit einem Kind schlagen?‹ Überwand denn ich (maßen ich kratzte, biß und warf) so sagten sie: ›Unser Olivierchen wird ein braver Kerl werden!‹ Davon wuchs mir der Mut, zum Beten war ich noch zu klein, wenn ich aber fluchte wie ein Fuhrmann, so hieß, ich verstünde es nicht: Also wurde ich immer ärger, bis man mich zur Schul schickte, was denn andere böse Buben aus Bosheit ersannen und nicht praktizieren durften, das setzte ich ins Werk. Wenn ich meine Bücher verklettert' oder zerriß, so schaffte mir die Mutter wieder andere, damit mein geiziger Vater sich nit erzürnte. Meinem Schulmeister tat ich großen Dampf an, denn er durfte mich nit hart halten, weil er ziemliche Verehrungen von meinen Eltern bekam, als deren unziemliche Affenliebe gegen mich ihm wohl bekannt war; im Sommer fing ich Feldgrillen, und setzte sie fein heimlich in die Schul, die uns ein lieblich Gesang machten, im Winter aber stahl ich Nießwurz und stäubte sie an den Ort, da man die Knaben zu kastigieren pflegt', wenn sich dann etwa ein Halsstarriger wehrte, so stob mein Pulver herum und machte mir ein angenehme Kurzweil, weil alles niesen mußte. Hernach dünkte ich mich viel zu gut sein, nur so gemeine Schelmstück anzustellen, sondern all mein Tun ging auf obigen Schlag; ich stahl oft dem einen etwas und steckte es einem andern in Sack, dem ich gern Stöß angerichtet, und mit solchen Griffen konnte ich so behutsam umgehen, daß ich fast niemals darüber ertappt wurde. Von den Kriegen, die wir damals geführt, bei denen ich gemeiniglich ein Obrister gewesen, item von den Stößen die ich oft bekommen (denn ich hatte stets ein zerkratzt Gesicht und den Kopf voll Beulen), mag ich jetzt nichts sagen, es weiß ja jedermann ohnedas wohl, was die Buben oft anstellen. So kannst du auch an oberzählten Stücken leicht abnehmen, wie ich mich sonst in meiner Jugend angelassen."

Das 19. Kapitel

Wie er zu Lüttich studiert, und sich daselbst gehalten habe

"Weilen sich meines Vaters Reichtum täglich mehrte, also bekam er auch desto mehr Schmarotzer und Fuchsschwänzer, die meinen guten Kopf zum Studieren trefflich lobten, sonsten aber alle meine Untugenden verschwiegen oder aufs wenigst zu entschuldigen wußten, denn sie spürten wohl, daß derjenige so solches nicht tat, weder bei Vater noch Mutter wohl dran sein könnte; derowegen hatten meine Eltern ein größere Freud über ihren Sohn als die Grasmück, die einen Kuckuck aufzieht. Sie dingten mir einen eigenen Praeceptorem, und schickten mich mit demselben nach Lüttich, mehr daß ich dort Welsch lernen als studieren sollte, weilen sie keinen Theologum, sondern einen Handelsmann aus mir ziehen wollten; dieser hatte Befehl, mich beileib nicht streng zu halten, daß ich kein furchtsam knechtisch Gemüt überkäme, er sollte mich fein unter die Bursch lassen, damit ich nit leutscheu würde, und gedenken, daß sie keinen Mönchen, sondern einen Weltmann aus mir machen wollten, der wissen müsse, was schwarz oder weiß sei.
Ermeldter mein Präceptor aber war dieser Instruktion unbedürftig, sondern von sich selbsten auf alle Büberei geneigt, was hätte er mir denn solche verbieten oder mich um meine geringen Fehler hart halten sollen, da er selbst gröbere beging; aufs Buhlen und Saufen war er am meisten geneigt, ich aber von Natur aufs Balgen und Schlagen, daher ging ich schon bei Nacht mit ihm und seinesgleichen gassatim und lernete ihm in Kürze mehr Untugenden als Latein ab. Soviel das Studiern anbelangt, verließ ich mich auf mein gut Gedächtnis und scharfen Verstand und war deswegen desto fahrlässiger, im übrigen aber in allen Lastern, Bubenstücken und Mutwillen ersoffen, mein Gewissen war bereits so weit, daß ein großer Heuwagen hindurch hätte fahren mögen: Ich fragte nichts danach, wenn ich in der Kirch unter der Predigt den Bernium, Burchiellum oder den Aretinum las, und hörte nichts liebers vom ganzen Gottesdienst, als wenn man sagt': Ite missa est. Daneben dünkte ich mich keine Sau zu sein, sondern hielt mich recht stutzerisch, alle Tag war mirs Martinsabend oder Fasnacht, und weil ich mich dergestalt hielt wie ein gemachter Herr und nicht nur das, so mein Vater zur Notdurft reichlich schickte, sondern auch meiner Mutter fette Milchpfennig tapfer durchgehen ließ, lockte uns auch das Frauenzimmer an sich, sonderlich meinen Praeceptorem, bei diesen Schleppsäcken lernete ich löffeln, buhlen und spielen; hadern, balgen und schlagen konnte ich zuvor, und mein Präceptor wehrte mir das Fressen und Saufen auch nicht, weil er selbsten gern mitmachte. Es währte dieses herrliche Leben anderthalb Jahr, ehe es mein Vater erfuhr, welches ihn sein Faktor zu Lüttich, bei dem wir auch anfangs zu Kost gingen, berichtet'; der bekam hingegen Befehl, auf uns genauer Achtung zu geben, den Präceptorn abzuschaffen, mir den Zügel fürderhin nicht mehr so lang zu lassen und mich ferner mit Geldgeben genauer zu halten. Solches verdroß uns alle beide, und obschon er Präceptor geurlaubt wurde, so staken wir jedoch ein als den andern Weg Tag und Nacht beieinander; demnach wir aber nit mehr wie hiebevor spendieren konnten, geselleten wir uns zu einer Bursch, die den Leuten des Nachts auf der Gassen die Mäntel abzwackten oder sie gar in der Maas ersäuften; was wir denn solchergestalt mit höchster Gefahr eroberten, verschlemmten wir mit unsern Huren und ließen das Studieren beinahe ganz unterwegen.
Als wir nun einsmals, unserer Gewohnheit nach, bei der Nacht herumschlingelten, den Studenten ihre Mäntel hinwegzuvulpiniern, wurden wir überwunden, mein Präceptor erstochen und ich neben andern fünfen, die rechte Spitzbuben waren, ertappt und eingezogen: Als wir nun den folgenden Tag examiniert wurden und ich meines Vaters Faktor nannte, der ein ansehenlicher Mann war, wurde derselbe beschickt, meinetwegen befragt und ich auf seine Verbürgung losgelassen, doch daß ich bis auf weitern Bescheid in seinem Haus im Arrest verbleiben sollte; indessen wurde mein Präceptor begraben, jene fünf als Spitzbuben, Räuber und Mörder gestraft, mein Vater aber berichtet, wie mein Handel stünde; der kam eiligst selbst auf Lüttich, richtete meine Sach mit Geld aus, hielt mir eine scharfe Predigt und verwies mir, was ich ihm für Kreuz und Unglück machte, item daß sich meine Mutter stelle, als ob sie wegen meines Übelverhaltens verzweifeln wollte, bedrohete mich auch, dafern ich mich nit besserte, daß er mich enterben und vorn Teufel hinwegjagen wollte. Ich versprach Besserung und ritt mit ihm nach Haus; und also hat mein Studiern ein End genommen."

Das 20. Kapitel

Heimkunft und Abschied des ehrbaren Studiosi, und wie er im Krieg seine Beförderung gesucht

"Da mich mein Vater heimbrachte, befand er, daß ich in Grund verderbt wäre; ich war kein ehrbarer Domine worden, als er wohl gehofft hatte, sondern ein Disputierer und Schnarcher, der sich einbildete, er verstehe trefflich viel! Ich war kaum ein wenig daheim erwarmt, als er zu mir sagte: ›Höre Olivier, ich sehe deine Eselsohren je länger je mehr hervorragen, du bist ein unnütze Last der Erden, ein Schlingel, der nirgendszu mehr taug! ein Handwerk zu lernen bist du zu groß, einem Herrn zu dienen bist du zu flegelhaftig, und meine Hantierung zu begreifen und zu treiben bist du nichts nutz. Ach was hab ich doch mit meinem großen Kosten, den ich an dich gewendet, ausgericht? Ich hab gehofft, Freud an dir zu erleben und dich zum Mann zu machen, so hab ich dich hingegen jetzt aus des Henkers Händen kaufen müssen: Pfui der Schand! Das beste wirds sein, daß ich dich in eine Kalmusmühl tue und Miseriam cum aceto schmelzen lasse, bis dir ohnedas ein besser Glück aufstößt, wenn du dein übel Verhalten abgebüßt haben würdest.‹
Solche und dergleichen Lectiones mußte ich täglich hören, bis ich zuletzt auch ungeduldig wurde und zu meinem Vater sagte: Ich wäre an allem nit schuldig, sondern er und mein Präceptor, der mich verführet hätte; daß er keine Freud an mir erlebe, wäre billig, sintemal seine Eltern sich auch seiner nicht zu erfreuen, als die er gleichsam im Bettel verhungern lasse. Er aber ertappte einen Prügel und wollte mir um meine Wahrsagung lohnen, hoch und teur sich verschwörend, er wollte mich nach Amsterdam ins Zuchthaus tun. Da ging ich durch und verfügte mich selbige Nacht auf seinen unlängst erkauften Meierhof, sah meinen Vorteil aus und ritt seinem Meier den besten Hengst auf Köln zu, den er im Stall hatte.
Denselben versilberte ich und kam abermal in eine Gesellschaft der Spitzbuben und Diebe, wie ich zu Lüttich eine verlassen hatte, diese erkannten mich gleich am Spielen und ich sie hinwieder, weil wirs beiderseits so wohl konnten; ich verfügte mich gleich in ihre Zunft und half bei Nacht einfahren wo ich zukommen möchte, demnach aber kurz hernach einer aus uns ertappt wurde, als er einer vornehmen Frauen auf dem Alten Markt ihren schweren Beutel toll machen wollte, zumal ich ihn einen halben Tag mit einem eisern Halskragen am Pranger stehen, ihm auch ein Ohr abschneiden und mit Ruten aushauen sah, erleidet' mir das Handwerk, ließ mich derowegen für einen Soldaten unterhalten, weil eben damals unser Obrist, bei dem wir vor Magdeburg gewesen, sein Regiment zu verstärken Knecht annahm. Indessen hatte mein Vater erfahren, wo ich hinkommen, schrieb derhalben seinem Faktor zu, daß er mich auskundigen sollte, dies geschah eben, als ich bereits Geld auf die Hand empfangen hatte; der Faktor berichtet' solches meinem Vater wieder, der befahl, er sollte mich wieder ledig kaufen, es koste auch was es wolle; da ich solches hörte, fürchtete ich das Zuchthaus und wollt einmal nicht ledig sein. Hierdurch vernahm mein Obrister, daß ich eines reichen Kaufherrn Sohn wäre, spannete derhalben den Bogen gar zu hoch, daß mich also mein Vater ließ wie ich war, der Meinung, mich im Krieg ein Weil zappeln zu lassen, ob ich mich bessern möchte.
Nachgehends stund es nicht lang an, daß meinem Obristen sein Schreiber mit Tod abging, an dessen Statt er mich zu sich nahm, maßen dir bewußt: Damal fing ich an hohe Gedanken zu machen, der Hoffnung, von einer Staffel zur andern höher zu steigen und endlich gar zu einem General zu werden: Ich lernete von unserm Secretario, wie ich mich halten sollte, und mein Vorsatz groß zu werden verursachte, daß ich mich ehrbar und reputierlich einstellte und nit mehr, wie hiebevor meiner Art nach, mich mit Lumpenpossen schleppte; es wollte aber gleichwohl nicht hotten, bis unser Secretarius starb, da gedacht ich, du mußt sehen, daß du dessen Stell bekommst; ich spendierte wo ich konnte, denn als meine Mutter erfuhr, daß ich anfing gut zu tun, schickte sie mir noch immer Geld. Weil aber der junge Herzbruder meinem Obristen gar ins Hemd gebacken war und mir vorgezogen wurde, trachtet ich, ihn aus dem Weg zu räumen, vornehmlich da ich inne wurde, daß der Obrist gänzlich gewillet, ihm die Sekretariatsstelle zu geben. In Verzögerung solch meiner Beförderung, die ich so heftig suchte, wurd ich so ungeduldig, daß ich mich von unserm Profosen so fest als Stahl machen ließ, des Willens mit dem Herzbruder zu duellisieren, und durch die Kling hinzurichten; aber ich konnte niemals mit Manier an ihn kommen; so wehrete mir auch unser Profos mein Vorhaben, und sagte: Wenn du ihn gleich aufopferst, so wird es dir doch mehr schäd- als nützlich sein, weil du des Obristen liebsten Diener ermordt haben würdest', gab mir aber den Rat, daß ich etwas in Gegenwart des Herzbruders stehlen und ihm solches zustellen sollte, so wollte er schon zuwegen bringen, daß er des Obristen Gnad verliere. Ich folgte, nahm bei des Obristen Kindtauf seinen übergüldten Becher, und gab ihn dem Profosen, mit welchem er dann den jungen Herzbruder abgeschafft hat; als du dich dessen noch wohl wirst zu erinnern wissen, als er dir in des Obristen großem Zelt die Kleider auch voll junger Hündlein gaukelte."

Das 21. Kapitel

Wie des Herzbruders Prophezei Simplicius dem Olivier erfüllt, als keiner den andern kannte

Es wurde mir grün und gelb vor den Augen, als ich aus Oliviers eigenem Maul hören mußte, wie er mit meinem allerwertesten Freund umgangen, und gleichwohl keine Rach vornehmen durfte, ich mußte noch dazu mein Anliegen verbeißen, damit ers nit merkte, sagte derowegen, er sollte mir auch erzählen, wie es ihm nach der Schlacht vor Wittstock ferner ergangen wäre?
"In demselben Treffen", sagte Olivier, "hielt ich mich nicht wie ein Federspitzer, der nur auf das Tintenfaß bestellt ist, sondern wie ein rechtschaffener Soldat, denn ich war wohlberitten und so fest als Eisen, zumal in keine Schwadron eingeschlossen, ließ derhalben meinen Valor sehen, als einer der durch den Degen hochzukommen oder zu sterben gedenkt; ich vagierte um unsere Brigade herum wie eine Windsbraut, mich zu exerzieren und den Unsern zu weisen, daß ich besser zu den Waffen als zu der Feder tauge; aber es half nichts, das Glück der Schweden überwand, und ich mußte der Unsern Unglückseligkeit teilhaftig werden, allermaßen ich Quartier nehmen mußte, wiewohl ich es kurz zuvor keinem geben wollte.
Also wurde ich nun wie andere Gefangene unter ein Regiment zu Fuß gestoßen, welches sich wieder zu erholen nach Pommern gelegt wurde, und demnach es viel neugeworbene Bursch gab, ich aber eine treffliche Courage verspüren ließ, wurde ich zum Korporal gemacht; aber ich gedacht da nit lang Mist zu machen, sondern bald wieder unter die Kaiserlichen zu kommen, als deren Partei ich besser affektioniert war, da ich doch ohne Zweifel bei den Schweden bessere Beförderung gefunden hätte. Mein Ausreißen setzte ich folgendergestalt ins Werk: Ich wurde mit sieben Musketiern ausgeschickt, in unsern abgelegenen Quartiern die ausständige Kontribution zu erpressen; als ich nun über achthundert Gulden zuwegen gebracht, zeigte ich meinen Burschen das Geld und machte ihre Augen nach demselben lüsternd, also daß wir des Handels miteinander eins wurden, solches unter uns zu teilen und damit durchzugehen; als solches geschehen, persuadiert ich ihrer drei, daß sie mir halfen die andern vier totschießen, und nach solcher Verrichtung teilten wir das Geld, nämlich jedem zweihundert Gulden, damit marschierten wir gegen Westfalen; unterwegs überredt ich noch einen aus denselben dreien, daß er auch die zween übrigen niederschießen half, und als wir das Geld abermal miteinander teilen sollten, erwürgte ich den letzten auch und kam mit dem Geld glücklich nach Werl, allwo ich mich unterhalten ließ und mit diesem Geld ziemlich lustig machte.
Als solches auf die Neige ging und ich ein als den andern Weg gern bankettiert hätte, zumaln viel von einem jungen Soldaten in Soest hörte rühmen, was treffliche Beuten und großen Namen er sich damit machte, wurde ich angefrischt ihm nachzufolgen; man nannte ihn wegen seiner grünen Kleidung den Jäger, derhalben ich auch eins machen ließ, und stahl auf ihn in seinen und unsern eignen Quartieren, mit Verübung sonst allerhand Exorbitantien dermaßen, daß uns beiden das Parteigehen niedergelegt werden wollte; jener zwar blieb daheim, ich aber mausete noch immerfort in seinem Namen, so viel ich konnte, also daß besagter Jäger um solcher Ursach willen mich auch herausfordern ließ, aber der Teufel hätte mit ihm fechten mögen, den er auch, wie mir gesagt wurde, in Haaren sitzen hatte, er würde mir meine Festigkeit schön aufgetan haben.
Doch konnte ich seiner List nicht entgehen, denn er praktizierte mich mit Hilf seines Knechts in eine Schäferei, samt meinem Kameraden, und wollte mich zwingen, ich sollte daselbst beim Mondenschein, in Gegenwart zweier leibhafter Teufel, die er als Sekundanten bei sich hatte, mit ihm raufen; weil ichs aber nicht tun wollte, zwangen sie mich zu der spöttlichsten Sach von der Welt, so mein Kamerad unter die Leute bracht, davon ich mich dergestalt schämte, daß ich von dort hinweg auf Lippstadt lief und bei den Hessen Dienst nahm, verblieb aber auch daselbst nicht lang, weil man mir nit traute, sondern trabte fürders in holländische Dienste, allwo ich zwar richtigere Bezahlung: aber einen langweiligen Krieg für mein Humor fand, denn da wurden wir eingehalten wie die Mönche und sollten züchtig leben als die Nonnen.
Weil ich mich denn nun weder unter Kaiserlich-, Schwedisch-, noch Hessischen nicht mehr durfte sehen lassen, ich hätte mich denn mutwillig in Gefahr geben wollen, indem ich bei allen dreien ausgerissen, zumal unter den Holländern nicht länger zu bleiben hatte, weil ich ein Mägdlein mit Gewalt entunehrt hatte, welches allem Ansehen nach in Bälde seinen Ausbruch nehmen würde, gedachte ich meine Zuflucht bei den Spanischen zu haben, der Hoffnung, von denselben heimzugehen und zu sehen, was meine Eltern machten. Aber als ich solches ins Werk zu setzen ausging, wurde mir der Kompaß so verrückt, daß ich unversehens unter die Bayrischen geriet, mit denselben marschierte ich unter den Merode-Brüdern aus Westfalen bis ins Breisgau und ernährte mich mit Spielen und Stehlen, hatte ich etwas, so lag ich bei Tags damit auf dem Spielplatz und bei Nacht bei den Marketendern, hatte ich aber nichts, so stahl ich hinweg was ich kriegen konnte, ich stahl oft auf einen Tag zwei oder drei Pferd, beides von der Weid und aus den Quartiern, verkaufte und verspielte hinwieder, was ich löste, und minierte alsdann bei Nacht den Leuten in die Zelt und zwackte ihnen ihr Bestes unter den Köpfen hervor. War es aber auf dem Marsch, so hatte ich an den engen Pässen ein wachtsames Aug auf die Felleisen, so die Weiber hinter sich führten, die schnitt ich ab und brachte mich also durch, bis das Treffen vor Wittenweier vorüberging, in welchem ich gefangen, abermal unter ein Regiment zu Fuß gestoßen und also zu einem weimarischen Soldaten gemacht wurde; es wollte mir aber im Lager vor Breisach nicht gefallen, darum quittierte ichs auch beizeiten und ging davon für mich selbst zu kriegen, wie du denn siehest, daß ich tue. Und sei versichert Bruder, daß ich seithero manchen stolzen Kerl niedergelegt und ein herrlich Stück Geld prosperieret habe, gedenke auch nicht aufzuhören, bis daß ich sehe, daß ich nichts mehr bekommen kann. Jetzund nun wirds an dir sein, daß du mir auch deinen Lebenslauf erzählest."

Das 22. Kapitel

Wie es einem gehet, und was es sei, wenn es ihm hund- oder katzenübel geht

Als Olivier seinen Diskurs dergestalt vollführete, konnte ich mich nicht genugsam über die göttliche Vorsehung verwundern! Ich konnte greifen, wie mich der liebe Gott hiebevor in Westfalen vor diesem Unmenschen nit allein väterlich bewahret, sondern noch dazu versehen hatte, daß er sich vor mir entsetzt: Damals sah ich erst, was ich dem Olivier für einen Possen erwiesen, davon ihm der alte Herzbruder prophezeiet, welches er Olivier aber selbst, wie hiervon im sechzehnten Kapitel zu sehen, zu meinem großen Vorteil anders ausgelegt; denn sollte diese Bestia gewußt haben, daß ich der Jäger von Soest gewesen wäre, so hätte er mir gewißlich wieder eingetränkt, was ich ihm hiebevor auf der Schäferei getan; ich betrachtete auch, wie weislich und obskur Herzbruder seine Weissagungen geben, und gedachte bei mir selber, obzwar seine Wahrsagungen gemeinlich unfehlbar einzutreffen pflegten, daß es dennoch schwerfallen würde und seltsam hergehen müßte, da ich eines solchen Tod, der Galgen und Rad verdient hätte, rächen sollte; ich befand auch, daß mirs trefflich gesund gewesen, daß ich ihm meinen Lebenslauf nicht zuerst erzählt, denn mit der Weis hätte ich ihm ja selber gesagt, womit ich ihn hiebevor beleidigt. Indem ich nun solche Gedanken machte, wurde ich in Oliviers Angesicht etlicher Ritz gewahr, die er vor Magdeburg noch nit gehabt, bildete mir derhalben ein, dieselben Narben seien noch die Wahrzeichen des Springinsfeld, als er ihm hiebevor in Gestalt eines Teufels das Angesicht so zerkratzte, fragte ihn derhalben, woher ihm solche Zeichen kämen? mit dem Anhang, ob er mir gleichwohl seinen ganzen Lebenslauf erzähle, daß ich jedoch ohnschwer abnehmen müsse, er verschweige mir das beste Teil, weil er mir noch nicht gesagt, wer ihn so gezeichnet hätte. "Ach Bruder", antwortet' er, "wenn ich dir alle meine Bubenstück und Schelmerei erzählen sollte, so würde beides mir und dir die Zeit zu lang werden, damit du aber gleichwohl sehest, daß ich dir von meinen Begegnissen nichts verhehle, so will ich dir hievon auch die Wahrheit sagen, ob es schon scheinet, als gereiche es mir zum Spott.
Ich glaube gänzlich, daß ich von Mutterleib an zu einem gezeichneten Angesicht prädestinieret gewesen sei, denn gleich in meiner Jugend wurde ich von meinesgleichen Schülerjungen so zerkratzt, wenn ich mit ihnen rupfte; so hielt mich auch einer von den Teufeln, die dem Jäger von Soest aufwarteten, überaus hart, maßen man seine Klauen wohl sechs Wochen in meinem Gesicht spürte, aber solches heilete ich wieder alles sauber hinweg; die Striemen aber, die du jetzt noch in meinem Angesicht siehest, haben einen andern und zwar diesen Ursprung: Als ich noch unter den Schweden in Pommern in dem Quartier lag und eine schöne Mätresse hatte, mußte mein Wirt aus seinem Bett weichen und uns hineinliegen lassen; seine Katz, die auch alle Abend in demselbigen Bette zu schlafen gewohnt war, kam alle Nacht und machte uns große Ungelegenheit, indem sie ihre ordentliche Liegestatt nit so schlechtlich entbehren wollte, wie ihr Herr und Frau getan; solches verdroß meine Mätresse (die ohnedas keine Katz leiden konnte) so sehr, daß sie sich hoch verschwor, sie wollte mir in keinem Fall mehr Liebs erweisen, bis ich ihr zuvor die Katz hätte abgeschafft; wollte ich nun ihrer Freundlichkeit länger genießen, so gedachte ich ihr nit allein zu willfahren, sondern mich auch dergestalt an der Katz zu rächen, daß ich auch eine Lust daran haben möchte; steckte sie derhalben in einen Sack, nahm meines Wirts beide starken Baurenhunde (die den Katzen ohnedas ziemlich grämisch, bei mir aber wohl gewohnt waren) mit mir und der Katzen im Sack auf eine breite lustige Wiese und gedachte da meinen Spaß zu haben, denn ich vermeinte, weil kein Baum in der Nähe war, auf den sich die Katz retirieren konnte, würden sie die Hund eine Weil auf der Ebne hin und wieder jagen, wie einen Hasen raumen und mir eine treffliche Kurzweil anrichten, aber potz Stern! es ging mir nit allein hundsübel, wie man zu sagen pflegt, sondern auch katzenübel (welches Übel wenig' erfahren haben werden, denn man hätte sonst ohne Zweifel vorlängsten auch ein Sprichwort daraus gemacht), maßen die Katz, sobald ich den Sack auftat, nur ein weites Feld und auf demselbigen ihre zwei starken Feind und nichts Hohes vor sich sah, dahin sie ihre Zuflucht hätte nehmen können: Derowegen wollte sie sich nicht so schlechtlich in die Niedere begeben und sich das Fell zerreißen lassen, sondern sie begab sich auf meinen eigenen Kopf, weil sie keinen höhern Ort wußte, und als ich ihr wehrte, fiel mir der Hut herunter; je mehr ich sie nun herunterzuzerren trachtete, je fester schlug sie ihre Nägel ein, sich zu halten: Solch unserm Gefecht konnten beide Hunde nicht lang zusehen, sondern mengten sich mit ins Spiel, sie sprangen mit offenem Rachen hinten, vorne und zur Seiten nach der Katz, die sich aber gleichwohl von meinem Kopf nicht hinwegbegeben wollte, sondern sich beides sowohl in meinem Angesicht als sonsten auf dem Kopf mit Einschlagung ihrer Klauen hielt so gut sie konnte, tat sie aber mit ihrem Dornhandschuh einen Fehlstreich nach den Hunden, so traf mich derselbe gewiß, weil sie aber auch bisweilen die Hund auf die Nase schlug, beflissen sich dieselbigen, sie mit ihren Talpen herunterzubringen und gaben mir damit manchen unfreundlichen Griff ins Gesicht, wenn ich aber selbst mit beiden Händen nach der Katz tastete, sie herabzureißen, biß und kratzte sie nach ihrem besten Vermögen: Also wurde ich beides, von den Hunden und von der Katz zugleich bekriegt, zerkratzt und dergestalt schrecklich zugerichtet, daß ich schwerlich einem Menschen mehr gleichsah; und was das allerschlimmste war, mußte ich noch dazu in der Gefahr stehen, wenn sie so nach der Katz schnappten, es möchte mir etwa einer ohngefähr die Nase oder ein Ohr erwischen und ganz hinwegbeißen; mein Kragen und Koller sah so blutig aus, als wie vor eines Schmieds Notstall an St. Stephanstag, wenn man den Pferden zur Ader läßt; und wußte ich ganz kein Mittel zu ersinnen, mich aus diesen Ängsten zu erretten; zuletzt so mußte ich von freien Stücken auf die Erde niederfallen, damit beide Hund die Katz erwischen hönnten, wollte ich anderst nicht, daß mein Capitolium noch länger ihr Fechtplatz sein sollte; die Hund erwürgten zwar die Katz, ich hatte aber bei weitem keinen so herrlichen Spaß davon als ich gehofft, sondern nur Spott, und ein solch Angesicht, wie du noch vor Augen siehest. Dessentwegen wurde ich so ergrimmte daß ich nachgehends beide Hund totschoß und meine Mätreß, die mir zu dieser Torheit Anlaß geben, dergestalt abprügelte, daß sie hätte Öl geben mögen und darüber von mir hinweglief, weil sie ohn Zweifel keine so abscheuliche Larve länger lieben konnte."

Das 23. Kapitel

Ein Stücklein, zum Exempel desjenigen Handwerks, das Olivier trieb, worin er ein Meister war und Simplicius ein Lehrjung sein sollte

Ich hätte über dieser des Oliviers Erzählung gern gelacht und mußte mich doch mitleidenlich erzeigen; und als ich eben auch anfing meinen Lebenslauf zu erzählen, sahen wir eine Kutsche samt zweien Reutern das Land heraufkommen, derohalben stiegen wir vom Kirchturm und setzten uns in ein Haus, das an der Straß lag und sehr bequem war die Vorüberreisenden anzugreifen; mein Rohr mußte ich zum Vorrat geladen behalten, Olivier aber legte mit seinem Schuß gleich den einen Reuter und das Pferd, ehe sie unserer innewurden, weswegen denn der ander gleich durchging, und indem ich mit übergezognem Hahnen den Kutscher halten und absteigen gemacht, sprang Olivier auf ihn dar und spaltete ihm mit seinem breiten Schwert den Kopf voneinander bis auf die Zähn hinunter, wollte auch gleich darauf das Frauenzimmer und die Kinder metzgen, die in der Kutschen saßen und bereits mehr den toten Leichen als den Lebenden gleichsehen; ich aber wollte es rund nicht gestatten, sondern sagte, wofern er solches ja ins Werk setzen wollte, müßte er mich zuvor erwürgen. "Ach!" sagte er, "du närrischer Simplici, ich hätte mein Tage nicht gemeinet, daß du so ein heilloser Kerl wärest, wie du dich anläßt." Ich antwortet: "Bruder, was willst du die unschuldigen Kinder zeihen, wenns Kerl wären die sich wehren könnten, so wärs ein anders." "Was", antwortet' er, "Eier in die Pfannen, so werden keine Jungen draus; ich kenne diese jungen Blutsauger wohl, ihr Vater der Major ist ein rechter Schindhund und der ärgste Wamsklopfer von der Welt." Und mit solchen Worten wollte er immer fortwürgen, doch enthielt ich ihn so lang, bis er sich endlich erweichen ließ; es waren aber eines Majors Weib, ihre Mägd und drei schöne Kinder, die mich von Herzen daureten, diese sperreten wir in einen Keller, auf daß sie uns so bald nicht verraten sollten, in welchem sie sonst nichts als Obst und weiße Rüben zu beißen hatten, bis sie gleichwohl wiederum von jemandem erlöst würden; demnach plünderten wir die Kutschen und ritten mit sieben schönen Pferden in Wald wo er zum dicksten war.
Als wir solche angebunden hatten, und ich mich ein wenig umschauete, sah ich ohnweit von uns einen Kerl stockstill an einem Baum stehen, solchen wies ich dem Olivier und vermeinte es wäre sich vorzusehen. "Ha Narr!" antwortet' er, "es ist ein Jud, den hab ich hingebunden, der Schelm ist aber vorlängst erfroren und verreckt", und indem ging er zu ihm, klopfte ihm mit der Hand unten ans Kinn, und sagte: "Ha! du Hund hast mir auch viel schöne Dukaten gebracht", und als er ihm dergestalt das Kinn bewegte, rollten ihm noch etliche Dublonen zum Maul heraus, welche der arm Schelm noch bis in seinen Tod davongebracht hatte; Olivier griff ihm darauf in das Maul und brachte zwölf Dublonen und einen köstlichen Rubin zusammen. "Diese Beut", sagte er, "hab ich dir Simplici zu danken", schenkte mir darauf den Rubin, stieß das Geld zu sich und ging hin seinen Bauren zu holen, mit Befehl, ich sollte indessen bei den Pferden verbleiben, sollte aber wohl zusehen, daß mich der tote Jud nicht beiße, womit er mir verwies, daß ich keine solche Courage hätte wie er.
Als er nun nach dem Bauren aus war, machte ich indessen sorgsame Gedanken, und betrachtete, in was für einem gefährlichen Stand ich lebte; ich nahm mir vor, auf ein Pferd zu sitzen und durchzugehen, besorgte aber, Olivier möchte mich über der Arbeit ertappen und erst niederschießen, denn ich argwöhnte, daß er meine Beständigkeit für diesmal nur probiere, und irgends stehe mir aufzupassen; bald gedacht ich zu Fuß davonzulaufen, mußte aber doch sorgen, wenn ich dem Olivier gleich entkäme, daß ich nichtsdestoweniger den Baurn auf dem Schwarzwald, die damals im Ruf waren, daß sie den Soldaten auf die Hauben klopften, nicht entrinnen würde können. ›Nimmst du aber‹, gedacht ich, ›alle Pferd mit dir, auf daß Olivier kein Mittel hat, dir nachzujagen, und würdest von den Weimarischen erwischt, so wirst du als ein überzeugter Mörder aufs Rad gelegt.‹ In Summa, ich wußte kein sicher Mittel zu meiner Flucht zu ersinnen, vornehmlich da ich mich in einem wilden Wald befand und weder Weg noch Steg wußte; überdas wachte mir mein Gewissen auch auf und quälte mich, weil ich die Kutsch aufgehalten und ein Ursach gewesen, daß der Kutscher so erbärmlich ums Leben kommen und beide Weibsbilder und unschuldigen Kinder in Keller versperrt worden, worinnen sie vielleicht, wie dieser Jud, auch sterben und verderben müßten; bald wollte ich mich meiner Unschuld getrösten, weil ich wider Willen angehalten würde, aber mein Gewissen hielt mir vor, ich hätte vorlängsten mit meinen andern begangenen bösen Stücken verdient, daß ich in Gesellschaft dieses Erzmörders in die Händ der Justiz gerate und meinen billigen Lohn empfange, und vielleicht hätte der gerechte Gott versehen, daß ich solchergestalt gestraft werden sollte: Zuletzt fing ich an ein Bessers zu hoffen und bat die Güte Gottes, daß sie mich aus diesem Stand erretten wollte, und als mich so eine Andacht ankam, sagte ich zu mir selber: "Du Narr, du bist ja nicht eingesperrt oder angebunden, die ganze weite Welt steht dir ja offen, hast du jetzt nit Pferd genug, zu deiner Flucht zu greifen? oder da du nicht reiten willst, so sind deine Füße ja schnell genug, dich davonzutragen." Indem ich mich nun selbst so martert und quälte und doch nichts entschließen konnte, kam Olivier mit unserm Baurn daher, der führte uns mit den Pferden auf einen Hof, da wir fütterten und einer um den andern ein paar Stund schliefen; nach Mitternacht ritten wir weiters und kamen gegen Mittag an die äußerste Grenzen der Schweizer, allwo Olivier wohlbekannt war und uns stattlich auftragen ließ, und dieweil wir uns lustig machten, schickte der Wirt nach zweien Juden, die uns die Pferd gleichsam nur um halb Geld abhandelten: Es war alles so nett und just bestellt, daß es wenig Wortwechselns brauchte, der Juden größte Frag war, ob die Pferd kaiserisch oder schwedisch gewesen? und als sie vernahmen, daß sie von den Weimarischen herkämen, sagten sie: "So müssen wir solche nicht nach Basel, sondern in das Schwabenland zu den Bayrischen reiten." Über welche große Kundschaft und Vertraulichkeit ich mich verwundern mußte.
Wir bankettierten edelmännisch, und ich ließ mir die guten Waldforellen und köstlichen Krebs daselbst wohl schmecken; wie es nun Abend wurde, so machten wir uns wieder auf den Weg, hatten unsern Baurn mit Gebratens und andern Victualien wie einen Esel beladen, damit kamen wir den andern Tag auf einen einzeln Baurnhof, allwo wir freundlich bewillkommt und aufgenommen wurden und uns wegen ungestümen Wetters ein paar Tag aufhielten, folgends kamen wir durch lauter Wald und Abweg wieder in eben dasjenige Häuslein, dahin mich Olivier anfänglich führte, als er mich zu sich bekam.

Das 24. Kapitel

Olivier beißt ins Gras, und nimmt noch ihrer sechs mit sich

Wie wir nun so da saßen, unserer Leiber zu pflegen und auszuruhen, schickte Olivier den Baurn aus, Essenspeis samt etwas von Kraut und Lot einzukaufen; als selbiger hinweg, zog er seinen Rock aus, und sagte zu mir: "Bruder, ich mag das Teufelsgeld nit mehr allein so herumschleppen", band demnach ein paar Würste oder Wülst, die er auf bloßem Leib trug, herunter, warf sie auf den Tisch, und sagte ferner: "Du wirst dich hiemit bemühen müssen, bis ich einmal Feierabend mache, und wir beide genug haben, das Donnersgeld hat mir Beulen gedrückt!" Ich antwortete: "Bruder, hättest du so wenig als ich, so würde es dich nit drücken." "Was?" fiel er mir in die Red, "was mein ist, das ist auch dein, und was wir ferner miteinander erobern, soll gleiche Part gelten." Ich ergriff beide Wülste und befand sie trefflich gewichtig, weil es lauter Goldsorten warn; ich sagte, es sei alles gar unbequem gepackt, da es ihm gefiel, wollte ichs also einnähen, daß einen das Tragen nit halb so saur ankäme. Als er mirs heimstellte, ging ich mit ihm in einen hohlen Eichbaum, allda er Scher, Nadel und Faden vermochte, da machte ich mir und ihm ein Skapulier oder Schulterkleid aus einem Paar Hosen und versteppte manchen schönen roten Batzen darein, und demnach wir nun solche unter die Hemden anzogen, war es nicht anders, als ob wir vorn und hinten mit Gold bewaffnet gewesen wären: und demnach mich wunder nahm, und fragte, warum er kein Silbergeld hätte? bekam ich zur Antwort, daß er mehr als tausend Taler in einem Baum liegen hätte, aus welchem er den Baurn hausen ließe, und um solches nie kein Rechnung begehrt, weil er solchen Schafmist nicht hoch achte.
Als dies geschehen und das Geld eingepackt war, gingen wir nach unserm Logiment, darin wir dieselbe Nacht über kochten und uns beim Ofen ausbäheten: Und demnach es eine Stunde Tag war, kamen, als wir uns dessen am wenigsten versahen, sechs Musketier samt einem Korporal mit fertigem Gewehr und aufgepaßten Lunten ins Häuslein, stießen die Stubentür auf, und schrien: Wir sollten uns gefangen geben! Aber Olivier (der sowohl als ich jederzeit seine gespannte Muskete neben sich liegen und sein scharf Schwert allzeit an der Seiten hatte und damals eben hinteren Tisch saß, gleichwie ich hinter der Tür beim Ofen stund) antwortet' ihnen mit einem Paar Kuglen, durch welche er gleich zween zu Boden fällte, ich aber erlegte den dritten und beschädigte den vierten durch einen gleichmäßigen Schuß; darauf wischte Olivier mit seinem notfesten Schwert, welches Haar schur und wohl des Königs Arturi in England Caliburn verglichen werden möchte, von Leder und hieb den fünften von der Achsel an bis auf den Bauch hinunter, daß ihm das Ingeweid heraus und er neben demselben daniederfiel, indessen schlug ich den sechsten mit meinem umgekehrten Feurrohr auf den Kopf, daß er alle vier von sich streckte; einen solchen Streich kriegte Olivier von dem siebenten, und zwar mit solcher Gewalt, daß ihm das Hirn herausspritzte, ich aber traf denselben, ders ihm getan, wiederum dermaßen, daß er gleich seinen Kameraden am Totenreihen Gesellschaft leisten mußte; als der Beschädigte, den ich anfänglich durch meinen Schuß getroffen, dieser Püff gewahr wurde und sah, daß ich ihm mit umgekehrtem Rohr auch ans Leder wollte, warf er sein Gewehr hinweg und fing an zu laufen, als ob ihn der Teufel selbst gejagt hätte. Und dieses Gefecht währte nit länger als eines Vaterunsers Länge, in welcher kurzen Zeit diese sieben tapferen Soldaten ins Gras bissen.
Da ich nun solchergestalt allein Meister auf dem Platz blieb, beschaute ich den Olivier, ob er vielleicht noch einen lebendigen Atem in sich hätte; da ich ihn aber ganz entseelet befand, dünkte mich ungereimt zu sein, einem toten Körper soviel Golds zu lassen, dessen er nit vonnöten, zog ihm derwegen das gülden Fell ab, so ich erst gestern gemacht hatte, und hing es auch an Hals zu dem andern. Und demnach ich mein Rohr zerschlagen hatte, nahm ich Oliviers Muskete und Schwert zu mir, mit demselben versah ich mich auf allen Notfall und machte mich aus dem Staub, und zwar auf den Weg, da ich wußte, daß unser Baur darauf herkommen mußte; ich setzte mich beiseit an ein Ort, seiner zu erwarten und mich zugleich zu bedenken, was ich ferner anfangen wollte.

Das 25. Kapitel

Simplicius kommt reich davon, hingegen zieht Herzbruder sehr elend auf

Ich saß kaum ein halbe Stund in meinen Gedanken, so kam unser Baur daher und schnaubte wie ein Bär, er lief von allen Kräften und wurde meiner nit gewahr, bis ich ihm auf den Leib kam. "Warum so schnell", sagte ich, "was Neues?" Er antwort: "Geschwind macht Euch abweg! es kommt ein Korporal mit sechs Musketiern, die sollen Euch und den Olivier aufheben und entweder tot oder lebendig nach Lichteneck liefern, sie haben mich gefangen gehabt, daß ich sie zu Euch führen sollte, bin ihnen aber glücklich entronnen und hieher kommen, Euch zu warnen." Ich gedachte: ›O Schelm, du hast uns verraten, damit dir Oliviers Geld, so im Baum liegt, zuteil werden möge‹, ließ mich aber doch nichts merken, weil ich mich seiner als eines Wegweisers gebrauchen wollte, sondern sagte ihm, daß beides Olivier und diejenigen so ihn hätten fangen sollen, tot wären; da es aber der Bauer nit glauben wollte, war ich noch so gut und ging mit ihm hin, daß er das Elend an den sieben Körpern sehen konnte. "Den siebenten (von denen), die uns fangen sollen", sagte ich, "habe ich laufen lassen, und wollte Gott, ich könnte auch diese wieder lebendig machen, so wollte ichs nit unterlassen!" Der Bauer erstaunte vor Schrecken, und sagte: "Was Rats?" Ich antwortet: "Der Rat ist schon beschlossen, unter dreien Dingen geb ich dir die Wahl, entweder führe mich alsbald durch sichere Abweg über den Wald hinaus nach Villingen, oder zeige mir Oliviers Geld, das im Baum liegt, oder stirb hier und leiste gegenwärtigen Toten Gesellschaft! Führest du mich nach Villingen, so bleibt dir Oliviers Geld allein, wirst du mirs aber weisen, so will ichs mit dir teilen, tust du aber deren keines, so schieß ich dich tot und gehe gleichwohl meines Wegs." Der Baur wäre gern entlaufen, aber er fürchte die Muskete, fiel derhalben auf die Knie nieder und erbot sich, mich über Wald zu führen: Also wanderten wir eilend fort, gingen denselben Tag und folgende ganze Nacht, weil es zu allem Glück trefflich hell war, ohne Essen, Trinken und einzige Ruhe immer hin, bis wir gegen Tag die Stadt Villingen vor uns liegen sahen, allwo ich meinen Baurn wieder von mir ließ. Auf diesem Weg trieb den Baurn die Todesfurcht, mich aber die Begierde, mich selbst und mein Geld davonzubringen, und muß fast glauben, daß einem Menschen das Gold große Kräfte mitteilst, denn ob ich zwar schwer genug daran trug, so empfand ich jedoch keine sonderbare Müdigkeit.
Ich hielt es für ein glücklich Omen, daß man die Pfort eben öffnete, als ich vor Villingen kam; der Offizier von der Wacht examinierte mich, und als er vernahm, daß ich mich für einen Freireuter ausgab, von demjenigen Regiment, wobei mich Herzbruder getan, als er mich zu Philippsburg von der Muskete erlöste, wie auch, daß ich aus dem Lager vor Breisach von den Weimarischen herkäme, unter welche ich vor Wittenweir gefangen und untergestoßen worden, und nunmehr wieder zu meinem Regiment unter die Bayrischen begehrte, gab er mir einen Musketierer zu, der mich zum Kommandanten führte. Derselbe lag noch in seiner Ruhe, weil er wegen seiner Geschäfte mehr als die halbe Nacht wachend zugebracht hatte, also daß ich wohl anderthalbe Stund vor seinem Quartier aufwarten mußte, und weil eben die Leut aus der Frühmeß gingen, einen großen Umstand von Bürgern und Soldaten bekam, die alle wissen wollten, wie es vor Breisach stünde? von welchem Geschrei der Kommandant erwachte und mich vor sich kommen ließ.
Er fing an, mich zu examinieren, und meine Aussag war wie unterm Tor; hernach fragte er mich sonderliche Partikularitäten von der Belagerung und sonsten, und damit bekennete ich alles, wie daß ich nämlich ein Tag oder vierzehen mich bei einem Kerl aufgehalten, der auch durchgangen, und mit demselben eine Kutsche angegriffen und geplündert hätte, der Meinung, von den Weimarischen so viel Beuten zu holen, daß wir uns daraus beritten machen und rechtschaffen montiert wieder zu unsern Regimentern kommen möchten, wir seien aber erst gestern von einem Korporal mit noch sechs andern Kerlen, die uns aufheben sollen, überfallen worden, dadurch mein Kamerad mit noch sechsen vom Gegenteil auf dem Platz geblieben, der siebent aber sowohl als ich, und zwar jeder zu seiner Partei, entlaufen sei; von dem aber, daß ich nach L. in Westfalen zu meinem Weib gewollt und daß ich zwei so wohlgefütterte Hinter- und Vorderstück anhatte, schwieg ich stockstill, und zwar so machte ich mir auch kein Gewissen darum, daß ichs verhehlete, denn was gings ihn an? Er fragte mich auch nit einmal darum, sondern verwunderte sich vielmehr und wollts fast nit glauben, daß ich und Olivier sollten sechs Mann niedergemacht und den siebenten verjagt haben, obzwar mein Kamerad mit eingebüßt. Mt solchem Gespräch gabs Gelegenheit von Oliviers Schwert zu reden, so ich lobte und an der Seiten hatte; das gefiel ihm so wohl, daß ichs ihm, wollte ich anders mit guter Manier von ihm kommen und Paß erlangen, gegen einen andern Degen, den er mir gab, überlassen mußte; in Wahrheit aber, so war dasselbe trefflich schön und gut, es war ein ganzer ewigwährender Kalender darauf geätzet, und lasse ich mir nicht ausreden, daß es nicht in Hora Martis von Vulcano selbst geschmiedet und allerdings zugerichtet worden sei, wie im ›Heldenschatz‹ eins beschrieben wird, wovon alle anderen Klingen entzweispringen und die beherztesten Feinde und Löwengemüter wie furchtsam Hasen entlaufen müssen. Nachdem er mich nun entließ und befohlen, einen Paß für mich zu schreiben, ging ich den nächsten Weg ins Wirtshaus und wußte nicht, ob ich am ersten schlafen oder essen sollte? denn es war mir beides nötig; doch wollt ich zuvor meinen Magen stillen, ließ mir derhalben etwas zu essen und einen Trunk langen, und machte Gedanken, wie ich meine Sachen anstellen möchte, daß ich mit meinem Geld sicher nach L. zu meinem Weib kommen möchte, denn ich hatte so wenig im Sinn zu meinem Regiment zu gehen, als den Hals abzufallen.
Indem ich nun so spekulierte, hinkte ein Kerl in die Stub, an einem Stecken in der Hand, der hatte einen verbundenen Kopf, einen Arm in der Schlinge und so elende Kleider an, daß ich ihm kein Heller darum geben hätte; sobald ihn der Hausknecht sah, wollte er ihn austreiben, weil er übel stank und so voll Läus kroch, daß man die ganze Schwabenheid damit besetzen könnte; er aber bat, man wollte ihm doch um Gottes willen zulassen, sich nur ein wenig zu wärmen, so aber nichts half; demnach ich mich aber seiner erbarmte und für ihn bat, wurde er kümmerlich zum Ofen gelassen: Er sah mir, wie mich dünkte, mit begierigem Appetit und großer Andacht zu, wie ich draufhieb, und ließ etliche Seufzer laufen, und als der Hausknecht ging, mir ein Stück Gebratens zu holen, ging er gegen mich zum Tisch zu und reichte ein irden Pfennighäfelein in der Hand dar, als ich mir wohl einbilden konnte, warum er käme. Nahm derhalben die Kanne und goß ihm seinen Hafen voll, ehe er heischte. "Ach Freund", sagte er, "um Herzbruders willen gebt mir auch zu essen!" Da er solches sagte, ging mirs durchs Herz, und befand, daß es Herzbruder selbsten war, ich wäre beinahe in Ohnmacht gesunken, da ich ihn in einem so elenden Stand sah, doch erhielt ich mich, fiel ihm um den Hals und setzte ihn zu mir, da uns denn beiden, mir aus Mitleiden und ihm aus Freud, die Augen übergingen.

Das 26. Kapitel

Ist das letzte in diesem vierten Buch, weil keines mehr hernach folget

Unser unversehens Zusammenkunft machte, daß wir fast weder essen noch trinken konnten, nur fragte einer den andern, wie es ihm ergangen, seit wir das letztemal beisamm gewesen, dieweil aber der Wirt und Hausknecht stets ab- und zuging, konnten wir einander nichts Vertraulichs erzählen, der Wirt wunderte, daß ich ein so lausigen Kerl bei mir litte, ich aber sagte, solches sei im Krieg unter rechtschaffenen Soldaten, die Kameraden wären, der Brauch. Da ich auch verstund, daß sich Herzbruder bisher im Spital aufgehalten, vom Almosen sich ernährt, und seine Wunden liederlich verbunden worden, dingte ich dem Wirt ein sonderlich Stüblein ab, legte Herzbrudern in ein Bett und ließ ihm den besten Wundarzt kommen, den ich haben konnte, wie auch einen Schneider und eine Näherin, ihn zu kleiden und den Läusen aus den Zähnen zu ziehen; ich hatte eben diejenigen Dublonen, so Olivier einem toten Juden aus dem Maul bekommen, bei mir in einem Säckel, dieselben schlug ich auf den Tisch und sagte, dem Wirt zu Gehör, zu Herzbrudern: "Schau Bruder, das ist mein Geld, das will ich an dich wenden und mit dir verzehren"; davon der Wirt uns brav aufwartete, dem Barbier aber wies ich den Rubin, der auch des bedeuten Juden gewesen und ungefähr zwanzig Taler wert war, und sagte: Weil ich mein wenig Geld, so ich hätte, für uns zur Zehrung, und meinem Kameraden zur Kleidung aufwenden müßte, so wollt ich ihm denselben Ring geben, wenn er besagten meinen Kameraden in Bälde von Grund aus dafür kurieren wollte, dessen er denn wohl zufrieden und seinen besten Fleiß zur Kur anwendete.
Also pflegte ich Herzbrudern, wie meinem andern Ich, und ließ ihm ein schlicht Kleidlein von grauem Tuch machen, zuvor aber ging ich zum Kommandanten wegen des Passes und zeigte ihm an, daß ich einen übelbeschädigten Kameraden angetroffen hätte, auf den wollte ich warten, bis er vollend heilete, denn ihn hinter mir zu lassen, getraute ich bei meinem Regiment nicht zu verantworten; der Kommandant lobte meinen Vorsatz und gönnete mit zu bleiben, solang ich wollte, mit fernerm Anerbieten, wenn mir mein Kamerad würde folgen können, daß er uns beide, alsdann mit genugsamem Paß versehen wollte.
Demnach ich nun wieder zu Herzbrudern kam und allein neben seinem Bett bei ihm saß, bat ich ihn, er wollte mir unbeschwert erzählen, wie er in einen so armseligen Stand geraten wäre? denn ich bildete mir ein, er möchte vielleicht wichtiger Ursachen oder sonst eines Übersehens halber von seiner vorigen Dignität verstoßen, unredlich gemacht und in gegenwärtig Elend gesetzt worden sein; er aber sagte: "Bruder du weißt, daß ich des Grafen von Götz Factotum und allerliebster geheimster Freund gewesen, hingegen ist dir auch genugsam bekannt, was die verwichene Kampagne unter seinem Generalat und Kommando für ein unglückselige Endschaft erreicht, indem wir nicht allein die Schlacht bei Wittenweir verloren, sondern noch dazu das belagerte Breisach zu entsetzen nit vermocht haben: Weil denn nun deswegen hin und wieder vor aller Welt sehr ungleich geredt wird zumalen wohlermeldter Graf, sich zu verantworten nach Wien zitiert worden, so lebe ich vor Scham und Furcht freiwillig in dieser Niedere und wünsche mir oft, entweder in diesem Elend zu sterben oder doch wenigst mich solang verborgen zu halten, bis mehrwohlbesagter Graf seine Unschuld an Tag gebracht, denn soviel ich weiß, ist er dem Römischen Kaiser allezeit getreu gewesen, daß er aber diesen verwichenem Sommer so gar kein Glück gehabt, ist meines Erachtens mehr der göttlichen Vorsehung (als welcher die Siege gibt wem er will) als des Grafen Übersehen beizumessen.
Da wir Breisach zu entsetzen im Werk waren, und ich sah, daß es unserseits so schläferig herging, armierte ich mich selbst und ging dergestalt auf die Schiffbrücke mit an, als ob ichs allein hätte vollenden wollen, da es doch damals weder mein Profession noch Schuldigkeit war; ich tats aber den andern zum Exempel, und weil wir den vergangenen Sommer so gar nichts ausgericht hatten; das Glück, oder vielmehr das Unglück wollte mir, daß ich unter den ersten Angängern dem Feind auch am ersten auf der Brücken das Weiß in Augen sah, da es denn scharf herging, und gleichwie ich im Angriff der erste gewesen, also wurde ich, da wir der Franzosen ungestümem Ansetzen nicht mehr widerstanden, der allerletzte und kam dem Feind am ersten in die Hände: ich empfing zugleich einen Schuß in meinen rechten Arm, und den andern in Schenkel, also daß ich weder ausreißen, noch meinen Degen mehr gebrauchen konnte, und als die Enge des Orts und der große Ernst nit zuließ, viel vom Quartiergeben und -nehmen zu parlementieren, kriegte ich einen Hieb in Kopf, davon ich zu Boden fiel, und weil ich fein gekleidet war, von etlichen in der Furi ausgezogen und für tot in Rhein geworfen wurde. In solchen Nöten schrie ich zu Gott und stellete alles seinem heiligen Willen heim, und indem ich unterschiedliche Gelübde tat, spürte ich auch seine Hilf, der Rhein warf mich ans Land, allwo ich meine Wunden mit Moos verstopfte, und ob ich zwar beinahe erfror, so verspürte ich jedoch eine absonderliche Kraft davonzukriechen, maßen mir Gott half, daß ich (zwar jämmerlich verwundet) zu etlich Merode-Brüdern und Soldatenweibern kam, die sämtlich ein Mitleiden mit mir hatten, ob sie mich zwar nit kannten. Diese verzweifelten bereits an einem glücklichen Entsatz der Festung, das mir weher tat als meine Wunden, sie erquickten und bekleideten mich bei ihrem Feur, und ehe ich ein wenig meine Wunden verband, mußte ich sehen, daß sich die Unserigen zu einem spöttlichen Abzug rüsteten und die Sach für verloren gaben, so mich trefflich schmerzete; resolvierte derhalben bei mir selbsten, mich niemand zu offenbaren, damit ich mich keines Spotts teilhaftig machte, maßen ich mich zu etlichen Beschädigten von unserer Armee gesellet', welche einen eigenen Feldscherer bei sich hatten, denen gab ich ein gülden Kreuzlein, das ich noch am Hals davongebracht, für welches er mir bis hieher meine Wunden verbunden. In solchem Elend nun, werter Simplici, hab ich mich bisher beholfen, gedenke mich auch keinem Menschen zu offenbaren, bis ich zuvor sehe, wie des Grafen von Götz seine Sach einen Ausgang gewinnet. Und demnach ich deine Gutherzigkeit und Treu sehe, gibt mir solches einen großen Trost, daß der liebe Gott mich noch nit verlassen, maßen ich heut morgen, als ich aus der Frühmeß kam und dich vor des Kommandanten Quartier stehen sah, mir eingebildet, Gott hätte dich anstatt eines Engels zu mir geschickt, der mir in meiner Armseligkeit zu Hilf kommen sollte." Ich tröstete Herzbrudern so gut ich konnte und vertraute ihm, daß ich noch mehr Geld hätte als diejenigen Dublonen die er gesehen, welches alles zu seinen Diensten stünde; und indem erzählte ich ihm auch Oliviers Untergang, und wasgestalt ich seinen Tod rächen müssen. Welches sein Gemüt dermaßen erquickte, also daß es ihm auch an seinem Leib wohl zustatten kam, gestalten es sich an allen Wunden täglich mit ihm besserte.

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Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der *.txt Datei.

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